Prävention gegen sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen

Von Josefine Barbaric, Salach

 

1 Einleitung


Die Verfasserin hat sich im Vorfeld viele Gedanken darüber gemacht, welche Einleitung sie für diesen Fachartikel wählen soll. Welche Überschrift diesem hochsensiblen und doch wichtigen Thema, das sie Ihnen heute vorstellen möchte, gerecht wird. Und sie hat sich dafür entschieden, ihren Einstieg über die Begrifflichkeiten von Haltung und Würde zu wählen.


Die innere Haltung bezeichnet die Einstellung eines jeden Menschen bestimmten Menschengruppen, Geschehnissen, Objekten und Situationen bzw. Ereignissen gegenüber. Es geht hierbei auch um die Haltung unserer Gesellschaft im Hinblick auf den Gewaltbereich des sexuellen Missbrauchs an Kindern. „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde geboren“ heißt es in Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, und der erste Artikel des deutschen Grundgesetzes lautet: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“


Würde ist, Sie geben der Verfasserin unter Umständen Recht, ein gewichtiger und verantwortungsvoller Begriff – er beinhaltet nicht nur den eigenen Wert des Denkens und Seins, sondern Würde zeigt sich für die Verfasserin vor allem im Handeln anderen gegenüber. Um Kinder vor Gewalt, insbesondere sexueller Gewalt, schützen zu wollen, braucht es eine klare und rigorose gesellschaftliche Positionierung gegen diese Gewaltform. Zudem braucht es eine ehrliche Überzeugung, es zukünftig tatsächlich besser machen zu wollen.


Als Trainerin für Gewaltprävention, mit dem Schwerpunktthema „Sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen“ hat die Verfasserin jeden Tag mit dem Thema „Sexualisierte Gewalt an Kindern“ zu tun. Ihre weit über wissenschaftliche Langzeit-Studien und narrative Interviews hinausgehenden persönlichen Erfahrungen und Emotionen haben sie veranlasst, sich aus Überzeugung diesem Thema mit größtmöglicher Energie zu stellen. Und sie kann Ihnen versichern, es gibt viel zu tun und es braucht mehr als nur betroffene Gesichter. Es braucht vor allem Haltung!

 

2 Zahlen, Daten und Fakten


Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht für Deutschland von 1 Mio. von sexueller Gewalt betroffener Mädchen und Jungen aus.2 Die Stelle des Unabhängige Beauftragte zu den Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) hat 2016 eine sozialwissenschaftliche Studie in Auftrag gegeben, der zu entnehmen ist, dass jeder 7.-8. deutsche Erwachsene mindestens einmal in seinem Leben hiervon betroffen ist bzw. war. Laut einem Berechnungsmodel des UMSKM nimmt man an, dass in jeder Schulklasse in Deutschland ein bis zwei von sexueller Gewalt betroffene Kinder sitzen und der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) 2020 ist zu entnehmen, dass im Durchschnitt zw. 46 Fälle des sog. sexuellen Missbrauchs an Kindern in Deutschland täglich angezeigt werden.3 Ein erneuter Zuwachs von 6,8% wurde für den Deliktsbereich des sog. sexuellen Missbrauchs an Kindern ausgewertet. Dabei handelt es sich nur um das Hellfeld. Sozusagen lediglich die Anzahl der bei der Polizei erfassten Straftaten. Es ist davon auszugehen, dass die Dunkelziffer deutlich höher liegt. Die Fachwelt geht von einem Verhältnis 1:15 bis 1:20 aus. Konkret bedeutet dies, dass nur etwa jeder 15. bis 20. Fall in Deutschland zur Anzeige gebracht wird. Die Verfasserin verweist darauf, dass nicht nur die Auswertung der Polizeilichen Kriminalstatistik für das Jahr 2020 erneut steigende Zahlen aufzeigt, sondern das Dunkelfeld deutlich höher einzuschätzen ist, da viele Kinder und Jugendliche, durch zwei harte Lockdowns in der Coronakrise mit Kita- und Schulschließungen über einen langen Zeitraum, ihren Gefährdern (w/m) hilflos ausgeliefert waren. Es sind eben nicht immer und ausschließlich nur erwachsene Täterpersonen, sondern Gefährder (w/m) können ebenso die eigenen Geschwister sein.


Hierzu möchte die Verfasserin dringlich darauf verweisen, dass rund 29% der bei der Polizei registrierten Fälle des sog. „sexuellen Missbrauchs an Kindern“ im Jahr 2020 von minderjährigen Menschen selbst begangen wurden. Ja, Sie lesen richtig. 9,7% Anteil „tatverdächtiger Kinder“ (0-14 Jahren) und 19,7% Anteil „tatverdächtiger Jugendlicher“ (14-18 Jahren).4 Sexuelle Gewalt wird demnach nicht selten von Kindern und Jugendlichen selbst begangen, auch wenn die Fachwelt sich darauf geeinigt hat, in solchen Fällen nicht von sexueller Gewalt, sondern von sexueller Übergriffigkeit zu sprechen.


Welche Formulierung hierfür auch gewählt wird, sie macht das Erlebte für die hiervon Betroffenen keinesfalls besser. Tatverdächtige Kinder und Jugendliche, die selbst nie gelernt haben, sich abzugrenzen, dürften im Umkehrschluss auch nicht gelernt haben die körperliche Abgrenzung anderer Menschen zu akzeptieren. So stellt sich häufig die Frage nach dem Warum. Warum werden Kinder und Jugendliche selbst zu „Täterpersonen“ (w/m)? Und das ist in der Tat eine Frage, die weder einfach noch pauschal beantwortet werden kann. In der Fachwelt spricht man von Viktimisierung (Prozess des Opfer-Werdens) und der Reviktimisierung (Spirale, einmal Opfer – immer Opfer).


Bei der Viktimisierung werden drei Stufen unterschieden, die aber nicht zwangsläufig aufeinanderfolgen müssen. Primäre Viktimisierung umfasst die eigentliche Opferwerdung, also die Schädigung einer oder mehrerer Personen durch einen oder mehrere Täter und Täterinnen. Ausgelöst und beeinflusst wird diese Phase durch verschiedene Situationsmerkmale, Opfereigenschaften, Opferverhalten, die Art der Komponenten und Tätereigenschaften.


Unter Umständen zeigt dieser kurze Auszug bereits, wie komplex das Thema ist, weshalb die Verfasserin als Trainerin für Gewaltprävention mit Schwerpunkt „Sexualisierte Gewalt an Kindern“ immer darauf achtet, mit sehr viel Bedacht darauf hinzuweisen, dass es nicht nur „den einen Grund“ für Gewalt im Allgemeinen, insbesondere gegen Kinder gibt. Gewalt hat viele Gesichter und entsteht nicht selten, wenn soziale Unterstützung fehlt, sozusagen ein Mangel vorliegt. In jedem Fall haben gewaltregulierende Kräfte versagt, die im individuellen Bereich die grenzsetzenden und Gewissen erzeugenden Autoritäten der Familie, der Schule oder des Staates sind. Letzterer hat in unserer Gesellschaft das Gewaltmonopol inne, um Ausbrüche von Gewalt zu verhindern.5

 


 

3 Erschreckende Entwicklungen durch das Internet


Sexueller Missbrauch an Kindern ist für die Verfasserin demnach keine Pandemie, wie der Unabhängige Beauftragte Herr Röhrig im Frühjahr 2020 in einem Interview sagte, sondern eher ein chronisches Geschwür, dass sich vor allem in dem Deliktsbereich der „Kinderpornografie“ immer rasanter ausbreitet. Der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) für 2020 ist zu entnehmen, dass die Zahl der gemeldeten Fälle des Besitzes, der Herstellung und der Verbreitung von Kinderpornografie im Verhältnis zum Vorjahr um 53% gestiegen ist. Wie sicher also können Kinder und Jugendliche in Deutschland leben, wenn sexualisierte Gewalt ein Grundrisiko für Kinder und Jugendliche in Deutschland darstellt und sie darüber nicht aufgeklärt werden, obwohl sie ein Recht auf Aufklärung und Schutz haben? Baden-Württemberg hat sich, wie ein Großteil der Bundesländer auch, 2018 der Initiative des Unabhängigen Beauftragten Herr Rörig „Schule gegen sexuelle Gewalt“ angeschlossen. Es gibt klare Handlungsanforderungen, die mit dieser Initiative des UBSKM einhergehen, bspw. das Erstellen von entsprechenden Schutzkonzepten. Tatsache ist, drei Jahre später gibt es noch immer keine flächendeckenden vollumfänglichen Schutzkonzepte in den meisten Schulen Deutschlands. Wenn dies wie bewiesen nur in Ausnahmefällen auf freiwilliger Basis funktioniert, bedarf es eben einer entsprechenden Verankerung im jeweiligen Landesschulgesetz. Darüber hinaus nützen Ordner mit Schutzkonzepten, die in Schränken stehen, niemanden. Es bedarf in der jeweiligen Einrichtung eingesetzter Kinderschutzbeauftragter, die periodisch über den jeweiligen Sachstand und getroffene Maßnahmen zu berichten haben. Alles darunter ist insofern fahrlässig, da man davon ausgehen muss, dass in jeder Schulklasse in Deutschland mindestens 1-2 betroffene Kinder sitzen.6 Wo ist nun die klare Positionierung aller verantwortlichen Akteure in Deutschland, gegen diese perfide Gewaltform an Kindern und Jugendlichen? Wo sind flächendeckende und nachhaltige Präventions- und Interventionsmaßnahmen? Die Antwort ist überschaubar: In der Praxis so gut wie nicht vorhanden! Hat die Coronakrise doch erst deutlich gemacht, wie schlecht es um das Thema Digitalisierung bundesweit in den Schulen bestellt ist. Ungenügend ist die zu vergebende Note. Das Kinder und Jugendliche auch im digitalen Raum massive Gewalt, insbesondere auch sexuellen Missbrauch erleben, scheint in vielen Köpfen offensichtlich noch nicht angekommen zu sein. Bei Kindern setzten wir grundsätzlich voraus, dass die sorgeberechtigten Eltern sich verantwortungsvoll um sie kümmern.

 

Obwohl hinlänglich bekannt ist, dass ein Großteil der Täterpersonen (w/m) im realen Leben (analogen Raum) selbst aus dem engsten Familienumfeld kommt (ca. 25%) sowie aus dem sozialen Nahraum, beziehungsweise im weiteren Familien- und Bekanntenkreis (ca. 50%), zum Beispiel durch Nachbarn oder Personen aus Einrichtungen oder Vereinen, die die Kinder und Jugendlichen gut kennen.7 Sexuelle Gewalt durch Fremdtäter*innen ist daher im realen Leben eher die Ausnahme. Anders im digitalen Raum. Hier werden Kinder und Jugendliche gezielt von fremden erwachsenen Personen mit der Absicht zur sexuellen und pornografischen Ausbeutung angeschrieben. Der sexuelle Missbrauch findet im Kinder- oder Jugendzimmer statt, ohne dass Täter und Opfer sich je persönlich begegnet sind und die Eltern sitzen unter Umständen zum Zeitpunkt der Tat nebenan im Wohnzimmer und bekommen von der Gewalttat an ihrem Kind nicht im Ansatz etwas mit. Wäre es dann nicht sinnvoll, dort Präventionsmaßnahmen zu installieren, wo sie diejenigen, die unter Umständen davon betroffen sein könnten, am besten erreichen kann? Beispielweise über verpflichtende Unterrichtseinheiten zum Thema Medienkompetenz. Kinder haben ein Recht auf Aufklärung, auch auf Schutz vor sexueller Ausbeutung.8 Doch bedauerlicherweise werden nachhaltige Präventions- und Interventionsmaßnahmen kaum flächendeckend umgesetzt, weil es sich hierbei lediglich um so genannte freiwillige kommunale Leistungen handelt, und wenn gespart werden muss oder kann, dann am ehesten an den freiwilligen staatlichen Leistungen und insbesondere bei denen, die keine oder nur eine sehr leise Lobby haben. Geld vor Kinderschutz?

 

4 Warum Prävention und Intervention helfen können


Zuerst einmal möchte die Verfasserin gerne auf den eigentlichen Begriff „Prävention“ eingehen. Das Wort Prävention stammt von dem lat. Wort präveniere ab und bedeutet „zuvorkommen“.


So geht es in der Präventionsarbeit gegen sexualisierte Gewalt an Kindern zunächst mal um zielgerichtete Maßnahmen und Aktivitäten, die dem Grunde nach, die Entstehung von sexualisierter Gewalt im besten Fall verhindern sollen. Zudem soll Prävention gegen sexualisierte Gewalt ungünstigen Strömungen und Entwicklungen, die genau eben diese Form von Gewalt begünstigen, entgegenwirken. Durch zielgerichtete Informationen soll Wissen vermittelt werden und dieses Wissen soll ein breit gefächertes Verständnis für das angesprochene Thema schaffen, so wie auch für alle im Nachgang gelagerten Interventionsmaßnahmen. So können hieraus wirkungsvolle Maßnahmen abgeleitet und umgesetzt werden. Und ja, für die Verfasserin gehören die Bereiche Prävention und Intervention untrennbar miteinander verbunden.


Obgleich die Verfasserin in der Fachwelt um die unterschiedlichen und teils sehr kritischen Meinungen weiß. Fachleute der Prävention meinen, Prävention sei das Allheilmittel. Im Gegenzug unterstellen die Fachleute aus dem Bereich der Intervention häufig, es würde viel zu viel über die Prävention gesprochen, anstatt über die Intervention. So ist ein jeder der Meinung, seins – Prävention oder Intervention – sei die jeweils einzig richtige und wichtige Antwort auf Kriminalitätsphänomene. Die Verfasserin findet diese Kontroverse kontraproduktiv, denn beide „Seiten“ brauchen einander, wenn wir den Schutz für Kinder vor, während und nach der Straftat verbessern wollen. Die Maßnahmen der Prävention, vor allem die primäre Prävention, die notwendig sind und ergriffen werden müssen, um auf mögliche Abweichungen der Norm zu reagieren bzw. die Risiken für solche Abweichungen zu verhindern.9


Genauso braucht es im Umkehrschluss die unabhängigen Konfliktlöser der Intervention, die sich professionell mit allen beteiligten Parteien auseinandersetzen und beschäftigen, wenn es denn zum Äußersten gekommen ist.


Eine Welt ohne (sexualisierte) Gewalt an Kindern, ist durchaus eine lobenswerte Vorstellung, und doch leider meilenweit entfernt von der Realität. Gewalt, jeglicher Form, wird es solange geben, wie es Menschen geben wird. Und dafür gibt es mehr als nur einen Grund. All die Gründe hier aufzuzählen würde allerdings den Rahmen sprengen. Vor allen Dingen im Zuge der Digitalisierung, wurde es für Täterpersonen (w/m) allerdings immer einfacher, Kontakt zu fremden Kindern anzubahnen, bzw. Kinder im allgemeinen als Ware im Netz zu „vermarkten“. Daher ist es von unsagbar großer Bedeutung, dass Bund, Länder und Kommunen endlich in die Handlungsumsetzung sinnhafter und nachhaltiger Präventions- und Interventionsmaßnahmen insbesondere auch im Internet kommen, das mittlerweile zu einem fast rechtsfreien Raum verkommen ist. Es braucht dringend Präventionsmaßnahmen und Fortbildungen für pädagogische Fachkräfte, Lehrer*innen, Schulsozialarbeiter*innen, Mitarbeiter*innen der ASD, Mitarbeiter*innen der Kinder- und Jugendhilfe, der Polizei, der Pflegekinderdienste etc., im Hinblick auf sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen im realen Leben sowie im virtuellen Raum. Zudem braucht es niederschwellige Angebote für Eltern und Bezugspersonen, damit mögliche Zusammenhänge und Gefahren im Vorfeld verstanden und bewusst umgangen, Hinweise und Signale schneller wahrgenommen werden können.10


Prävention kann helfen. Am Beispiel des Deliktbereichs „Wohnungseinbrüche“ hat sich gezeigt, welch positive Wirkung Prävention haben kann. Wie passt das zusammen? Ganz einfach, all die vielen bundesweiten Präventionsmaßnahmen der Polizei im Hinblick auf Wohnungseinbrüche die Fallzahlen in diesem Deliktsbereich aktuell um 100.000 Fälle zum Vorjahr abgesenkt haben. Am Beispiel der Wohnungseinbrüche ist zu erkennen, dass gelungene und nachhaltige Präventionsmaßnahmen zu einer grundsätzlichen Verbesserung eines bestimmten Deliktbereiches führen können. Hierfür allerdings braucht es neben den bereits genannten Voraussetzungen auch die Bereitschaft zur Finanzierung der Maßnahmen.


 

 

5 Warum funktioniert das nicht für den Deliktsbereich sexueller Missbrauch an Kindern?


Bedeutung und Handhabung von Präventionsmaßnahmen im Bereich des sexuellen Missbrauchs an Kindern sind von Kommune zu Kommune und von Fachamt zu Fachamt unterschiedlich. Es gibt eine natürlich nicht so benannte Rangordnung, welche Bedeutung ein Amt diesem Thema beimisst oder eben nicht, was sich aus unterschiedlichen Rechtskreisen, Verbindlichkeiten, Haushaltsbudgets, Personalausstattung und mehr begründet, durch die das jeweilige Verhältnis der Ämter zur Prävention sehr unterschiedlich sein kann. Unter allen präventionsrelevanten Ämtern ist das Jugendamt das Zentralgestirn, das wesentliche finanzielle Ressourcen bündelt und über die ausgeprägtesten Steuerungskompetenzen verfügt.


Bedauerlicherweise gibt es hier jedoch einige nicht unwesentliche Herausforderungen: Zum einen hat das Jugendamt als Institution aus Sicht der Familien immer noch ein eher negatives Image. Positive Erfahrungen der Familien (mit einer Signalisierung von Zuständigkeit und Engagement durch das Amt) bspw. durch Präventionsmaßnahmen, echte Angebote und zuverlässige Unterstützung für Familien, um so den Schutz für Kinder zu stärken, könnten dieses Image allerdings nachhaltig verbessern, was auch die Neigung zur Nutzung von Angeboten stärken würde. Des Weiteren versperren sich viele Ämter häufig Neuem gegenüber und „verbarrikadieren“ sich hinter dem, was sie gefühlt schon 100 Jahre gemacht haben und umsetzen. Es fehlt nicht selten an einer offenen Verbesserungs- bzw. Fehlerkultur der Ämter und es besteht eine mögliche Berufsblindheit. Dies ist sicherlich mit Grund und Anlass für das oben angesprochene negative Image. Zudem fehlt es nicht nur nach den Erfahrungen der Verfasserin an einer grundsätzlichen Bereitschaft, externe Behörden und Fachleute in die Hilfe und Unterstützung einzubeziehen. Dieses Defizit gilt insbesondere für die Kooperation mit den sozialpsychiatrischen Diensten der Gesundheitsämter.


Und abschließend steht immer die Frage der Finanzierung im Raum. Die Notwendigkeit der Länder und Kommunen solche wichtigen Maßnahmen finanzieren zu wollen, war schon vor COVID-19 schwierig, um nicht zu schreiben aussichtslos und wird sich langfristig bedauerlicherweise auch nicht verbessern. Hier wird zu überlegen sein, ob flächendeckende Landespräventionsgesetze gegen (sexualisierte) Gewalt an Kindern und Jugendlichen sinnvoll sein können.


Dabei muss es nicht obligatorisch um eine Forderung nach einer immer größeren finanziellen Ausstattung der Ämter gehen. Manchmal reicht es auch schon aus, getroffene Maßnahmen nicht von denjenigen, die von ihnen leben, auf ihre Effizienz bewerten zu lassen um bei Hilfemaßnahmen ggf. um- oder nachzusteuern.


Hierbei geht es der Verfasserin um alles andere als eine Dominanz der Betriebswirte und Haushälter gegenüber den Fachkräften, denn soziale Arbeit lässt sich ebenso schwer in Geldwert messen wie Sicherheit und Gesundheit,11 es geht ihr einfach um herauszufindende Best Practice-Modelle zum Wohle unserer Kinder.


Dabei nützt es dann niemandem, wenn sogar auch einmal vorhandene Mittel zur Vermeidung von Belegen ihrer Wirksamkeit oder auch ihrer Nicht-Wirksamkeit scheinbar „beleidigt“ noch nicht einmal abgefordert werden.


Dem Grunde nach sollte klar sein, wenn wir von Präventionsmaßnahmen gegen sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen sprechen, so sind damit Maßnahmen zur Verhinderung von Unerwünschtem gemeint. Sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen ist eine maximal normabweichende und destruktive Gewaltform, deren massive Auswirkungen der Entwicklung unsere Gesellschaft nachhaltig schadet. Es sollte im Interesse aller verantwortlichen Akteure sein (Bund, Land und Kommune), Kompetenzen und Befugnisse zu bündeln und zu kanalisieren, so dass Kinder und Jugendliche das Recht auf frühestmögliche Aufklärung und bestmöglichen Schutz erhalten und der Ist-Zustand im Hinblick auf den Straftatbestand des noch sog. sexuellen Missbrauchs an Kindern in Deutschland umgehend nachhaltig, verantwortungsvoll und sinnhaft korrigiert wird. Sonst ist der Kinderschutz in Deutschland nicht das Papier wert, auf dem er steht.


Bildrechte: Autorin.

 

 

Anmerkungen

 

  1. Josefine Barbaric ist Referentin „Sexueller Missbrauch an Kindern“, Trainerin für Gewaltprävention, Buchautorin und Vorstand „Nein, lass das! e.V.“.
  2. Weltgesundheitsorganisation (WHO), Gewalt gegen Kinder: Bekämpfung versteckten Kindesmissbrauchs, 13.1.2020.
  3. Unabhängiger Beauftragter für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs zur Häufigkeit von sexuellem Missbrauch.
  4. Bundespressekonferenz „Gewalt gegen Kinder in Deutschland“ – Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS).
  5. Manfred Cierpka & Barbara Diepold, Der Gewaltzirkel: Wie das Opfer zum Täter wird, 1997
  6. Unabhängiger Beauftragter für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs „Monitoring“.
  7. Unabhängiger Beauftragter für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs.
  8. UN-Kinderrechtskonvention.
  9. Sandrieser & Schneider 2002, 113.
  10. Die Körperpolizei ® - Elternakademie, Josefine Barbaric.
  11. Vgl. Becker in Jugendhilfe Heft 3/2020, „Soziale Arbeit und Führung – Ein Widerspruch“, S. 288, 289.