Synthetische Cannabinoide

Eine unterschätzte Gefahr


Von KK`in Ass. jur. Julia Luther, Kiel1

 

Herbst 2020 – Nach einem erfolgreichen Durchsuchungseinsatz liegen die sichergestellten Asservate auf dem Tisch: Dokumente, Handys, Betäubungsmittel. Alles fein säuberlich in Tüten verpackt und beschriftet. In der Luft liegt der schwere, beißende Geruch von Cannabis, obgleich die dunkelbraune Platte mit der Konsistenz eingetrockneter Knete innerhalb der Asservatentüte noch in zahlreiche Lagen Frischhaltefolie gewickelt ist. Zusammen mit den erforderlichen Anträgen wandern die Asservate zur Analyse ins kriminaltechnische Institut. Die Ergebnisse, die einige Wochen später eintreffen, überraschen.

 

1 Cannabimimetika in Harzplatte

 

Was auf den ersten Blick aussah, wie ein im polizeilichen Alltag nicht unüblicher BtM-Fund, offenbarte sich in der kriminaltechnischen Untersuchung als Überraschungspaket: Das analysierte Material der vermeintlichen Harzplatte erwies sich als quasi THC-frei. Trotz eines Gewichts der Ausgangssubstanz von etwa 96 g wurden nur Spuren von THC, insgesamt 0,74 g, gefunden. Das entspricht einem Gehalt von ca. 0,7%, normal wären Werte zwischen 4% und 6% THC.

Allerdings lieferte der Bericht zu der vermeintlichen Cannabisharzplatte noch weitere Ergebnisse: Denn statt des THCs fand sich mit einem Anteil von 17,5% eine nicht unerhebliche Menge MDMB-4en-PINACA in dem Material. Hierbei handelt es sich um ein Cannabimimetikum, eine im Labor erschaffene Chemikalie, die dem in der Cannabispflanze vorkommenden THC nachempfunden ist. Sie wird entweder, wie im Falle der THC-freien Harzplatte, in eine Trägersubstanz eingearbeitet oder auf getrocknetes Pflanzenmaterial aufgebracht. Für den Konsumenten ist nicht erkennbar, was er kauft – der äußere Anschein ist der des normalen Cannabisprodukts.2 Er wird getäuscht – das was er für ein Naturprodukt hält, ist in Wahrheit voller Chemikalien.

 

 

2 Wirkung und Gefahren synthetischer Cannabinoide


Es gibt eine Vielzahl synthetischer Cannabinoide, mal ähneln sie dem natürlich Vorbild in ihrer Wirkweise, mal sind sie völlig verschieden. Hinzu kommt, dass es bei der Dosierung starke Schwankungen gibt, da die Wirkstoffe bei der Produktion des Endprodukts nicht immer regelmäßig aufgetragen werden.

Außerdem kommt es auch zu Vermischungen verschiedener Chemikalien, da in den Produktionsstätten verarbeitet wird, was vorhanden ist. Der Käufer des mit synthetischen Cannbinoiden behandelten Materials weiß somit nie, was er genau bekommt oder in welcher Dosierung. Die Wirkung der Chemikalie ist zum Teil bis zu 100-mal stärker als die des natürlichen THCs. Hinzu kommt, dass es sich, anders als beim pflanzlichen THC, nicht um einen Teilagonisten handelt, der nur einige Rezeptoren im Gehirn anregt, sondern als Vollagonist alle im Hirn vorhandenen Rezeptoren stimuliert.3 Die Folgen des Konsums sind verheerend: Psychosen, Wahnvorstellungen, Kreislaufversagen. Auch Todesfälle stehen im Zusammenhang mit synthetischen Cannabinoiden.4

Zusätzlich weist die synthetische Variante ein deutlich erhöhtes Suchtpotential auf, so dass eine körperliche Abhängigkeit bereits nach einmaligem Konsum eintreten kann.5

Diese Gefahren sind von außen nicht erkennbar und die Folgen des Konsums unberechenbar. Aufgrund des Erscheinungsbildes bahnte sich so eine in Wahrheit „harte“ Droge unter dem Deckmantel des als „weiche“ Droge geltenden Cannabis ihren Weg auf den Markt. Und das nicht nur in Deutschland – weltweit überschwemmen synthetisch Drogen die Märkte.

 

3 Historie


Bereits 1994 entschied das BVerfG, dass die Kriminalisierung von Cannabis durch die geltenden Gesetze nicht im Einklang mit dem Grundgesetz stehe.6

Als Reaktion auf das Urteil hat beispielsweise § 31a BtMG Einzug gefunden – die Möglichkeit der Absehung von Verfolgung bei Feststellung einer geringen Menge Betäubungsmittel zum Eigenverbrauch, wenn die Schuld des Täters als gering anzusehen ist oder kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht. Diese Vorschrift findet in einem breiten Maße auf Cannabisbesitz Anwendung. Das hat auch damit zu tun, dass aus Sicht vieler Personen „Cannabis ist als Droge in der Mitte der Gesellschaft angekommen“7 sei. Der Konsum ist nicht mehr in der Form geächtet wie noch vor einigen Jahren. Dennoch: Eine Legalisierung der Droge steht aus und das derzeit geltende Recht eröffnet lediglich den Weg zur Absehung von Strafverfolgung.

In Deutschland wurden erstmals 2008 synthetischen Cannabinoide festgestellt, die als sogenannte „Legal Highs“ in Headshops und über das Internet verkauft wurden. Es handelte sich dabei um Mischungen wirkungsfreier Pflanzen, denen die THC-Analogika zugesetzt wurden.8 Sie versprachen die Wirkung der bekannten Droge und konnten gleichzeitig damit werben, dass der Erwerb straffrei sei. Denn das BtMG erfasste die Pflanze Cannabis und deren Wirkbestandteile, nicht aber die synthetische Nachahmung. Bald wurde deutlich, dass „Legal Highs“ anders wirkten als Cannabis. Dennoch fanden „Legal Highs“ reißenden Absatz. Die Gefahren wurden von den Konsumenten unterschätzt, handelte es sich doch um legal erworbene Substanzen.

Um dem florierenden Handel Einhalt zu gebieten, suchten die Ordnungsbehörden nach Lösungen. Da das BtMG keine Möglichkeiten eröffnete wurde zunächst über das ArzneimittelG gegengesteuert. Dieses Vorgehen wurde jedoch 2014 durch den BGH unterbunden, der sich in dieser Frage eine Entscheidung des EuGH eingeholt hatte.9 Dieser stellte fest, dass es sich bei „Legal Highs“ gerade nicht um Arzneimittel handle. Der Weg über das ArzneimittelG stelle eine unzulässige Umgehung der Strafreiheit des BtMG dar – der Gesetzgeber war gefordert.

Zwei Jahre später trat das NpSG in Kraft, das anders als das BtMG, nicht Einzelstoffe sondern ganze Stoffgruppen sanktioniert. Hierzu gehörten von Beginn an auch die synthetischen Cannabinoide, so auch das eingangs genannte MDMB-4en-PINACA.

Aber wie so oft in der Geschichte der Strafgesetze führte auch in diesem Fall das Verbot nicht dazu, dass die Stoffe vom Markt verschwinden. Zum einen werden noch immer, insbesondere über das Internet, „Legal Highs“ vertrieben, teilweise mit anderen, neuentwickelten Wirkstoffen. Aber auch die vom Verbot erfassten Substanzen finden sich weiter auf dem Markt.

 

 

4 Überlegungen für die polizeiliche Praxis


Das Strafrecht hinkt den Entwicklungen hinterher, mit der Folge, dass im schlechtesten Fall keine Möglichkeit der Sanktionierung des Handels und auch keine damit einhergehenden Möglichkeiten der Therapie bzw. der erzieherischen Ansätze im Bereich des Jugendstrafrechts bestehen. Gleichzeitig konnte sich der Gesetzgeber bisher nicht dazu durchringen, gesetzliche Rahmenbedingungen für einen legalen Handel mit Cannabis zu schaffen. Staatliche Regulierung hätte das Potential, den Schwarzmarkt auszutrocknen. Zugleich würde eine legale Verfügbarkeit von natürlichem Cannabis den Nährboden für die gefährlichen synthetischen Alternativen entziehen.

Es ist nicht zielführend, weiter abzuwarten und darauf zu hoffen, dass es eine zufriedenstellende gesetzliche Regelung geben wird. Daher ist es entscheidend, dass die Polizei ein Problembewusstsein für von synthetischen Cannabinoiden ausgehende Gefahr entwickelt.

4.1 Umgang mit Konsumenten

Das NpSG sanktioniert Handel, Inverkehrbringen und Verabreichen, nicht aber Erwerb, Besitz oder Konsum. Der von der Polizei kontrollierte Endkonsument hat somit strafrechtlich nichts zu befürchten, zumal Urin- oder Schnelltest die synthetischen Varianten des THC auch nicht als THC erkennen.10 Sofern aber der Fund von vermeintlichem Cannabis oder typisches Verhalten auf Cannabiskonsum hindeuten, muss aufgrund der zuvor dargestellten Risiken die Frage gestellt werden, ob nicht aus Gründen der Gefahrenabwehr ein entschiedenes Vorgehen der Polizei geboten ist. Der Konsument begeht zwar keine Straftat, aber er bringt sich, sein Leben und seine körperliche Unversehrtheit, in Gefahr. Es ist die Aufgabe der Polizei, Gefahren abzuwehren. Aufgrund des hohen Verbreitungsgrads der synthetischen Cannabinoide wäre es grob fahrlässig, deren Vorliegen nicht als wahrscheinlich in Betracht zu ziehen, auch wenn es sich lediglich um den Fund einer geringen Menge handelt. Es ist daher unbedingt erforderlich, ggf. vor Ort festzustellen, ob es sich bei der gefundenen Substanz um natürliches Cannabis oder nicht handelt. Wenn der Test kein Ergebnis liefert, sollte daher dringend der Zusatz von Chemikalien in Betracht gezogen und eine Sicherstellung des Funds im Rahmen der Gefahrenabwehr geprüft werden.

4.2 Umgang mit Händlern

Außerdem sollte man stets im Blick halten, dass es sich um ein sehr lukratives Geschäft handelt – billig im Einkauf, leicht in der Herstellung großer Absatzmarkt.11 Gerade im Bereich der organisierten Kriminalität stellt der Handel mit synthetischen Cannabinoiden neben dem „normalen“ Cannabishandel eine entscheidende, existenzielle Einkommensquelle dar und erklärt, warum der Markt skrupellos mit den Chemikalien geschwemmt wird. Um der Strafverfolgung zu entgehen, werden in den Laboren am laufenden Band neue Strukturen entwickelt, die noch nicht vom NpSG erfasst sind.

Kann das richtig sein? Obgleich die von den Stoffen ausgehende Gefahr ungleich größer ist als bei natürlichem Cannabis, befinden sich die Händler in einer strafrechtlich betrachtet deutlich sichereren Position: Die Gefahr des Entdecktwerdens ist geringer und es bestehen hohe Chancen, dass die auf die ständige Weiterentwicklung der Chemikalien spezialisierten Labore eine nicht von den strafrechtlichen Normen erfasste Variante geliefert haben.

Ein solcher Zustand ist mit Blick auf das bewusste Ausnutzen strafrechtlicher Lücken unter Aufbringung einer hohen kriminellen Energie schwer erträglich.

Wie bereits dargestellt, kann der Kampf gegen die mit Chemikalien versetzten Ersatzdrogen nicht über das BtMG und oft auch nicht über das NpSG geführt werden. Oft wird bemängelt, dass der Gesetzgeber den Entwicklungen der Labore hinter hinkt, dass die Aufnahme neuer Stoffgruppen in das NpSG viel zu langsam erfolge. Dennoch bietet das Strafrecht auf anderem Wege Möglichkeiten, zumindest gegen die Händler der synthetischen Cannabinoide vorzugehen: Angesichts der dargestellten massiven Gefahren für Leib und Leben bieten die Straften gegen die körperliche Unversehrtheit einen Ansatz. Insbesondere die gefährliche Körperverletzung mittels eines gesundheitsschädlichen Stoffs dürfte regelmäßig einschlägig sein. Ebenso muss bei tödlichen Ausgang eine entsprechende Strafbarkeit geprüft werden.

 

5 Fazit


Die Eindämmung der schädlichen synthetischen Substanzen darf nicht im Zuge der Entkriminalisierung einer völlig anders wirkenden aber gleich aussehenden Droge untergehen. Es wird immer wichtiger für die Exekutive, ganz genau hinzusehen und vor allen Dingen zu handeln. Die Gefahren, die von den synthtischen Cammbinoiden ausgehen, dürfen nicht unterschätzt werden.

 

Anmerkungen

  1. Die Autorin hat Rechtswissenschaften studiert und war nach der Zweiten Juristischen Staatsprüfung zunächst einige Jahre als Rechtsanwältin tätig. 2015 ist sie zur Landespolizei Schleswig-Holstein gewechselt und ist heute als KK`in im Sachgebiet 223 für Finanzermittlungen, Geldwäsche und Vermögensabschöpfung im Landeskriminalamt tätig.
  2. Synthetische Cannabinoide und ihre Risiken, Die Stellen für Suchtprävention im Kanton Zürich, 2020.
  3. Chemisch gestrecktes Cannabis - Warnung! https://ladr.de/betaeubungsmittel/chemisch-gestrecktes-cannabis, v. 12.4.2021.
  4. European Monitoring Centre for Drugs an Drug Addiction. Risk Assessments. 5F-MDMB-PINACA, 2018; Zahlreiche Konsumenten bluteten aus Augen und Mund – zwei starben. www.welt.de/kmpkt/article175113703/Synthetisches-Cannabis-Konsumenten-bluteten-aus-Augen-und-Mund-zwei-starben.html, v. 4.4.2018.
  5. Untypische Symptome alarmieren Forscher. https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/synthetische-drogen-neues-cannabis-neue-risiken-1.1746434-2, v. 11.3.2018.
  6. BVerfG, Beschluss v. 9.3.1994, 2 BvL 43/92.
  7. Drs. 19/27807, Antrag der FDP v. 23.3.2021; Programmentwurf zur Bundestagswahl 2021, Bündnis 90/Die Grünen, S. 68; „SPD will kleine Mengen Cannabis legalisieren“, https://www.spiegel.de/politik/deutschland/drogenpolitik-spd-verspricht-cannabis-in-kleinen-mengen-zu-legalisieren-a-01176dce-1a24-46a4-b432-73ef46e46638, v. 22.3.2021.
  8. DROGENPERSPEKTIVEN – Synthetische Cannabinoide in Europa. Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht, v. 6.6.2017.
  9. BGH v. 4.9.2014, 3 StR 437/12.
  10. Synthetische Cannabinoide unterwandern den Markt. https://www.wn.de/Freizeit/Ratgeber/Specials/4284031-Bekannte-Droge-mit-neuem-Gesicht-Synthetische-Cannabinoide-unterwandern-den-Markt, v. 29.9.2020.
  11. Chemisch gestrecktes Cannabis - Warnung! https://ladr.de/betaeubungsmittel/chemisch-gestrecktes-cannabis, v. 12.4.2021.