Strafrechtliche Rechtsprechungsübersicht

§ 127 StGB – Bildung bewaffneter Gruppen; hier: Begriff der Gruppe. §§ 184i Abs. 1, 184h Nr. 1, 223 Abs. 1 StGB – Sexuelle Belästigung; hier: Gemischt objektiv-subjektive Auslegung. §§ 242, 22, 23 StGB – Diebstahl; hier: Abgrenzung Vollendung – Versuch. § 253 StGB – Erpressung; hier: Vermögensschaden.(...)

Von Dirk Weingarten, Polizeihauptkommissar & Ass. jur., Polizeiakademie Hessen

Wir bieten Ihnen einen Überblick über strafrechtliche Entscheidungen, welche überwiegend – jedoch nicht ausschließlich – für die kriminalpolizeiliche Arbeit von Bedeutung sind. Im Anschluss an eine Kurzdarstellung ist das Aktenzeichen zitiert, so dass eine Recherche beispielsweise über Juris möglich ist.

I Materielles Strafrecht

§ 127 StGB – Bildung bewaffneter Gruppen; hier: Begriff der Gruppe. Die Angeklagten, jeweils in Kenntnis der Bewaffnung einzelner von ihnen (eine Person ein ca. einen Meter langer Baseballschläger, eine Person eine etwa 1,20 Meter lange Vorhangstange aus Holz und einer einen Schlosserhammer), begaben sich zu einem Döner-Imbiss auf, um dort im Rahmen einer „Vergeltungsaktion“, insbesondere unter Verwendung der mitgeführten Gegenstände, zu randalieren, zu drohen und zu prügeln.

Für eine Gruppe im Sinne des § 127 StGB genügt eine Mindestanzahl von drei Gruppenmitgliedern jedenfalls dann, wenn sie an einem Ort zusammenwirken. In diesem Fall muss die Personenmehrheit weder eine Organisationsstruktur aufweisen noch auf längere Zeit angelegt sein; ausreichend ist ein spontaner Zusammenschluss für eine einmalige Unternehmung. Eine Gruppe verfügt gemäß § 127 StGB nur dann über Waffen oder andere gefährliche Werkzeuge, wenn die Ausstattung mit derartigen Gegenständen für den gemeinsamen Gruppenzweck wesentlich ist und zugleich nach deren Art und Gefährlichkeit den Charakter des Personenzusammenschlusses (mit-)bestimmt. Für die Beurteilung von Gegenständen als gefährliche Werkzeuge kommt es – neben ihrer objektiven Beschaffenheit – darauf an, ob ihnen nach dem Gruppenzweck für den Fall der Verwendung eine waffengleiche Funktion zukommt. (BGH, Urt. v. 14.6.2018 – 3 StR 585/17)

§§ 184i Abs. 1, 184h Nr. 1, 223 Abs. 1 StGB – Sexuelle Belästigung; hier: Gemischt objektiv-subjektive Auslegung. Nachdem die A aufgrund vorrangegangenen Geschehens (Geiselnahme, Gefährliche Körperverletzung etc.) festgenommen worden war, wurde sie in den Räumen einer Polizeiwache in Anwesenheit der geschädigten Polizeibeamtin P – von einer weiteren Polizeibeamtin körperlich durchsucht. Die A, der die Durchsuchung missfiel, rief der Geschädigten zu: „Und Du willst wohl auch gleich in meine Fotze gucken? Soll ich auch in Deine greifen?“ Dabei griff sie der P mit einer schnellen Bewegung in den Schritt und kniff sie dort schmerzhaft. P war hierdurch schockiert; der Vorfall war ihr peinlich, und sie ekelte sich sehr.

Den Straftatbestand der sexuellen Belästigung im Sinne des § 184i Abs. 1 StGB erfüllt, wer eine andere Person in sexuell bestimmter Weise körperlich berührt und dadurch belästigt. Das Tatbestandsmerkmal der körperlichen Berührung „in sexuell bestimmter Weise“ ist anhand der Auslegungskriterien zu bestimmen, welche die Rechtsprechung zum Begriff der sexuellen Handlung nach § 184h Nr. 1 StGB entwickelt hat. Demnach kann eine Berührung sowohl objektiv – nach dem äußeren Erscheinungsbild – als auch subjektiv – nach den Umständen des Einzelfalls – sexuell bestimmt sein, wobei es allerdings nicht ausreicht, dass die Handlung allein nach der subjektiven Vorstellung des Täters sexuellen Charakter hat. (BGH, Beschl. v. 13.3.2018 – 4 StR 570/17)

§§ 242, 22, 23 StGB – Diebstahl; hier: Abgrenzung Vollendung – Versuch. Der A brach mit einem unbekannten Mittäter in ein Wohnhaus ein, durchsuchte es und entwendete einen Schmuckkoffer mit Modeschmuck im Gesamtwert von 125 Euro. Ein Nachbar der Geschädigten fand den Koffer samt Inhalt einen Tag später im Wald, sodass sie diesen letztlich zurückbekam.

Enthält ein Behältnis, das der Täter in seinen Gewahrsam bringt (hier: ein Schmuckkoffer), nicht die vorgestellte werthaltige Beute, auf die es ihm bei der Tat allein ankommt (hier: sondern lediglich Modeschmuck), und entledigt er sich – nachdem er dies festgestellt hat – deswegen des Behältnisses sowie des ggf. darin befindlichen, ihm nutzlos erscheinenden Inhalts, so kann er mangels Zueignungsabsicht bezüglich der erlangten Beute nicht wegen eines vollendeten, sondern nur wegen versuchten (fehlgeschlagenen) Diebstahls bestraft werden. (BGH, Beschl. v. 26.7.2017 – 3 StR 182/17)

§ 253 StGB – Erpressung; hier: Vermögensschaden. O betrieb eine Gaststätte und es gelang ihm nicht, mit den Betriebseinnahmen die laufenden Kosten der Gaststätte zu decken. In der Folge bekam O Besuch von T, der ihm den Vorschlag unterbreitete, Kontakt zu Leuten zu vermitteln, die zu einer Verbesserung der Geschäftssituation der Gaststätte beitragen könnten. T eröffnete O, dass er Mitglied der „Hells Angels“ sei und diese wollten in dem Café Drogen verkaufen. Er stellte O vor die Alternative, entweder einen Drogenverkauf zuzulassen oder das Lokal abzugeben. Nachdem O dieses Ansinnen mehrfach abgelehnt hatte, erschien T mit zehn bis 15 Personen, die einheitliche Motorradbekleidung bzw. Lederjacken trugen. Er fragte O, ob er sich nunmehr entschieden habe, ihm das Café zu überlassen oder beim Drogenverkauf mitzuwirken. Unter diesem Eindruck ging O nun auf die Forderung ein und stimmte der Übergabe des Lokals zu.

Der Vermögensnachteil i.S.d. § 253 StGB ist gleichbedeutend mit dem Vermögensschaden i.S.d. § 263 StGB. Voraussetzung einer versuchten Erpressung ist daher, dass die Nötigung nach dem Tatplan zu einer nicht durch Zuwachs ausgeglichenen Minderung des wirtschaftlichen Gesamtwerts des Vermögens des Genötigten oder eines Dritten führen soll. Die Nötigung zur vertraglichen Übertragung eines Mietverhältnisses führt nur dann zu einem Vermögensschaden, wenn der Wert des Besitzrechtes an der Mietsache höher ist als die Höhe des zu entrichtenden Mietzinses. Erwerbs- und Gewinnaussichten des Mieters können im Rahmen der Schadensberechnung nur dann Berücksichtigung finden, wenn ihnen durch ihre Verdichtung bereits ein wirtschaftlicher Wert beigemessen werden kann, da ein Vermögenszuwachs mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. (BGH, Urt. v. 4.10.2017 – 2 StR 260/17)

§ 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG – Bewaffnetes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln; hier: Mitsichführen einer Schusswaffe. Der A verkaufte in einem Café 20,93 g Kokaingemisch mit einem Wirkstoffgehalt von 17,48 g CHC zum Preis von 1.400 Euro an eine V-Person der Polizei. Um das Kokain abzuwiegen, ging er mit der V-Person in einen Nebenraum, zu dem er einen Schlüssel hatte. Dort befanden sich unter anderem ein Tisch und eine Feinwaage. Neben dem Tisch stand ein etwa hüfthohes Regal, in und auf dem Kartons lagen. In oder auf einem der Kartons bewahrte der A wissentlich eine Pistole Kaliber 7,65 mm mit sechs Patronen im Magazin und einer Patrone im Patronenlager auf.

Ein Mitsichführen einer Schusswaffe i.S.v. § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG ist gegeben, wenn der Täter diese in irgendeinem Stadium des Tathergangs bewusst gebrauchsbereit so in seiner Nähe hat, dass er sich ihrer jederzeit ohne nennenswerten Zeitaufwand und ohne besondere Schwierigkeiten bedienen kann. (BGH, Urt. v. 13.12.2017 – 5 StR 108/17).

II Prozessuales Strafrecht


§§ 102, 103, StPO, § 29 BtMG – Durchsuchung eines Wohnraums; hier: Anfangsverdacht und Begründungsanforderungen.
Die B ist verdächtig von X Kokain erworben zu haben. Sie ist dieser Tat(en) verdächtig aufgrund der bisherigen polizeilichen Ermittlungen. Insbesondere aufgrund von Erkenntnissen aus der Telekommunikationsüberwachung im Verfahren gegen X. Hier gibt es eine Vielzahl von Telefonaten zwischen X und B, in dem es ganz offensichtlich um den Erwerb von Kokain geht. Dieser konnte bislang noch nicht abschließend geklärt werden; es besteht nach bisherigen Erkenntnissen der naheliegende Verdacht, dass eine Durchsuchung bei der B und der von ihr genutzten Räume zur Auffindung der oben benannten Beweismittel führen wird und deshalb eine geeignete und erforderliche Strafverfolgungsmaßnahme ist.

Ein Durchsuchungsbeschluss hat mit Blick auf die Bedeutung eines Eingriffes in die durch Art. 13 GG geschützte persönliche Lebenssphäre bestimmten inhaltlichen Anforderungen zu genügen, insbesondere sind tatsächliche Angaben über den Inhalt des Tatvorwurfs erforderlich; in der Regel auch Indiztatsachen, auf die der Verdacht gestützt wird. Vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen reichen nicht aus. Die Begründung darf nur unterbleiben, wenn die Bekanntgabe der wesentlichen Verdachtsmomente den Untersuchungszweck gefährdet. Insbesondere darf eine Durchsuchung nicht der Ermittlung von Tatsachen dienen, die zur Begründung des Verdachts erforderlich sind. Denn sie setzten einen Verdacht bereits voraus. (LG Rostock, Beschl. v. 30.11.2017 – 13 Qs 149/17 (1))

§§ 102, 105 StPO, § 29 BtMG - Durchsuchung eines Wohnraums; hier: Fortgesetze Durchsuchung bei Gefahr im Verzug. In einem Appartement wurde eine Durchsuchung durchgeführt. Gegen 20:15 Uhr hatte sich eine Zeugin, die ihren Namen zunächst nicht nannte, telefonisch an die Polizei gewandt und mitgeteilt, dass sie in dem von ihr bewohnten Haus Beobachtungen gemacht habe, die auf einen dort betriebenen Drogenhandel hindeuteten. Auch die Polizei nahm sodann vor Ort starken Marihuanageruch und die Stimmen mehrerer Personen wahr. Da sie davon ausgingen, dass in der Wohnung mit Betäubungsmitteln Handel getrieben werde, beschlossen sie, diese wegen drohenden Beweismittelverlustes umgehend zu durchsuchen. Auf ihr Klopfen öffnete der A die Tür einen Spalt breit und entgegnete in dem Bemühen, die Wohnungstür sofort wieder zu schließen, auf die Frage der Beamten, ob sie die Wohnung betreten dürften, dass dies „gerade schlecht sei“. Die Polizeibeamten verschafften sich gegen den Willen des A Zutritt zur Wohnung. Eine erste Umschau ergab, dass in dem Raum kleine Griptütchen mit Marihuana verstreut lagen. Außerdem befand sich auf dem Tisch und auf dem Fußboden jeweils eine Feinwaage. Neben Letzterer waren zwei Plastiktüten mit offensichtlich größeren Mengen Marihuana erkennbar. Daraufhin wurden gegen 20.45 Uhr Beamte des Kriminaldauerdienstes sowie des Rauschgiftdezernats hinzugezogen, die an der weiteren Durchsuchung mitwirkten.

Beim Handeltreiben mit Betäubungsmitteln sind sämtliche Betätigungen, die sich auf den Vertrieb derselben, in einem Akt erworbenen Betäubungsmittel beziehen, als eine Tat in Bezug auf die Gesamtmenge anzusehen. In Ansehung der Durchsuchung liegt keine relevante Zäsur darin, dass nach dem Betreten der Wohnung durch Beamte der örtlichen Polizeiinspektion weitere Beamte des Kriminaldauerdienstes und des Rauschgiftdezernats zugezogen wurden, die die Durchsuchungsmaßnahme fortsetzten. Die Beamten waren nicht verpflichtet, hinsichtlich einer rechtmäßig auf Gefahr in Verzug gestützten und noch laufenden Durchsuchung eine richterliche Genehmigung zu erwirken. (BGH, Urt. v. 18.7.2018 – 5 StR 547/17)

§ 136 Abs. 1 S. 5 StPO – Erste Vernehmung; hier: Unterbliebene Belehrung über die Möglichkeit einer Pflichtverteidigerbestellung – kein zwingendes Beweisverwertungsverbot. Eine nach § 136 Abs. 1 S. 3 HS. 2 StPO a.F. bzw. § 136 Abs. 1 S. 5 HS. 2 StPO n.F. unterbliebene Belehrung des A begründet kein absolutes Verwertungsverbot. Aber auch die Annahme eines relativen, im Rahmen einer einzelfallbezogenen Abwägung festzustellendes Verwertungsverbot kommt in diesem Fall, Tötungsdelikt, nicht in Betracht, da das staatliche Verfolgungs- und Aufklärungsinteresse bei einem Tötungsdelikt besonders hoch ist, die Belehrung nicht bewusst oder willkürlich, sondern aus Unkenntnis der Vernehmungsbeamten über die Neuregelung unterblieben und damit der festgestellte Verstoß von geringerem Gewicht ist. Zudem fehlen jegliche Anhaltspunkte für die Annahme, der A hätte im Rahmen der ersten Vernehmung Angaben zur Sache gemacht, weil er mangels wirtschaftlicher Mittel keine Möglichkeit gesehen hätte, sich eines Verteidigers zu bedienen. (BGH, Beschl. v. 6.2.2018 – 2 StR 163/17)

§§ 163f, 161 Abs. 2 StPO – Observation; hier: Zweckbindung von Observationserkenntnissen. Erkenntnisse der Polizei aus einer Observation gemäß § 163f StPO (hier: Verdacht Drogenhandel) sind zunächst nur in dem Strafverfahren verwendbar, für das sie erhoben wurden (Grundsatz der Zweckbindung). Die Verwendung von Zufallserkenntnissen (hier: Fahren ohne Fahrerlaubnis) in anderen Strafverfahren ist nur dann zulässig, wenn eine solche Observation auch für diese Tat hätte angeordnet werden dürfen (Prinzip des hypothetischen Ersatzeingriffs). (LG Braunschweig, Beschl. v. 13.9.2018 – 8 Qs 170/18)