„Äußerste Kraft zurück“:

Vom Kurswechsel der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Versuch des schweren Wohnungseinbruchsdiebstahls

 

Von Staatsanwalt Dr. Sören Pansa, Kiel1

 

Der Beitrag beleuchtet die diesbezügliche aktuelle höchstrichterliche Rechtsprechung, insbesondere die bemerkenswerte Neuausrichtung des 5. Senats des Bundesgerichtshofes.2 Des Weiteren wird dargestellt, welche Herausforderungen sich hinsichtlich ermittlungstaktischer Maßnahmen im Bereich des schweren Wohnungseinbruchsdiebstahls stellen und wie unmittelbar sich die höchstrichterliche Rechtsprechung auf diese auswirkt.

 

1 Hintergründe

 

Am 22. Juli 2017 ist durch das Inkrafttreten des § 244 Abs. 4 StGB der Einbruchsdiebstahl in eine dauerhaft genutzte Privatwohnung als eigenständiger Straftatbestand geschaffen worden.3 Der Strafrahmen beträgt nunmehr zwischen einem bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe und ein minder schwerer Fall ist nicht mehr vorgesehen. Der Gesetzgeber hat hierdurch auf die seit mehreren Jahren bundesweit gestiegenen Fallzahlen reagiert.4 Ferner sollte dem Umstand Rechnung getragen werden, dass derartige Taten einen schwerwiegenden Eingriff in den persönlichen Lebensbereich der Geschädigten darstellen, der neben den finanziellen Auswirkungen, gravierende psychische Folgen und eine massive Schädigung des Sicherheitsgefühls zur Folge haben kann5 Auf die Neuregelung wurde vielfach mit Kritik reagiert.6


Auch die höchstrichterliche Rechtsprechung hat zunächst keinen einheitlichen Ansatz hinsichtlich der neuen Materie gefunden. So war zunächst unklar, wie der Straftatbestand im Sinne des § 244 Abs. 4 StGB zu bezeichnen wäre. Der 5. Senat erwog „Privatwohnungseinbruchsdiebstahl“ oder „schwerer Wohnungseinbruchsdiebstahl“, entschloss sich dann jedoch gegen eine gesonderte Bezeichnung oder Erwähnung im Schuldspruch.7 Der 3. Senat entschied sich für „schwerer Wohnungseinbruchsdiebstahl“ und eine Kenntlichmachung im Schuldspruch.8 Dieser Vorgehensweise scheint nun auch der 5. Senat zuzuneigen.9 Des Weiteren waren auch die Hauptverhandlungen vor den Tatgerichten vom unterschiedlichen Verständnis der Norm geprägt. Dem Staatsanwalt etwa, der in seinem Schlussvortrag psychische Auswirkungen der Tat auf die Geschädigten strafschärfend würdigte, wurde regelmäßig seitens der Verteidigung unter Hinweis auf die Gesetzesbegründung ein Verstoß bezüglich § 46 Abs. 3 StGB vorgeworfen. Denn diese Tatfolgen wären bereits durch die Strafschärfung des § 244 Abs. 4 StGB im Vergleich zu § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB vollumfänglich berücksichtigt worden. Diesem Irrglauben hat der 3. Senat des Bundesgerichtshofes inzwischen eine deutliche Absage erteilt.10


Aus ermittlungstaktischer Sicht ist die Einführung des § 244 Abs. 4 StGB uneingeschränkt zu begrüßen. Ein erheblicher Teil der Taten wird „reisenden Tätergruppierungen“ zugeschrieben, die sich nur kurze Zeit in einer Region aufhalten, dabei jedoch eine Vielzahl von Wohnungseinbruchsdiebstählen begehen.11 Für die Ermittlungsbeamten stellt es insofern bereits eine erhebliche Herausforderung dar, innerhalb dieses engen Zeitfensters solche Personen zu identifizieren. Hierbei wirkt sich der Umstand erschwerend aus, dass diese typischerweise kurzfristig in Wohnungen Dritter unterkommen und daher ihre Gegenwart meist erst mittelbar aus dem plötzlichen Anstieg der Fallzahlen gefolgert werden kann. Eine wertvolle Informationsquelle für die Kriminalpolizei stellen deshalb im Zuge schutzpolizeilicher Fahrzeugkontrollen gewonnene Erkenntnisse dar. Die von den Taten betroffenen Wohngebiete werden dabei oftmals seitens der zuständigen Stellen als Orte deklariert, in welchen unter gefahrenabwehrrechtlichen Aspekten erleichterte Identitätsfeststellungen und Durchsuchungen von Personen sowie Kraftfahrzeugen durchgeführt werden können.12 Bei einer solchen Kontrolle werden oftmals nach Einbruch der Dämmerung mehrere männliche Personen angetroffen, in deren Kraftfahrzeug sich potentielle Tatwerkzeuge wie Schraubendreher oder ein sog. Kuhfuß befinden.


Bis zum Inkrafttreten des § 244 Abs. 4 StGB war ein solches Verhalten grundsätzlich noch nicht strafrechtlich relevant, bzw. konnte eine Relevanz kaum bewiesen werden. Bezüglich des Versuchs eines Wohnungseinbruchsdiebstahls i.S.d. § 244 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2, 22, 23 Abs. 1 StGB a.F. fehlte es am unmittelbaren Ansetzen. Hinsichtlich der Verabredung eines Verbrechens i.S.d. § 30 Abs. 2, 3. Var. StGB waren keine konkreten Hinweise bezüglich eines infrage kommenden Verbrechens, wie etwa eines schweren Bandendiebstahles gemäß § 244a StGB, ersichtlich. Ferner ist für eine Bande bekanntermaßen der Zusammenschluss von mindestens drei Personen erforderlich13, wodurch ein diesbezüglicher Anfangsverdacht bei etwa lediglich zwei kontrollierten Tatverdächtigen faktisch nicht begründbar war. Insofern konnten einem Ermittlungsrichter selten die erforderlichen Tatsachen für den Erlass eines Beschlusses hinsichtlich einer längerfristigen Observation i.S.d. § 163f StPO oder anderer Maßnahmen präsentiert werden. In einigen Bundesländern half man sich in solchen Situationen deshalb mit der Anordnung gefahrenabwehrrechtlicher Observationsmaßnahmen, die keinem Richtervorbehalt unterlagen.14


Durch die Klassifizierung des § 244 Abs. 4 StGB als Verbrechen i.S.d. § 12 Abs. 1 StGB ergibt sich nun bei der genannten Beweislage ein Anfangsverdacht bezüglich § 30 Abs. 2, 3. Var. StGB, wenn zumindest zwei Tatverdächtige vorhanden sind. Falls der Ermittlungsrichter diese Ansicht teilen sollte, sind daher umfangreiche verdeckte Ermittlungsmaßnahmen möglich, wobei sich die längerfristige Observation i.S.d. § 163f StPO unter Zuhilfenahme technischer Mittel i.S.d. § 100h StPO als effektivstes Werkzeug der Ermittlungsbeamten erwiesen hat. Denn hinsichtlich der Durchführung von Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen fehlt bei reisenden Tätergruppierungen oftmals die Zeit, relevante Gerätenummern zu ermitteln. Ferner ist inzwischen auch das Wissen um die Ermittlungsmöglichkeiten bezüglich der Nutzung von Mobiltelefonen weit verbreitet, so dass diese seitens der Täter im Bereich der Tatplanung und -ausführung nur sporadisch zum Einsatz kommen. Das Ziel der Ermittlungsmaßnahmen ist es stets, „vor die Lage zu kommen“; also bereits mit erheblichen Kräften die Tatverdächtigen verdeckt zum potentiellen Tatort zu begleiten und sobald diese mit der Tatausführung begonnen haben, die vorläufige Festnahme zu vollziehen. Bei der Entscheidung, wann der Zugriff erfolgen soll, wird die Frage virulent, ab welchem Zeitpunkt ein unmittelbares Ansetzen i.S.d. §§ 244 Abs. 4, 22, 23 Abs. 1 StGB vorliegt. Im Folgenden soll daher die diesbezügliche höchstrichterliche Rechtsprechung der letzten Jahre dargestellt und die unterschiedlichen Lösungsansätze erläutert werden.

 

 

2 Relevante Entscheidungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung


Ab welchem Zeitpunkt ein strafbarer Versuch vorliegt, ist gemäß § 22 StGB klar geregelt, nämlich sobald der Täter nach seiner Vorstellung unmittelbar zur Tat ansetzt. Nach der Formel der höchstrichterlichen Rechtsprechung muss der Täter dafür aus seiner Sicht die Schwelle zum „jetzt geht’s los“ überschreiten. Das ist der Fall, wenn er eine Handlung vornimmt, die nach dem Tatplan in ungestörtem Fortgang ohne Zwischenschritte unmittelbar in die Tatbestandsverwirklichung einmünden oder in einem unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit ihr stehen soll.15 Obwohl diese Definition seitens der höchstrichterlichen Rechtsprechung einheitlich angewendet wird, führt diese bezüglich des versuchten (schweren) Wohnungseinbruchsdiebstahls zu erheblich divergierenden Ergebnissen, wie den nun zu erläuternden Entscheidungen eindrucksvoll zu entnehmen ist.

2.1 Beschluss des 2. Senats vom 20. September 201616

Diese Entscheidung erging zwar noch vor dem Inkrafttreten des § 244 Abs. 4 StGB, hat aber auch nach neuer Rechtslage uneingeschränkte Gültigkeit. Der Sachverhalt wurde durch den Senat lediglich rudimentär mitgeteilt. Der Angeklagte plante wohl in das Wohnhaus des Geschädigten einzubrechen, um dort nach Stehlenswertem zu suchen und dieses dann zu entwenden. Zu diesem Zwecke drang er über das Gartentor in den Garten des Grundstücks ein, leuchtete die Rollläden der Fenster an und machte sich auch an der Terrassentür zu schaffen. Dann wurde der Geschädigte durch die von dem Angeklagten verursachten Geräusche auf ihn aufmerksam und der Angeklagte verließ den Tatort. Der Senat stellte zunächst fest, dass es für das unmittelbare Ansetzen bei Qualifikationstatbeständen auf das Ansetzen bezüglich des Grunddelikts ankäme. Das Betreten des Gartens würde hierfür nicht ausreichen, da nach der Vorstellung des Angeklagten nicht im Garten, sondern in dem durch weitere Sicherungen geschützten Haus auf dem Grundstück nach Stehlenswertem gesucht werden sollte. Auch die Aktivität des Angeklagten an dem Wohnhaus selbst könnte kein unmittelbares Ansetzen begründen, da durch das Landgericht kein Tatplan des Angeklagten mitgeteilt worden wäre und deshalb kein konkreter Hinweis ersichtlich wäre, ob die Wegnahme, als ein unmittelbar bevorstehendes Einwirken auf fremden Gewahrsam, unmittelbar bevorgestanden hätte. Diese Entscheidung hat in Ergebnis und Begründung Zuspruch gefunden.17

2.2 Beschlüsse des 5. Senats vom 4. Juli 201918 und 1. August 201919

Den 5. Senat beschäftigte jeweils der modus operandi des sog. Bohrens. Hierbei bohren die Täter mittels manuell betriebener Werkzeuge ein Loch in den Kunststoffrahmen von Fenstern oder Terrassentüren, schieben anschließend einen Draht durch die Öffnung und manipulieren mittels diesen den Griff, wodurch sich das Fenster oder die Tür geräuschlos von außen öffnen lässt. Diesbezüglich lassen sich nach der Erfahrung des Verfassers oftmals DNA-Spuren in dem Bohrloch feststellen, da einige Täter, wohl gewohnheitsbedingt, die Späne aus dem Bohrloch pusten. In beiden Entscheidungen hatte der Täter jeweils bereits ein solches Loch gebohrt, wobei er jedoch in einem Fall durch die Bewohner bemerkt wurde und deshalb von seinem Vorhaben abließ20 und in dem anderen Fall die Terrassentür aufgrund eines zusätzlich angebrachten Schlosses nicht zu öffnen vermochte.21 In beiden Fällen verneinte der Senat ein unmittelbares Ansetzen, wobei er dies nicht begründete, sondern lediglich auf die bezeichnete Entscheidung des 2. Senats verwies.

2.3 Beschluss des 4. Senats vom 14. Januar 202022

Mit dieser Entscheidung setzte der 4. Senat ein deutliches Zeichen gegen die ersichtlich restriktive Tendenz der bezeichneten Entscheidungen des 2. und 5. Senats bezüglich des Beginns des unmittelbaren Ansetzens. Der Senat hatte unter anderem über zwei Taten zu entscheiden, bei welchen der Angeklagte jeweils am Vormittag des Tattages ein Küchenfenster bzw. die Terrassentür eines Einfamilienhauses aufhebelte, um im Anschluss hieran in das Gebäudeinnere einzudringen und Stehlenswertes zu entwenden. Nach erfolgreichem Aufhebeln von Fenster bzw. Terrassentür wurde er von einer Nachbarin bzw. von den zurückkehrenden Hauseigentümern entdeckt und angesprochen; woraufhin sich der Angeklagte entfernte. Der Senat bejahte jeweils ein unmittelbares Ansetzen i.S.d. §§ 244 Abs. 4, 22, 23 Abs. 1 StGB. Er führte aus, dass bei Qualifikationstatbeständen das unmittelbare Ansetzen bezüglich des Grunddeliktes lediglich ein Kriterium von vielen darstellen würde, um kritisch überprüfen zu können, ob der Täter im jeweiligen Einzelfall nach seiner Vorstellung von der Tat bereits die Schwelle überschritten hätte, die ohne weitere Zwischenakte in die vollständige Verwirklichung des Tatbestands münden sollte. Handelte der Täter etwa bei dem Aufhebeln eines Fensters in der Vorstellung, in unmittelbarem Anschluss hieran in die Wohnung einzudringen und hieraus Stehlenswertes zu entwenden, so wäre ein unmittelbares Ansetzen grundsätzlich zu bejahen. Ferner nahm der Senat ausdrücklich Bezug auf die bezeichneten Entscheidungen des 2. sowie 5. Senats und äußerte, dass diese dem Ergebnis nicht entgegenstehen würden. Ferner wurde jedoch ausdrücklich klargestellt, sollte „den Beschlüssen des 5. Strafsenats allerdings die Rechtsauffassung zugrunde liegen, dass die Annahme eines Versuchs in Fällen des Einbruchsdiebstahls generell und losgelöst von den Feststellungen im Einzelfall ausscheidet, solange der Täter nicht unmittelbar zur Wegnahme angesetzt hat, könnte der Senat dem nicht folgen“. Diesen Ausführungen ließ sich unverhohlen die Bereitschaft entnehmen, ggf. gemäß § 132 Abs. 2 GVG den Großen Senat für Strafsachen bemühen zu wollen.

2.4 Beschluss des 5. Senats vom 28. April 202023

Der 5. Senat nutzte zeitnah die Gelegenheit, auf die Äußerungen des 4. Senats zu reagieren. Dieser Entscheidung lagen zwar auch Taten im Sinne des § 244 Abs. 4 StGB zugrunde, mitgeteilt wurde seitens des Senats jedoch lediglich ein Sachverhalt bezüglich eines geplanten Aufbruches eines Zigarettenautomaten. Der Angeklagte legte am Automaten verschiedenes Einbruchswerkzeug ab, dessen Einsatz teilweise elektrischen Strom erforderte. Mit einem Handtuch und einer Plane verhüllt er den Automaten, um die Geräusche seines Tuns zu dämpfen. Er ging davon aus, in unmittelbarer Nähe einen Stromanschluss zu finden. Deshalb legte er mittels einer mitgebrachten Kabeltrommel über die Straße zu einem Schuppen eine Stromleitung. Er fand jedoch keine Steckdose. Der Angeklagte erkannte, dass er den Zigarettenautomaten nun mit den übrigen Werkzeugen zwar noch aufbrechen könnte, sich dies jedoch erheblich aufwändiger gestalten würde. Dazu kam es jedoch nicht mehr, da er sich – zutreffend – entdeckt wähnte und die Alarmierung der Polizei fürchtete. Er verließ fluchtartig unter Zurücklassen des Aufbruchswerkzeugs den Tatort. Der Senat tätigte umfangreiche Ausführungen bezüglich verschiedener Konstellationen versuchter Einbruchsdiebstähle, die weit über einen unmittelbaren Bezug zu dem mitgeteilten Sachverhalt hinausgingen. Hinsichtlich eines unmittelbaren Ansetzens wäre unter anderem entscheidend, ob aus Tätersicht bereits die konkrete Gefahr des Zugriffs auf das in Aussicht genommene Stehlgut bestehen würde. Wäre dessen Gewahrsam durch Schutzmechanismen gesichert, würde für den Versuchsbeginn grundsätzlich der erste Angriff auf einen solchen Schutzmechanismus ausreichen. Bei einem Tatplan, der die Überwindung mehrerer Schutzmechanismen vorsähe, wäre schon bei einem Angriff auf den ersten davon regelmäßig von einem unmittelbaren Ansetzen auszugehen, wenn die Überwindung aller Schutzmechanismen in unmittelbarem zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit paraten Mitteln erfolgen sollte. So würde jedenfalls der strafbare Versuch eines Diebstahls vorliegen, wenn der Täter ein Einbruchswerkzeug bereits angesetzt hätte, um damit einen Schutzmechanismus zu überwinden und anschließend in ein Gebäude zum Stehlen einzudringen. Hinsichtlich des Zigarettenautomaten läge ein unmittelbares Ansetzen vor, da das potentielle Stehlgut durch das Handeln des Angeklagten bereits konkret gefährdet worden wäre. Im Übrigen stellte der Senat klar, dass er an seiner bisherigen entgegenstehenden Rechtsprechung nicht festhalten würde, wobei er ausdrücklich die Beschlüsse vom 4. Juli24 und 1. August 201925 nannte. Diesen neuen Kurs setzte der Senat bereits mit Beschluss vom 26. Mai 2020 konsequent fort.26 In diesem wurde ein unmittelbares Ansetzen zu einem versuchten Diebstahl eines Angeklagten bejaht, der erfolglos mit einem Hammer auf die Scheibe des verglasten Verkaufsraums einer geschlossenen Tankstelle einschlug, um daraus Stehlenswertes zu entwenden.

 

3 Auswirkungen auf ermittlungstaktische Maßnahmen im Bereich des schweren Wohnungseinbruchsdiebstahls


Die aktuellen Beschlüsse des 4. und 5. Senats erleichtern die Arbeit der eingesetzten Ermittlungsbeamten erheblich. Man stelle sich die bereits geschilderte Situation vor, dass die Tatverdächtigen durch Observationskräfte in den Bereich einer aus freistehenden Einfamilienhäusern bestehenden Wohnsiedlung verdeckt begleitet worden sind. Es ist hierbei angesichts der typischerweise engen Bebauung bereits eine erhebliche Herausforderung, einerseits die Fühlung nicht abreißen zu lassen, aber andererseits auch einen Abstand einzuhalten, der die Gefahr einer Entdeckung minimiert. Ferner ist der Zeitpunkt der vorläufigen Festnahme sorgfältig zu wählen. Denn bei „reisenden Tätergruppierungen“ muss zwingend innerhalb der Frist des § 128 StPO ein dringender Tatverdacht bezüglich einer Straftat begründet werden, auf welche ein Haftbefehl gestützt werden könnte. Ohne einen solchen werden sich die Tatverdächtigen erfahrungsgemäß unverzüglich der Durchführung eines Strafverfahrens effektiv entziehen. Erfolgt der Zugriff vor dem Vorliegen eines unmittelbaren Ansetzens i.S.d. §§ 244 Abs. 4, 22, 23 Abs. 1 StGB, so liegt ggf. nur ein Hausfriedensbruch i.S.d. § 123 StGB vor, auf welchen sich ein Haftbefehl kaum stützen lassen dürfte. Der bereits erwähnte § 30 Abs. 2, 3. Var. StGB hilft hierbei nur sehr eingeschränkt weiter. Zum einen bedarf es mindestens zweier Tatverdächtiger. Zum anderen muss ein dringender Tatverdacht bezüglich der Verabredung eines mittäterschaftlichen Zusammenwirkens vorliegen.27 Ein solches ist oftmals nicht ohne Weiteres zu belegen, gerade wenn die jeweiligen (potentiellen) Tatbeiträge ungleich gewichtet sind. Man denke etwa an die häufige Konstellation zweier Tatverdächtiger, wobei sich nur einer zu dem Tatobjekt begibt und der andere lediglich „Schmiere steht“. Ein zu früh durchgeführter Zugriff könnte folglich den Fortgang der Ermittlungen zu einem abrupten Ende führen. Andererseits ist ein bewusstes „Durchlaufenlassen“ eines schweren Wohnungseinbruchdiebstahls und eine anschließende vorläufige Festnahme samt Stehlgut aus offensichtlichen Gründen ausgeschlossen. Insofern sollte der Zugriff idealerweise im Moment des unmittelbaren Ansetzens zu einem Versuch i.S.d. §§ 244 Abs. 4, 22, 23 Abs. 1 StGB erfolgen. Anhand der Anforderungen, die der 4. und 5. Senat nunmehr hinsichtlich eines solchen konstituiert haben, können die Ermittlungsbeamten beim ersten Werkzeugeinsatz an dem Tatobjekt aktiv werden. Ein weiteres Zuwarten seitens der eingesetzten Kräfte wäre ohnehin nicht möglich, da bei einem Eindringen in das Tatobjekt eine unmittelbare Drittgefährdung nicht mehr ausgeschlossen werden könnte. Würden daher die erhöhten Anforderungen der bezeichneten Beschlüsse des 5. Senats vom 4. Juli und 1. August 2019 an ein unmittelbares Ansetzen zugrunde gelegt werden, wäre die Erwirkung eines Haftbefehls trotz vorläufiger Festnahme eines Tatverdächtigen am Tatobjekt aus den erläuterten Gründen oftmals nicht möglich. Ein solches Ergebnis würde sicherlich erhebliches Unverständnis bei den Bewohnern der tatbetroffenen Grundstücke auslösen. Ferner erscheint die Ablehnung eines unmittelbaren Ansetzens trotz begonnener Einwirkung auf einen Schutzmechanismus aber auch hinsichtlich der potentiellen Tatfolgen inkonsistent. Denn das geschützte Rechtsgut des schweren Wohnungseinbruchsdiebstahls i.S.d. § 244 Abs. 4 StGB ist nicht nur das Eigentum, sondern ebenfalls das Sicherheitsgefühl der Inhaber der dauerhaft genutzten Privatwohnungen.28 Letzteres wird jedoch bereits in erheblicher Weise durch die bloße Einwirkung auf das Tatobjekt beeinträchtigt, insbesondere wenn die Bewohner während der Tatausführung im Haus anwesend sind und diese unmittelbar wahrnehmen.

 

4 Resümee


Die bezeichneten Beschlüsse des 4. und 5. Senats des Bundesgerichtshofes vom 14. Januar und 28. April 2020 sind uneingeschränkt zu begrüßen. Der in diesen Entscheidungen vertretene Ansatz bezüglich des unmittelbaren Ansetzens erlaubt die effektive Strafverfolgung von Wohnungseinbrechern. Eine solche ist, wie die jüngere Vergangenheit gezeigt hat, äußerst wichtig, da ansonsten das Sicherheitsgefühl in weiten Teilen der Bevölkerung in erheblicher Weise beeinträchtigt werden könnte. Es bleibt daher zu hoffen, dass sich auch die übrigen Senate des Bundesgerichtshofes dem anschließen werden. Hinsichtlich des 2. Senats ist trotz des bezeichneten Beschlusses vom 20. September 2016 nicht zwingend davon auszugehen, dass weiterhin ein divergierender Ansatz verfolgt werden könnte. Zum einen hat der Senat in inzwischen geänderter personeller Zusammensetzung am 14. Juni 2017 entschieden, ein unmittelbares Ansetzen könnte bereits mit dem Betreten eines Grundstückes vorliegen.29 Zum anderen haben bereits einige aktuelle Entscheidungen des 2. Senats gezeigt, dass aufgrund der nunmehr geänderten personellen Zusammensetzung an der bisheriger Rechtsprechung nicht festgehalten worden ist.30 Sollte es jedoch zukünftig zu einer divergierenden Rechtsprechung der verschiedenen Strafsenate des Bundesgerichtshofes diesbezüglich kommen, so ist aufgrund der Äußerungen des 4. Senats in dem bezeichneten Beschluss vom 20. Januar 2020 eine Vorlage an den Großen Senat für Strafsachen zu erwarten.

 

Anmerkungen

 

  1. Der Verfasser ist Staatsanwalt bei der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Kiel. Der Beitrag gibt ausschließlich die persönliche Auffassung des Verfassers wieder.
  2. BGH, Beschluss vom 28.4.2020 - 5 StR 15/20 -, zitiert nach juris.
  3. BGBl. I, S. 2442.
  4. Vgl. Übersicht bei Bartsch/Dreißigacker/Blauert/Baier, Kriminalistik 2014, 483.
  5. BT-Drucks. 18/12359.
  6. Vgl. etwa Krüger/Ströhlein, JA 2018, 401 (401); Busch, ZRP 2017, 30.
  7. BGH, Beschluss vom 29.8.2018 - 5 StR 371/18 -, zitiert nach juris.
  8. BGH, Beschluss vom 19.3.2019 - 3 StR 2/19 -, NStZ 2019, 674.
  9. BGH, Beschluss vom 28.4.2020 - 5 StR 15/20 -, zitiert nach juris.
  10. BGH, Beschluss vom 25.6.2019 - 3 StR 130/19 -, zitiert nach juris.
  11. Vgl. hierzu ausführlich die Kriminalstatistik 2015 des Bundesministerium des Innern; abrufbar unter www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/themen/sicherheit/pks-2015.pdf;jsessionid=A24C8B48BCB70B63B6EB44554499EC1B.1_cid295?__blob=publicationFile&v=2.
  12. Vgl. etwa § 181 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und Nr. 3 LVwG-SH.
  13. BGH, Beschluss vom 22.3.2001 - GSSt 1/00 -, BGHSt 46, 321.
  14. Vgl. etwa § 16a PolG NRW.
  15. Vgl. statt vieler BGH, Urteil vom 26.10.1978 - 4 StR 429/78 -, BGHSt 28, 162.
  16. BGH, Beschluss vom 20.9.2016 - 2 StR 43/16 -, NStZ 2017, 86.
  17. Vgl. Kudlich, JA 2017, 152; Engländer, NStZ 2017, 87.
  18. BGH, Beschluss vom 4.7.2019 - 5 StR 274/19 -, zitiert nach juris.
  19. BGH, Beschluss vom 1.8.2019 - 5 StR 185/19 -, NStZ 2019, 716.
  20. BGH, Beschluss vom 4.7.2019 - 5 StR 274/19 -, zitiert nach juris.
  21. BGH, Beschluss vom 1.8.2019 - 5 StR 185/19 -, NStZ 2019, 716.
  22. BGH, Beschluss vom 14.1.2020 - 4 StR 397/19 -, NStZ 2020, 353.
  23. BGH, Beschluss vom 28.4.2020 - 5 StR 15/20 -, zitiert nach juris.
  24. BGH, Beschluss vom 4.7.2019 - 5 StR 274/19 -, zitiert nach juris.
  25. BGH, Beschluss vom 1.8.2019 - 5 StR 185/19 -, NStZ 2019, 716.
  26. BGH, Beschluss vom 26.5.2020 - 5 StR 55/20 -, zitiert nach juris.
  27. Vgl. zur ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung statt vieler BGH, Urteil vom 27.1.1982 - 3 StR 437/81 -, NStZ 1982, 244.
  28. BT-Drucks. 18/12359.
  29. BGH, Urteil vom 14.6.2017 – 2 StR 14/17 -, NStZ-RR 2017, 340.
  30. Vgl. etwa BGH, Urteil vom 16.8.2017 - 2 StR 335/15 -, JR 2018, 153.