Strafrechtliche Rechtsprechungsübersicht

Wir bieten Ihnen einen Überblick über strafrechtliche Entscheidungen, welche überwiegend – jedoch nicht ausschließlich – für die kriminalpolizeiliche Arbeit von Bedeutung sind. Im Anschluss an eine Kurzdarstellung ist das Aktenzeichen zitiert, so dass eine Recherche möglich ist


Von EPHK & Ass. jur. Dirk Weingarten, Wiesbaden

 

I Materielles Strafrecht

 

§ 201a Abs. 1 Nr. 4 StGB – Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs und von Persönlichkeitsrechten durch Bildaufnahmen; hier: Selbstaufnahmen von Kindern. Der Angeklagte verschaffte sich unter anderem Aktbilder von Kindern, die diese selbst hergestellt und ihm überlassen hatten. Diese Selbstaufnahmen wurden dann weitergegeben. Der BGH stellte erstmalig fest, dass § 201a Abs. 1 Nr. 4 StGB auch vor unbefugter Weitergabe von Selbstaufnahmen schützt. (BGH, Beschl. v. 29.7.2020 – 4 StR 49/20)


§ 202a StGB – Ausspähen von Daten; hier: Systemadministrator. Der Angeklagte B lernte 2006 den Angeklagten H kennen, als er dessen sexuelle Dienstleistungen als „Callboy“ in Anspruch nahm. In der Folge kam es zu mehreren solcher Treffen. Im Juli 2007 war B Leiter der Stabsstelle eines Apothekerlobbyverbandes geworden und betrieb daneben das Online-Informationsportal. Auf diesem Portal wurden regelmäßig Hintergrundinformationen aus dem Bundesministerium für Gesundheit veröffentlicht, die in der Pharma- und Apothekerbranche auf große Aufmerksamkeit stießen. Im Ministerium gab es 2006 bis 2012 – wie auch schon zuvor – „undichte Stellen“, die unbefugt verwaltungsinterne Informationen weitergaben. Der H wurde von seinem Arbeitgeber ab Juli 2008 als Systemadministrator am Berliner Standort des Ministeriums eingesetzt. Spätestens von Ende 2009 bis zum 6.11.2012 griff der H in 33 Fällen auf öffentliche und jeweils auch private Postfächer zu, die ihm zuvor der B bezeichnet hatte. Anschließend kopierte er E-Mail-Dateien, speicherte sie auf einer CD und übergab diese für 600 bzw. später 400 Ä an B oder dessen Mitarbeiterin. B war insbesondere an E-Mails der jeweiligen Minister, Staatssekretäre und von bestimmten Abteilungs- und Referatsleitern (Abteilung Gesundheitsversorgung, Krankenversicherung, Pflegeversicherung, Referate Arzneimittelversorgung sowie Grundsatzfragen, Apothekengesetz, Pharmaberufe) und der Leiterin des Leitungsstabes des Ministeriums interessiert und übermittelte H die entsprechenden Namen.


Unter Überwinden der Zugangssicherung i.S.v. § 202a StGB ist diejenige Handlung zu verstehen, die geeignet ist, die jeweilige Sicherung auszuschalten oder zu umgehen. Auch wenn eine Zugangssicherung aufgrund besonderer Kenntnisse, Fähigkeiten oder Möglichkeiten schnell und ohne besonderen Aufwand überwunden wird, ist der Tatbestand erfüllt. Für das geschützte Rechtsgut – das formelle Geheimhaltungsinteresse des Verfügungsberechtigten – ist es unerheblich, ob die Sicherung von Daten vor unberechtigtem Zugang schnell oder langsam, mit viel oder wenig Aufwand überwunden wird. Die Sicherung des Zugangs zu dem jeweiligen EDV-Arbeitsplatz des einzelnen Behördenmitarbeiters und damit auch zu seinen nicht öffentlich zugänglichen persönlichen Dienst-E-Mails durch Passwörter reicht als Zugangssicherung i.S.d. § 202a StGB auch gegenüber Zugriffen durch den Systemadministrator aus. (BGH, Beschl. v. 13.5.2020 – 5 StR 614/19)


§ 211 StGBMord; hier: Heimtücke. Die Angeklagten kamen überein, „Entführungen“ und Erpressungen zum Nachteil wohlhabender Geschäftsleute zu begehen, um so an hohe Bargeldbeträge zu gelangen. Nachdem sie T für die Rolle des „Lockvogels“ gewonnen hatten, planten sie gemeinsam die „Entführungen“, wobei man die Tatbeute untereinander aufzuteilen gedachte. Dazu mietete man eine Lagerhalle an, die in der Folge mit einer Schallisolierung versehen und abgedunkelt wurde. Die T sollte jeweilige Tatopfer unter einem Vorwand in die Halle locken und in Sicherheit wiegen. Die Angeklagten wollten dieses dann überwältigen und anschließend in der Halle gefangen halten. Nach der Überwältigung sollte den Opfern das mitgeführte Bargeld abgenommen und sie unter Todesdrohungen dazu gebracht werden, weiteres Bargeld zu beschaffen. Die Angeklagten hatten dabei von Anfang an die Absicht, die Opfer nach erfolgreichem Abschluss der Erpressung zu töten, um die Aufdeckung ihrer Täterschaft zu verhindern und die erlangte Tatbeute behalten zu können.


Wer sein argloses Opfer in Tötungsabsicht in eine Falle lockt und es dadurch in eine andauernde wehrlose Lage bringt, tötet auch dann heimtückisch, wenn er die durch die Arglosigkeit herbeigeführte Wehrlosigkeit tatplangemäß vor der Umsetzung seines Tötungsvorhabens zu einem Raub oder einer räuberischen Erpressung ausnutzt. (BGH, Beschl. v. 26.3.2020 - 4 StR 134/19)


§§ 22, 23, 242 StGB – Versuchter Diebstahl; hier: Cash Trapping. Hierbei bringt der Täter an dem Geldausgabeschacht eines Geldautomaten ein mit Klebestreifen versehenes Metallprofil an. Wird der Geldautomat sodann von einem Kunden genutzt, wird das Geld nicht ausgegeben, sondern bleibt an den Klebestreifen haften. Geht der Kunde sodann von dem Geldautomaten weg, etwa in dem Glauben, der Geldautomat funktioniere nicht, und schaltet sich der Geldautomat auch nicht wegen einer Fehlermeldung selbst ab, kann der Täter, der in der Nähe gewartet hat, wieder zu dem Geldautomaten gehen, das Metallprofil abnehmen und das haften gebliebene Geld an sich nehmen.


Beim „Cash Trapping“ stellt das Anbringen der Metallleiste mit Klebestreifen an den Geldautomaten regelmäßig noch kein unmittelbares Ansetzen zur Verwirklichung des Tatbestands i.S.d. § 22 StGB dar, und zwar auch dann nicht, wenn Kunden den entsprechend präparierten Geldautomaten bedienen. Für die Versuchsstrafbarkeit beim „Cash Trapping“ bleibt nur Raum zwischen dem Entschluss des Täters, zum Zweck der Wegnahme sein Versteck zu verlassen, nachdem sich der Kunde von dem präparierten Geldautomaten entfernt hat und dem Ergreifen und Einstecken der an der Metallleiste klebenden Scheine als Wegnahmehandlung. (OLG Köln, Beschl. v. 18.5.2020 − 2 Ws 161/20)


§§ 22, 23, 242, 244 Abs. 1 Nr. 1a, 308, 310 Abs. 2 Nr. 2 StGB – Versuchter besonders schwerer Fall des Diebstahls; hier: Aufsprengen von Geldautomaten, unmittelbares Ansetzen. Die Angeklagten versuchten in einer Nacht unerfolgreich vier verschiedene Geldautomaten vier verschiedener Banken aufzuhebeln.



Es liegt ein unmittelbares Ansetzen zum versuchten Diebstahl von Geld aus einem Geldautomaten vor, wenn die Täter beginnen, das Bedienteil des Automaten mit einem Stemmeisen aufzuhebeln. Der Umstand, dass es für einen Gewahrsamsbruch noch der Einleitung eines Gasgemisches in den Geldautomaten und dessen Zündung als weiterer wesentlicher Zwischenschritte bedurft hätte, steht der Annahme des unmittelbaren Ansetzens zur Verwirklichung des Diebstahlstatbestandes nicht entgegen. Denn diese dem Gewahrsamsbruch vorgelagerten und seine Verwirklichung erst ermöglichenden Teilakte des Gesamtgeschehens erscheinen nach dem Tatplan wegen ihrer notwendigen Zusammengehörigkeit und wegen des engen zeitlichen und räumlichen Zusammenhangs mit der eigentlichen Tathandlung als deren Bestandteil und bilden mit ihr eine natürliche Einheit. (BGH, Beschl. v. 10.6.2020 − 5 StR 635/19)


§§ 242, 249 StGB – Diebstahl, Raub; hier: Wegnahme des von Geldautomaten ausgegebenen Geldes. Die Angeklagten warteten zunächst ab, bis ein Kunde seine Bankkarte in den Geldautomaten eingeführt und seine PIN eingegeben hatte. Sodann versuchten sie, den Kunden abzulenken, indem sie ihn ansprachen und ihm Prospekte oder Ähnliches vorhielten, um dann das Geld nach täterseitiger Eingabe einer Summe zu entnehmen. Teilweise zerrten bzw. stießen die Täter Opfer auch von dem Geldautomaten weg, um den Geldbetrag einzugeben.


Wer unberechtigt Geldscheine an sich nimmt, die im Ausgabefach eines Geldautomaten zur Entnahme bereitliegen, nachdem der Berechtigte den Auszahlungsvorgang durch Eingabe von Bankkarte und zugehöriger PIN in Gang gesetzt hatte, bricht den an den Geldscheinen bestehenden Gewahrsam des Geldinstituts. (BGH, Beschl. v. 21.3.2019 − 3 StR 333/18)


§ 274 StGB – Urkundenunterdrückung; hier: Überkleben eines Kfz-Kennzeichens. Wer ein mit einer Stempelplakette der Zulassungsbehörde versehenes Kfz-Kennzeichenschild, welches an dem Kraftfahrzeug, für das es zugeteilt ist, angebracht ist, mit gelber Folie und schwarzen Buchstaben überklebt, um bei der anschließenden Teilnahme am Straßenverkehr im Rahmen von Tankvorgängen vorzutäuschen, das Fahrzeug sei im Ausland zugelassen und letztlich nicht als Täter von (versuchten) Tankbetrügereien überführt zu werden, begeht keine Urkundenfälschung gemäß § 267 Abs. 1 StGB, sondern eine Urkundenunterdrückung gemäß § 274 Abs. 1 Nr. 1 Var. 2 StGB. (OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 28.1.2020 − 3 Ss 350/19)

 

II Prozessuales Strafrecht

 


§§ 102, 105 StPO – Wohnungsdurchsuchung, Richtervorbehalt; hier: Zwischenzeitlich verlassenes und polizeilich bewachtes Objekt. Mehrere Polizisten suchten den A am Tattag um 18.10 Uhr auf, weil zwei Haftbefehle gegen ihn vorlagen und eine Gefährderansprache vorzunehmen war. Als der A seine Wohnungstür öffnete, schlug ihnen intensiver Cannabisgeruch entgegen. Daraufhin wurde wegen Gefahr im Verzug, nach weiteren anderen Ereignissen vor der Wohnungstür, gegen 18.40 Uhr eine „Wohnungsnachschau“ betrieben. Dabei sahen sie mehrere Behältnisse mit Cannabisblüten, trafen aber keine weitere Person an. Sie verließen deshalb die Wohnung wieder und forderten Beamte der Kriminalpolizei an. Als die Kriminalbeamten gegen 19.10 Uhr eintrafen, nahmen sie nach erfolgter Unterrichtung über die Lage Kontakt mit ihrer Dienststelle auf. Nach mehreren Rücksprachen verständigte schließlich der leitende Beamte den zuständigen Staatsanwalt des Bereitschaftsdienstes, der daraufhin um 20.26 Uhr die Durchsuchung aller den A betreffenden Räumlichkeiten und des Gartens fernmündlich anordnete. Zur Begründung seiner Entscheidung führte er in der Hauptverhandlung aus, der Anruf der Polizei habe ihn kurz vor Ende des richterlichen Bereitschaftsdienstes um 21.00 Uhr erreicht. Ihm sei bekannt, dass er vom Ermittlungsrichter nur nach Vorlage schriftlicher Unterlagen einen Durchsuchungsbeschluss bekomme.


Den Ermittlungsbehörden war bereits aufgrund der um 18.40 Uhr erfolgten „Wohnungsnachschau“ bekannt, dass sich keine Person in der von der Polizei seitdem überwachten Wohnung des festgenommenen A aufhielt und deshalb mit einer Beweismittelvernichtung oder anderen Verdunkelungshandlungen nicht (mehr) zu rechnen war. Für die Annahme von Gefahr im Verzug bestand danach kein Raum mehr. Für die wiederholte Durchsuchung der Wohnung des A durch die herbeigerufenen Beamten der Kriminalpolizei nach 20.26 Uhr bedurfte es einer neuen Anordnung. Auf die der „Wohnungsnachschau“ um 18.40 Uhr, bei der es sich in der Sache um eine Wohnungsdurchsuchung gehandelt hat, zugrundeliegende polizeiliche Anordnung, konnte das neuerliche Betreten der Wohnung nicht mehr gestützt werden. Zwar ist diese erste Anordnung um 18.40 Uhr nach § 105 Abs. 1 S. 1 StPO zu Recht ergangen, denn aufgrund des Verhaltens des A bestand zu diesem Zeitpunkt Gefahr im Verzug. Diese Anordnung war aber bereits verbraucht, denn die ausführenden Beamten haben mit dem Verlassen der Wohnung konkludent die Beendigung dieser Durchsuchungsmaßnahme erklärt.


Die in der Hauptverhandlung vernommene Ermittlungsrichterin hat erklärt, dass sie sich im Regelfall Unterlagen per Fax schicken lasse; wenn eine Übersendung nicht möglich sei, aber auch eine mündliche Anordnung treffen würde. Einen Versuch, Kontakt zu der noch im Dienst befindlichen Richterin aufzunehmen, hat der Staatsanwalt nicht unternommen. Angesichts dieser groben Missachtung des Richtervorbehalts kommt es nicht mehr darauf an, dass bei richtiger Verfahrensweise ein Durchsuchungsbeschluss mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erlangen gewesen wäre. Die Rechtswidrigkeit der auf Anordnung der Staatsanwaltschaft erfolgten Wohnungsdurchsuchung rechtfertigt wegen dieses schwerwiegenden Verstoßes vorliegend die Annahme eines Verwertungsverbots hinsichtlich der dabei sichergestellten Beweismittel. (BGH, Beschl. v. 4.6.2020 − 4 StR 15/20)

 

III Sonstiges


Der EGMR hat abermals, wie bereits 2014, die BRD wegen Verstoßes gegen das Gebot eines fairen Verfahrens verurteilt. Es ging wieder um unzulässige Tatprovokation durch V-Leute (Urt. v. 15.10.2020, Az. 40495/15, 40913/15 und 37273/15).