Das neue Recht der Vermögensabschöpfung

Die verwunschenen Wege insbesondere der Wertersatzeinziehung (Teil 1)

Von Staatsanwalt Dr. Peter Karfeld, Bad Kreuznach1

1 Einstieg

Lord Byron hatte so seine eigenen Vorstellungen von der Juristerei: „Sollte ich einmal einen Sohn haben, soll er etwas Prosaisches werden: Jurist oder Seeräuber.“ Ein Blick in die neuen, zum 1.7.2017 grundlegend geänderten Vorschriften zur Vermögensabschöpfung, insbesondere die §§ 73 ff StGB sowie §§ 421 ff, 459g ff StPO, gibt dem britischen Dichter zweifelsohne recht: Sie sind sachlich und leidenschaftslos gefasst, aber auch klar und nachvollziehbar für Rechtsanwender wie Polizei und Justiz oder den Rechtsunterworfenen (Einziehungsadressat, z.B. Täter oder Dritter)?

Bis zum heutigen Tag tut sich die Rechtspraxis mit diesem Regelungswerk schwer. Rechtspfleger beackern den gerade in Insolvenzsachen besonders schweren Boden des Vollstreckungsverfahrens; Polizei und Staatsanwaltschaft sind bereits in manchen Fallkonstellationen über die Fallstricke der Wertersatzeinziehung, insbesondere bei der Anwendung des § 73d StGB, gestolpert. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollte das neue Recht eigentlich zu einer Vereinfachung und konsequenteren Abschöpfung des Vermögens unter Einbeziehung der Opferinteressen führen2. Aber wie ist es dann mit dem angeblich in den §§ 73, 73c StGB beibehaltenen Bruttoprinzip, den damit verbundenen Problemen bei der Ermittlung und Festsetzung von Taterträgen (§ 73 StGB) und mehr noch bei der Bestimmung des Wertes des Erlangten bei der Wertersatzeinziehung (§ 73d StGB)?

Mit vorliegendem Beitrag soll der geschätzten Leserschaft ein hoffentlich gewinnbringender Einblick in das neue Vermögensabschöpfungsrecht gewährt werden; quasi in Fortführung des m.E. sehr anschaulichen Beitrags meines Kollegen in der vorherigen Ausgabe3, unter Zuhilfenahme von Fallbeispielen und ohne Anspruch auf erschöpfende Darstellung. Nicht erläutert werden soll die Abschöpfung von Tatprodukten (z.B. Falschgeld), Tatmitteln (z.B. Laptop) oder Tatobjekten (illegale Waffen). Hier gab es keine wesentlichen Änderungen, § 74 StGB entspricht weitgehend der alten Rechtslage.

2 Bruttoprinzip – Wie war das noch einmal?

Seit 1992 wird bei der Vermögensabschöpfung das Bruttoprinzip angewendet. Danach sind die aus der Tat erlangten Vermögenswerte insgesamt, d.h. ohne Abzug von etwaigen Aufwendungen oder Gegenleistungen, abzuschöpfen. Soweit der Grundsatz! Allerdings war nach alter Rechtslage selbst innerhalb der Strafsenate des BGH die Bestimmung des „Erlangten“ insbesondere in den Fällen des Eingehungsbetruges kontrovers diskutiert und auch behandelt worden. Bis zur vorliegenden Reform vom 1.7.2017 war es nicht gelungen, einheitliche und klare Leitlinien für die praktische Handhabung des Bruttoprinzips zu entwickeln. Ob es der Gesetzgeber nunmehr geschafft hat, den sich nach bisheriger Rechtslage ergebenden Unklarheiten mit den neu gefassten Vorschriften zum Einziehungsrecht effektiv zu begegnen, erscheint angesichts der mehrstufigen „Regel- und Ausnahme“ – Beziehungen insbesondere in den §§ 73, 73d StGB allerdings weiter fraglich.

2.1 Bruttoprinzip nach neuer Rechtslage

Abgeschöpft wird gemäß § 73 StGB zunächst einmal – in Übereinstimmung mit der alten Rechtslage – grundsätzlich der Tatertrag beim Täter bzw. Teilnehmer oder – unter den (engeren) Voraussetzungen des § 73b StGB – beim Dritten, und zwar im Regelfall „brutto“. Für die in der Praxis nicht seltenen Fälle, dass das ursprüngliche „Erlangte“ beim Tatbeteiligten bzw. Dritten nicht mehr vorhanden ist, muss zumindest dessen Wert eingezogen werden, § 73c StGB. Was konkret abzuschöpfen ist, regelt nunmehr § 73d StGB. Hier findet in begrenztem Umfang das Nettoprinzip Anwendung. Das neue Einziehungsrecht ermöglicht zudem – und dies ist neu – die Einziehung von Gegenständen, die zwar nicht einer konkreten Straftat zugeordnet werden können, jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit aus (irgendeiner) anderen Straftat herrühren, § 73a StGB. Mitunter uferlosen Auslegungen hat der BGH4 als Revisionsinstanz jüngst unter Hinweis auf eine insoweit erhöhte Darlegungspflicht des Tatgerichts einen Riegel vorgeschoben.

2.2 Umfang der Vermögensabschöpfung: Immer Brutto?

In der Praxis bereitet jedoch die Frage, was denn genau eingezogen werden muss, größere Schwierigkeiten: Grundsätzlich ist das aus der Tat „Erlangte“ i.S.d. § 73 StGB dann recht problemlos zu bestimmen und einzuziehen, wenn es noch beim Einziehungsadressaten vorhanden ist. Klassische Fälle sind Sachen aller Art wie Diebesgut, gelegentlich auch Forderungen. Die Bestimmung des „Erlangten“ kann jedoch im Einzelfall Schwierigkeiten bereiten; z.B. bei der in Wirtschaftsstrafsachen typischerweise auftretenden Fragestellung, welche ersparten Aufwendungen bzw. weiteren abschöpfungsrelevanten Aspekte – z.B. verbesserte Marktposition – im Zusammenhang mit der konkreten Tat stehen und welche nicht. Noch schwieriger gestaltet sich die Konkretisierung des Abschöpfungsumfangs bei der Wertersatzeinziehung nach § 73c StGB. In diesen Fällen ist ja das ursprünglich „Erlangte“ beim Einziehungsadressaten nicht mehr vorhanden. Und weil § 73c StGB bereits systematisch in untrennbarem Zusammenhang mit dem neu geschaffenen § 73d StGB steht, ist bei jeder Wertersatzeinziehung auch zu prüfen, ob eine wertende Korrektur in Form von Abzügen vorzunehmen ist oder nicht. Sind z.B. vom Täter getätigte Aufwendungen abziehbar? Wenn ja, welche und in welchem Umfang? Wie sieht es bei Austauschverträgen z.B. dem betrügerisch erschlichenen Kauf einer Sache mit der durch den Täter in Vertragserfüllung erbrachten Gegenleistung aus? An dieser Stelle ist ein Blick auf die Rechtsnatur vermögensabschöpfender Maßnahmen hilfreich. Viele der durch den Gesetzgeber geschaffenen und für die Rechtspraxis wichtigen Vorschriften der §§ 73 ff StGB, §§ 421 ff, 459g ff StPO sind hiervon geprägt und – angesichts des nicht immer eindeutigen Wortlauts – dadurch besser auslegbar.

2.3 Einziehung : Nur selten Strafe!

Seit Einführung des „Bruttoprinzips“ misst ein nicht unbeträchtlicher Teil der Literatur der Vermögensabschöpfung insgesamt strafähnlichen Charakter zu. Denn zweifelsohne trifft es den Täter schwer, wenn ihm – neben der Verhängung einer empfindlichen Strafe – noch die „Früchte“ vergangener Taten nachträglich entzogen werden. Man denke nur an die Fälle eines jahrelang erfolgten Abrechnungsbetrugs zum Nachteil der Krankenkassen.

Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung5 soll die Gewinnabschöpfung jedoch vorrangig präventiven Zwecken dienen. Sie ist keine Nebenstrafe, sondern Maßnahme eigener Art (§ 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB). Diese Auffassung steht in Übereinstimmung mit dem Verfassungsrecht. Das BVerfG hat bereits in früheren Entscheidungen6 festgelegt, dass Maßnahmen der Vermögensabschöpfung nicht mit einem Strafübel verbunden sind und daher grundsätzlich auch nicht dem Schuldprinzip (Keine Strafe ohne Schuld!) unterliegen. Das hat folgende Konsequenzen:

  • Die Einziehung erfolgt unabhängig von Schwere bzw. Umfang der Tat. Sie korrigiert – jedenfalls in den Fällen deliktisch erlangter Vermögensvorteile – ungerechtfertigte Vermögensverschiebungen und soll zugleich Anreize für gewinnorientierte Delikte reduzieren.
  • Der Umfang der Einziehung hat sich zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen dabei an der im zivilrechtlichen Bereicherungsrecht vorhandenen Risikozuweisung zu orientieren. Der Grundsatz nach § 817 S. 2 BGB, wonach das in ein verbotenes Geschäft Investierte unwiederbringlich verloren sein müsse, gilt auch bei der Bestimmung des Abschöpfungsumfangs.
  • Die Unschuldsvermutung gilt für die Einziehung nicht.
  • Die Einziehung nach §§ 73 – 73d StGB dürfte auch mit Art. 14 GG (Eigentumsgarantie) vereinbar sein, selbst wenn der Einziehungsgegenstand zivilrechtlich wirksam erworben worden ist, z.B. im Lebensmittelstrafrecht. Dies gilt erst recht bei nach § 134 BGB zivilrechtlich unwirksamen Fällen wie dem illegalen Glücksspiel (vgl. § 762 BGB).

Anders ist es übrigens bei der Einziehung von Tatprodukten, Tatmitteln und Tatobjekten nach § 74 StGB: Der Einziehung kommt in diesen Fällen strafähnlicher Charakter zu7. Eine entsprechende Einziehungsanordnung durch das Gericht ist eine Strafzumessungsentscheidung. Folgerichtig verweist § 422 StPO (Abtrennbarkeit des Einziehungsverfahrens vom übrigen Strafverfahren) auch nicht auf § 74 StGB; vgl. auch § 421 Abs. 1 Nr. 2 StPO.

3 Einziehung? Nicht immer!

Die Abschöpfung von Taterträgen (§ 73 StGB) bzw. des Werts von Taterträgen (§ 73c StGB) ist nur dann zulässig, wenn der Verletzte noch einen Anspruch auf Herausgabe hat bzw. dieser noch nicht verjährt ist. Auch kann das Gericht unter den (recht engen) Voraussetzungen des § 421 StGB von einer Einziehung absehen. Im Einzelnen:

3.1 Anspruch des Verletzten erloschen?

§ 73e Abs. 1 StGB: Eine Einziehungsanordnung darf dann nicht ergehen, wenn der (zivilrechtliche) Anspruch des Geschädigten bereits erloschen ist. Folglich verknüpft § 73e StGB – ebenso wie § 73d StGB – das Strafrecht mit dem Zivilrecht. Der Anspruch des Opfers (und damit auch die Grundlage für eine Einziehung) erlischt beispielsweise, wenn der Täter den betrügerisch erlangten Gegenstand zurückgibt bzw. den Wert zurückzahlt. Neben dem Fall der Erfüllung (§ 362 BGB) ist weiterer Anwendungsfall des § 73e StGB die Aufrechnung (§ 367 BGB), z.B. bei einem Sozialhilfe- oder Abrechnungsbetrug.

Fall: „Reuiger Einmietbetrüger“

E hat einen Einmietbetrug zum Nachteil des M begangen, Schadenshöhe: 5.000 EUR. Er hat noch während des laufenden Ermittlungsverfahrens mit dem Geschädigten M eine ratenweise Rückzahlung in Höhe von 100 EUR monatlich vereinbart und bedient diese seit dem 1. Oktober 2017. Staatsanwalt S beantragt gegen E im Januar 2018 bei dem zuständigen Amtsgericht den Erlass eines Strafbefehls und ordnet zugleich die Einziehung in Höhe von 4.600 EUR (E hatte ja bereits 400 EUR an M zurückgezahlt) an. Amtsrichter Dr. A möchte im Mai 2018 den Strafbefehl erlassen. Was hat dieser zu beachten?

Unter der Voraussetzung, dass E die Raten auch über den Januar 2018 hinaus zahlt, wäre der Strafbefehl inhaltlich überholt. Auch wenn Dr. A hinsichtlich der Zahlungszuverlässigkeit (zwischenzeitlich Stundungsvereinbarung?) Zweifel hegt, müsste er gemäß § 408 Abs. 3 S. 2 StPO ohne Erlass des Strafbefehls die Hauptverhandlung anberaumen, um dann den aktuellen Schuldenstand feststellen zu können.

 

Abwandlung:

Zwischen rechtskräftiger Einziehungsentscheidung und Vollstreckung zahlt E als inzwischen Verurteilter zuverlässig seine Raten weiter. Hier hilft § 459g Abs. 4 StPO als Korrektur im Vollstreckungsverfahren (nachträgliche Ausschlussentscheidung, ggfs. mit Freigabeerklärung).

Der Ausschlusstatbestand des § 73e Abs. 1 StPO knüpft im Übrigen nicht nur an zivilrechtliche Vorschriften an. Auch öffentlich-rechtliche Vorschriften können eine Einziehung ausschließen.

Fall: „Schlafende Krankenkasse“8

Mitarbeiter M der Krankenkasse K erlässt erst 15 Monate nach Kenntnis von den Umständen eines durch Dr. Z betrügerisch erlangten Zahlungsanspruchs einen Rücknahmebescheid.

Gemäß § 45 Abs. 4 SGB X ist der Anspruch der betroffenen Krankenkasse auf Rückgewähr ausgeschlossen, wenn sie nicht innerhalb eines Jahres ab Kenntnis von der Tat von sich aus tätig wird, z.B. die Rücknahme des betrügerisch erlangten Bescheids veranlasst. Hierbei handelt es sich um eine Ausschlussfrist, die zugleich eine Einziehung ausschließt.

§ 73e Abs. 2 StGB regelt den Fall der Entreicherung. Die Vorschrift kommt jedoch ausschließlich beim gutgläubigen Drittbegünstigten zur Anwendung.

3.2 Einziehungsmöglichkeit verjährt?

Nach § 78 Abs. 1 S. 1 StGB unterliegen sowohl Strafverfolgung als auch die Anordnung von Maßnahmen (wie z.B. die Einziehung) jeweils der Verjährung. Die Einziehung des Tatertrages (oder des Wertersatzes) darf daher nicht verjährt sein, ansonsten liegt ein (nicht behebbares) Prozesshindernis vor. Im Regelfall (§§ 73, 73b, 73c, 74ff StGB) richtet sich die Verjährung der Vermögensabschöpfung jeweils nach der (Erwerbs-)Tat (siehe § 78 Abs. 2 StGB). So verjähren bei einem einfachen Diebstahl sowohl der staatliche Strafverfolgungsanspruch als auch eine darauf zu stützende Einziehungsmaßnahme jeweils nach 5 Jahren. Anders in den Fällen der erweiterten Einziehung (§ 73a StGB) oder aber der selbständigen Einziehung (§ 76a StGB) Hier beträgt die Verjährung – abgekoppelt von der Verjährung der Erwerbstat (§ 78 StGB) – gemäß § 76b Abs. 1 StGB stets 30 Jahre.

3.3 Absehen von einer Einziehung?

Nach § 421 StPO „kann“ das Gericht aus Gründen der Verfahrens­ökonomie von einer Einziehung absehen. Die Fälle sind dort abschließend genannt, allerdings nicht immer praxistauglich angelegt. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweise ich auf die instruktiven Ausführungen meines Kollegen in der vorherigen Ausgabe. Lediglich ergänzend möchte ich auf einige wenige, mir wichtig erscheinende Aspekte eingehen:

§ 421 Abs. 1 Nr. 1 StPO: Die äußerst niedrige Wertgrenze von 50 EUR dürfte als Ausnahmeregelung faktisch ins Leere laufen und erweist sich als kaum praxisrelevant. Von daher verwundert nicht, dass die derzeitige Rechtspraxis in den Bundesländern interne (allerdings nicht als statisch anzusehende) Wertgrenzen zwischen 500 EUR und über 1.000 EUR festgelegt haben9. Es bleibt abzuwarten, ob diese Handhabung gerichtlicher Überprüfung standhält.

§ 421 Abs. 1 Nr. 3 StPO: Hiernach kann von einer Einziehung abgesehen werden, wenn sie einen unangemessenen Aufwand erfordert oder die Entscheidung über die anderen Rechtsfolgen der Tat unangemessen erschweren würde. Der vom Gesetzgeber den Strafverfolgungsbehörden eingeräumte Beurteilungsspielraum verbietet die Aufstellung fester Kriterien oder Wertgrenzen. Vorrangige Aufgabe ist hier eine sorgfältige Abwägung bestehender Opferinteressen – unter Zugrundelegung des jeweiligen Schutzzwecks der durch die Erwerbstat verletzten Strafnormen – mit dem Abschöpfungsgedanken. Gründe für ein Absehen von der Vermögensabschöpfung können z.B. sein:

  • Der Tatbeteiligte ist ersichtlich vermögenslos10. In diesen Fällen erscheint eine Vollstreckung nur mit massivem Aufwand und auch nur über viele Jahre möglich.
  • Fälle einer „Vollstreckungskonkurrenz quasi auf Augenhöhe“11: Das Opfer verfügt selbst über ausreichende Sicherungsinstrumente zur Durchsetzung eigener Rechte, z.B. der Fiskus (dinglicher Arrest nach § 324 AO), die Sozialkassen, Jobcenter bzw. Arbeitsagenturen, Kindergeldkassen (z.B. durch Einbehaltungs- oder Aufrechnungsmöglichkeiten). Öffentlich-rechtliche Institutionen sind – anders als private Gläubiger – bereits aus Gründen der Sparsamkeit in der öffentlichen Verwaltung gehalten, ihre Ansprüche durchzusetzen. Eine Einziehung erscheint in diesen Fällen schlichtweg überflüssig und damit „unangemessen“. Ein Absehen ist auch denkbar bei juristischen Personen als Geschädigte, die z.B. über entsprechende organisatorische Vorrichtungen (z.B. eigener Justiziar, Inkassoabteilung) verfügen (vgl. aber § 459g StPO). Allein die Möglichkeit des Verletzten, die ihm aus der Straftat erwachsende Ansprüche selbst gerichtlich durchsetzen zu können, wird ein Absehen von der strafrechtlichen Einziehung allerdings nicht rechtfertigen können. Hier ist eine genaue Einzelfallbetrachtung angezeigt.
  • Der Schaden wurde bereits teilweise wiedergutgemacht (siehe § 73e Abs. 1 StGB).
  • Der Schaden ist zwar höher als die Wertgrenze der Nr. 1, jedoch immer noch vergleichsweise niedrig12.
  • Denkbar auch in den Fällen der §§ 153, 153a, 154 ff StPO (Erledigungen nach dem Opportunitätsprinzip); ein erheblicher Schaden kann jedoch dennoch eine Einziehung gebieten.

Fall: „Heranwachsender Zocker“

Der nur mit einem kläglichen Taschengeld „ausgestattete“ 17-jährige J hat durch mehrere Erpressungshandlungen nicht unerhebliches Geld (i.v.F: 10.000 EUR) erlangt, dieses jedoch zeitnah verspielt.

Angesichts des recht beträchtlichen Schadens ist das Absehen von einer Einziehung trotz des Alters von J gemäß § 421 Abs. 1 Nr. 3 StPO nicht sachgerecht. §§ 73 ff StGB differenzieren nicht danach, ob der Einziehungsadressat Erwachsener, Heranwachsender oder Jugendlicher ist. Über die Verweisung in § 2 Abs. 2 JGG sind die §§ 73 ff StGB auch im Jugendstrafrecht anwendbar. Entsprechende Hinweise finden sich zudem in § 8 Abs. 3 JGG (Verbindung von Maßnahmen und Jugendstrafe) sowie in § 76 Abs. 1 S. 1 JGG. 10.000 EUR unterliegen daher grs. der Wertersatzeinziehung. Anm.: Gleichwohl bleibt – auch mit Blick auf die Gesetzesmaterialien – fraglich, ob sich der Gesetzgeber der kaum vorhandenen Vereinbarkeit z.B. der Wertersatzeinziehung mit dem im Jugendstrafrecht geltenden Erziehungsgedanken (siehe auch § 6 JGG) bewusst war. So schreibt § 74 JGG dem Jugendrichter vor, von der Auferlegung der Verfahrenskosten dann abzusehen, wenn dies – so der Regelfall – erzieherisch geboten ist. Anders als im Erwachsenenstrafrecht kennt das Jugendstrafverfahren auch keine Geldstrafe (siehe §§ 7 ff. JGG). Gemäß § 15 Abs. 2 JGG soll der Jugendrichter zudem die Zahlung eines Geldbetrages nur dann anordnen, wenn der Jugendliche dies aus Mitteln bezahlt, über die er selbständig verfügen darf (Nr. 1) oder bei ihm der aus der Tat erlangte Gewinn noch vorhanden ist.13

3.4 Fälle unbilliger Härte

Sonstige Fälle „unbilliger Härte“ werden von § 421 StPO nicht erfasst. Sie finden erst im Vollstreckungsverfahren Berücksichtigung (§ 459g Abs. 5 StPO). Trotz wiederholter Kritik der Opposition im Gesetzgebungsverfahren14 hat der Gesetzgeber an der Streichung der Härtefallregelung im Abschöpfungsrecht (§ 73c Abs. 1 StGB a.F.) festgehalten; dies auch im Hinblick auf die in §§ 459 ff StPO geschaffenen Zahlungserleichterungen, der Möglichkeiten eines Absehens oder gar Verzichts auf Vollstreckung.

4 Einziehung des Erlangten (§§ 73, 73a, 73b StGB)

Unter welchen Voraussetzungen kann nunmehr z.B. die Tatbeute beim Tatbeteiligten bzw. Dritten abgeschöpft und eingezogen werden? § 73 StGB findet Anwendung, wenn sich das aus der Erwerbstat „erlangte Etwas“ noch im Gewahrsam des Täters befindet (Tatertragseinziehung). Ausgangspunkt für die Bestimmung des Erlangten ist demnach § 73 StGB.

§ 73 StGB

(1)

 

Hat der Täter oder Teilnehmer durch eine rechtswidrige Tat oder für sie etwas erlangt, so ordnet das Gericht dessen Einziehung an.

(2)

 

Hat der Täter oder Teilnehmer Nutzungen aus dem Erlangten gezogen, so ordnet das Gericht auch deren Einziehung an.

(3)

 

Das Gericht kann auch die Einziehung der Gegenstände anordnen, die der Täter oder Teilnehmer erworben hat

 

1. durch Veräußerung des Erlangten oder als Ersatz für dessen Zerstörung, Beschädigung oder Entziehung oder

 

2. auf Grund eines erlangten Rechts.

Einzuziehen ist danach jeder Vermögenswert, den der Täter „durch“ oder „für“ eine rechtswidrige Tat (Erwerbstat) „erlangt“ hat. „Durch“ die rechtswidrige Tat sind Vermögenswerte erlangt, die dem Täter oder Teilnehmer aufgrund bzw. unmittelbar aus der Verwirklichung des Tatbestandes zufließen (z.B. betrügerisch erlangte Uhr). „Für“ die Tat sind Vorteile erlangt, wenn sie dem Beteiligten als Gegenleistung für sein rechtswidriges Handeln gewährt werden, jedoch nicht auf der Tatbestandsverwirklichung selbst beruhen15 (z.B. Lohn für das „Schmierestehen“). Anders allerdings in den Fällen, in denen der Beteiligte von dem Täter etwas für die Durchführung der Tat und nicht für die Tat selbst erlangt hat (z.B. A erhält vom Mittäter B 5.000 EUR für die Beschaffung eines geeigneten Fluchtfahrzeugs).

 

4.1 Das Erlangte: Was zählt darunter?

Grundgedanke der §§ 73, 73c StGB ist die Abschöpfung des Erlangten in seiner Gesamtheit; und zwar in „brutto“, also ohne Abzüge. Wie oben bereits erwähnt, bereitet an dieser Stelle insbesondere die Bestimmung des „erlangten Etwas“ manchmal Schwierigkeiten. Hier lohnt ein Blick auf die Rechtsprechung zur bisherigen Rechtslage nach § 73 StGB a.F. In Übereinstimmung mit der alten Rechtslage meint das „erlangte Etwas“ die Gesamtheit der wirtschaftlich messbaren Vorteile, die dem Täter oder Teilnehmer durch oder für die Tat zugeflossen sind16. „Etwas“ können sein:

  • Bewegliche Sachen (z.B. Diebesgut)
  • Grundstücke (§ 111c StPO)
  • Rechte dinglicher oder obligatorischer Art (z.B. Forderungen)
  • Dienstleistungen (z.B. durch den getäuschten Gärtner)
  • hinterzogene Steuern
  • Nutzungen (§§ 99, 100 BGB, z.B. Früchte), siehe § 73 Abs. 2 StGB
  • Surrogate (§ 818 BGB, z.B. Gewinn eines Loses), siehe § 73 Abs. 3 StGB
  • Verbesserung einer Marktposition17
  • Ersparte Aufwendungen (z.B. Verzicht auf Reinigungskraft bei Hygieneverstößen)
  • im Falle von Unterlassungsdelikten (z.B. Unterhaltspflichtverletzung nach § 170 StGB) das nicht Geleistete18.

„Erlangt“ ist ein Tatertrag im Übrigen nur dann, wenn der Abschöpfungsgegenstand dem Täter – sei es unmittelbar oder über einen Mittelsmann – aufgrund der Tatbegehung tatsächlich zugeflossen ist. Ohne Belang ist, was der Täter erlangen wollte oder hätte erlangen können. Auch das nur bei Gelegenheit Erlangte, das also ursprünglich nicht im Blick des Täters stand, darf nicht abgeschöpft werden. Außerdem muss sich das aus der Erwerbstat erlangte „Etwas“ immer noch im Gewahrsam des Täters befinden. Zumindest muss der Täter über den Gegenstand noch verfügen können. In diesen Fällen bleibt es grundsätzlich bei der Naturalrestitution, d.h. der noch vorhandene Gegenstand wird „in natura“ eingezogen bzw. dem Täter weggenommen (§ 459g Abs. 1 StPO). Fragen der Aufwendungen bleiben hier grundsätzlich (!) außer Betracht.

Fall: Entwendeter Pkw

A hat den Sportwagen des B entwendet (Wert des Fahrzeugs im Tatzeitpunkt: 16.000 EUR). Hierfür hat er Aufwendungen in Höhe von 1.000 EUR (Zugfahrt u.ä.) getätigt. Das Fahrzeug befindet sich noch im Besitz des A.

§ 73 Abs. 1 StGB: Einziehung des Pkw als das deliktisch „erlangte Etwas“. Der Staat wird (vorübergehend) Eigentümer. Es erfolgt eine Rückübertragung an den Eigentümer i.R.d. Opferentschädigung im Entschädigungsverfahren (§ 459h Abs. 1 StPO). Da es hierbei um einen „inkriminierten“ Gegenstand geht, sind die Aufwendungen des A selbstverständlich nicht abziehbar19.

Abwandlung 1:

A ist ein unvorsichtiger Fahrer. Durch den täglichen Gebrauch erleidet das Fahrzeug einen Wertverlust (Beulen, Kratzer, Restwert: 10.000 EUR).

Zusätzlich ist hier ein Geldbetrag i.H.d. des Wertverlustes (i.v.F.: 6000 EUR) als Wertersatz einziehbar, § 73c S. 2 StGB.

Abwandlung 2:

Der Pkw ist – inzwischen – mehr wert (18.000 EUR): Über die Wertsteigerung (hier: 2.000 EUR) freut sich das Opfer, der Täter erhält keinen Ausgleich.

Fall: Gemeinschaftlicher Einbruchdiebstahl

A, B und C haben gemeinsam (i.S.d. § 25 Abs. 2 StGB) einen Einbruch begangen. A war Mitläufer, B und C teilen sich die Tatbeute auf, B erhält 2.000 EUR, C 6.000 EUR.

Verüben mehrere gemeinschaftlich eine rechtswidrige Tat, genügt es für die Einziehung bzw. die Festlegung des vom Einzelnen einzuziehenden Betrags nicht, dass die Tat mittäterschaftlich begangen worden ist. Es müssen hier eingehende Feststellungen zu einer möglichen Aufteilung des Tatertrags vorgenommen werden, z.B. bei der Sicherstellung durch die Polizei. Im vorliegenden Fall haben sich Einziehungsmaßnahmen nur gegen B und C zu richten, und zwar in Höhe des jeweils erlangten Teilbetrages. Wenn ausnahmsweise nicht feststellbar ist, wer wieviel von der Tatbeute erhalten hat, darf davon ausgegangen werden, dass alle Mittäter Verfügungsbefugnis an dem gesamten Tatertrag hatten. Sie haften dann als Gesamtschuldner20.

Fall: „Gaunergeschenk“

Dieb D schenkt einen beim Juwelier J entwendeten Diamantring seiner gutgläubigen Verlobten V. Der Ring kann zum Nachteil der V gemäß § 73b Abs. 1 Nr. 2 a) StGB für J eingezogen werden. Dass der V die deliktische Herkunft nicht bekannt gewesen ist, ist ohne Belang. Entscheidend ist, dass sie den Ring unentgeltlich erlangt hat.

4.2 Zusammenfassung

§ 73 StGB stellt nach alledem die Grundnorm der Einziehung und damit die Kernvorschrift des „Bruttoprinzips“ dar. Unter den Voraussetzungen der §§ 73 ff. StGB hat die Staatsanwaltschaft bei Gericht die Einziehung des Taterlangten zu beantragen, und das Gericht hat unabhängig von der Frage, ob das Taterlangte im Vorfeld gesichert worden ist oder nicht, die Einziehung anzuordnen. Fragen der Aufwendungen bleiben hier im Regelfall außer Betracht, wenngleich der Gesetzgeber bei § 73 StGB wohl ebenfalls § 73d StGB angewendet sehen möchte, um so eine strafähnliche Wirkung auch bei der Tatertragseinziehung zu vermeiden.

 

4.3 Prüfungsaufbau

Bei der Einziehung des Taterlangten bietet sich daher folgende Prüfungsreihenfolge an:

1

 

Erwerbstat nachweisbar?

Einziehung ansonsten unzulässig (Ausn.: §§ 73a, 76a Abs. 4 StGB)

2

 

Hieraus etwas erlangt?

§§ 73, 73b, 73d StGB prüfen (für jeden Beteiligten gesondert)

2.1

 

Ermittlung des „Erlangten“: rein gegenständlich, nach dem Bruttoprinzip (1. Stufe)

- Gegenstände i.w.S. (muss)

- Nutzungen (muss)

- Surrogate (kann)

2.2

Aus der Erwerbstat stammend („durch“/“für“)

2.3

Noch im Gewahrsam des Einziehungsadressaten

2.4

Ggfs. wertende Korrektur gemäß § 73d StGB
(2. Stufe)

3

Hinderungsgründe? (§§ 74e ff. StGB)?

4

Prozessual: Absehen gemäß § 421 StPO? (Entscheidung trifft Gericht/StA)

Anmerkungen

  1. Der Autor ist als Dezernent bei der Landeszentralstelle für Wein- und Lebensmittelstrafsachen der Staatsanwaltschaft Bad Kreuznach tätig; der Beitrag gibt die persönliche Meinung des Autors wieder.
  2. BT-Drs 18/9525, S. 1-3.
  3. Rettke, Die Kriminalpolizei 2/2018, 13.
  4. BGH, Beschluss v. 4.4.2018 – 3 StR 63/18 – juris.
  5. So z.B. BGH, NStZ 2011, 83-87, Rn. 43 m.w.N.
  6. BVerfG, NJW 2004, 2073.
  7. Nachweis bei Fischer, StGB, 65. Aufl., 2018, § 74 Rn. 3.
  8. Beispiel nach Reh, NZWiSt 2018, 22.
  9. Teilweise werden die Wertgrenzen auch auf § 421 Abs. 1 Nr. 3 StPO gestützt.
  10. BT-Drs 18/9525, S. 87, kritisch: Reitemeier, ZJJ 4/2017, 361 mit Blick auf die vollstreckungsrechtlichen Möglichkeiten der §§ 459g Abs. 2, 459c Abs. 2, 459g Abs. 5 stopp.
  11. Hierzu auch BRB Nr. 9/2016.
  12. RefE, S. 93.
  13. Siehe AG Rudolfstadt, Urteil v. 29.8.2017 – 312 Js 11104/17 – juris.
  14. Insbesondere wenn sich die Einziehung existenzbedrohend auswirkt, BT-Drs 18/11640, S. 76.
  15. So zuletzt BGH, Beschluss v. 14.2.2018 – 4 StR 648/17 – juris.
  16. BT-Drs 18/9525 S. 61.
  17. BGH NStZ 2006, 210, 212; siehe auch BT-Drs 18/9525, S. 62.