Jahrhundert-Katastrophe im Ahrtal

„Hölle und Himmel am selben Fleck"

 


Von KD Thorsten Runkel, Mayen

 

1 Vorwort

 

Die Flutkatastrophe vom 14./15. Juli 2021 im Ahrtal löste europaweit große Betroffenheit aus. Ein Ereignis, mit dessen Ausmaß man nicht gerechnet hätte und das binnen Stunden das Leben einer ganzen Region verändert hat. Im Katastrophengebiet wurden auch Dienststellen der Polizeidirektion Mayen beschädigt, gar teilweise zerstört. Mehr als 40 Kolleginnen und Kollegen waren und sind unmittelbar, teils persönlich verhängnisvoll betroffen. Nicht nur die Polizei, auch die Menschen unserer vertrauten und verbundenen kommunalen Familie sind ebenso hart getroffen. Diese Schicksale haben sich nicht nur auf die Handlungsfähigkeiten ausgewirkt, sondern uns insbesondere vor Augen geführt, wie anfällig oder auch zerbrechlich unser Glück ist und der Wohlstand, den wir genießen.

 

In einem bisher noch nie dagewesenen Polizeieinsatz wurden innerhalb kürzester Zeit viele weitreichende Entscheidungen zum Wohle der Betroffenen notwendig. Entscheidungen für die es in der Ausnahmesituation auf allen Ebenen und in allen Phasen keine Blaupausen gab, an denen wir uns hätten orientieren können. Entscheidungen, die zügig, pragmatisch und zugleich mit großer Umsicht und Sorgfalt getroffen werden mussten.

„Die Kriminalpolizei“ bat darum, einen Einblick in die Geschehnisse aus Sicht der betroffenen Polizeidirektion zu gewähren. Als Leiter der Polizeidirektion Mayen bin ich in der Alltagsorganisation (AAO) für das Ahrtal zuständig und komme der Bitte gerne nach. Die Erstmaßnahmen trafen die Menschen unserer Dienststellen vor Ort. Mit Fortgang der fürchterlichen Ereignisse übernahm ich gemäß Planentscheid die Führung des Einsatzabschnitts „Ereignisort“ in der eingerichteten Besonderen Aufbauorganisation (BAO) „Ahr“ unter der Führung von Polizeivizepräsident Jürgen Süs. Nach stufenweiser Rückführung endete die BAO nach 175 Tagen offiziell. Der Alltag kehrte damit bis heute weder für die Bevölkerung noch für die Kolleginnen und Kollegen vor Ort zurück. Die dargestellten Ereignisse und Aufgaben können vor dem Hintergrund des – zumindest regional gesehen – apokalyptischen Ausmaßes und der daraus folgenden Komplexität der Gesamtlage selbstverständlich stets nur zu kurz greifen – das ist zwangsläufig und dessen bin ich mir bewusst.

 

 


Foto: Verklausung – ohne Schwemmgut berechneten die Fachleute einen ca. 2 Meter geringeren Pegelstand.

 

2 Polizeidirektion Mayen


Die Polizeidirektion Mayen ist mit 1.728 Quadratkilometern die flächenmäßig größte von vier regionalen Direktionen des Polizeipräsidiums Koblenz. Ihr nachgeordnet sind die Polizeiinspektionen (PI) Mayen und Cochem sowie die drei besonders von der Flut betroffenen Dienststellen Adenau, Bad Neuenahr-Ahrweiler und Remagen, die unmittelbar an das ebenfalls von der Flutkatastrophe heimgesuchte Nordrhein-Westfalen (NRW) grenzen.

Auch in der AAO ist die PD Mayen eine Einsatzdirektion, in deren Zuständigkeitsgebiet der Nürburgring mit seiner Vielzahl von Veranstaltungen fällt. Festivals wie Rock am Ring, Truck Grand Prix und 24h-Rennen erstrecken sich über mehrere Tage und die Besucherzahlen gehen über Tage verteilt teils über die Gesamtzahl von 100.000 täglich hinaus. Das Festival Rock am Ring wurde 2015 und 2016 von Unwetterlagen heimgesucht. Aufgrund einer Terrorverdachtslage 2017 war eine Räumung des Festivalgeländes notwendig. Bereits in der Vergangenheit wurde die PD Mayen so bei der Bewältigung großer Lagen geprüft und durfte Erfahrungen sammeln. Die waren bei der Bewältigung dieses Einsatzes hilfreich und sind daher der besonderen Erwähnung wert.

 

3 Das Ahrtal


Die Strukturen sind ländlich geprägt. Als Weinanbaugebiet, attraktive Tourismusregion und auch geschätzter Altersruhesitz über die Grenzen von Rheinland-Pfalz bekannt. Die Bevölkerung entlang der Ahr verteilt sich größtenteils auf kleinere Ortschaften, man kennt sich und die Anonymität einer Großstadt ist hier fremd. Die größte Stadt ist Bad Neuenahr-Ahrweiler, die mit ihren ca. 27.000 Einwohnern den mondänen Charakter einer Kurstadt mit Spielbank genoss. Eine wirklich lebens- und liebenswerte Region auf Erden, die zumindest für den Augenblick ihre Identität verloren hat.

Das Flüsschen Ahr entspringt in der Gemeinde Blankenheim (NRW), durchfließt teils wild romantisch das zerklüftete mittlere Ahrtal, dann im weiteren Verlauf entlang parkähnlichen Anlagen die Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler und mündet schließlich nach einer Länge von ca. 85 Kilometer bei Sinzig in den Rhein.

Das Ahrtal wurde bereits in der Vergangenheit mehrfach von Hochwasserereignissen heimgesucht. Im Jahr 1804 starben dabei 64 und im Jahr 1910 57 Menschen. Frühwarnsysteme und Wetterprognosen waren zu der damaligen Zeit wenig verbreitet. Im Jahr 2016 kam es zu einem weiteren „Jahrhunderthochwasser“ mit einem Pegelstand von. 3,69 Meter, bei dem glücklicherweise keine Menschen zu Tode kamen. Die mit einem Tsunami zu vergleichende Flutkatastrophe im Jahr 2021 stellt aber alle bisherigen Hochwasserereignisse in den Schatten. Insbesondere die Frage der Vorhersehbarkeit beschäftigt die Menschen bis heute.

 

4 Wie konnte das Wasser eine solch zerstörerische Kraft entfalten?


Das Tiefdruckgebiet „Bernd“ zog im Juli 2021 über weite Teile Deutschlands. Von Mittwoch, dem 14. Juli auf Donnerstag, dem 15. Juli 2021 fielen innerhalb von 24 Stunden mehr als 100 Liter Regen pro Quadratmeter und verwandelte die Ahr zu einem reißenden Fluss. Durch das Mittelgebirgsgelände wurden die Wassermassen kanalisiert, was zu schnell ansteigenden Pegelständen führte und die verheerenden Zerstörungen zur Folge hatte. 134 Menschen starben, zwei Personen werden weiterhin vermisst, 766 wurden verletzt und etliche Menschen verloren ihre gesamte Existenz. Die Unbändigkeit der Wassermassen zeigt der Blick auf die Pegelstände beispielhaft in der Ortslage Altenahr. Üblicherweise liegt der Pegel dort bei einer niedrigen Tiefe von 0,75 Meter. An dem Abend der Flut stieg er innerhalb kürzester Zeit zunächst auf 5,75 Meter und erreichte schließlich seinen Höchststand bei ca. 7,00 Metern - zwei Stockwerke eines Wohnhauses.

Nach Auskunft von Fachleuten führte, neben der unglücklichen Witterungssituation und der Bodenbeschaffenheit, besonders das Schwemmgut zur Eskalation der Situation. Hauptsächlich an den Brücken kam es zu Verklausungen und staute das Wasser zu der enormen Höhe an. Die meisten der im Ahrtal befindlichen Brücken gaben irgendwann nach, wurden zerstört und sogar gänzlich weggespült.

 

 

5 Situation unserer be- und getroffenen Polizeidienststellen


Die Funktionsfähigkeit der zuständigen Polizeidienststellen Adenau, Bad Neuenahr-Ahrweiler und Remagen war in den ersten Tagen nach der Flut massiv eingeschränkt und teilweise gar nicht mehr gegeben. Die Polizeiinspektion Adenau zog bereits in der ersten Einsatzphase in ein Polizeigebäude um, das für die geplanten Großeinsatzlagen am Nürburgring glücklicherweise ausgerüstet vorgehalten wird. Am stärksten war die Dienststelle in Bad Neuenahr-Ahrweiler betroffen. Dort wurden die Haustechnik, der Serverraum, die Gewahrsamszellen und die Umkleideräume der Kolleginnen und Kollegen geflutet und dadurch auch wichtige Führungs- und Einsatzmittel, Uniformteile sowie private Gegenstände vollständig zerstört; der Inhalt der Asservatenkammer teilweise weggespült. Die Wassermassen drangen mit einer solchen Wucht ein, dass die im Gebäude befindliche Luft hörbar und spürbar nach oben über das Dach aus dem Gebäude gedrückt wurde. Man kann von Glück sprechen, dass die Gewahrsamszellen zu diesem Zeitpunkt nicht belegt waren. Ein Retten der Menschen wäre nicht mehr möglich gewesen. In den ersten Tagen war das Dienstgebäude noch notdürftig besetzt, musste später aber geräumt werden.

Die in Bad Neuenahr-Ahrweiler ansässige Bundesakademie für Bevölkerungsschutz und Zivilschutz (BABZ) half unbürokratisch und ermöglichte die Weiterführung des Dienstbetriebes in ihrer Liegenschaft. Die PI Remagen war nicht unmittelbar von dem Hochwasser betroffen, jedoch schränkten die umfangreichen technischen Ausfälle im Ahrtal auch deren Funktionsfähigkeit deutlich ein. In der Flutnacht brachen Festnetz, Mobilfunk, EDV-Systeme und der Digitalfunk teilweise komplett zusammen. Die Verständigung zwischen den Dienststellen und den eingesetzten Kräften war anfangs nur sehr eingeschränkt oder gar nicht möglich. Am 14. und 15. Juli 2021 waren im Zusammenhang mit der Flut insgesamt 1.759 Notrufe zu verzeichnen. Ohne den Ausfall von Festnetz und Mobilfunk wäre das Aufkommen sicherlich noch deutlich größer gewesen. Die Notruf- und Amtsleitungen wurden zur benachbarten Polizeiinspektion Mayen und zur Führungszentrale in das Oberzentrum nach Koblenz geroutet.

Durch umsichtiges Handeln waren zwar keine Streifenwagen als Totalverluste zu beklagen, jedoch kam es aufgrund der enormen Müllansammlungen auf den Straßen fortwährend zu einer Vielzahl von beschädigten Reifen, die immer wieder zu Ausfällen des Einsatzmittels führten.

Bis heute sind die Renovierungsarbeiten an dem Gebäude der PI Bad Neuenahr-Ahrweiler nicht abgeschlossen. Trotz der großen Hilfe der BABZ befinden sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nach rund neun Monaten noch immer in einer schwierigen Situation.

5.1 AAO – die ersten Stunden

Die Kolleginnen und Kollegen traten am 14. Juli 2021 regulär ihren Dienst an und ahnten nicht, was auf sie zukommen würde. Mit dem Fortgang der Katastrophe baute sich die Dramatik des Einsatzes schnell auf. Es zeichnete sich in der Folge deutlich ab, dass alles bisher Dagewesene übertroffen wurde und über die Grenzen einer Polizeidirektion oder eines Präsidiums hinausging. In den ersten Stunden waren die Kräfte des Wechselschichtdienstes auf sich alleine gestellt. Sie wurden konfrontiert mit Verzweiflung, Hilflosigkeit und Panik. Anrufer meldeten, dass gerade die Ehefrau im Keller ertrunken sei oder sich eine ganze Familie nach dem Heraustreten der Dachziegel von innen auf das Dach des Hauses gerettet hat, das jeden Moment einzustürzen droht. Durch das Zusammenbrechen des Funk- und Telefonnetzes konnten Notrufe nicht zurückverfolgt werden. Zu eingeschlossenen Anwohnern, die um Hilfe riefen, war der Weg abgeschnitten. Häuser wurden samt Menschen weggeschwemmt. Gerade die Kräfte des Nachtdienstes mussten sich mit dieser Machtlosigkeit und auch der eigenen Hilflosigkeit der nicht enden wollenden Katastrophe stellen. Sie waren auch großer Gefahr ausgesetzt, mussten sich teils selbst retten. Die Einsatzsteuerung war ob der technischen Ausfälle nur sehr eingeschränkt möglich.

5.2 BAO – EA Ereignisort

In der polizeitaktischen Bewertung und Kommunikation ist man geneigt in der Kategorie eines zentralen Ereignisortes zu denken. Es handelte es sich hier aber um einen Einsatzraum, der sich über eine Distanz von mehr als 50 Kilometern erstreckte. Es waren über 30 Ortschaften und rund 130.000 Einwohner betroffen. Teilweise unterschied sich das Schadensausmaß erheblich, ebenso die individuellen Zugangsmöglichkeiten zu Hilfen. Die Betrachtung von der Außenperspektive erfolgte gerade in der Anfangszeit oft wenig differenziert und dadurch manchmal verkürzt. Der Übergang von AAO zur BAO: Ein Einsatzgrundsatz ist, die „chaotische Phase“ nach einem Schadenseintritt möglichst kurz zu halten. Ohne jeglichen Vorwurf - aufgrund der Übermacht der Ereignisse - zog sich dieser Übergang tatsächlich über Tage hin. Im Laufe des 175 Tage dauernden Einsatzes war die Struktur der BAO natürlich den Erfordernissen immer wieder anzupassen. Dies betraf selbstverständlich auch den EA Ereignisort. Naturgemäß ein zentraler Einsatzabschnitt, in dem es kaum Maßnahmen des Gesamteinsatzes gab, die dort nicht ihren Ursprung fanden, endeten und auch außerhalb polizeioriginärer Zuständigkeiten getroffen wurden.


Nachfolgend werden ausgewählte Aspekte des EA Ereignisort dargestellt.

 

UA Absuche / UA Hilfe


Der wesentliche Unterabschnitt (UA) im Einsatzabschnitt der PD Mayen war in den ersten vier Tagen der UA „Absuche“.

Gemäß Vorgabe des Gesamtpolizeiführers sollte das Schadensgebiet selbstverständlich gründlich und schnell abgesucht sein. Eine Herausforderung, bei der nachfolgendes Stufenkonzept zur Anwendung kam:

  1. Lebende finden und retten
  2. Leichen suchen und bergen
  3. Gefahrenquellen identifizieren
  4. Herausragende Wertgegenstände feststellen und sichern

Die Fläche des abzusuchenden Gebietes war so groß, dass darüber hinaus eine weitergehende örtliche Priorisierung notwendig wurde. Nach Überflügen im Polizeihubschrauber unter Begleitung eines ortskundigen Polizeibeamten wurde die Region kartiert und schließlich in 15 Sektoren aufgeteilt. Offenkundig besonders stark betroffene und vor allem bewohnte Gebiete waren vorzuziehen. Dort waren am ehesten noch Überlebende zu vermuten. Zur Vermeidung „blinder Flecken“ oder von Doppelabsuchen bei den zeitkritischen lebensrettenden Maßnahmen kam der Dokumentation dabei eine besondere Bedeutung zu. In Auftragstaktik hat die eingegliederte Bereitschaftspolizei des Polizeipräsidiums Einsatz, Logistik und Technik dieses Konzept sodann unter eigener Führung selbständig umgesetzt.

Begleitet durch Ortskräfte konzentrierte sich die Absuche auf die angeschwemmten Fahrzeuge sowie Wohnwagen und Ortslagen. Im weiteren Verlauf dann auch auf Bereiche außerhalb der Bebauung. Da einige Ortschaften durch die Zerstörungen über den Landweg nicht erreicht werden konnten, war eine Luftverlastung der Kräfte notwendig. Die Dokumentation der Suchfortschritte erfolgte fortlaufend im Einsatzprotokollsystem (EPSweb). Am Abend des 18. Juli 2021 konnte die Absuche der priorisierten Regionen abgeschlossen werden und die Einsatzkräfte begaben sich am Folgetag in die nachrangig priorisierten Bereiche. Wohnhäuser und sonstige Gebäude, bei denen nach Hinweisen auch nur die Vermutung auf einen Leichenfund bestand, wurden aufgesucht, vollgelaufene Keller abgepumpt und abgesuchte Sektoren dokumentiert. Eine vermisste Frau war Tage später in Rotterdam (Niederlande) tot angelandet. Neben der persönlichen Dramatik verdeutlicht dies die Schwierigkeit den abzusuchenden Bereich einzugrenzen.


Ab dem 20. Juli 2021 änderte sich die Lagebeurteilung. Die Struktur und der Auftrag waren anzupassen. Der Unterabschnitt wurde von „Absuche“ in „Hilfe“ umbenannt und blieb unter der Führung der Bereitschaftspolizei. Die Bevölkerung im Ahrtal hatte nach dem Erlebten und dem nach der Katastrophe in weiten Teilen eingetretenen zivilisatorischen Ausnahmezustand ein deutlich erhöhtes Sicherheitsbedürfnis, weshalb die Stärkung des subjektiven Sicherheitsgefühls im Zentrum der polizeilichen Maßnahmen des nunmehr umbenannten EA „Absperrung / Verkehr / Ereignisort“ stand. Durch offene und flächendeckende Präsenz im Katastrophengebiet, Gewährleistung einer ständigen Ansprechbarkeit sowie Hilfe bei Aufräumarbeiten bestanden unmittelbare Kontakte zu den Bürgerinnen und Bürgern im Ahrtal. Der Polizeiführer BAO „Ahr“ hatte die Polizei den Menschen zugewandt und helfend eingestellt, die Befehlsstelle des EA Ereignisortes nahm die Verantwortung an und die Einsatzkräfte vor Ort lebten die Bürgerpolizei in einer noch nicht dagewesenen mitmenschlichen Art und Weise.

Die Gesamt-BAO war hinreichend elastisch und die Struktur folgte der Strategie. Zur Gewährleistung der Ansprechbarkeit der Polizei war zeitweise der gesonderte EA „Anlaufstellen“ eingerichtet, die aufwachsende Aufgabe der Bürgernähe dort weitergehender konzeptioniert und umgesetzt worden. Später erfolgte die Rückführung in den EA Ereignisort unter Fortentwicklung dieser Konzepte.

Der UA „Hilfe“ hatte sich aus mehreren Hundertschaften der Bereitschaftspolizeien aus dem gesamten Bundesgebiet aber auch von Studierenden der Hochschule der Polizei Rheinland-Pfalz sowie der Bundeswehr personalisiert. Einen Unterabschnitt, den es in den Planentscheiden bisher nicht gab, der jedoch das von außen erkennbare Gesicht einer der Bevölkerung zugewandten Polizei verkörperte. Neben der Wahrnehmung klassischer örtlicher Polizeiarbeit erfolgte die unkonventionelle und unbürokratische Hilfe für die Bürgerinnen und Bürger – bis hin später zur Unterstützung bei den amtlichen Beantragungsverfahren für Fluthilfen. Dies alles führte zwischen Menschen im Ahrtal und den Polizisten zu einer Verbundenheit, die teils bis heute persönlich fortbesteht.

Im Zusammenhang mit der polizeilichen Hilfe ist der Einsatz der Wasserwerfer noch einmal besonders hervorzuheben. Unter der Leitung der Technischen Einsatzeinheit (TEE) der Polizei Rheinland-Pfalz waren mit Unterstützung der Bundespolizei bis zum 20. Oktober 2021 täglich bis zu drei Wasserwerfer im Einsatz und Teil des gesamten Versorgungskonzeptes. Zu den vorrangingen Aufgaben gehörten der Transport von Brauchwasser für Wassertanks und Duschcontainer, Reinigung von Straßen und Gerätschaften, Bewässerung von Straßen und Beregnung beim Abriss von Gebäuden zur Reduzierung der enormen Staubbelastung. Die Abgabemengen betrugen zwischen 80.000 und 180.000 Liter Wasser täglich. Durch die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten hat die Bevölkerung den Einsatzwert der Wasserwerfer als sehr positiv wahrgenommen und ihn als „Partner“ schätzen gelernt. Diese geschlossene Einheit verließ mit als letzte den Einsatzraum.

 


Foto: Helfen Hand in Hand.

 

UA Verkehr

Gewährleistung eines ungehinderten Einsatzes der BOS / Freihalten der Not- und Rettungswege. Dies ist einer der originären Aufgaben der Polizei in größeren Gefahren- und Schadenslagen.

Das Verkehrsnetz im Ahrtal war in großen Teilen kriegsähnlich zerstört oder stark beschädigt. Straßen waren unterspült oder gänzlich weggebrochen, Brücken überwiegend Opfer der Flut und damit die Verbindung zum anderen Ufer gekappt. Geröllmassen und Schutt versperrten wichtige Zufahrtswege. Viele Ortschaften waren zunächst nicht über Land erreichbar und mussten aus der Luft versorgt werden. Selbst die international bedeutsame Bundesautobahn 61 wurde so stark beschädigt, dass sie im Bereich Autobahnkreuz Meckenheim über Monate teilweise gesperrt werden musste. Die Erstellung eines belastbaren Lagebildes zur Verkehrslage und zum Zustand der Verkehrsinfrastruktur war in den ersten Tagen nahezu unmöglich. Vorhandenes Kartenmaterial entsprach nicht dem IST-Zustand. Die Aufklärung zur Verkehrslage erfolgte vorwiegend durch die Polizeihubschrauberstaffel. Aber nur aus der Luft konnte die Standsicherheit und Befahrbarkeit der Verkehrswege nicht bewertet werden.

Die verbliebenen befahrbaren Straßen wurden von Hilfeleistenden, BOS-Fahrzeugen und Anwohnern dementsprechend stark belastet. Von Anfang an ergab sich über die Landesgrenzen hinaus eine Welle der Hilfsbereitschaft. Das führte zu einer enormen Anreise von Fluthelfern aus dem gesamten Bundesgebiet, die das bereits geschwächte Verkehrsnetz teilweise zum Erliegen brachte. Die technische Einsatzleitung hat nach Abstimmung mit der Polizei Allgemeinverfügungen zum Individualverkehr erlassen, Durchlassstellen und dauerhafte Kontrollpunkte an relevanten Stellen eingerichtet sowie überörtliche Einbahnstraßen ausgewiesen und beschildert. Die Synchronisation mit dem privat eingerichteten Helfershuttle erfolgte erst später. Die Umsetzung der vorgenannten Maßnahmen mit der zügigen provisorischen Instandsetzung wichtiger Verkehrswege führten erst im weiteren Verlauf zu einer Entspannung der Verkehrslage. In vielen Einzeldiskussionen mit betroffenen Menschen an den „Checkpoints“ war die Durchsetzung von Durchfahrtsverboten teils sehr konfliktträchtig, aber alternativlos.

 

Foto: Bewässerung zur Reduzierung der Staubbelastung.

 

6 Müllbeseitigung / gesundheitsgefährdende Stoffe


Schon nach wenigen Tagen ergaben sich Seuchengefahren und Gefahren durch gefährliche Stoffe. Friedhöfe waren durch die Flut freigelegt sowie Leichen und Gebeine weggespült. Tierkadaver verbargen sich unter den riesigen Müllmassen und große Mengen Heizöl aus den aufgebrochenen Öltanks sowie Fäkalschlamm aus den zerstörten Kläranlagen verteilten sich unaufhaltsam. Um Seuchen entgegenzuwirken aber auch den Verkehrsraum freizumachen war es notwendig, in einer Art Befreiungsschlag mit hunderten von Lastkraftwagen den besonders gesundheitsgefährlichen Müll abzutransportieren. Rund 300.000 Tonnen teils kontaminierten Sperrmülls, so viel wie in 40 Jahren. In einer konzertierten Aktion waren hierzu am 25. und 26. Juli 2021 unterstützend weitreichende Verkehrsmaßnahmen notwendig. In nur einer Nacht haben die Kräfte der Befehlsstelle zwei Ringstraßen mit Einbahnregelung auf einer Gesamtlänge von 58 Kilometern konzeptioniert und vorbereitet. Die Umsetzung erfolgte durch Kräfte des Frühdienstes. Auf jedem Verkehrsabschnitt galt es dabei zu gewährleisten, dass auch aus keiner noch so kleinen Seitenstraße oder Waldweg ein Verkehrsteilnehmer gefährlich entgegen der rettenden Einbahnstraße einfährt. Beispielhaft für vieles in diesem Einsatz: Hand in Hand - von der zu erkennenden Gefahr, einer Idee zur Abwehr, über die Planung, die Organisation und Versorgung der Kräfte bis hin zur taktischen Umsetzung vor Ort. Beeindruckend war dabei das arbeitsteilige und nahtlose geschlossene Vorgehen auch in Zusammenarbeit mit den unterstützenden Kräften des Bundes und den anderen Bundesländern. Dies zeigte sich in der Zusammenarbeit der Ministerien beim nationalen Kräftemanagement, des Führungsstabes, der Befehlsstellen, der Verbindungsbeamten, den Kräftesammelstellen, der Abteilung Polizeiverwaltung und insbesondere der Motivation, Leidenschaft und dem Pragmatismus der vor Ort eingesetzten Kolleginnen und Kollegen. Alle hatten länderübergreifend eine „geteilte Vorstellung“ von dem was zu tun ist, auch mentales Modell („shared mental model“) genannt, über die Art und Weise wie der polizeiliche Einsatz zu erledigen ist. Nur beispielhaft, aber beeindruckend! Unstreitig war diese Verkehrsmaßnahme nur eine von vielen schwierigen Aktionen im Gesamteinsatz und natürlich lief sie ob der Umstände auch nicht bis ins Detail reibungslos. Sie war aber im Ergebnis erfolgreich und das zählt am Ende.

Die Gefahrenquellen waren insgesamt vielschichtig. Weitere ergaben sich durch offenliegende Strom- oder abgerissene Gasleitungen. So berichtete eine Kollegin aus einem benachbarten Einsatzabschnitt, die mit der Leichenbergung aus einem Behindertenheim betraut war, dass sie gerade in hüfthohem Wasser stand, als sie durch einen Feuerwehrmann darauf aufmerksam gemacht wurde, dass just die zuvor ausgefallene Elektrizität in dem Gebäude nun wieder funktioniere. Viele Bomben und Munition aus dem 2. Weltkrieg (Anmerkung: Die Ahrtalbahn war Nachschublinie auch für die Kämpfe rund um die Brücke von Remagen), Gas- und Öltanks, legale und illegale Waffen aus Privatbesitz aber auch Geldautomaten bis hin zu Jetons aus der zerstörten Spielbank wurden von der Flut kilometerweit verteilt. Die Wasserversorgung und die Kanalisation waren in manchen Bereichen komplett zerstört. Eine mobile Kläranlage, die in internationalen Krisengebieten eingesetzt wird, wurde in der Ortslage Mayschoß aufgebaut und war auch wegen der darin verbauten wertvollen Hochleistungspumpen gefahrenabwehrend als kritische Infrastruktur einzustufen.

 

7 Veranstaltungen / Besuche von Schutzpersonen


Eine weitere Herausforderung stellten die Besuche von Amtsträgern / Schutzpersonen sowie Veranstaltungen rund um die Flutkatastrophe dar. Neben den regelmäßigen Besuchen von Landespolitikern waren insbesondere die Besuche eingestufter Vertreter aus der Bundespolitik polizeilich zu begleiten. Auch wenn zu diesen Anlässen seiner Zeit die BAO „Ahr“ um den Einsatzabschnitt „Besuche“ bzw. „Veranstaltung“ erweitert und damit verstärkt wurde, blieben der Schnelllebigkeit der Entwicklungen geschuldet dennoch deutliche Überhänge für den EA Ereignisort. Bis heute besuchen hochrangige Politiker das Ahrtal. So galt es zuletzt am 29. März 2022 die Sicherheit von Bundeskanzler Scholz, Bundesinnenministerin Faeser, Ministerpräsidentin Dreyer und Innenminister Lewentz in Ahrbrück durch die PD Mayen zu gewährleisten. Diese Besuche waren wichtig, um den politischen Raum über die Schwere der Katastrophe und die Notwendigkeit von großen Hilfen zu informieren.

Mit zeitlichem Abstand trat leider ein fast zu erwartendes Problem auf – Katastrophentourismus. Meist durch Auswärtige, häufig durch Motorradfahrer, die die tief getroffene Region fragwürdig als Ausflugsziel in ihre Freizeitgestaltung aufgenommen haben. Mal auch in guter Absicht, manchmal vielleicht bestenfalls gesehen nur naiv. Aus Sicht der Gefahrenabwehr jedenfalls kritisch erwähnenswert waren die in der Weihnachtszeit aufkommenden Traktor-Sternfahrten. Hunderte von geschmückten landwirtschaftlichen Fahrzeugen nutzten das belastete enge Ahrtal und damit gleichzeitig auch den Verkehrsraum für Rettungsahrzeuge. Symbolisch hätten weniger Traktoren auch gereicht. Zum Glück ist aus polizeilicher Sicht nichts passiert!

 

 

8 Zukunftskonferenzen und Einwohnerversammlungen


Der vollständige Wiederaufbau des zerstörten Gebiets entlang der Ahr wird voraussichtlich noch Jahre dauern. Frühzeitig wurde begonnen in Einwohnerversammlungen die Bürgerinnen und Bürger über den Wiederaufbau zu informieren. An den Einwohnerversammlungen nahmen die Landesbeauftragte für den Wiederaufbau, Sonderbeauftragte der Landesregierung, behördlich verantwortliche Stellen sowie zahlreiche Expertinnen und Experten teil. Über 200 Beteiligte aus Behörden, Unternehmen, Kommunen, Hilfsorganisationen und Kammern berieten und informierten bei Zukunftskonferenzen über das weitere Vorgehen. Auch die Polizei begleitet den Wiederaufbau und unterstützt die zuständige Verwaltung unbürokratisch dort, wo es möglich ist.

 

9 Rückführung der BAO in eine verstärkte AAO


Am 27.08.2021 ging die Gesamteinsatzleitung wieder vollständig an die Polizeidirektion Mayen über. Für die Wiederherstellung des Sicherheitsgefühls der Bevölkerung im Ahrtal hatte das PP Koblenz die mehrstufige „Rahmenkonzeption des PP Koblenz zur Stärkung des Sicherheitsgefühls in der Bevölkerung und Begleitung des Wiederaufbaus im Ahrtal nach der Flutkatastrophe“ erstellt. Zunächst wurde die Aufrechterhaltung der Einsatzstruktur ermöglicht; später der Kräfteansatz sukzessive und angemessen reduziert. Die sichtbare polizeiliche Präsenz wird ab Mitte des Jahres 2022 nach einer personellen Sonderzuweisung wieder in den AAO-Dienststellen in Remagen, Adenau und insbesondere Bad Neuenahr-Ahrweiler gewährleistet.

In Umsetzung des Rahmenkonzeptes lauten die Leitlinien der Polizeidirektion Mayen:

 

  • Die Stabilisierung und Stärkung des Sicherheitsgefühls der Bevölkerung haben oberste Priorität.
  • Die Polizei zeigt sich gesprächs- und kommunikationsbereit. Einsatzkräfte treten jederzeit bürgerfreundlich und mit anlassbezogenem Ermessen bei hoher Einschreitschwelle auf. Gegen erkannte Straftäter / Störer ist frühzeitig und konsequent, bei niedriger Einschreitschwelle, unter Anwendung aller rechtlichen Möglichkeiten, vorzugehen.
  • Die Polizei unterstützt im Rahmen ihrer Zuständigkeit den Wiederaufbau unbürokratisch. Sie arbeitet eng mit den zuständigen Behörden und sonstigen anerkannten Organisationen zusammen.

10 Anstöße


Nach einem Vortrag vor Führungskräften wurde die Frage nach einem möglichen Erfolgsrezept reduziert auf eine Kernaussage aufgeworfen. Diese Frage überfordert. Reflektierend könnte man vielleicht sagen: Handlungsspielräume ausnutzen, handeln, mit Auftragstaktik führen, den gut ausgebildeten Kolleginnen und Kollegen vertrauen und Verantwortung übernehmen.

 

 

„Wir haben hier an der Ahr mit einem Schlag den Himmel und die Hölle an einem Fleck gehabt. Die Hölle: Das Wasser kam. Der Himmel war, dass sich ein Kern frei gelegt hat in unserer Gesellschaft, der für mich immer verloren geglaubt war …: Das ist dieser Zusammenhalt, diese Solidarität, diese Nächstenliebe. Das ist einfach eine Sache, die gibt einem Hoffnung, das macht einem Mut.“


(Thomas Pütz, Staatsakt aus Anlass der Trauerfeierlichkeit

am Nürburgring, 01.9.2021 )

 

 

„Wer jetzt noch nicht verstanden hat was wir an unserer Polizei haben, dem ist nicht mehr zu helfen!“


(Staatsminister Lewentz, Veranstaltung anlässlich der offiziellen Beendigung der BAO Ahr im PP Koblenz, 10.2.2022)

 

 

11 Hinweis


Bis heute befasst sich der Parlamentarische Untersuchungsausschuss (PUA) mit der Flutkatastrophe und strafrechtliche Ermittlungen sind anhängig. Es handelt sich mithin um laufende Verfahren.