Assistierter Suizid – Ein Problem für die Polizeiarbeit?

Von KHK a.D. Rolf Strehler, Aschersleben

 

Es gehört zu den Aufgaben von Polizeibeamten, bei einem Verdacht des Suizids den Leichenfundort aufzusuchen. Zunehmend in den öffentlichen Fokus ist die Frage gerückt, ob es künftig für Suizidwillige die Möglichkeit geben wird, sich auf ihre Bitte hin bei der Ausführung ihres geplanten Vorhabens assistieren zu lassen. Egal wie die Diskussion ausgeht, es bleibt ein „nicht-natürlicher“ Todesfall. Deshalb soll das Thema in diesem Beitrag aus kriminalistischer Sicht beleuchtet werden, ohne allerdings den Anspruch auf Allgemeingültigkeit zu erheben.

 

 

1 Einleitung


Nachfolgender Sachverhalt, der den Verfasser vor etwa 15 Jahren nachdenklich gestimmt hatte, soll der Einstimmung dienen:


Ein Ehepaar hatte gemeinsam 59 glückliche Jahre verbracht. Die Ehe war kinderlos geblieben, es gab keine nahen Verwandten. Plötzlich erkrankte die Frau sehr schwer. Nach einer gemeinsamen Zeit des Kampfes gegen das Unvermeidliche wurde klar, dass sie in einer Pflegeinrichtung untergebracht werden musste. Die beiden Senioren hatten sich gegenseitig geschworen, den anderen aus hilfloser, aussichtsloser Lage, zu erlösen, wenn es keinen anderen Weg geben sollte. Das gegenseitige Versprechen, den Partner nicht unerträglich leiden zu lassen, umfasste auch die Suizidhilfe. Damals waren solche Begriffe wie Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht, Palliativmedizin noch nicht so im öffentlichen Bewusstsein, wie man das heute kennt. Der Mann besuchte in der Folge täglich seine schwerkranke Frau. Sie lag nur noch auf dem Rücken und blickte ihn an. Allein konnte sie sich nicht mehr bewegen. Die Kommunikation wurde täglich schwieriger. Eines Tages, nachdem die Frau ihn wiederholt gebeten hatte, ihr beim Suizid zu helfen, hielt er es nicht mehr aus und fasste einen folgenschweren Entschluss. Er legte seiner Frau ein großes Kissen auf das Gesicht und verließ unbemerkt den Raum. Zufällig, unmittelbar danach, betrat eine Pflegekraft das Zimmer. Klar erkennend, dass die Patientin nicht fähig gewesen war, sich das Kissen selbst aufzulegen, beendete sie den Erstickungsvorgang im allerletzten Moment. Zeugen hatten den Mann beim Verlassen der Einrichtung gesehen. Der Vorfall wurde umgehend bei der Polizei zur Anzeige gebracht. In seiner Vernehmung ließ der Beschuldigte sich geständig zur Sache ein. Juristisch und statistisch war die Sache klar, wir hatten den Versuch eines Tötungsdelikts geklärt.


Es stellt sich die Frage, warum manche Menschen im Suizid die einzige Lösung ihrer Probleme sehen. Muss es verboten sein, ihnen dabei zu helfen? Hatte es im Beispielsfall wirklich keinen anderen Weg für den Mann gegeben? Welche Alternativen würden ihm und seiner Ehefrau heute zur Verfügung stehen?


Dieser Beitrag will die vielfältigen Hilfsalternativen und -angebote, welche suizidwilligen Personen zur Verfügung stehen, sowie die bedeutenden Fortschritte in der Palliativmedizin nicht aufzählen, abwägen oder auch ignorieren. Inspiriert durch das TV-Kammerspiel „Gott“, soll die hypothetische Frage im Mittelpunkt stehen, welche Auswirkungen ein legal assistierter Suizid auf die Arbeit der Polizei haben könnte. Ein Paradigmenwechsel in Deutschland bahnt sich vorsichtig seinen abwägenden Weg durch die zahlreichen gesellschaftlichen, staatlichen und religiösen Instanzen. Die Anzahl der Wortmeldungen zu diesem Thema in den Medien nimmt zu. Unter den Protagonisten, die sich öffentlich äußern, findet man zunehmend prominente Namen. Am Ende der Debatten sollten transparente, rechtsstaatlich genormte Regularien entstehen. Diese müssten klare Voraussetzungen definieren, wie das eigene Leben selbstbestimmt und in Würde durch passiv oder aktiv assistierten Suizid beendet werden kann. Die nachfolgenden und weitere Fragen sind in diesem Kontext zu erörtern und zu beantworten. Soll die Hilfe durch Dritte legalisiert werden, wenn ein Mensch aus freiem Entschluss sein Leben beenden will? Unter welchen Umständen kann er mit der gewünschten Unterstützung rechnen? Wer wäre in solch einem Fall autorisiert dem Wunsch zu entsprechen, ohne sich selbst strafrechtlicher Verfolgung auszusetzen? Wie soll das Prozedere ablaufen? Können bestimmte Personen bzw. Berufsgruppen verpflichtet werden, bei einem Suizid zu helfen?

 

2 Beurteilung durch das BVerfG2


Vereinfacht dargestellt hat jeder Bürger das Recht auf selbstbestimmtes Sterben und die Freiheit, sich das Leben zu nehmen. Dies ist von Staat und Gesellschaft zu respektieren. Dazu gehört auch die Freiheit, sich zum Suizid bei Dritten Hilfe zu suchen und angebotene Hilfe in Anspruch zu nehmen. Ein Widerspruch dazu wurde in der Fassung des § 217 Abs. 1 StGB (Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung) aus dem Jahre 2015 gesehen. Die Regelung ließ dem Einzelnen, so die Auffassung des BVerfG, faktisch keinen Raum zur Wahrnehmung seiner verfassungsrechtlich geschützten Freiheit.3 Gemeint war damit das Recht des Einzelnen auf selbstbestimmtes Sterben. Die Vorschrift wurde deshalb als mit dem Grundgesetz unvereinbar und nichtig erklärt. Das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung muss strikt verhältnismäßig sein. Bei assistierter Selbsttötung kollidiert das individuelle Recht sich selbst zu töten und hierfür Unterstützung zu suchen u.a. mit der Pflicht des Staates, die persönliche Autonomie und das hohe Rechtsgut Leben zu schützen. Strafrechtliche Mittel zum Schutz dieser hohen Rechtsgüter sieht das BVerfG als gerechtfertigt an, verlangt aber, dass „trotz Verbots im Einzelfall ein Zugang zu freiwillig bereitgestellter Suizidhilfe real eröffnet bleibt.“ Abschließend stellt das Gericht zweifelsfrei fest, dass niemand zur Suizidhilfe verpflichtet werden kann.


In Deutschland ist der Prozess der intensiv geführten Auseinandersetzungen um legalisierte, aktive Sterbehilfe noch nicht abgeschlossen und gewinnt an Dynamik, was davon zeugt, dass man sich der Tragweite einer finalen Entscheidung wohl bewusst ist. Ferdinand von Schirach hatte sich mit dem TV-Kammerspiel „GOTT“4 an dieses Tabuthema herangewagt. Der Autor hatte einen alten aber körperlich gesunden Mann, der den Verlust seiner geliebten Ehefrau nicht verwinden konnte, in den Mittelpunkt gerückt. Im Suizid den einzigen Ausweg sehend, war dieser mit der Bitte an seinen Arzt herangetreten, ihm ein todbringendes Medikament zu überlassen. In einer fiktiv gespielten Sitzung des Ethikrates legten u.a. hochrangige Ärzte, Juristen, Politiker und Kirchenvertreter die gegenwärtig dominierenden Sichtweisen auf diese Thematik dar. Am Ende votierten 70,2% der Fernsehzuschauer dafür, der Arzt möge dem Lebensmüden das tödliche Medikament verabreichen. Dieses Ergebnis lässt vermuten, dass der Wunsch nach einem selbstbestimmten, würdevollen Lebensabschluss in breiten Bevölkerungsschichten ausgeprägt ist. Besonders bemerkenswert ist dabei, dass der alte Mann aus medizinischer Sicht noch eine positive Lebensprognose hatte. Sein Suizidwunsch hatte rein seelisch-psychische Ursachen, was für den Arzt natürlich unakzeptabel sein musste. Eine folgerichtige Frage der begleitenden Diskussionen war, ob man einem Arzt zumuten kann, ein solches Ansinnen im Widerspruch zu seinem Berufsethos zu erfüllen. Aus der Ärzteschaft war der Tenor zu erkennen, dass sie in bestimmten Fällen für das Ansinnen lebensmüder Suizidkandidaten durchaus Verständnis haben, sich jedoch als die falschen Ansprechpartner sehen. Es wird nach Alternativen gefragt. Jeder Arzt dürfte sich mit solchen Fragen konfrontiert sehen. Der Vergleich zu einem Feuerwehrmann, der absurder Weise gebeten wird ein bewohntes Haus anzuzünden, drängte sich dem Verfasser dieses Beitrags auf. Es wurde aber auch sehr deutlich, wie facettenreich und widersprüchlich sich die Pro- und Kontra-Argumente auf der Suche nach einem Kompromiss durch die Gesellschaft ziehen. Der interessierte Beobachter wird feststellen, dass prominente Persönlichkeiten zunehmend darüber nachdenken, allgemeinverbindliche, rechtsstaatlich abgesicherte Kriterien für den Umgang mit dem Wunsch suizidwilliger Personen auf selbstbestimmten Abschied zu entwickeln. „Im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte bin ich aus schwerwiegenden Gründen und nach reiflicher Überlegung zu der Entscheidung gekommen mein Leben zu beenden. Bitte helft mir dabei!“ So ähnlich könnte die Motivlage eines Menschen beschrieben werden, der um assistierten Suizid ersucht. Dabei geht es u.a. auch um professionelle Beratung, ohne einem Sterbehilfeverein beitreten zu müssen. Kurz gesagt, es geht um eine transparente Regelung der Sterbehilfe.

 

3 Konsequenzen für den 1. Angriff der Polizei


Das Standardprozedere bei Todesursachenermittlungen ist klar umrissen. Kriminalistischen Routineschritten sowie juristischen Vorgaben folgend werden die Umstände des

vorliegenden Sachverhalts ergründet. In seiner kriminalpolizeilichen Praxis hatte der Autor selbst mit verschiedenen Suizidfällen zu tun. Man kann sie nach allgemeinen Merkmalen in unterschiedliche Schubkästen einsortieren. Dennoch gleicht keiner dieser Fälle haargenau einem anderen. Dies schon allein deshalb, weil sich dahinter immer eine ganz spezifische individuelle Geschichte verbirgt. Wie und warum die verstorbene Person, die wir fortan mit dem Status „Leiche“ versehen haben, ihr Leben selbst beendet hat, ist zu klären. Wenn alle vorliegenden Informationen, einschließlich der ärztlichen Leichenschau, eine krankhafte innere Ursache – also einen natürlichen Tod – ausschließen, kommt im Grunde nur „nicht-natürlich“ als Todesart in Betracht. Es ist u.a. zu klären, ob es sich tatsächlich um eine bewusste Selbsttötung gehandelt hat. Es könnte sich aber auch um einen Unfall oder gar um eine Straftat gegen das Leben gehandelt haben.


Der Verdacht, eine sog. dritte Hand sei im Spiel gewesen, rückt die Version eines Tötungsdelikts in den Fokus. Gemäß Abschnitt I, Ziff. 4, Pkt. 33 und 36 RiStBV, muss eine Straftat von vornherein ausgeschlossen sein, ansonsten ist eine Leichenschau „mit größter Beschleunigung herbeizuführen“.Wenn aber ein Dritter auf Wunsch des Sterbewilligen völlig legal am Suizid mitgewirkt hat, weil diese Mitwirkung gesetzlich zulässig ist? Wie ist dann vorzugehen? Gemäß § 159 Abs. 1 StPO ist die Polizei grundsätzlich zuständig und verpflichtet, Ermittlungen zur Todesursache aufzunehmen, sobald es Anzeichen für einen nicht-natürlichen Tod gibt.5 Davon ist auch auszugehen, wenn noch nicht eindeutig zwischen natürlich und nicht-natürlich abgegrenzt werden kann. Es ist u.a. zu klären, ob die Identität der Person stimmt, was letztlich den Tod ausgelöst hat, ob eine dritte Hand im Spiel war und ob die vorgefundenen Umstände vernünftige Zweifel am mutmaßlichen Geschehensablauf ausschließen können. Das polizeiliche Vorgehen wird grundsätzlich vom Standardprogramm des 1. Angriffs bei Todesursachenermittlungen gesteuert. Das zu erwartende Ergebnis bei einem Suizid läuft auf „nicht-natürlicher Tod“, also eine Todesursache die von außen eingewirkt hat, hinaus.


Wer das genannte TV-Kammerspiel gesehen hat, wird die vielen juristischen Wortungetüme zur Kenntnis genommen haben, die zur Abstrahierung aller denkbaren Suizid-Szenarien erfunden worden sind. Dem Polizeibeamten, der hin und wieder zum Leichenfundort beordert wird, dürfte klar geworden sein, dass unser Berufsstand auf einen grundsätzlichen politischen Paradigmenwechsel zum Thema „Begleiteter Suizid“ nicht wirklich vorbereitet wäre. Werden wir vor dem begleiteten Suizid in Kenntnis gesetzt? Fahren wir ohne Vorinformationen zu einem völlig unbekannten Sachverhalt, was bedeuten würde, in voller Bandbreite zu ermitteln? Welche Dokumente und Beweismittel stehen zur Verfügung? Nach welchen Kriterien müssen wir den Suizid beurteilen? Wie wird sichergestellt, dass der beschriebene Vorgang des Suizids zweifelsfrei ein Tötungsdelikt ausschließt? Übernimmt die Polizei grundsätzlich nur die Absperrung des Leichenfundortes und stellt den vorgefundenen Status Quo sicher, bis Spezialisten erscheinen?


Es wäre denkbar, dass eine speziell rechtsmedizinisch ausgebildete Person6 den Fall übernimmt. Vielleicht kommt irgendwann auch der7 staatlich bestellte Leichenbeschauer zum Einsatz, den die GdP schon seit Jahren fordert, um die Quote der klassischen Fehler am Leichenfundort weitestgehend zu senken?


Im Kammerspiel „GOTT“ ging es um einen gesunden Menschen, der trotz einer optimistischen Lebensprognose den Wunsch hatte, man möge ihm dabei helfen sein Leben zu beenden. Wer soll hier die finalen Entscheidungen treffen?


Ein Ausweg wäre sicher ein Beratungsgespräch vor einer Kommission. Im Ergebnis könnten dem Sterbewilligen mehrere Optionen aufgezeigt oder aber seinem Anliegen entsprochen werden. Was passiert aber, wenn dem Antragsteller die Suizidbegleitung verweigert wird und dieser die Entscheidung nicht akzeptiert? In diesem Fall wird er wahrscheinlich sein Leben selbst und ohne Hilfe beenden, zumindest soweit es vorher nicht gelungen ist, ihn aufzufangen.

Wäre ein mutmaßlicher Suizid legal begleitet worden, müsste die Polizei zunächst von einer „ungeklärten Todesart“ ausgehen. Aus heutiger Sicht würde das zu einer „Todesursachenermittlung“ führen, um der Staatsanwaltschaft die Freigabeentscheidung zu ermöglichen.


In den Ermittlungen würden z.B. nachfolgende und weitere Fragen zu klären sein: Was war das Motiv des Verstorbenen? Hat er die Entscheidung wirklich selbst und ohne Druck von außen getroffen? Wer hat seinen letzten Weg begleitet? Wer hat ihn mit dem gewünschten Todescocktail versorgt?


Wenn all diese Dinge vor dem Akt des Suizids feststehen würden, dann sollte eine entsprechend beglaubigte Dokumentation zeitnah der Polizei übergeben werden. Es müssen eindeutig auslegbare, klar verständliche Regelungen geschaffen werden. Die Rolle der Polizei im Zusammenhang mit dem begleiteten Suizid müsste klar fixiert werden.

 

 

4 Ein kurzer Blick zu unseren Nachbarn8


In den BENELUX-Staaten und in der Schweiz ist es bereits vor Jahren gelungen, tragbare Kompromisse zu finden und diese klar gesetzlich zu regeln. Man hat damit den assistierten Suizid, wie man ihn dort bezeichnet, aus der Illegalität befreit. Inzwischen können unsere Nachbarn auf Erfahrungen und belastbares Statistikmaterial bauen.


Als erstes Land weltweit haben die Niederlande 1993 ein entsprechendes Gesetz in Kraft gesetzt. Belgien (2002) und Luxemburg (2009) zogen später nach. Alle drei Länder haben klare Kriterien, auf die hier im Detail nicht eingegangen werden soll. Insbesondere geht es – verallgemeinert dargestellt – um den überlegten, freiwilligen und ohne Druck schriftlich formulierten Sterbewunsch. Dieser muss u.U. mehrfach wiederholt werden. Zentrales Kriterium ist eine medizinisch aussichtslose, unerträgliche Situation des Patienten. Der sterbewillige Mensch aus dem Kammerspiel „Gott“ würde dieses Kriterium in den drei Ländern nicht erfüllen, sein Wunsch, ihm beim Sterben zu helfen, dürfte mit Sicherheit abgelehnt werden. Beispielsweise in den Niederlanden werden Fälle des assistierten Suizids streng überprüft.9 Dafür gibt es Sicherungen, wie die 2. Meinung eines Arztkollegen und die Meldung an eine regional zuständige Prüfungskommission aus Juristen, Ärzten und Ethikern. Insbesondere die Fragen, ob sorgfältig gehandelt wurde ist und ob strafrechtliche Verfolgung erforderlich ist, stehen dabei im Mittelpunkt. Jeder Fall wird also geprüft. Soweit sich die Befürworter in Deutschland durchsetzen, sind sicher vergleichbare Regelungen zu erwarten.


Unser Sterbewilliger müsste sich um professionelle Sterbehilfe an eine Organisation in der Schweiz wenden. Die Schweiz gilt hier als Hochburg. Erlaubt ist dort die „indirekte aktive Sterbehilfe“, wobei dem Patienten ein tödliches Medikament übergeben wird, das er persönlich und ohne fremde Hilfe einnimmt. Suizidhilfe darf nicht aus „selbstsüchtigen Beweggründen“ erfolgen, was strafrechtliche Konsequenzen nach sich zieht. Vereinfacht dargestellt, wird in der Schweiz nach einem vollzogenen „assistierten Suizid“ von einem sog. „außergewöhnlichen Todesfall“ ausgegangen. Die Polizei wird informiert und kommt an den Leichenfundort. Die Staatsanwaltschaft wird ebenfalls informiert. Hinzu kommt die Rechtsmedizin, welche Dokumente und Leichnam abgleicht sowie die Leichenschau vornimmt. Weitere vorgeschriebene Prüfungen werden vorgenommen und fließen in ein rechtsmedizinisches Protokoll ein. Bei berechtigten Zweifeln, Nichtübereinstimmung zwischen Dokumenten und der vorgefundenen Situation werden weitere Ermittlungen (z.B. Obduktion, toxikologische Untersuchungen) durchgeführt. Die Leichenfreigabe erfolgt nach Abschluss dieses Prozesses.

 


Fernglas, mit dem der herannahende Zug beobachtet wurde.

5 Worauf müsste sich die Polizei in Deutschland einstellen?


Prognostisch gesehen wird die Anzahl zukünftig relevanter Fälle wahrscheinlich überschaubar sein. Hauptkriterium dürfte sein, dass der sterbewillige Mensch aus freien Stücken eine wohlüberlegte Willenserklärung abgegeben hat. In einer tiefgründigen Auseinandersetzung mit der persönlichen Ausweglosigkeit ist er zu der finalen Entscheidung gekommen, sein Leben in Würde zu beenden und den Zeitpunkt seines Abschieds vom Leben selbstbestimmt, nach seinen Vorstellungen auszuwählen. Er sieht im Suizid den letzten Ausweg in seiner persönlichen Situation. Dazu bittet er um Beistand und Würde, weil er sich eben nicht gewaltsam, durch die aus der Kriminalistik bekannten „klassischen“ Suizidmethoden töten will. Ein „harter Suizid“ sowie die Möglichkeit Unbeteiligte und damit Unschuldige mit in den Freitod zu reißen, kommt für ihn nicht in Betracht. Wenn die rechtlichen Voraussetzungen dafür möglicherweise in Deutschland geschaffen werden sollten, wäre es wünschenswert, der Polizei und der Staatsanwaltschaft klare Richtlinien, an die Hand zu geben. Vielleicht wäre sogar eine vierte „Todesart“ auf dem Totenschein denkbar: „Begleiteter Suizid“. Das würde dem Arzt bei der Feststellung des Todes und allen weiteren Beteiligten an der „Todesursachenermittlung“ sicher die Arbeit erleichtern. Voraussetzung ist eine klare Beweislage.


Gesetzt den Fall, assistierter Suizid würde erlaubt und klar geregelt werden, wie viele Fälle wären dann zu erwarten? Man kann sicher davon ausgehen, dass es sich um genau eingegrenzte Anträge handeln dürfte. Sicher sind manche Leser mit ähnlich tragischen Fällen konfrontiert worden, wie im nachfolgenden Beispiel beschrieben:


Ein 75-jährigen Witwer war von einer bösartigen Krebserkrankung heimgesucht worden, die ihn mit zunehmender Aggressivität seiner Lebensqualität beraubt und längst seine sozialen Kontakte zerstört hatte. Er hatte mehrfach gesagt, er wolle „ins Wasser gehen“. Ihm dürfte klar gewesen sein, dass ihm nur noch ein kleines Zeitfenster dafür geblieben war. Also nutzte er einen geeigneten Moment, ging zu einem nahen Fluss und nahm sich dort wie angekündigt das Leben. Am Suizid gab es keine Zweifel. Der Anblick der aufgefundenen Leiche war für uns als Polizeibeamte nicht ganz leicht zu ertragen. Damals stellten wir uns die Frage, warum dieser bedauernswerte Mensch im Ertrinkungstod seinen einzigen Ausweg gesehen hatte. Wir hätten ihm gewünscht, würdig einzuschlafen, vielleicht durch einen assistierten Suizid.


Zahlreiche Suizide dürften auf depressive Zustände zurückzuführen sein, weshalb sie oftmals nicht vorhersehbar und somit kaum vermeidbar sind. Es ist schwer vorstellbar, dass die Protagonisten der nachfolgenden Beispiele eine vorbereitete, offiziell begleitete Selbsttötung in Erwägung gezogen hätten.

 

  • Ein 43-jähriger Mann hatte sich in seinen Geschäftsmodellen ruinös verkalkuliert. Seine Ehefrau hatte ihn verlassen und seine zahlreichen Gläubiger verlangten ihr Geld. Niemand in seinem Umfeld wusste genau über die Lebenskrise Bescheid. Er stellte seinen PKW in die Garage, schäumte alle Öffnungen aus und tötete sich mit den Abgasen des Fahrzeuges. Sicher kein denkbarer Fall für assistierten Suizid.
  • Nach einem Streit mit seiner Ehefrau begab sich ein alkoholisierter 52-jähriger Mann in seine Garage. Er nahm eine kleine Flasche mit einem hochtoxischen Mittel gegen Ungeziefer und trank einen kräftigen Schluck. Trotz schneller ärztlicher Hilfe verstarb er an den Folgen seines Handelns.
  • Ein 27-jähriger Student hatte von seinem Fachbetreuer erfahren, seine fast fertig gestellte, wissenschaftliche Arbeit würde die Mindestanforderungen nicht erfüllen. Er begab sich zu einer überregionalen Bahnstrecke, beobachtete einen herannahenden Zug und ließ sich mit tödlicher Folge überfahren. Er hatte mit niemandem darüber gesprochen (vgl. Foto).
  • Der Fall Robert Enke soll abschließend erwähnt werden. Freunde, Familie, betreuende Mediziner, niemand konnte ihn letztlich am Freitod hindern. Ein assistierter Suizid wäre vermutlich keine Option für den von schweren Depressionen Betroffenen gewesen. „Als er (Enke) am Montag, dem 9. November […] lächelnd für Teresas Kamera posierte, hatte er allen Anzeichen nach schon entschieden, sich einen Tag später selbst zu töten.10

 

6 Zum Abschluss


Aus den bisherigen Ausführungen ist zu schlussfolgern, dass assistierter Suizid als Ultima Ratio vermutlich nur für eine klar umrissene und zahlenmäßig überschaubare Klientel eine ernsthafte Option sein könnte. Voraussetzung wäre schließlich, dass alle beteiligten Personen, inklusive des Suizidwilligen, keinen gangbaren Ausweg gefunden hätten. So leicht wird sich kein Entscheidungsgremium überzeugen lassen, die Zustimmung zu gewähren. Der fiktive Protagonist aus dem TV-Kammerspiel würde sehr wahrscheinlich auch zukünftig nicht mit einer „Freigabe“ rechnen können. Als Antwort auf die aufgeworfene Frage kann man wohl aus heutiger Sicht davon ausgehen, dass legal assistierter Suizid zu keinen grundlegenden Problemen für die Polizeiarbeit führen würde. Aus kriminalistischer Erfahrung ist es auch schwer vorstellbar, dass eine veränderte Rechtslage einen signifikanten Rückgang der allgemeinen Suizidraten auslösen könnte. Mit sog. „harten Suiziden“ werden wir auch weiterhin konfrontiert werden. Es bleibt abzuwarten, in welche Richtung das Pendel zu diesem Thema letztlich ausschlägt und welche gesetzlichen Regelungen daraus entstehen werden.


Bildrechte: Autor.

 

Anmerkungen

 

  1. KHK a.D. Rolf Strehler war über 20 Jahre in verschiedenen Bereichen der Kriminalpolizei tätig, zuletzt als Leiter Kriminaldienst in einem Revierkommissariat. In seiner Laufbahn war er selbst mehrfach mit dem 1. Angriff zu  Todesursachenermittlungen beschäftigt. Darunter waren auch Fälle des Suizids. Die Erinnerung an einige markante Sachverhalte sind in diesen Beitrag eingeflossen. Zuletzt gab er sein Wissen und seine Erfahrungen als Fachlehrer für Kriminalistik an der Fachhochschule der Polizei des Landes Sachsen-Anhalt weiter. Daneben war er viele Jahre Vorsitzender des FA Kriminalpolizei beim Geschäftsführenden Landesbezirksvorstand der GdP Sachsen-Anhalt und zugleich Mitglied des BFA Kriminalpolizei der GdP. Zur Unterstützung der Öffentlichkeitsarbeit der Landesfachausschüsse und des BFA Kriminalpolizei erarbeitete er zum Thema „1. Angriff bei Todesursachenermittlungen“ ein Skript. Todesursachenermittlungen, insbesondere der Suizid als besondere Erscheinungsform, haben immer sein besonderes Interesse geweckt und ihn letztlich auch zu diesem Beitrag inspiriert.
  2. BVerfG v. 26.2.2020, Az. 2 BvR 2347/15-juris (= NJW 2016, 558).
  3. Vgl. dazu Fischer, 2021, Strafgesetzbuch, Kommentar, 68. Auflage, § 217, Rn. 1.
  4. Ferdinand von Schirach, TV-Film „Gott“, ausgestrahlt am 23.11.2020, im ZDF.
  5. Köhler, in: Meyer-Goßner/Schmitt, 2021, Strafprozessordnung, Kommentar, 64. Auflage, § 159, Rn. 4.
  6. Gemeint ist eine ärztliche Person, die einen Weiterbildungsabschluss auf dem Gebiet der Pathologie oder Rechtsmedizin haben muss, wie es beispielsweise in § 9 Abs. 4 BestattG LSA gefordert ist.
  7. Zur „Mainzer Initiative Qualifizierte Leichenschau“ vgl. Becker, Die Kriminalpolizei 3/2019, S. 24 (Interview).
  8. Siehe www.patientenverfuegung.digital/blog/sterbehilfe-im-ausland.
  9. Kerstin Schweighöfer, „Die Sehnsucht nach dem Tod“, Deutschlandfunk vom 2.3.2018.
  10. Ronald Reng, „Robert Enke – Ein allzu kurzes Leben“, Piper Verlag München 2010, S. 423