Rechtssprechung

Verwertungsverbot für Selbstgespräche im Krankenzimmer

BGH: Verwertungsverbot für Selbstgespräche im Krankenzimmer
(Urteil vom 10. 8. 2005, BGH 1 StR 140/05)


Dr. Rolf Meier

1. Leitsätze des GerichtsEin in einem Krankenzimmer mittels akustischer Wohnraumüberwachung aufgezeichnetes Selbstgespräch des Angeklagten ist zu dessen Lasten zu Beweiszwecken unverwertbar, soweit es dem durch Art. 13 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Kernbereich zuzurechnen ist.


2. Sachverhalt1
Das Landgericht München II hatte den Angeklagten mit Urteil vom 13. Dezember 2004 wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt.
Nach den Feststellungen des Landgerichts erschlug der Angeklagte im Jahr 1998 einen Landwirt. Der Angeklagte hat die Tat bestritten. Das Landgericht hat seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten auch auf das Ergebnis einer im Dezember 2003 durchgeführten akustischen Raumüberwachung gestützt. Zielobjekt der Abhörmaßnahme war das Einzelzimmer des Angeklagten in einer Rehabilitationsklinik, in der er sich zur Behandlung der Folgen eines Arbeitsunfalls aufhielt. Aufgezeichnet wurde dabei ein Selbstgespräch des Angeklagten, das er nach einem Telefonat mit einer Arbeitskollegin geführt hatte, die ihm von einer Befragung zu seiner Person durch die Polizei berichtet hatte. Der Angeklagte hatte in dem Selbstgespräch u.a. geäußert: „Sehr aggressiv! Sehr aggressiv! In Kopf hätt i eam schießen sollen.“ Das Landgericht hat hieraus den Schluss gezogen, dass der Angeklagte sich Gedanken über eine alternative Tötungsart gemacht habe, die den Verdacht weniger auf seine Person gelenkt hätte.

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat das landgerichtliche Urteil auf die Revision des Angeklagten aufgehoben und die Sache an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Aus den Gründen2
…II. 2. Der Senat kann offen lassen, ob der Beschluss, mit dem die akustische Wohnraumüberwachung angeordnet wurde, inhaltlich den Anforderungen des Grundrechts aus Art. 13 GG genügt (vgl. BVerfGE 109, 279, 360). Er kann auch offen lassen, ob die Maßnahme im Hinblick auf die Erhebung absolut geschützter Informationen wenigs-tens zu unterbrechen war (vgl. BVerfGE 109, 279, 318). Denn nach § 100c Abs. 5 Satz 3 StPO (in der jetzt geltenden Fassung auf Grund des Gesetzes vom 24. Juni 2005, BGBl I S. 1841) durfte das Landgericht das Selbstgespräch nicht – wie geschehen – zu Beweiszwecken verwerten. Das hier geführte Selbstgespräch ist nämlich dem durch Art. 13 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG geschützten unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen (§ 100c Abs. 4 StPO). Erkenntnisse über solche Äußerungen unterliegen einem „absoluten Verwertungsverbot“ und dürfen auch im Hauptsacheverfahren nicht verwertet werden (BVerfGE 109, 279, 331). Selbst überwiegende Interessen der Allgemeinheit – hier die Aufklärung eines Mordes – können, so das Bundesverfassungsgericht, einen Eingriff in diesen absolut ge-
schützten Kernbereich privater Lebensgestaltung nicht rechtfertigen (BVerfGE 109, 279, 313, 314). Das Selbstgespräch des Angeklagten in dem Krankenzimmer ist diesem – durch Art. 13 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG geschützten – Kernbereich zuzurechnen. Maßgebend dafür ist eine Kumulation mehrerer Umstände. Es handelte sich um ein aufgrund einer staatlichen Überwachungsmaßnahme aufgezeichnetes Selbstgespräch. Dieses Selbstgespräch hatte der Angeklagte in einem hier von Art. 13 GG geschützten Wohnraum geführt. Der Inhalt des Selbstgespräches war in Bezug auf den Tatvorwurf interpretationsbedürftig. Dass das hier geführte Selbstgespräch dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen ist, ergibt sich aus Folgendem:

a) Schon wegen der Art des Raumes, in dem das Selbstgespräch geführt wurde, besteht eine Vermutung, dass der Kernbereich tangiert sein kann. Das vom Angeklagten genutzte Krankenzimmer in einer Rehabilitationsklinik unterfällt dem Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG, weil ihm – wie einer Privatwohnung – typischerweise die Funktion als Rückzugsbereich der privaten Lebensgestaltung zukommt.

aa) Der Begriff der Wohnung im Sinne von Art. 13 GG ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 32, 54, 69 ff.) nicht im engen Sinne der Umgangssprache zu verstehen, vielmehr ist er weit auszulegen (vgl. BGHSt 42, 372, 375 f.). Er umfasst zur Gewährleistung einer räumlichen Sphäre, in der sich das Privatleben ungestört entfalten kann, alle Räume, die der allgemeinen Zugänglichkeit durch eine Abschottung entzogen und zur Stätte privaten Wirkens gemacht sind (BTDrucks. 15/4533 S. 11; BVerfGE 89, 1, 12; Papier in Maunz/Dürig/Herzog, GG Art. 13 Rdn. 10 f.; Herdegen in Bonner Kommentar, GG Art. 13 Rdn. 26; Kunig in von Münch, GG-Kommentar Bd. I Art. 13 Rdn. 10; AK-GG Berkemann, 3. Aufl. Art. 13 Rdn. 51 ff.). Maßgeblich ist dabei die nach außen erkennbare Willensbetätigung desjenigen, der einem Raum kraft „Widmung“ den Schutz der Privatheit verschafft (Hermes in Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, 2. Aufl. Art. 13 Rdn. 17).

bb) In der verfassungsrechtlichen Literatur besteht Einigkeit darüber, dass der Schutzbereich des Art. 13 GG über den alltagssprachlichen Wohnungsbegriff (Haupt- einschließlich Nebenwohnräume) hinaus auch andere Räume schützt, soweit sie als Räume der Freizeit, Räume der Mobilität, kultusbezogene oder der sozialen Beratung zuzuordnen sind und die Privatheit der Lebensgestaltung ermöglichen, denn deren Schutz soll durch diese Vorschrift umfassend gewährleistet werden (vgl. die Aufstellung bei Berkemann in AK-GG aaO Rdn. 41; Papier in Maunz/Dürig/Herzog aaO Rdn. 10 f.). Dazu zählen etwa Gartenhäuser, Hotelzimmer, Wohnwagen, Wohnmobile, bewohnbare Schiffe, Zelte, Schlafwagenabteile, nicht allgemein zugängliche Geschäfts- und Büroräume oder ein nicht allgemein zugängliches Vereinsbüro. Demgegenüber werden z. B. Unterkunftsräume eines Soldaten oder Polizeibeamten, Personenkraftwagen (vgl. BGH – Ermittlungsrichter – NStZ 1998, 157) oder Hafträume in einer Justizvollzugsanstalt (vgl. BVerfG NJW 1996, 2643; BGHSt 44, 138) nicht als Wohnung im Sinne des Art. 13 GG angesehen.


cc) Nach diesem Maßstab fallen auch Krankenzimmer unter den Schutzbereich des Art. 13 GG, selbst wenn diese Räumlichkeiten nur zu bestimmten Zwecken der Unterbringung und nur vorübergehend überlassen werden (entgegen Kunig in von Münch GG-Kommentar aaO Rdn. 15 und Cassardt in GG, Umbach/Clemens [Hrsg.], GG-Mitarbeiterkommentar, Bd. 1 Art. 13 Rdn. 33 jeweils unter Hinweis auf LSG Schleswig-Holstein, NJW 1987, 2958). Zwar mag bei Krankenzimmern wie bei Geschäftsräumen nicht der volle Schutz des Art. 13 GG zugunsten der Wahrung der räumlichen Privatsphäre gelten wie bei der Wohnung im engeren Sinne, weil den Krankenhausärzten und dem übrigen Krankenhauspersonal aufgrund ihres Heil- und Betreuungsauftrages Betretungs-, Überwachungs- und Kontrollbefugnisse zustehen. Diese Rechte heben jedoch den Privatcharakter des Krankenzimmers nicht auf (vgl. für Geschäfts- und Betriebsräume Papier in Maunz/Dürig/Herzog aaO Rdn. 14). Ob etwas anderes gelten könnte, wenn der Patient sich nicht – wie hier – aus einem eigenen Rehabilitationsinteresse in einer Klinik aufhält, sondern auch außerhalb der Anwendungen regelmäßig einer durch medizinische Notwendigkeit oder durch Sicherheitsinteressen begründeten dauerhaften Überwachung bedarf, mag dahin stehen. Um eine solche Unterbringung handelt es sich vorliegend nicht. Für die Menschenwürderelevanz der überwachten Äußerungen spricht auch, dass grundsätzlich nur Personen des besonderen von § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 53a StPO geschützten Vertrauens Zutritt hatten. Von daher war insbesondere eine Kommunikation mit Berufsgeheimnisträgern zu erwarten.

b) Auch Art und Inhalt der Äußerung des Angeklagten sprechen für den absolut geschützten Kernbereich. Allerdings enthielt das Selbstgespräch – nach der durchaus vertretbaren Ansicht des Landgerichts – Angaben über den Tatvorwurf. „Gespräche“, die Angaben über eine konkret begangene Straftat enthalten (Sozialbezug), gehören ihrem Inhalt nach nicht zum unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung (BVerfGE 109, 279, 319). Auch nach § 100c Abs. 4 Satz 3 StPO sind sie dem Kernbereich grundsätzlich nicht zuzurechnen. Hier besteht jedoch die Besonderheit, dass der Angeklagte nicht mit anderen kommuniziert, sondern ein Selbstgespräch geführt hat. Das Bundesverfassungsgericht stellt in seinem Urteil vom 3. März 2004 bei der Frage eines derartigen Sozialbezuges primär auf die Kommunikation mit anderen Personen, das „Zwiegespräch“, ab (BVerfGE 109, 279, 319, 321). Das Urteil vom 3. März 2004 nimmt Bezug auf die Tagebuchentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 14. September 1989 (BVerfGE 80, 367). Wegen Stimmengleichheit ließ sich dort nicht feststellen, dass die Verwertung tagebuchähnlicher Aufzeichnungen des Angeklagten zu Beweiszwecken gegen das Grundgesetz verstieß. Maßgeblich für die Verneinung des Verfassungsverstoßes durch vier Richter war, dass der Angeklagte seine Gedanken schriftlich niedergelegt hatte. Damit habe er sie aus dem von ihm beherrschbaren Innenbereich entlassen und der Gefahr eines Zugriffs preisgegeben (BVerfGE 80, 367, 376). Die vier anderen Richter waren hingegen der Ansicht, dass die tagebuchähnlichen Aufzeichnungen ausschließlich höchstpersönlichen Charakter – wie ein Selbstgespräch – hatten. Die Auseinandersetzung des Angeklagten mit dem eigenen Ich habe ihren höchstpersönlichen Charakter nicht deshalb verloren, weil sie dem Papier anvertraut worden sei. Trotz des in dem Beschluss vom 14. September 1989 bestehen gebliebenen Dissenses über die strafprozessuale Verwertung von tagebuchähnlichen Aufzeichnungen gehört das Selbstgespräch selbst nach den Maßstäben der die Entscheidung des Zweiten Senats tragenden vier Richter grundsätzlich zum absoluten Kernbereich privater Lebensgestaltung. Unzweifelhaft will der Betroffene in einem Selbstgespräch einen Lebenssachverhalt geheim halten. Daran ändert auch nichts, dass diesem „im nachhinein und von außen her eine Beziehung zu Allgemeinbelangen herangetragen werden [würde], die [ihm] ursprünglich, also aus sich heraus, nicht eigen war“ (so die vier unterlegenen Richter zu den tagebuchähnlichen Aufzeichnungen, BVerfGE 80, 367, 382). Das Gespräch mit sich selbst ist gekennzeichnet durch unwillkürlich auftretende Bewusstseinsinhalte und hat persönliche Erwartungen, Befürchtungen, Bewertungen, Selbstanweisungen sowie seelisch-körperliche Gefühle und Befindlichkeiten zum Inhalt (Wenninger [Hrsg.], Lexikon der Psychologie, Stichwort „Selbstkommu-
nikation“, Band 4, S. 133). Das Selbstgespräch hat somit ausschließlich höchstpersönlichen Charakter und berührt aus sich heraus nicht die Sphäre anderer oder der Gemeinschaft.

c) Die Anwendung dieser Grundsätze der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung auf die vorliegende Fallgestaltung muss dazu führen, dass ein Selbstgespräch der vorliegenden Art – weil es in keiner Form verdinglicht und der Gefahr eines Zugriffs preisgegeben war – dem unantastbaren Kernbereich zuzurechnen ist. Dies ergibt sich auch aus der in Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 3. März 2004 erfolgten Novellierung in § 100c Abs. 4 Satz 3 StPO. Diese Bestimmung differenziert zwischen „Gesprächen“ über begangene Straftaten und „Äußerungen“, mittels derer Straftaten begangen werden. Daraus folgt im Gegenschluss, dass „Gespräch“ nur solche Äußerungen – wenigstens im „Zwiegespräch“ – meint, die dazu bestimmt sind, von anderen zur Kenntnis genommen zu werden. Die Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 15/4533, S. 14) macht das deutlich: „Sofern man dabei den Gedanken des Sozialbezugs entsprechender Äußerungen zugrunde legt …, werden in der Regel auch Äußerungen eines Beschuldigten, die dieser tätigt, wenn er sich alleine in der überwachten Wohnung aufhält, oder Äußerungen, die nicht dazu bestimmt sind, von anderen zur Kenntnis genommen zu werden, wie etwa unbewusst artikulierte Äußerungen, dem absolut geschützten Kernbereich unterfallen.“

d) Der Senat braucht hier nicht zu entscheiden, ob Selbstgespräche, die sich unmittelbar auf eine konkrete Straftat beziehen, schlechthin („absolut“, vgl. BVerfGE 109, 279, 332) unverwertbar sind. So mag etwa eine Verwertung ausschließlich zum Zwecke der Gefahrenabwehr in Betracht kommen, wenn das Selbstgespräch eines Kindesentführers Aufschluss darüber ergibt, wo das Kind gefangen gehalten wird. Auch kann es Fallgestaltungen geben, in denen das Selbstgespräch eindeutig entlastenden Inhalt hat (vgl. BVerfGE 109, 279, 369 ff.), weshalb auch der Angeklagte ein Interesse an der Verwertung haben kann.

3. Der Umstand, dass das Vorspielen der Aufzeichnungen auf Initiative des Angeklagten erfolgte, führt hier nicht zum Wegfall des Verwertungsverbots.

a) Der Antrag des Angeklagten auf Abspielen der Aufzeichnungen hatte nur den engen Zeitraum der Festnahme am 17. Dezember 2003 zum Gegenstand. Begehrt war auch nur die freibeweisliche Klärung der Behauptung von verbotenen Vernehmungsmethoden. Vorgespielt hat das Landgericht indes auch die Aufzeichnung des Selbstgesprächs vom 8. Dezember 2003. Dieses Selbstgespräch hat es dann aber auch zum Schuldnachweis – strengbeweislich – verwertet.

b) Der Senat hat erwogen, ob der Angeklagte über die Verwertung disponieren kann, etwa in Form der Widerspruchslösung. Es ist nämlich nicht ausgeschlossen, dass die bei der akustischen Wohnraumüberwachung angefallenen Informationen auch Entlastendes enthalten (vgl. BVerfGE 109, 279, 369 ff.). So könnte das Selbstgespräch auch ein gewichtiges Entlastungsindiz sein („ich bin unschuldig, aber niemand glaubt mir“) oder jedenfalls den Schuldumfang reduzieren (Nachweis der Voraussetzungen des § 213 1. Alt. StGB oder eines Affekts). Dem Angeklagten „zum Schutze seiner Menschenwürde“ zu verbieten, diese Information zum Inbegriff der Hauptverhandlung (§ 261 StPO) zu machen und damit jeder richterlichen Würdigung – auch bei der Anwendung des Zweifelssatzes – zu entziehen, erscheint schwerlich vorstellbar. Diese Fragen stellen sich – mit erheblicher praktischer Relevanz – auch bei dem eventuell gebotenen Abbruch der Überwachung oder bei der Löschung der Aufzeichnungen. Die Entscheidung, ob die Erkenntnisse belastend oder entlastend sind, wird zu diesem Zeitpunkt nicht stets zuverlässig getroffen werden können. Werden – um dem Angeklagten den möglichen Entlastungsbeweis zu erhalten – die Überwachung nicht abgebrochen oder die Aufzeichnungen nicht sogleich gelöscht, dann führt dies zwangsläufig zur Frage der Disponibilität zugunsten des Angeklagten mit der weiteren Frage, ob der Angeklagte nur eine selektive Verwertung („Rosinentheorie“) verlangen kann.

c) Eines Widerspruchs bedurfte es hier jedoch nicht. Selbst wenn der Angeklagte mit der Möglichkeit rechnen musste, dass die vor strengbeweislich verwertet würden, so war für ihn jedoch nicht ohne weiteres erkennbar, dass sich die Aufzeichnungen zu seinen Lasten auswirken würden. Die dem Verteidiger infolge Akteneinsicht bekannten Gesprächsaufzeichnungen sind auch in der Anklageschrift nicht als klar belastende Beweismittel eingestuft. Im wesentlichen Ermittlungsergebnis ist ausgeführt, dass die Ergebnisse der Telekommunikationsüberwachung keine Hinweise zum Tatgeschehen erbracht haben. Die akustische Raumüberwachung habe ergeben, dass der Angeklagte mit anderen Personen keine relevanten Gespräche geführt habe. Die aufgezeichneten Selbstgespräche des Angeklagten zeigten innere Anspannung und Wut und hatten generell Gewalt gegen andere Personen zum Gegenstand. „Offensichtlich in Bezug zu den Ermittlungen“ stünde zwar das Selbstgespräch des Angeklagten nach einem Telefonat mit einer Arbeitskollegin. Aber auch dieser Bewertung musste der Verteidiger nicht entnehmen, dass der Bezug zu den Ermittlungen auch als Belastungsindiz für die Täterschaft gewertet würde. Hinzu kommt, dass der Angeklagte in der Hauptverhandlung von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht hat und durch seinen Verteidiger die Tat bestreiten ließ. Damit ist offensichtlich, dass der Angeklagte mit einer strengbeweislichen Verwertung zu seinen Lasten nicht einverstanden war. Jedenfalls bei einer solchen Fallgestaltung bedurfte es keines ausdrücklichen Widerspruchs des Angeklagten gegen die Verwertung…

4. Anmerkungen
Soweit ersichtlich, handelt es sich vorliegend um die erste Entscheidung des BGH, die sich mit der akustischen Wohnraumüberwachung und der Frage des Kernbereichsschutzes des Art. 13 GG nach der Entscheidung des BVerfG zum großen Lauschangriff und der Änderung des § 100c StPO befasst. Aufgrund einer Subsumtion, die als lehrbuchmäßig zu bezeichnen ist, kommt der BGH bei der Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des BVerfG und der Literatur zu dem Ergebnis, dass die Aufzeichnung und Verwertung eines Selbstgespräches in einem Krankenzimmer den durch Art. 13 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung verletzt. Dies führt der BGH maßgeblich auf eine Kumulation folgender Umstände zurück: Es liegt ein Selbstgespräch vor, dessen Inhalt in Bezug auf den Tatvorwurf interpretationsbedürftig ist, und zudem in einem Wohnraum stattfindet.

a) Krankenzimmer als Wohnraum
Zunächst wendet sich der BGH der Frage zu, ob ein Krankenzimmer die Wohnungsqualität im Sinne des Art. 13 GG aufweist. Hier ist, ähnlich wie bei Gemeinschaftsunterkünften oder Hafträumen (Zellen), die Gewährleistung einer räumlichen Sphäre, in der sich das Privatleben ungestört entfalten kann, dadurch beschränkt, dass diese Räume nicht vollständig der allgemeinen Zugänglichkeit entzogen sind. Vielmehr haben bestimmte Personen oder Personenkreise, i.d.R. gestützt auf das Hausrecht, Zugangsmöglichkeiten, die der Beeinflussung durch den „Bewohner“ ganz oder zum Teil entzogen sind. Der Zugang erfolgt beispielsweise zu Zwecken der Reinigung, der Betreuung oder auch der Überwachung. Daraus ist in der Rechtsprechung, aber auch in der Literatur abgeleitet worden, dass solche Räume nicht dem Schutzbereich des Art. 13 GG unterfallen3. Begründet wird dieses Ergebnis recht unterschiedlich: Das LSG Schleswig-Holstein stellt auf die Reinigung, die durch den Krankenhausträger durchgeführt bzw. veranlasst wird, ab, das BVerfG auf das Hausrecht der Anstalt, Kunig argumentiert dahingehend, dass es in den angeführten Fällen an einer „Begründung einer Wohnung“ fehle, die aber der Art. 13 GG voraussetze. Mit dem Hinweis auf eine entsprechende Zweckbestimmung zur Wohnung, einem gewissen Mindestmaß an räumlicher Abschottung und der Geeignetheit zum längeren Aufenthalt von Menschen wird die Wohnungseigenschaft von Krankenzimmern in der Literatur teilweise bejaht4.

Der BGH stellt auf einen weit auszulegenden Wohnungsbegriff ab, der alle Räume umfasst, die die Privatheit der Lebensgestaltung ermöglichen, d. h. unter Entziehung der allgemeinen Zugänglichkeit durch eine nach außen erkennbare Willensbetätigung zur Stätte des privaten Wirkens gemacht („gewidmet“) sind. Unter diesen Voraussetzungen unterliege das Krankenzimmer jedenfalls dann dem Schutzbereich des Art. 13 GG, wenn der Patient sich aus eigenem Rehabilitationsinteresse in einer Klinik aufhält. Die Betretungs-, Überwachungs- und Kontrollbefugnisse der Ärzte und des übrigen Krankenhauspersonals änderten daran nichts, zumal diese Berufsgeheimnisträger i.S.d. §§ 53 Abs. 1 Nr. 3, 53 a StPO seien. Damit folgt der BGH im Wesentlichen der überwiegenden Literaturauffassung. Er lässt zwar offen, ob dies auch dann gilt, wenn eine medizinisch oder durch Sicherheitsinteressen begründete dauerhafte Überwachung notwendig ist, jedoch wird man auch hier vom zumindest eingeschränkt bestehenden Schutz des Art. 13 GG ausgehen können und diesem bei strafprozessualen und polizeirechtlichen Maßnahmen Rechnung tragen müssen.

b) Selbstgespräch als Kernbereich
Der BGH rechnet das aufgezeichnete Selbstgespräch zum absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung. Es handle sich eben nicht um ein Gespräch mit einem Dritten, sondern um ein „Gespräch“ mit höchstpersönlichem, aus sich heraus nicht die Sphäre anderer oder der Gemeinschaft berührenden Charakter. Ein solches Selbstgespräch sei, auch nach der Argumentation des BVerfG in der sog. „Tagebuchentscheidung“5, in jedem Fall dem absolut geschützten Kernbereich zuzurechnen. Die Auseinandersetzung mit der „Tagebuchentschei-
dung“ und den darin zu findenden diver-
gierenden Auffassungen gelingt dem
1. Strafsenat überaus überzeugend.

c) präventive oder repressive Verwertung
Offen lässt der BGH, ob eine Verwertung des aufgezeichneten Selbstgespräches zu präventiven Zwecken zulässig ist, will dies aber für bestimmte Fallkonstellationen (Aufenthaltsfeststellung eines entführten Kindes) nicht ausschließen. Auch hier ist feststellbar, dass Fallkonstellationen wie der Entführungsfall J. von Metzler im besonderen Maße für die Abgrenzung von präventiven und repressiven Zwecken polizeilicher Maßnahmen sensibilisiert haben.

Offen lässt der BGH aber letztlich ebenso, ob er die Verwertung eines solchen Selbstgesprächs zu Zwecken der Strafverfolgung auch dann für ausgeschlossen hält (absoluter Schutz), wenn das Selbstgespräch eindeutig entlastenden Inhalt hat. Das BVerfG hatte in seiner „Lauschangriffentscheidung“6 für die Erhebung absolut geschützter Informationen jede Verwendung solcher im Rahmen der Strafverfolgung erhobener absolut geschützter Daten ausgeschlossen. Der BGH hält es für „schwerlich vorstellbar“, dem Angeklagten zum Schutze seiner Menschenwürde zu verbieten, ein entlastendes Selbstgespräch zum Gegenstand der Hauptverhandlung zu machen und es damit jeder richterlichen Würdigung zu entziehen. Damit ist eines der in der Praxis bedeutsamen Probleme der akustischen Wohnungsüberwachung nach dem „Lauschangriffurteil“ beschrieben, aber letztlich nicht gelöst, da der zu entscheidende Fall anders gelagert war. Die damit verbunden Fragen der Disponibilität werden ebenfalls nur aufgezeigt, aber nicht beantwortet. Damit ist die Chance, die Diskussion über einen „Verzicht auf die Menschenwürde“ um eine höchstrichterliche Entscheidung zu bereichern, nicht ergriffen worden.



5. Fundstellen und Literatur

NJW 2005, S. 3295-3298;
NStZ 2005, 700-701;
Kolz, Alexander, NJW 2005, S. 3248-3250 (Entscheidungsbesprechung).

1 Sachverhalt nach Pressemitteilung des BGH Nr. 113/2005 vom 10. 8. 2005, http.//juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&…
2 BGH; http.// bundesgerichtshof.de,
Home>>Entscheidungen>>Entscheidungen aus dem Monat August, 1 StR 140/05
3 Zum Krankenzimmer LSG Schleswig-Holstein, NJW 1987, S. 2958; zur Zelle BVerfG, NJW 1996, S. 2643; insges. v. Münch/Kunig, GG, 4. Aufl., Art. 13 Rd 15.
4 Herdegen in BK, GG, Art. 13 Rd 29; unter Einordnung in den privaten Lebensbereich auch Berkemann in AK-GG, Art. 13 Rd 41.
5 BVerfGE 80, 367.6 BVerfGE 109, 279, 318 f.