Novellierung des UZwG Bln – Die Rolle der Notrechte im öffentlichen Recht

Von Prof. Michael Knape, Berlin

 

 

Am 2.4.2021 trat als Artikelgesetz das Änderungsgesetz des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (ASOG Bln) und anderer Gesetze – mit nur einer Änderung des UZwG Bln [!] – in Kraft (GVBl. S. 317). Die Hoffnung der Polizei, angesichts von Amoklagen, terroristischer Lagen, Geisellagen und dergleichen – man denke insbesondere an den Anschlag eines islamistischen Attentäters auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz am 19.12.2016 – sowohl ein normativ modernes, rechtlich renoviertes, insbesondere den hohen Anforderungen des internationalen Terrorismus angepasstes ASOG Bln und in Ergänzung dessen ein ebenso rechtlich erweitertes UZwG Bln zu erhalten, erwiesen sich einmal mehr als bloße Utopie. Der Landesgesetzgeber sah es als wieder einmal nicht für erforderlich an, endlich den sog. „Finalen Rettungsschusses“ analog § 41 Abs. 2 Satz 2 MEPolG 1977 im UZwG Bln zu implementieren.2 Damit ist Berlin bis auf die – mehr oder weniger korrespondierende – Regelung im UZwG (Bund)3 das einzige Land in der Bundesrepublik Deutschland, das auf diese so wichtige Regelung als besondere Ausprägung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne verzichtet; alle anderen fünfzehn Länder haben diesbezüglich bestehende Gesetzeslücken zwischenzeitlich längst geschlossen, so z.B. zuletzt das Land Mecklenburg-Vorpommern im SOG M-V. Dieser Aufsatz setzt sich mit den rechtlichen Problemen auseinander, die durch die Nichtregelung im Land Berlin seit vielen Jahren existieren. Es stellt sich zugleich die Frage, ob im Land Berlin – abgesehen von einem Notwehrschuss eines einzelnen Schützen (Polizeivollzugsbeamten4) – der sog. „Finale Rettungsschuss“ von einem Präzisionsschützenkommando überhaupt abgefeuert oder insoweit vom zuständigen Polizeiführer angeordnet, d.h. freigegeben werden darf.

 

1 Ergänzung des UZwG Bln


Einzig § 9 Abs. 4 UZwG Bln, der bereits in seinem Satz 1 „das Recht zum Gebrauch von Schusswaffen durch einzelne Polizeivollzugsbeamte in den Fällen der Notwehr und des Notstandes für unberührt erklärt“ und in seinem Satz 2 zugleich bestimmt, dass soweit „ein Polizeivollzugsbeamter in diesen Fällen die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht verletzt, die Verantwortlichkeit nach den Vorschriften der Amtshaftung das Land Berlin trifft“, wurde um zwei weitere – Vorschriften mit mehr oder weniger deklaratorischem Charakter – ergänzt. So bestimmt nunmehr Satz 3, dass „das Land Berlin in den Fällen des Satzes 1 als Teil der staatlichen Fürsorgepflicht angemessenen Rechtsschutz in Ermittlungs- und Strafverfahren, die gegen Polizeivollzugsbeamtinnen und Polizeivollzugsbeamte geführt werden, gewährleistet; Näheres hierzu wird in Ausführungsvorschriften der für das Dienstrecht zuständigen Senatsverwaltung geregelt“.Satz 4 bestimmt, dass „die Gewährung von Rechtsschutz in anderen Fällen unberührt bleibt“. Dass in Fällen (vermeintlicher) Amtspflichtverletzungen behördlicher Rechtsschutz beantragt werden kann, liegt schon seit Jahren klar und eindeutig auf der Hand. Denn im Strafrecht gilt seit jeher zunächst das Prinzip der Unschuldsvermutung; dieser Grundsatz streitet selbstverständlich auch für Polizeivollzugsbeamte. Die Pflichtverletzung muss zwangsläufig im Funktionszusammenhang mit der Amtsausübung – dem hoheitlichen Handeln – stehen.5 Die Amtspflicht als solche ergibt sich aus dem mit Verfassungsrang ausgestatteten Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes gem. Art. 20 Abs. 3 GG). Die vom Gesetzgeber getroffenen Regelungen schaffen damit kein neues materielles Polizei- und Ordnungsrecht. Sie beziehen sich vielmehr auf etwas dem Grunde nach Selbstverständlichen, das zu leisten sich einerseits aus der Schadensersatzpflicht des Staates (sog. Staatshaftung) wegen begangener Amtspflichtverletzung seiner Bediensteten bzw. Amtsträger, andererseits als zwingende staatliche Fürsorgepflicht des Staates gegenüber seinen Amtsträgern ergibt. Art. 34 Satz 1 GG statuiert insoweit die Haftung des Staates bei (möglichem) rechtswidrigen, öffentlich-rechtlichem Verhalten seiner Amtsträger, weil die Haftung des Staates nicht nur im Interesse des von einer Amtshandlung Betroffenen,6 sondern auch im Interesse des handelnden Amtsträgers zu bejahen ist.7 Hinsichtlich der Anspruchsgrundlage und Haftungsvoraussetzungen bilden die § 839 BGB und Art. 34 GG rechtlich ein Ganzes; sie müssen daher stets zusammen geprüft werden.8 § 9 Abs. 4 UZwG Bln soll demnach als einfaches (Landes-)Gesetz ergänzend das sicherstellen, was auf verfassungsrechtlicher Ebene – Art. 34 Satz 2 GG – explizit als Verfahrensmaxime nicht bereits geregelt ist. Macht der Amtsträger in Extremfällen, also in Notwehr-/Nothilfesituationen, von seiner dienstlich zugelassenen Schusswaffe9 ohne vorherige Androhung Gebrauch10 und tötet den Angreifer durch Schussabgabe aus seiner Dienstwaffe mit unbedingtem Vorsatz oder bewusst in Kauf genommener tödlicher Wirkung,11 handelt der Schütze nach den Vorschriften des UZwG Bln rechtswidrig, so dass der Rückgriff auf den Schützen verfassungsrechtlicher Regelung zufolge in Fällen der Haftung bei Amtspflichtverletzung gem. Art. 34 Satz 2 GG möglich wäre.12 Ob die haftende Körperschaft von dem Inhaber eines öffentlichen Amtes, der durch sein rechtswidriges Verhalten die Haftung ausgelöst hat, jedoch Ersatz verlangen kann, bestimmt sich u.a. nach allgemeinen gesetzlichen Regelungen.13 Insoweit sollen an dieser Stelle die Vorschriften des § 9 Abs. 4 Satz 1 und 2 UZwG Bln ihre rechtliche Wirkkraft entfalten, den hier bestehenden Lückenschluss vollziehen und den Schützen in einem solchen Fall vor einem Haftungsrückgriff des Staates – dem Grunde nach – schützen. Zivilrechtliche Haftungsansprüche Hinterbliebener bleiben jedoch von all dem unberührt; rein theoretisch sind diese sogar rechtlich nicht völlig ausgeschlossen.14 § 9 Abs. 4 Satz 2 UZwG Bln zufolge bleibt der Schusswaffengebrauch – trotz Notwehr oder Nothilfe des Schützen – i.S.d. Staatshaftung ein „hoheitlicher“ Schusswaffengebrauch. Entscheidend sei demzufolge der Gesamtcharakter der Maßnahme, wobei der Amtsträger stets im Rahmen der verfassungsgemäßen Grundsätze des Übermaßverbots bzw. der Verhältnismäßigkeit im weiteren Sinne (Legitimer Zweck sowie Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit) zu handeln hat. Dabei kommt insbesondere den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit auf dessen zweiter Stufe, der Erforderlichkeit bzw. des mildesten Mittels, und auf dessen dritter Stufe, der Angemessenheit bzw. der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne, erhöhte Bedeutung zu. Die inakzeptable Rechtslage i.S.e. effektiven Gefahrenabwehr, die der Tatsache geschuldet ist, dass sich der Berliner Gesetzgeber bis zum heutigen Tag nicht dazu durchringen kann, den sog. „Finalen Rettungsschuss“ als Ausdruck des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne – keinesfalls etwa als Befugnisnorm [!] – entsprechend dem § 41 Abs. 2 Satz 2 MEPolG 197715 auszugestalten und im UZwG Bln als zusätzliche Regelung des § 9 UZwG Bln16 im Rahmen des hoheitlichen Schusswaffengebrauchs zu implementieren, ist in der Sache und dem Grunde nach von der Rechtsentwicklung längst überholt. Das zögerliche Verhalten des Gesetzgebers ist umso unverständlicher, als der Schusswaffengebrauch von Polizeivollzugsbeamten z.B. in Bad Kleinen am 27.6.1993 bewiesen hat, dass diese Form der Zwangsanwendung in der Politik und in den Medien von höchstem Aufmerksamkeitswert ist und nicht nur selten aus parteipolitischen oder ideologischen Gründen instrumentalisiert wird.17 Ein neuer Satz 2 des § 9 Abs. 2 UZwG Bln sollte – um alle rechtlich kritischen Überlegungen aus dem Wege zu räumen – wie folgt lauten: „Zweck des Schusswaffengebrauchs darf nur sein, angriffs- oder fluchtunfähig zu machen (Satz 1).“„Ein Schuss, der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit tödlich wirken wird, ist nur zulässig, wenn er das einzige Mittel zur Abwehr einer gegenwärtigen Lebensgefahr oder der gegenwärtigen Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der körperlichen Unversehrtheit ist (Satz 2). Der Schusswaffengebrauch ist unzulässig, wenn dadurch erkennbar Unbeteiligtemit hoher Wahrscheinlichkeit gefährdet werden; dies gilt nicht, wenn sich deren Gefährdung beim Einschreiten gegen eine Menschenmenge (§ 16) oder eine bewaffnete Gruppe nicht vermeiden lässt (Satz 3).“ Schießt ein Polizeivollzugsbeamter im Land Berlin entgegen den Vorschriften des UZwG Bln auf eine Person, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden und wird diese Person sodann tödlich verletzt, kann – wenn überhaupt – nur jene Vorschrift zum Tragen kommen, die die straf- und zivilrechtliche Rechtswidrigkeit – in diesem Fall die tatbestandlich vollendete Tötung des Angreifers (§ 212 StGB) – rechtfertigt. In Fällen der Notwehr mag das noch verständlich sein, in Nothilfesituationen ist dies umso kritischer zu bewerten. Der Blick richtet sich insofern – verbunden mit allen rechtlichen Problemen – auf das sog. „Jedermannsrecht“ des § 32 StGB (Notwehr/Nothilfe). Unberührt davon bleibt selbstverständlich das Notwehrrecht nach § 227 BGB.

 

 

2 Notwehr-/Nothilferecht einerseits – „Finaler Rettungsschuss“ andererseits


Das Notwehr-/Nothilferecht gem. § 32 StGB ist ein sog. „Jedermannsrecht“. Es steht demzufolge jedem Bürger zu, befindet sich infolgedessen in keiner inneren Verbindung zum hoheitlichen Handeln, wie es bei dienstlichen Maßnahmen eines Polizeivollzugsbeamten der Fall ist.18 Wer Notwehr/Nothilfe ausübt, handelt nach eigenem Entschluss, ist von den besonderen – hier im Wesentlichen nicht einschlägigen Fällen der unterlassenen Hilfeleistung gem. § 323c StGB – nicht zur Handlung verpflichtet. Unabhängig von der Frage, ob für den sog. „Finalen Rettungsschuss“ eine spezielle polizeirechtliche Regelung erforderlich ist, soll nach einer im Schrifttum vertretenen Meinung die tödliche Einwirkung auf einen in der Phase der Tatausführung befindlichen Täter – z.B. Amoktäter oder Geiselnehmer mit gegenwärtiger Lebensgefahr für die Geisel – durch die Polizei zwar auf das Recht der Notwehr bzw. Nothilfe (§ 32 StGB) ausnahmsweise gestützt werden können.19 An dieser so wichtigen Schnittstelle rechtlicher Betrachtung offenbart sich jedoch im Verhältnis zu privaten Dritten ein großer Unterschied zu den dienstlichen Pflichten von Polizeivollzugsbeamten. Sie, die nach ihrem Berufsbild, Eid, ihren übertragenen Aufgaben der Gefahrenabwehr und aufgrund ihrer Dienstpflicht verpflichtet sind, dem Rechtsbrecher entgegenzutreten und der bedrohten Person zur Hilfe zu eilen, müssen einmal mehr schützend einschreiten; dazu sind sie von Gesetzes wegen aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften verpflichtet. Strafrechtlich ist im Übrigen von einer Garantenstellung und demzufolge von einer Garantenpflicht i.S.d. § 13 StGB auszugehen. Werden vom Rechtsbrecher die Rechtsgüter Leib und Leben anderer akut gefährdet, reduziert sich das Entschließungsermessen eines Polizeivollzugsbeamten auf „Null“.20 Infolgedessen muss er handeln, soll sein hoheitliches Handeln als „pflichtgemäß“ gelten, mithin ermessensfehlerfrei, und damit rechtmäßig sein. Die Geisel hat zwar keinen Anspruch auf ein bestimmtes polizeiliches Handeln, sie hat jedoch Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung. Bei Geisellagen kann sich polizeiliches Handeln mit akuter Lebensbedrohung im Rahmen des Auswahlermessens21 auf „Eins“ reduzieren, mithin auf den sog. „Finalen Rettungsschuss“. Das heißt, ein gezielter Todesschuss käme nach Abwägung aller Umstände des Einzelfalles als letzter Ausweg in Betracht, um den Täter angriffsunfähig zu machen und die Geisel aus der für sie unverschuldeten Bedrohungslage, in die sie hineingeraten ist, zu befreien. Ein gezielter Todesschuss wäre dann ausnahmsweise zulässig, wenn die Angriffsunfähigkeit und die körperliche Unversehrtheit oder das Leben der Geisel nicht auf andere Weise geschützt/gerettet werden kann. Die Prüfung der Verhältnismäßigkeit (§ 4 UZwG Bln) erfolgt im öffentlichen Recht unter weitaus strengeren Maßstäben als im Strafrecht. § 32 StGB unterscheidet bei einem gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff nicht, ob das angegriffene Rechtsgut Leib oder Leben oder womöglich anderer Art ist, insbesondere beispielsweise auch Sachgüter betrifft. Denn Eigentum, Vermögen, Besitz und Ehre können im Wege der Notwehr/Nothilfe ebenso – wohlgemerkt stets unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit – verteidigt werden.22 Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz betrifft insoweit nur das Abwehrmittel im Verhältnis zum Angriff, nicht jedoch – jedenfalls im Grundsatz – den Rang des angegriffenen Rechtsgutes;23 gerade aber dies spielt bei hoheitlichem Handeln eine besondere Rolle hinsichtlich der Frage, „wie“ unmittelbarer Zwang angewendet werden kann. Unter diesem Blickwinkel – und das muss allen Kritikern des sog. „Finalen Rettungsschusses“ im Land Berlin verdeutlicht werden – verstehen sich die existierenden Regelungen des polizeilichen Eingriffsrechts – allesamt Ausprägungen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne, verbunden mit einer strengen Rechtsgüterabwägung – vor allem als bewusste gesetzliche Beschränkung in diesem so sensiblen rechtlichen Bereich polizeilichen Handelns. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit übt seit jeher seine Rolle in ermächtigungsbegrenzender Funktion aus und erführe mit der für § 9 Abs. 2 Satz 2 UZwG Bln vorgeschlagenen Formulierung eine weitere besondere gesetzliche Ausprägung. Für den sog. „Finalen Rettungsschuss“ kommen ausschließlich Gefahren für Leib und Leben des Opfers in Frage. Andere gefährdete Rechtsgüter scheiden diesbezüglich aus. Da für eine Androhung des Schusswaffengebrauchs keine Zeit bleibt und auch gar keine Möglichkeit besteht, der Täter (z.B. Geiselnehmer) weiß, in welche Lage er seine Geisel gebracht hat und was ihn womöglich durch Schusswaffengebrauch der Polizei erwartet, wird in der Lehre – abgesehen vom sofortigen Vollzug nach § 6 Abs. 2 VwVG – nur allzu gern als Rechtsfigur die sog. teleologische Reduktion in Ansatz gebracht. Die Berufung auf diese Rechtsfigur ist in einem Rechtsstaat, der auf Normenklarheit und Bestimmtheit seiner Gesetze abstellt, jedoch nur schwer bzw. kaum akzeptabel. Außerdem gilt: An dieser Stelle muss einmal mehr Einhalt geboten werden, weil das UZwG Bln eindeutig geregelt ist, und gleich mehrere Normen des UZwG Bln den sog. „Finalen Rettungsschuss“ nicht zulassen. Insoweit gilt der klare und eindeutige Wortlaut des Gesetzes, die wörtliche bzw. grammatikalische Auslegung der Vorschriften hat stets Vorrang.

 

3 Polizeiliche Maßnahmen – öffentlich-rechtliche Maßstäbe


Seit jeher besteht für im Dienst befindliche Einsatzkräfte der Polizei die rechtliche Bindung, dass sich bei hoheitlichem Handeln zunächst immer erst die Frage stellt, ob das polizeiliche Tätigwerden nach öffentlich-rechtlichen Maßstäben gerechtfertigt ist. Das gilt vor allem immer dann, wenn unmittelbarer Zwang anzuwenden ist und hier wiederum insbesondere in Fällen des Schusswaffengebrauchs. Insoweit sei auf die Prüfung rechtmäßiger Amtsausübung verwiesen, deren positives Ergebnis nach herrschender Meinung zugleich als straf- und zivilrechtlicher Rechtsfertigungsgrund wirkt. Die Polizeivollzugsbeamten haben sich bei Ausübung ihrer hoheitlichen Tätigkeit in erster Linie an den öffentlich-rechtlichen Vorschriften zu orientieren, die ihr Handeln lenkend steuern und flankierend beschränken. Für den Gebrauch der Schusswaffe sind daher explizit die §§ 9 bis 16 UZwG Bln vom Berliner Gesetzgeber erlassen worden. Dieser Grundsatz korrespondiert mit dem verfassungsrechtlichen Vorbehalt des Gesetzes (Art. 20 Abs. 3 GG), der als eine wesentliche Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips (Gesetzmäßigkeit der Verwaltung) und zugleich als Schranken-Schranke zu verstehen ist. Erst wenn diese Handlungsmaxime nicht Platz greift, können ausnahmsweise womöglich straf- und zivilrechtliche Rechtfertigungsgründe in Ansatz gebracht werden.24 Diese können herangezogen werden, um straf- bzw. zivilrechtliches Unrecht individuell für das Handeln oder Unterlassen des Einzelnen zu rechtfertigen. Hierzu zählt als klassischer straf- bzw. zivilrechtlicher Rechtfertigungsgrund das Recht der Notwehr und Nothilfe gem. § 32 StGB bzw. § 227 BGB. Grundlegend hierfür ist der Gedanke, dass ein Polizeivollzugsbeamter in Ausübung seines Dienstes in einer konkreten Notwehrsituation – trotz geltender hoheitlicher Regeln für den Gebrauch von Schusswaffen mit strikter Bindung an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 4 UZwG Bln) – grundsätzlich nicht schlechter gestellt werden soll als der normale Bürger. Dieser Aspekt hat in allen Vorschriften der Länder über die Anwendung unmittelbaren Zwanges seinen Niederschlag gefunden. Die Staatsanwaltschaft begnügt sich mit dieser profanen Regelung. Gleichwohl muss sie unter wissenschaftlichen Kautelen nicht automatisch bestehen, was insbesondere für Fälle der Nothilfe gilt. In Lehre und Schrifttum existieren jedenfalls diesbezüglich nicht unerhebliche rechtliche Bedenken. Abgesehen von § 9 Abs. 4 Satz 1 UZwG Bln sei der Vollständigkeit wegen bspw. auf § 60 Abs. 2 BbgPolG verwiesen. Auch der Gesetzgeber des Landes Brandenburg bestimmt in dieser Regelung, dass die Vorschriften über Notwehr und Notstand unberührt bleiben.

 

4 Notwehr/Nothilfe als öffentliches Sonderrecht?


Man bedenke: Notwehr- und Nothilferechte stellen keine öffentlichen Sonderrechte dar.25 Jedermannsrechte sind keine Ermächtigungsgrundlage für hoheitliches Handeln. Rechtfertigungsgründe des Straf- und Zivilrechts gehören nicht dem öffentlichen Recht an und sind daher ungeeignet, Lücken in öffentlich-rechtlichen Handlungsbefugnissen auszufüllen, weil dies die polizeilichen Entscheidungen bei ihrer Schaffung verfälschen, die öffentlich-rechtliche Kompetenzordnung verwirren und meist auch Staatsnotrecht schaffen würde, das in der Verfassung schon abschließend geregelt ist.26 Angemerkt sei: Dass ein auf sich gestellter Bürger in gewissen Nothilfefällen weiter gehen darf als die Polizei, hat seinen Grund in den unterschiedlichen Machtverhältnissen.27 Dazu passt rechtlich einmal mehr die berechtigte und insoweit auch streitige Frage, ob die Rechtfertigung von Maßnahmen staatlicher Organe, namentlich von Angehörigen der Polizei, sich bei Eingriffen im Rahmen der Dienstausübung ausschließlich nach Maßgabe des öffentlichen Rechts bestimmt28 oder ob unabhängig vom Dienstrechteine Rechtfertigung nach § 32 StGB wegen Notwehr oder Nothilfe in Betracht kommt.29 Diese Frage gilt bis zum heutigen Zeitpunkt als ungeklärt: Gesetzgeber und höchstrichterliche Rechtsprechung belassen es hierbei, wenngleich auch an dieser Schnittstelle des Rechts ein grundlegendes Legitimationsproblem existiert bzw. aufgeworfen ist.30 Nimmt die Staatsanwaltschaft beim sog. „Finalen Rettungsschuss“ eine Rechtfertigung durch § 32 StGB gleichwohl an, umgeht sie schlichtweg die Frage, ob nach Berliner Rechtslage – UZwG Bln – ein gezielter Todesschuss überhaupt zulässig ist. Kann die Polizei aus den Notrechtsvorbehalten das Recht zur Notwehr/Nothilfe ableiten, so werden die sehr viel engeren Grenzen des Schusswaffengebrauchs gem. § 41 Abs. 2 Satz 2 MEPolG 1977 hinfällig. Die öffentlich-rechtliche Regelung wird insoweit durch die Notrechtsvorbehalte aus den Angeln gehoben.31 Die Notrechte hindern – dies sei der Vollständigkeit an dieser Stelle hinzugefügt – auch prinzipiell nicht die Disziplinarahndung.32 Notwehr/Nothilfe ist ihrem Normzweck in erster Linie darauf ausgelegt, einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwehren; § 32 StGB geht also insbesondere von Augenblickssituationen des Hilfeleistenden und nicht von einem geplanten Eingriff – erst nach Freigabe des Polizeiführers – z.B. im Rahmen hoheitlichen Handelns aus, wie es beim Einsatz von sog. Präzisionsschützenkommandos der Polizei in Fällen der Nothilfe der Fall ist. Nach alledem weist § 9 Abs. 4 Satz 1 UZwG Bln auf die Straf- und Zivilrechtslage hin, wonach einem Polizeivollzugsbeamten bei Ausübung seines Dienstes – trotz hoheitlichen Handelns – das Notwehr- und Nothilferecht uneingeschränkt zur Seite stehen soll, wenn er in eine Gefahrensituation gerät, die nur noch unter Inanspruchnahme der allgemeinen Notwehrrechte bewältigt werden kann, mit der Folge, dass er dann weder straf- noch zivilrechtlich zur Verantwortung gezogen werden kann. Objektive Voraussetzung für die Rechtfertigung im Rahmen des § 32 StGB ist nach dessen Abs. 2 das Bestehen einer Notwehr-/Nothilfelage zum Zeitpunkt der Tat. Dabei muss es sich in Fällen der Notwehr/Nothilfe um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff auf ein notwehrfähiges Rechtsgut des Angreifers handeln.33 Gleichwohl ist jedoch einmal mehr Vorsicht geboten: Seit jeher gilt im Strafrecht die freie Beweiswürdigung und die tatrichterliche Überzeugung in Bezug auf den jeweils zu entscheidenden Einzelfall.

 

5 Verteidigungswille des Opfers/der Geisel


Zu bedenken ist ferner, dass z.B. die Geisel den Verteidigungswillen an der konkreten Verteidigungs- bzw. Nothilfehandlung – dem Schusswaffengebrauch der Polizei – haben muss. Den konkreten Verteidigungswillen der Geisel an diesem besonderen Einsatz der Polizei, bei dem sie in eine absolute Situation gerät, wird man jedoch regelmäßig nicht ohne weiteres unterstellen können bzw. dürfen;34 man denke nur an bekannt gewordene Äußerungen von an ihrem Leben bedrohten Personen gegenüber der Polizei z.B. bei Telefongesprächen insbesondere im Rahmen von Geiselnahmen in Geldinstituten, verbunden mit der ausdrücklichen Bitte, nicht die Bankräume zu stürmen und das Feuer auf die Geiselnehmer zu eröffnen, weil sie andernfalls von diesen getötet werden würden.35


Wenngleich auch hierfür keine Validität wissenschaftlicher Untersuchungsreihen betreffend den verhaltensgesteuerten Wunsch von Geiseln in der akuten Bedrohungslage existiert, wird die Polizei ihr taktischen Handeln vor allem nach dem aktuellen Bedrohungsszenario – verursacht durch die Geiselnehmer – ausrichten, wobei sich dieses Szenario immer dann in Richtung Notzugriff steigert, wenn der oder die Täter bereits eine Geisel getötet haben. Das Argument, die Geiseln befinden sich wegen der konkreten Gefahrensituation in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand, greift nicht durch. Unter dieser Sichtweise scheidet dann aber auch Nothilfe als persönliche Rechtfertigung polizeilichen Handelns aus, soweit nicht besondere Umstände ganz ausnahmsweise die Polizei zum Eingreifen zwingen.36 Folgerichtig gilt als Grundsatz: Nothilfe ist nach h.M. nicht geboten, wenn der Rechtsgutinhaber den Angriff nicht abwehren37 oder sich selbst verteidigen will. Das Nothilferecht ist demgemäß nach herrschender Auffassung gegen den Willen des Angegriffenen – der geängstigten Geisel, wenn diese dem Einsatz der Polizei zum Todesschuss widerspricht38 – nicht zulässig.39 Das Argument, der Staat würde dadurch erpressbar werden, kann nur kraft einer Regelung i.S.d. § 41 Abs. 2 Satz 2 MEPolG 1977 beseitigt bzw. wirksam begegnet werden.40 Ebenso problematisch ist polizeiliches Handeln in (vermeintlich) stillschweigendem Einvernehmen oder hinsichtlich „aufgedrängter“ Nothilfe der Polizei.41

 


6 Finaler Rettungsschuss durch Präzisionsschützen


Die Entwicklung der Geiselfälle in den zurückliegenden Jahren sowie der Amoktaten und auch der Vorgänge im terroristischen Bereich haben auf Seiten der Polizei dazu geführt, Einsätze dieser Art weitestgehend Spezialeinheiten zu übertragen; die Rede ist nicht nur vom Spezialeinsatzkommando (SEK), sondern vor allem auch vom Präzisionsschützenkommando (PSK). Kommen Präzisionsschützen zum Einsatz, werden diese – mehrere Präzisionsschützen – unter einer Befehlslinie eines Einsatzleiters – Polizeiführers – handeln, d.h. zeitgleich auf Befehl schießen. Das strafrechtliche Notwehr- bzw. Nothilferecht (§ 32 StGB) beruht jedoch auf der individuellen Entscheidung jedes Einzelnen. Dieses Recht setzt voraus, dass der einzelne die Notwehr- bzw. Nothilfesituation als gegeben ansieht/erachtet und sich sodann zum Handeln entschließt. Dem folgend, kann der Einsatzleiter – Polizeiführer – zu dem aus seiner Sicht bzw. Beurteilung der Lage nach einem günstigen Zeitpunkt den Schusswaffengebrauch nicht befehlen, sondern lediglich nur „freigeben“. Ob der Präzisionsschütze sodann die Schusswaffe tatsächlich gebraucht, also auf den Täter feuert, entscheidet dieser ganz allein für sich nach seinem Gewissen. Rechtlich hängt dies darüber hinaus auch davon ab, ob der jeweilige Präzisionsschütze die Nothilfesituation als gegeben ansieht oder nicht, ob dieser das Ziel – den Täter – klar anvisieren kann oder nicht.42 Was kann der Einsatzleiter – Polizeiführer – eigentlich „anordnen“ bzw. „freigeben“? Er kann auch nur das „anordnen“ bzw. „freigeben“, was das Gesetz vorsieht bzw. zulässt. § 9 Abs. 2 Satz 1 UZwG Bln sieht ausschließlich vor, den Angreifer „angriffs- oder fluchtunfähig zu machen“; keinesfalls aber zu töten. Der Einsatzleiter – Polizeiführer – kann demzufolge – unberührt vom Nothilferecht des § 32 StGB – den Schusswaffengebrauch nur auf Arme oder Beine des Täters „freigeben“, weil bereits ein Schuss in den Ober- oder Unterkörper des Menschen tödlich wirken kann. Die heute wohl in der Polizeiliteratur h.M. legt den Begriff der „Angriffsunfähigkeit“ zwar weit aus, so dass auch die stärkste und intensivste Form der Angriffsunfähigkeit, die Tötung des Angreifers, darunter fällt.43 Die Gegenmeinung in der weiteren Fachliteratur, die keine Polizeiliteratur ist, widerspricht dieser Auslegung jedoch vehement, nach hier vertretener Auffassung völlig zu Recht.44 Als Antwort auf die in Polizeikreisen vertretene Meinung ist der klare Wortlaut des Gesetzes entgegenzuhalten und daraus resultierend das Ergebnis, dass nach allgemeinen Sprachgebrauch „nicht angriffs- oder fluchtunfähig zu machen“ den lebenden und nicht den toten Täter meint. Ob der Polizeischütze einen Angreifer in Nothilfe tötet – in aller Regel durch einen sog. Sagittalschuss45– entscheidet nur dieser für sich allein im Einklang mit seinem Gewissen. Ob er sich rechtlich hierbei dann so ohne weiteres dem Grunde nach auf § 32 StGB berufen darf, ist streitig. Was fehlt? Neben dem Regelungsdefizit einer klaren öffentlich-rechtlichen Grundlage mangelt es zudem an der gesetzlichen Fürsorgepflicht des Gesetzgebers, ihm diese so schwerwiegende Entscheidungslast endlich durch eine klare und eindeutige gesetzliche Regelung i.S.e. Normierungdes sog. „Finalen Rettungsschusses“ abzunehmen, zumal jeder hoheitliche Schusswaffengebrauch, der den Tod des Angreifers herbeigeführt hat, ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren nach sich zieht.

 

7 Fazit


Die strafrechtlichen Notrechte – Notwehr/Nothilfe gem. § 32 StGB – und die wohlfeile Formulierung des § 9 Abs. 4 UZwG Bln entlassen den Gesetzgeber keinesfalls aus seiner rechtlichen Verantwortung, den sog. „Finalen Rettungsschuss“ endlich im UZwG Bln normativ zu regeln. Wie dargelegt, können Notrechte des Straf- und Zivilrechts nach h.M. nicht als Rechtsgrundlage für staatliches Handeln dienen. Sie stehen dem Polizeivollzugsbeamten ganz ausnahmsweise lediglich als persönliche Rechtfertigungsgründe zur Seite.46 Insoweit gilt im konkreten Einzelfall einmal mehr der Grundsatz der freiem richterlichen Beweiswürdigung und der tatrichterlichen Überzeugung. Ordnet der Einsatzleiter – Polizeiführer – den Schusswaffengebrauch an – gibt er diesen also frei –, bleibt zu hoffen, dass dieser dann später auch voll und ganz hinter der Entscheidung des Schützen steht, wenn dieser womöglich den sog. Sagittalschussabgefeuert hat. Unabhängig von dem das allgemeine Polizei- und Ordnungsrecht beherrschenden Grundsatz, dass nicht nur aus der staatlichen Schutzpflicht für das bedrohte menschliche Leben eine „Ermessensreduzierung auf Null“ für die hoheitliche Abwehr von schweren Gesundheits- und Lebensgefahren folgt,47 sondern dass auch die ethische Pflicht eines jeden Polizeivollzugsbeamten existiert, zum Schutz des bedrohten Lebens aktiv zu werden, mithin die erforderlichen Maßnahmen zum Schutz der bedrohten Person zu treffen, ändert dies nichts an der Tatsache, dass Notrechtsvorbehalte – in Sonderheit das Notwehr- und Nothilferecht gem. § 32 StGB – rechtlich nicht ohne weiteres in Ansatz gebracht werden können, um Regelungslücken des öffentlichen Rechts verfassungskräftig, vor allem normenklar und dem verfassungsgemäßen Bestimmtheitsgebot folgend, wirksam bzw. nachhaltig zu schließen. „Die im öffentlichen Recht herrschende und im Strafrecht vordringende Auffassung geht davon aus, dass die Polizei aus den Notrechtsvorbehalten keine Nothilferechte ableiten kann (sic).“48


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Anmerkungen

 

  1. Der Verfasser war bis 2014 als DPPr Direktionsleiter u. zugleich Polizeiführer „Schwerstkriminalität“. Er lehrte an mehreren Hochschulen der Länder polizeiliches Eingriffsrecht. Zurzeit ist er Mitredakteur von DIE POLIZEI, Gutachter, Fachautor u. Lehrbeauftragter.
  2. Vgl. Knape/Schönrock, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht für Berlin, 11. Aufl. (2016), Einleitung zum ASOG Bln, Rn. 5; dazu Knape, Das UZwG Bln – ein taugliches Gesetz zur Bekämpfung terroristischer Gewalttaten?, Die Polizei 2016, 93 ff.; ders., Ein Vorbild in Bezug auf Effektivität und Normenklarheit – Das ASOG Bln –, Die Polizei 2008, 157 (165); ebenso kritisch in Ermangelung einer gesetzlichen Regelung Kutscha, Das Grundrecht auf Leben unter Gesetzesvorbehalt – ein verdrängtes Problem, NVwZ 2004, 801 ff.; ders., Gezielter Todesschuss ohne gesetzliche Ermächtigungsgrundlage?, Die Polizei 2008, 289 ff.; ferner Walter, Und noch eine Erwiderung oder Die endlose Geschichte vom finalen Rettungsschuss, Die Polizei 2009, 331 ff.; dazu Gintzel, Gezielter Todesschuss ohne Ermächtigungsgrundlage?, Die Polizei 2008, 333 ff.; ders., Die Polizei 2009, 114 ff., der abweichend von der h.M. zu dem (rechtlich bedenklichen) Ergebnis kommt, dass der „Finale Rettungsschuss“ bei verfassungskonformer Auslegung u. anlassbezogener Beurteilung des unbestimmten Gesetzesbegriffs „angriffsunfähig“ durch die Polizei unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit i.w.S. auch dann zulässig sei, wenn das jeweilige Gesetz diesen legaliter nicht definiert u. das Grundrecht auf Leben entsprechend Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG als nicht einschränkbar zitiert.
  3. In § 3 UZwG (Bund) v. 10.3.1961 (BGBl. I S. 165), zuletzt geändert am 19.6.2020 (BGBl. I S. 1328), wird zwar das Grundrecht auf Leben zitiert, jedoch auf eine Regelung i.S.d. § 41 Abs. 2 Satz 2 MEPolG 1977 verzichtet. Gleichwohl ist eine mögliche Tötung durch hoheitlichen Schusswaffengebrauch nicht von vornherein verfassungswidrig, weil das Grundrecht auf Leben entsprechend Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG als einschränkbar zitiert wird. Eingriffe in dieses Grundrecht sind somit zwar erlaubt, die Gesetzessystematik ist jedoch für den Rechtsanwender keinesfalls schlüssig. Wird ein Täter durch den Gebrauch der Schusswaffe im Rahmen der „Angriffs- oder Fluchtunfähigkeit“ so schwer verletzt (z.B. großer Blutverlust), dass dieser letztlich verstirbt, bleibt der hoheitliche Schusswaffengebrauch zwar rechtmäßig, anders jedoch bei unbedingtem Vorsatz oder bewusst in Kauf genommener tödlicher Wirkung durch gezielte Schussabgabe.
  4. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit verzichtet der Verfasser auf eine geschlechterspezifische Differenzierung u. wählt infolgedessen das generische Maskulinum.
  5. Razzia in einem Lokal mit berüchtigten, kriminellen Clan-Angehörigen.
  6. Vgl. BVerfGE 61, 149 (199).
  7. Einsatzleiter einer Razzia in einem Lokal mit berüchtigten, kriminellen Clan-Angehörigen, wobei es zur Anwendung unmittelbaren Zwanges gegen einzelne Personen, die Widerstand leisten, kommt u. die insoweit Betroffenen gegen den Einsatzleiter Strafanzeigen wegen gefährlicher Körperverletzung (§§ 223, 224 StGB) über ihre Rechtsanwälte erstatten, weil sie der Meinung sind, die Einsatzkräfte der Polizei seien zu hart gegen sie eingeschritten.
  8. Vgl. dazu BVerfGE 61, 149 (198); BGHZ 161, 6 ff.; BGH, NJW 2002, 3172 (3173); BGH, NVwZ 2002, 1276 (1277).
  9. Vgl. § 8 Abs. 1 UZwG Bln: „Der Gebrauch der Schusswaffe ist nur den Vollzugsbeamten gestattet, die dienstlich damit ausgerüstet sind.“
  10. Vgl. § 10 UZwG: „Der Gebrauch von Schusswaffen ist anzudrohen. Als Androhung gilt auch die Abgabe eines Warnschusses.“ Damit ist im Land Berlin jeder Schusswaffengebrauch nach öffentlichem Recht anzudrohen (Rechtspflicht [!]). Wird davon abgewichen, handelt der Schütze unter öffentlich-rechtlichen Gesichtspunkten rechtswidrig. § 10 UZwG Bln lässt insoweit keine Ausnahme von der Androhung des Schusswaffengebrauchs zu.
  11. In § 7 UZwG Bln wird das Grundrecht auf Leben nicht zitiert.
  12. Vgl. Art. 34 Satz 2 GG (Rückgriff); dazu auch Walter, in: Drews/Malmberg/Wagner/Walter, BPolG/VwVG/UZwG, Rn. 14 zu § 12 UZwG, 6. Aufl. (2019) mit Hinweis darauf, dass diese Art der Schussabgabe auch nach Bundesrecht (UZwG) umstritten ist, obwohl § 3 UZwG das Grundrecht auf Leben einschränkt, jedoch der Bundesgesetzgeber auf eine Regelung i.S.d. § 41 Abs. 2 Satz 2 MEPolG 1977 verzichtet.
  13. Vgl. Jarass/Pieroth, GG, 16. Aufl. (2020), Rn. 25 zu Art. 34 GG.
  14. Vgl. Knape/Schönrock, a.a.O., Rn. 16 zu § 9 UZwG Bln (S. 1013).
  15. Vgl. z.B. § 66 Abs. 2 BbgPolG.
  16. Vgl. § 9 UZwG Bln: Allgemeine Vorschriften für den Schusswaffengebrauch.
  17. Vgl. Walter, in: Drews/Malmberg/Wagner/Walter, a.a.O., Rn. 1 zu § 1 UZwG.
  18. Dazu schon Knape, Waffen der Berliner Polizei – Rechtslage: Taser (Distanz-Elektroimpulsgerät) als neue Polizeiwaffe und fehlende gesetzliche Regelung des Rettungsschusses, Die Polizei 2021, 342 (346).
  19. Vgl. Martens, in: Heesen/Hönle/Peilert/Martens, BPolG/VwVG/UZwG, 5. Aufl. (2012), Rn. 76 zu § 3 BPolG mit Hinweis auf Tölle, DPolBl 3/2007, 23 (24).
  20. Vgl. Knape/Schönrock, a.a.O., Rn.. 19 f. zu § 12 ASOG Bln; dazu auch Martens, a.a.O., Rn. 76 zu § 3 BPolG.
  21. Vgl. Knape/Schönrock, a.a.O., Rn. 11 zu § 12 ASOG Bln.
  22. So schon Schertz, Zur Problematik des finalen Rettungsschusses, Die Kriminalpolizei 1990, 157 (159) bzw. 245 (247).
  23. Vgl. Schertz, a.a.O.
  24. Vgl. Knape/Schönrock, a.a.O., Rn. 13 zu § 9 Abs. 4 UZwG Bln (S. 1012).
  25. Vgl. grundlegend Amelung, NJW 1977, 833 (840) u. NJW 1978, 623 ff.; a.M. Schwabe, NJW 1977, 1902 ff.; Roos, Notwehr und Nothilfe: Ermächtigung oder Rechtfertigung?, Die Polizei 2002, 348 ff., Fn. 15, alle Quellen in: Knape/Schönrock, a.a.O., Rn. 14 zu § 9 Abs. 4 UZwG Bln (S. 1012).
  26. Vgl. Amelung, NJW 1977, 833 (840).
  27. Vgl. grundlegend Amelung, Die Rechtfertigung von Polizeivollzugsbeamten, Jus 1986, 329 (332).
  28. So Amelung, JuS 1986, 329 (331); ders. Badura-FS (2003) 3 (11).
  29. Vgl. Fischer, StGB, 68. Aufl. (2021), Rn. 12 zu § 32 StGB mit umfangreichem Literaturnachweis.
  30. Vgl. Fischer, a.a.O., Rn.. 12 zu § 32 StGB mit umfangreichem Literaturnachweis.
  31. Vgl. Amelung, JuS 1986, 329 (331).
  32. Vgl. Schwabe, NJW 1977, 1902 (1904) m.w.N., Fn. 16 ff.
  33. Vgl. Fischer, a.a.O., Rn. 4 zu § 32 StGB.
  34. Vgl. Fischer, a.a.O., Rn. 11 zu § 32 StGB.
  35. Am 4.8.1971 überfielen zwei Täter („Rammelmeierfall“) die Deutsche Bank in München, fesselten zwölf Angestellte sowie Kunden u. forderten zwei Millionen DM. Die Geiseln baten die Polizei ausdrücklich darum, nicht die Bank zu stürmen, weil sie sonst von den Tätern erschossen werden würden. Nach fast achtstündigen Verhandlungen mit der Polizei verließ ein Täter namens Rammelmeier das Gebäude u. ging mit vorgehaltener Waffe auf einen Fluchtwagen zu, in dem eine 19-jährige Geisel mit dem Geld saß. Als Rammelmeier im Begriff war, in den bereitgestellten Fluchtwagen einzusteigen, gab ein Staatsanwalt Feuerbefehl. Rammelmeier wurde zwar tödlich getroffen, konnte aber im Sterben noch schießen u. tötete dabei die in Fahrzeug sitzende Geisel. Ähnlich liegt der Fall anlässlich einer Geiselnahme in NRW (beginnend in Gladbeck) vom 16. Bis 18.8.1988, als letztendlich nach einem völlig missglückten Polizeieinsatz die junge Geisel Silke Bischof bei einem Befreiungsversuch der Polizei auf der Autobahn im Fluchtfahrzeug der Täter von einem der beiden Geiselnehmer (Rösner) erschossen wurde.
  36. Sog. Notzugriff der Polizei i.S.d. PDV 100, Anlage 20.
  37. Vgl. Fischer, a.a.O., mit Hinweis auf BGHSt 5, 248.
  38. Vgl. Riegel, ZRP 1978, 75 f.
  39. Vgl. Amelung, JuS 1986, 330 (332) mit Hinweis auf BGHSt 5, 245 (247 u. 248).
  40. Vgl. Riegel, a.a.O.
  41. Vgl. Fischer, a.a.O.
  42. Vgl. Schertz, a.a.O., 159 f. u. 247 f.
  43. Zur Problematik ausführlich schon Neuwirth, Polizeilicher Schusswaffengebrauch gegen Personen, 2. Aufl. (2006), S. 77.
  44. Vgl. Neuwirth, a.a.O., mit umfangreichem Literaturnachweis.
  45. Unter Sagittalschüssen versteht man Schüsse parallel zur Mittelachse des Körpers u. zur Pfeilnaht des Schädels, mit anderen Worten Längsdurchschüsse des Schädels, so Neuwirth, a.a.O., Rn. 177.
  46. Vgl. Neuwirth, a.a.O., S. 84.
  47. Vgl. Martens, a.a.O., Rn. 76 zu § 3 BPolG; dazu auch Knape/Schönrock, a.a.O., Rn. 19 zu § 12 ASOG Bln.
  48. Vgl. Amelung, JuS 1986, 329 (332) mit umfangreichen Literaturhinweisen in Fn. 41.