Supervision im Polizeiberuf als Instrument zur professionellen Selbstreflexion

Interdisziplinäre Betrachtung in der Polizei Rheinland-Pfalz. Masterarbeit an der Deutschen Hochschule der Polizei, Studienjahr 2010/2012

Polizeirätin Katja Weickert, Polizeipräsidium Rheinpfalz

1. Thematische Einführung

„Polizisten sind keine außergewöhnlichen Menschen mit einem normalen Beruf, sondern ganz normale Menschen mit einem außergewöhnlichen Beruf.“1


Die Polizei ist gekennzeichnet durch ihren historisch geprägten hierarchischen Organisationsaufbau und durch ihre Komplexität an Aufgaben und Anforderungen an den einzelnen Polizeibeamten.2
Durch ihren Status als Eingriffsverwaltung obliegt der Polizei die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Zugleich unterliegt sie dem Primat der Politik als Entscheidungsträger über die gesamte Organisation. Auch wenn sich die hierarchische Struktur von ihrer militärischen Prägung mit „Befehl und Gehorsam“ hin zu einer modernen Organisation im Sinne des kooperativen Führungssystems entwickeln konnte, sind Dienstanweisungen und Anordnungen durch Vorgesetzte zur erfolgreichen Aufgabenerfüllung unumgänglich. Der Polizist befindet sich somit im ständigen Spannungsfeld zwischen hierarchischer Aufgabenzuweisung und der vollen persönlichen Verantwortung für das eigene Handeln.

Aber auch andere Veränderungsprozesse beeinflussen die Entwicklung der Polizei maßgeblich. Neue Steuerungsmodelle aus der Privatwirtschaft, wie Qualitätsmanagement und Controlling werden unaufhaltsam im Bereich Public Management implementiert. Die Einflussnahme der Politik auf die Strukturen innerhalb der Polizei führt zu Verunsicherungen bei den Polizeibediensteten und Konflikten innerhalb der Organisation.
Zusätzlich lassen gesellschaftlicher Wandel und immer neue Kriminalitätsformen die Vielfalt und Komplexität polizeilicher Aufgaben steigen. Das polizeiliche Aufgabenspektrum erfordert somit eine große fachliche Kompetenz der Polizeibeamten in verschiedensten Bereichen. Im Polizeiberuf ist das Vorhandensein entsprechenden Fachwissens alleine jedoch nicht ausreichend. Die dargestellte Entwicklung einer modernen Polizei stellt steigende Ansprüche an die persönlichen und sozialen Kompetenzen ihrer Beamten.
In ihrem täglichen Dienst werden Polizisten mit den unterschiedlichsten Situationen und Anforderungen konfrontiert. Sie müssen mit Tätern und Opfern, Aggressiven und Hilfesuchenden, jungen und alten Menschen ebenso professionell wie empathisch umgehen und dabei nicht selten in deren Grundrechte eingreifen.
Diese Erlebnisse und Belastungen müssen von jedem einzelnen Polizeibeamten verarbeitet und bewältigt werden. Dabei genügt es wohl kaum, „wenn die Beamten in unstrukturierter Weise miteinander sprechen oder, wie es lange praktiziert wurde, gemeinsam auf ein Bier gehen, um entstandene Sorgen hinunterzuspülen.“3 Diese Verhaltensweise ist jedoch in der Polizistenkultur verwurzelt. Durch die Sozialisation in der polizeilichen Praxis wird jungen Polizeibeamten das Leben in einer Gefahren- und Krisengemeinschaft vermittelt und gezeigt, „was richtige Schutzmänner alles aushalten müssen.“4
Diese Verhaltens- und Bewältigungsformen stehen jedoch im Widerspruch zu einer modernen Personalführung in einer professionellen und bürgerfreundlichen Polizei, in der Verantwortungsbewusstsein für die Bedürfnisse der Polizisten gefragt ist. Gerade vor dem Hintergrund der Aufgabenkomplexität und des gesellschaftlichen Wandels „sind gesunde, qualifizierte, motivierte und zufriedene Beschäftigte zur Bewältigung der umfangreichen Aufgaben erforderlich.“5
Es drängt sich die Frage auf, ob ein behördliches Gesundheitsmanagement mit diversen Instrumentarien ausreichend ist, die Erlebnisse und Belastungen der einzelnen Polizeibeamten bzw. ganzer Dienstgruppen zu kompensieren und welches Selbstverständnis in diesem Zusammenhang von der Führungs- und Mitarbeiterebene innerhalb der Polizeiorganisation erwartet werden sollte.
Vor diesem Hintergrund ergibt sich die zentrale Fragestellung nach der Notwendigkeit von Supervision im Polizeiberuf als Instrument zur professionellen Selbstreflexion. Dabei stellt sich die Frage, was Supervision zur Krisenbewältigung und Krisenprävention im polizeilichen Kontext beitragen kann.
Die zugrunde liegende Masterarbeit fokussiert auf den Umgang mit schwierigen Einsatzsituationen und die Verarbeitung daraus resultierender Belastungen im Polizeidienst. Innerdienstliche Probleme sowie Personal- und Ressourcenmangel aufgrund politischer Entscheidungen verstärken die Belastungen zusätzlich in kumulativer Weise, sind aber nicht Gegenstand der Betrachtung.
Neben Literaturauswertungen erfolgte im Rahmen der Masterarbeit eine empirische Datenerhebung im Sinne einer qualitativen Sozialforschung. Hierzu wurden leitfadengestützte Experten-Interviews mit berufserfahrenen Polizeibeamten der Polizei-Rheinland-Pfalz durchgeführt. Zur Abbildung einer möglichst großen Bandbreite polizeilicher Aufgabenbereiche wurden Polizisten verschiedener Hierarchieebenen aus unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern ausgewählt.

2. Belastungen im Polizeidienst


Vor einer Erörterung der Notwendigkeit von Supervision, sollen zunächst die Belastungen identifiziert werden, mit denen Polizisten in ihrer Dienstausübung konfrontiert werden.

2.1 Das polizeiliche Einsatzgeschehen

Bei den Belastungen, die aus dem polizeilichen Einsatzgeschehen resultieren, lassen sich deutliche Schwerpunkte erkennen. Grundsätzlich werden Einsätze mit toten und schwerverletzten Menschen, Einsätze mit Beteiligung von Kindern sowie Gewalterfahrungen als große Belastungen empfunden.

2.1.1 Tote und schwerverletzte Menschen

Für Polizisten stellt das Erleben schwerer Verkehrsunfälle mit schwerverletzten und getöteten Menschen eine entsprechende Belastung im täglichen Polizeidienst dar. Demnach gehören schwere Verkehrsunfälle „zu den häufigsten psychotraumatisierenden Ereignissen“6 Das Erleben von Verletzung und Tod stellt sowohl bei Verkehrsunfällen, als auch bei Unglücken und Obduktionen belastende Stressquellen für Polizisten dar.7 Demgemäß wird auch die Bearbeitung von Todesfällen als belastend eingestuft. Dabei scheint die Unterscheidung zwischen Tötungsdelikten und Unfällen bzw. natürlichen Todesfällen für die Frage nach der Belastung nicht ins Gewicht zu fallen. Die Belastung beim Umgang mit toten Menschen ist daher unabhängig von einer möglichen strafrechtlichen Relevanz zu sehen.
Vielmehr stehen in diesem Bereich die Wahrnehmung und Empfindungen im Zusammenhang mit toten und schwerverletzten Personen im Vordergrund. Polizisten können Bilder aus solchen Einsätzen beschreiben, die in ihrem Gedächtnis zurückbleiben. Darunter fällt insbesondere der Anblick von Leichenteilen bzw. durch die näheren Todesumstände entstellte Leichen, wie beispielsweise Brandtote oder Bahnleichen.

Foto: A. Lemberger
Foto: A. Lemberger

Insbesondere bei Einsätzen mit Brandtoten und toten Menschen, die über einen längeren Zeitraum in ihrer Wohnung gelegen haben, ist nicht alleine der Anblick, sondern vor allem der üble Geruch eine nachhaltige Belastung für die Polizisten. Aber auch das Hören von Schreien verletzter Personen oder trauernder Angehörigen stellt eine belastende Wahrnehmung im täglichen Dienst dar.
Beim Umgang mit Betroffenen steht offensichtlich weniger das polizeiliche Handeln im Vordergrund, sondern die Empathie durch das Mitfühlen und Miterleben von persönlichen Schicksalen. Im dienstlichen Umgang mit schwerverletzten und toten Menschen erleben Polizisten die persönlichen Schicksale unmittelbar mit, was ein ausgeprägtes Einfühlungsvermögen erfordert. Die größten Belastungen im Umgang mit Toten und Schwerverletzten beziehen sich demgemäß auf die Wahrnehmung und die Empathie der Polizeibeamten, da Polizisten durch den Umgang mit Leiden, Krankheit, Tod und Sterben mit existentiellen Fragen der Menschheit konfrontiert werden.8 Im Einsatzgeschehen erleben Polizisten unterschiedlichste Emotionen, wie Angst, Wut, Aggressionen, Abscheu, Ekel, aber auch Trauer und Mitleid.9 Dabei spielt der Umgang mit eigenen und fremden Emotionen durch die Interaktion mit Kollegen, Opfern und Straftätern im Polizeialltag eine bedeutende Rolle.10
Ein besonders einprägsames Ereignis im dienstlichen Bereich, stellt für Polizisten das Erleben des ersten Toten dar. So kann sich jeder Beamte an seine erste Leiche erinnern. Der Umgang mit Toten und Verletzten ist eine dem Polizeidienst immanente Tätigkeit, die jeder Polizist im Rahmen seiner dienstlichen Tätigkeit erlebt. Polizisten müssen Leichen ansehen, auch anfassen und Todesnachrichten überbringen, weshalb sie beruflich nicht an einer Konfrontation mit dem Tod vorbeikommen, der automatisch existentielle Fragen nach Leben, Sinn und Vergänglichkeit aufwirft.11
Ebenso verhält es sich mit Einsätzen anlässlich größerer Schadenslagen und Katastrophen. Für rheinland-pfälzische Polizisten sind die Erlebnisse der Flugtagkatastrophe in Ramstein und die Brandkatastrophe in Ludwigshafen solche besonders einprägsamen Ereignisse.
Am 28. August 1988 waren etwa 500 Polizisten auf dem Gelände der US-Airbase in Ramstein beim jährlichen Flugtag eingesetzt. Bei der riskanten Vorführung der italienischen Kunstflugstaffel vor 350.000 Zuschauern kollidierten drei Flugzeuge in der Luft, wovon ein Flugzeug brennend in die Zuschauermenge stürzte. Durch das Unglück wurden 70 Menschen getötet und 500 teils schwer verletzt. Die 500 eingesetzten Polizisten waren an der Rettung Verletzter und Bergung Toter unmittelbar beteiligt. „Angesichts der schrecklichen Szenen rund um die Absturzstelle waren die Kräfte vor Ort völlig überfordert […]. Was der Einsatz persönlich für die beteiligten Polizeibeamten angesichts des Erlebten bedeutete, lässt sich nur erahnen. Wohl kaum einer wird die schrecklichen Bilder je vergessen können.“12
Die Brandkatastrophe in Ludwigshafen ereignete sich am 3. Februar 2008, als im Keller eines Mehrfamilienhauses Feuer ausbrach, das sich sehr schnell über das Treppenhaus ausbreitete. Mehrere Hundert Polizisten befanden sich zu dieser Zeit im Rahmen des Fastnachtsumzuges in der Stadt und konnten somit zeitnah am Brandort eingesetzt werden. Die Rettungskräfte konnten 47 Menschen aus dem brennenden Haus retten. Neun Frauen und Kinder verbrannten in den oberen Stockwerken.Katastrophen, wie die dargestellten Ereignisse, passieren zwar glücklicherweise äußerst selten, werden jedoch für die eingesetzten Kräfte zu herausragenden und extremen Belastungen. Solche Erlebnisse setzen sich in der Erinnerung fest und können nicht vergessen werden, da die Beamten hierbei an existentielle Grenzen geraten.

2.1.2 Beteiligung von Kindern

Bei der Frage nach Belastungen im Polizeiberuf zeichnet sich ein weiterer Schwerpunkt bei der Beteiligung von Kindern ab. Im Vergleich zu Einsatzanlässen mit Erwachsenen werden Einsatzsituationen mit Kindern als ungleich belastender erlebt. Das bezieht sich in erster Linie auf schwere Verkehrsunfälle, bei denen Kinder verletzt oder getötet werden sowie sonstige Todesfälle von Kindern.
Im Zusammenhang mit Todesermittlungen werden plötzlicher Kindstod und Kinder, die durch Brände ums Leben kommen, als herausragende Belastungen empfunden.
Ein wichtiger Aspekt bei Todesfällen von Kindern besteht im Rahmen der polizeilichen Tätigkeit im Umgang mit den Angehörigen. Enorme Belastungen entstehen für Polizisten auch, wenn Kinder Opfer von Straftaten geworden sind, insbesondere beim Vorliegen von Sexualstraftaten. Sowohl die Begegnung mit den Opfern als auch mit den Angehörigen bewirkt ein Gefühl der Hilflosigkeit.
Im Bereich der Wahrnehmung wird der Anblick von verletzten und toten Kindern als sehr erschütternd eingestuft, z.B. die Leichenschau bei Säuglings- und Kinderleichen und verbrannte Kinder. Bei solch tiefgreifenden Einsätzen mit Kindern ergibt sich die Belastung aus der Wahrnehmung der Polizisten.
Noch höher ist jedoch die Empathie einzustufen, die in fast allen Äußerungen betroffener Beamten mitschwingt, wenn Kinder verletzt, getötet oder Opfer von Straftaten werden. Diese hohe emotionale Belastung entsteht dadurch, dass Kinder unsere eigene Lebenssituation widerspiegeln. Hiervon sind insbesondere Polizeibeamte betroffen, die selbst Eltern sind. Das Mitgefühl und Einfühlungsvermögen ist im Umgang mit Kindern daher weit stärker ausgeprägt als im Umgang mit erwachsenen Menschen. Somit stellt die Beteiligung von Kindern bei Gewalthandlungen, Verkehrsunfällen mit Verletzten und Toten einen zentralen Belastungsfaktor im Polizeiberuf dar.13

2.1.3 Gewalterfahrungen

Im Bereich der Gewalterfahrungen ist zunächst zwischen der von Bürgern ausgehenden Gewalt und der notwendigen Gewaltanwendung von Polizeibeamten zu unterscheiden.
Bei der Gewaltanwendung durch Polizisten stellt der polizeiliche Schusswaffengebrauch gegen Menschen ein äußerst belastendes und schlimmstes Ereignis dar, welches einem Polizisten in Ausübung seines Dienstes passieren kann. Belastungen sind aber auch körperliche Auseinandersetzungen und Widerstandshandlungen im strafrechtlichen Sinne, bei denen die eingesetzten Beamten Angriffs- und Widerstandshandlungen des polizeilichen Gegenübers mittels körperlicher Gewalt beenden müssen. In der Eigengefährdung der Polizisten liegt ein großer Stressfaktor, da sich die Beamten ihrer täglichen Gefahr für Leib und Leben bewusst sind.14 Die erlebte Gewalt im Polizeiberuf ist „auch heute noch nicht der Betriebsunfall, sondern der Dreh- und Angelpunkt [polizeilichen Handelns].“15
Zu schaffen macht den Beamten in zunehmendem Maße auch die steigende Aggressivität und der Hass, denen sie im täglichen Dienst ausgesetzt sind. Hierzu zählen auch verbale Attacken und das Anspucken.
Im Rahmen der polizeilichen Ermittlungstätigkeit entstehen auch Belastungen durch den Umgang mit Opfern und Tätern von Straftaten, insbesondere bei der Bearbeitung von Sexualstraftaten und dem Erleben von Gewalt in engen sozialen Beziehungen. Es wird angenommen, dass Beamte in diesen Bereichen „aufgrund der Arbeitsinhalte und der mit der Arbeit verbundenen Bildern […] [und] der Konfrontation mit sexueller Gewalt an Kindern unter einem besonders hohen Maß an emotionaler Belastung und damit verbundenen Beanspruchungen bis hin zu Traumatisierungen leiden.“16
Die emotionale Belastung bei Gewalterfahrungen durch das Miterleben und Mitfühlen der Beamten lässt sich auf zwei Schwerpunkte festlegen. Dies ist zum Einen die Empathie, die durch den Umgang mit Opfern von Gewalt- und Sexualstraftaten entsteht, da insbesondere in diesem Deliktbereich oftmals hilflosen Menschen großes Leid widerfährt. Diese Schicksale erleben die Polizisten im Einsatz vor Ort unmittelbar mit.
Zum Anderen ist während und nach dem polizeilichen Schusswaffengebrauch gegen Menschen eine äußerst schwerwiegende emotionale Belastung bei den betroffenen Polizisten festzustellen. Hierbei werden Angst, Hilflosigkeit, Hemmungen, aber auch Mitgefühl für den erschossenen Angreifer empfunden.
Es ist festzustellen, dass körperliche und verbale Auseinandersetzungen eine Belastung für Polizeibeamte darstellen, wobei ein polizeilicher Schusswaffengebrauch gegen Menschen eine äußerst schwerwiegende Belastung für die betroffenen Polizisten nach sich zieht. Neben dem Schusswaffengebrauch führt auch das Miterleben und Bearbeiten von Sexualstraftaten und Delikten im häuslichen Bereich zu einer teils hohen emotionalen Belastung.

2.1.4 Belastete Organisationseinheiten

Polizisten sind bei ihrer Dienstausübung „ständig mit den Abgründen in unserer Gesellschaft konfrontiert und dadurch in besonderem Maße an Leib und Seele belastet und gefährdet.“17
Die höchsten Belastungen liegen in den drei identifizierten Schwerpunkten „tote und schwerverletzte Menschen“, „Beteiligung von Kindern“ und „Gewalterfahrungen“. Daraus folgernd lassen sich im kriminalpolizeilichen Bereich bestimmten Kommissariaten eine grundsätzliche Belastung aufgrund ihrer Tätigkeitsfelder zuschreiben. Dies sind sowohl die Kommissariate, die sich mit Gewalt gegen Frauen und Kinder, insbesondere Sexualdelikte befassen, als auch Kommissariate die Todesermittlungen bzw. die Aufgaben der Spurensuche an den jeweiligen Tatorten durchführen.
Es besteht jedoch kein Zweifel, dass der Wechselschichtdienst aufgrund unvorhersehbarer, vielfältigster Einsatzsituationen die am stärksten belastete Gruppe innerhalb der Polizei darstellt. Der Grund hierfür liegt insbesondere in der Unerwartetheit dessen, was im Dienst auf die Beamten zukommen kann, da sich die Polizisten nicht auf die jeweiligen Situationen vorbereiten können. Hier wird die komplette Bandbreite polizeilicher Arbeit abgedeckt und die Beamten des schutzpolizeilichen Schichtdienstes bzw. des Kriminaldauerdienstes sind stets die Ersten am Ereignisort und daher am intensivsten mit solch belastenden Geschehnissen konfrontiert, noch bevor die spezialisierten Kommissariate verständigt werden können.

2.2 Die Organisationskultur der Polizei

Die Kultur einer Organisation beruht auf historisch gewachsenen Merkmalen, die zu einer gemeinsamen Identität der Organisationsmitglieder führen. Die Anforderungen an den Polizeiberuf im Spannungsfeld des Gewaltmonopols führen zwangsläufig zu einer speziellen Kultur innerhalb der Polizei. Diese Polizeikultur umfasst „typische polizeiliche Handlungen, Symbole, Zeremonien, Rituale, Stile usw., die natürlich von der jeweiligen Organisationsstruktur, aber auch von den praktizierten Werthaltungen, Normen, Orientierungsmustern, Leitbildern usw. abhängig sind.“18
Diese Kultur der Polizei wird im Rahmen der Sozialisation an junge Polizisten vermittelt und hat daher entsprechenden Einfluss auf den Umgang und die Bewältigung von Belastungen im Polizeidienst. Hieraus ergibt sich die Frage, welche positiven und negativen Einflussfaktoren der Organisationskultur bei der Bewältigung von Belastungen auf den einzelnen Polizisten wirken.
Grundsätzlich wird von Polizisten eine gewisse Resistenz und Härte erwartet, um berufsimmanente Belastungen auszuhalten und dadurch im Einsatzfall schnelle Entscheidungen treffen zu können, die einen hohen persönlichen Einsatz erfordern. Eine Reflexion während des Einsatzgeschehens hätte negative Folgen, da sie die Beamten „vorrübergehend lahmlegen“ und handlungsunfähig machen könnte.
Bei der Verarbeitung und dem späteren Umgang mit belastenden Einsatzsituationen wird ein Wandel in der Polizeikultur deutlich. Früher durften Polizisten keine Schwäche zeigen und hatten Angst, Belastungen zuzugeben sowie Hilfsbedürftigkeit zu signalisieren. In diesem Zusammenhang wird von der Erziehung zu „harten Männern“ und vom „Bild des harten Cops“ gesprochen. Die Ursache hierfür ist „die Zugehörigkeit [der Polizisten] zu einer starken bzw. mächtigen Organisation […], [bei der] für das Gegenteil keine Sprache zur Verfügung gestellt wird.“19
Die Organisationskultur unterliegt jedoch einer Umbruchphase, in der eine positive Entwicklung, ein Umdenken innerhalb der Polizei stattgefunden hat. Die Ursache wird in veränderten gesellschaftlichen Bedingungen und in der Einstellung von Frauen in den Polizeidienst gesehen. Die heutige Polizeikultur wird mit einem offenen, sensiblen und rücksichtsvollen Umgang definiert, der die Polizisten legitimiert Schwächen zu zeigen und über Belastungen zu sprechen.
Unabhängig vom dargestellten Wandel werden die polizeiliche Sozialisation, und hier insbesondere die Funktion des sogenannten „Bärenführers“, als wichtige polizeiliche Instanz gesehen. Das Wort Bärenführer ist eine umgangssprachliche, aber in Polizeikreisen übliche Bezeichnung für berufserfahrene Polizisten, die fertig ausgebildeten, aber unerfahrenen jungen Beamten als feste Streifenpartner zugeteilt werden. Diese Funktion des Bärenführers gilt als positives Element polizeilicher Sozialisation, da sie jungen Beamten die polizeiliche Praxis erklären, Sicherheit vermitteln und als Leitbilder fungieren. Diesen Vorbildern obliegt es, die identitätsstiftenden Werthaltungen und Orientierungsmuster im Rahmen der polizeilichen Sozialisation zu vermitteln.
Eine ebenfalls herausragende Stellung innerhalb der Polizeikultur nimmt die Kollegialität unter den Polizisten ein. In diesem Kontext wird von den Dienstgruppen als „Heimat der Schutzleute“, von Geborgenheit in der „Familie der Polizei“ und von dem Gefühl der Sicherheit innerhalb der jeweiligen Einheit gesprochen. Die Gruppen sind in der Regel eng miteinander verschweißt und sind geprägt durch Offenheit, Ehrlichkeit, Verlässlichkeit und Vertrauen. Dies ermöglicht eine Aufarbeitung von belastenden Einsatzsituationen durch vertrauliche Gespräche und Beratungen innerhalb der Dienstgruppen, weshalb der Streifenpartner als „bester Supervisor“ bezeichnet werden kann.In einer vertrauensvollen, kooperativen und hilfsbereiten Form der Zusammenarbeit möchten Beschäftigte in schwierigen Situationen auf die Unterstützung ihrer Kollegen zurückgreifen, weshalb dem Begriff der Kollegialität eine große Bedeutung zukommt und gleichzeitig für Stabilität und Kontinuität in Organisationen steht.20 Von zentraler Bedeutung sind ebenfalls der Austausch und die Reflexion unter Kollegen, da günstige Kommunikation untereinander das Expertentum des Einzelnen fördert und somit einen wichtigen Aspekt der Qualitätssicherung darstellt.21
Abschließend ist festzustellen, dass die polizeiliche Organisationskultur früher überwiegend negativen Einfluss auf den Umgang mit beruflichen Belastungen ausgeübt hat. Diese Polizeikultur hat jedoch einen tiefgreifenden erfahren. In ihrer heutigen Ausprägung ermöglicht diese Kultur den Polizisten, über ihre Belastungen zu sprechen und menschliche Gefühle ohne Ansehensverlust zuzulassen. Diese neue Form der polizeilichen Sozialisation begünstigt eine Reflexion belastender Einsätze und hat somit einen positiven Einfluss auf die Bewältigung von Belastungen der einzelnen Polizisten.

2.3 Die Komplexität des Polizeidienstes

Die Polizei entwickelt sich zunehmend zu einem modernen Dienstleister. Geänderte Rahmenbedingungen und Einflussfaktoren stellen neue Herausforderungen an die Polizisten. Dieser Aspekt darf bei der Untersuchung von Belastungen im Polizeidienst nicht vernachlässigt werden. Daher ergibt sich die Fragestellung, welche Auswirkungen diese steigende Komplexität des Polizeidienstes auf die Belastungen der einzelnen Polizisten hat.
Wie jede Organisation unterliegt auch die Polizei einer ständigen Entwicklung und einem damit einhergehenden Wandel. Im Wesentlichen lassen sich hierzu zwischen Veränderungen aufgrund interner, insbesondere politischer Vorgaben auf der einen Seite und dem Einfluss durch gesellschaftliche Veränderungen auf der anderen Seite unterscheiden.
Im Bereich des gesellschaftlichen Wandels steht die geänderte Erwartungshaltung der Bürger im Vordergrund, die mit steigendem Egoismus, fehlenden sozialen Umgangsformen, Respektlosigkeit und zunehmender Gewalt einhergeht und zu einem Anstieg an Widerstandsdelikten führt. Der demografische Wandel ist ursächlich für eine komplexere Gesellschaft und steigende Vielfältigkeit in der Bevölkerung, aber auch für eine Überalterung in der Personalstruktur der Polizei.
Während die genannten Folgen des gesellschaftlichen Wandels eine negative Bewertung beinhalten, zeigen sich durch den polizeiinternen Wandel auch positive Aspekte. Hierzu zählen eine qualitativ hochwertige Ausbildung der Polizisten sowie das behördliche Gesundheitsmanagement und die vorhandenen Betreuungsangebote.
Kritisiert wird jedoch die Reduzierung der Personal- und Finanzmittel im Polizeibereich, die zu Personalengpässen, einer höheren Einsatzfrequenz und einem großen Leistungs- und Konkurrenzdruck, insbesondere vor Beförderungen führt. In diesem Kontext beeinflussen Zielvereinbarungen das kollegiale Klima in negativer Weise und setzen die Polizisten zusätzlich unter Druck. Neben der Erhöhung des bürokratischen Aufwandes zählen auch die Personalfluktuation durch zu häufige Rotation von Führungskräften und Vertrauensverluste durch flexible Schichtdienstmodelle zu den negativen Auswirkungen des Wandels. Organisationen innerhalb der Polizei sind in zunehmendem Maße Einflüssen durch politische Entscheidungen ausgesetzt, was zu Ressourcenverknappungen, Strukturveränderungen und einem Anstieg der Arbeitsbelastung führt und sich somit auf das professionelle Handeln der Beschäftigten auswirkt.22
In der Summe lässt sich deutlich erkennen, dass die Komplexität des Polizeidienstes überwiegend zu negativen Auswirkungen bei den handelnden Polizisten führt, da keine freien Ressourcen vorhanden sind. Beamte beklagen, dass sie ständig „am oberen Level fahren“ und keine Zeit haben, „in sich zu gehen“ oder „abzuschalten“. Den Polizisten bleibt demnach keine Zeit ihre vorhandenen Belastungen zu reflektieren. Vielmehr bewirkt die Komplexität des Polizeidienstes eine Steigerung der individuellen Belastung und verhindert dadurch eine Reflexion belastender Ereignisse.

3. Aktuelle Betreuungsangebote in der Polizei Rheinland-Pfalz

Zur Betreuung und Gesunderhaltung von Polizisten existieren in Rheinland-Pfalz bereits Angebote. Es stellt sich jedoch die Frage, ob diese ausreichend und geeignet sind, um die dargestellten belastenden Ereignisse kompensieren und verarbeiten zu können.
Das behördliche Gesundheitsmanagement stützt sich im Land Rheinland-Pfalz nicht alleine auf sportliche Aktivitäten und Maßnahmen in den Bereichen Arbeitssicherheit und Arbeitsmedizin, sondern findet sein Selbstverständnis in einem ganzheitlichen Ansatz. Insofern leistet es einen wichtigen Beitrag zur physischen und psychischen Gesundheit der Mitarbeiter.
In diesem Kontext stehen auch die Sozialbetreuung durch Sozialarbeiter bzw. Sozialpädagogen sowie speziell geschulte Polizisten, die als soziale Ansprechpartner ihren Kollegen zur Verfügung stehen.
Bei schwerwiegenden Einsätzen wird in der Akutphase das Kriseninterventionsteam der Polizei alarmiert. In belastenden Situationen kann eine seelsorgerliche Unterstützung durch die Polizeiseelsorger erfolgen. In diesem Zusammenhang stellt das Zeugnisverweigerungsrecht der Polizeiseelsorger gemäß § 53 Abs.1 Nr.1 StPO einen entscheidenden Aspekt ihrer Legitimität dar, der sie in ihrem Handlungsspielraum in erheblichem Maße von Hauptamtlichen anderer Hilfsangebote unterscheidet. Zur speziellen Betreuung nach einem Schusswaffengebrauch wurde in Rheinland-Pfalz die Post-Shooting-Gruppe eingerichtet.
Grundsätzlich ist festzustellen, dass die Polizei Rheinland-Pfalz für ihre Polizeibeamten vielfältige Angebote bereitstellt, um den speziellen Belastungen, die sich aus dem Polizeidienst ergeben, entgegenzuwirken.
Belastende Einsätze werden jedoch – abgesehen vom Schusswaffengebrauch – grundsätzlich nur in der Akutphase, etwa durch das Kriseninterventionsteam strukturell begleitet.
Der zeitliche Bereich vor einem potenziell belastenden Einsatz findet bei den derzeitig vorhandenen Betreuungsangeboten keinerlei Berücksichtigung. Vor diesem Hintergrund greifen die vorhandenen Betreuungsangebote zu kurz, da derzeit weder präventive Maßnahmen zur Vorbereitung auf eine solche Situation noch eine Verarbeitung im Nachhinein vorgesehen sind.
Insofern erscheint es grundsätzlich zielführend, Maßnahmen zur Selbstreflexion ebenfalls in den Kontext des behördlichen Gesundheitsmanagements zu stellen.

4. Begriffsklärung Supervision


4.1 Geschichtliche Betrachtung

Den Ursprung des Begriffs „Supervision“ findet man in England, auch wenn er in der damaligen Zeit eine andere Bedeutung hatte. Ende des 16. Jahrhunderts wurden dort für alte und kranke Menschen, aber auch für mittellose Kinder durch Gesetze zur Armenfürsorge ein System der öffentlichen Fürsorge durch die Gemeinden installiert, das durch Kontrolleure und Inspektoren beaufsichtigt wurde, die man als „Supervisor“ bezeichnete.23
Bereits hier in den Anfängen zeigt sich, wie sehr der Begriff der Supervision mit der Sozialarbeit verknüpft ist. In der weiteren geschichtlichen Entwicklung wird dies noch deutlicher. Die Prosperität der Industrialisierung Ende des 19. Jahrhunderts brachte nicht nur Wohlstand und Aufschwung, sondern auch soziale Missstände mit sich. Zur Unterstützung von Armen und Hilfsbedürftigen in den Slums setzte der Londoner Pfarrer Barnett Studierende und Jungakademiker ein. Als Barnett deren persönliche Betroffenheit im Rahmen dieser Tätigkeit feststellte, initiierte er Gesprächsangebote für die Helfer zur Entlastung und Klärung.24
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden, ebenfalls im Zuge der Industrialisierung, in Nordamerika erste gemeinnützige Wohlfahrtsorganisationen gegründet, die zur Koordination, Führung und Beratung ihrer Hilfskräfte und ehrenamtlichen Helfer spezielle Mitarbeiter einsetzten.25 Diese Supervisoren übten insbesondere eine Kontrollfunktion gegenüber den Helfern aus, führten mit diesen aber auch regelmäßige Gespräche, um den Ehrenamtlichen die Probleme und fremde Lebenswelt der Klienten verständlich zu machen.26 In diesen Entwicklungen in England und Amerika sind die Ursprünge des heutigen Verständnisses von Supervision zu erkennen.
Im deutschsprachigen Raum erhielten erste Formen von Supervision in den 1920er Jahren Einzug in die Ausbildungslehrpläne von Fürsorgerinnen, die Vorgänger der heutigen Sozialarbeiter waren.27 Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs entfaltete sich die Supervision auch in Deutschland zunehmend und wurde seit den 1950er und 1960er Jahren fester Bestandteil in der Aus- und Weiterbildung sowie im Berufsalltag der Sozialarbeit.28
Mittlerweile gehören Supervision und zahlreiche ähnliche Beratungsformen zur Normalität in modernen Dienstleistungsorganisationen sowie Wirtschaftsunternehmen und sind als Instrumente in der Personal- und Organisationsentwicklung nicht mehr wegzudenken. Diese Entwicklung weist bereits darauf hin, dass die geschichtliche Entwicklung der Supervision und die vielen unterschiedlichen Facetten in der Beratungslandschaft eine Definition des Begriffs Supervision und Abgrenzungen zu anderen Beratungselementen nicht einfach machen.

4.2 Definition

In der Literatur sind zahlreiche Begriffsdefinitionen zu Supervision zu finden, die teilweise sehr unterschiedliche Aussagen beinhalten. Die folgende Begriffserklärung beschränkt sich daher bewusst auf eine Auswahl allgemeingültiger Definitionen aus der Fachliteratur.
Zunächst kann der zusammengesetzte lateinische Begriff „supervidere“ mit Hilfe eines Wörterbuches29 als „von oben (her) etwas wahrnehmen, erblicken, erkennen“ übersetzt werden. Durch den Blick von oben soll also eine andere Sichtweise auf bestimmte Dinge ermöglicht werden. Die reine Übersetzung der beiden zusammengesetzten Vokabeln wird dem facettenreichen Begriff der Supervision jedoch kaum gerecht.
Die Deutsche Gesellschaft für Supervision bezeichnet Supervision als „ein wissenschaftlich fundiertes, praxisorientiertes und ethisch gebundenes Konzept für personen- und organisationsbezogene Beratung in der Arbeitswelt“, das insbesondere „in Situationen hoher Komplexität, Differenziertheit und dynamischer Veränderungen“ Anwendung findet und dabei „Fragen, Problemfelder, Konflikte und Fallbeispiele aus dem beruflichen Alltag thematisiert.“30Der Sozialwissenschaftler Belardi versteht Supervision als „Weiterbildungs-, Beratungs- und Reflexionsverfahren für berufliche Zusammenhänge“ und verweist zugleich darauf, dass es dabei weder um Psychotherapie noch um Aufsicht, Kontrolle oder um berufliche Fachfragen geht.31
Auf die berufliche Tätigkeit fokussiert auch Hausinger in ihrer Definition und beschreibt Supervision als „eine berufs-, arbeits- und arbeitsplatzbezogene Beratungsform, die explizit auf die realen täglichen Anforderungen und Anliegen eingeht“ und sieht dabei die Reflexion als konzeptionellen Mittelpunkt der Supervision.32
Die dargestellte Beraterfunktion sollte von einem professionellen Supervisor ausgeübt werden, der in persönlichen Gesprächssituationen mit seinen Klienten Konflikte oder Probleme aus deren Arbeitsalltag analysiert und erörtert. Dabei wird nicht nur die konkrete Einzelfallsituation betrachtet, sondern auch die relevanten Schnittmengen zwischen Personen, Arbeit und Organisationen werden in den Gesamtkontext einbezogen. Im Sinne der lateinischen Grundbedeutung wird damit von oben aufs Ganze geblickt und so den Supervisanden eine Reflexion ihrer Ansichten und ihres Verhaltens ermöglicht. Supervision stellt eine Beratungsform dar, die sich in reflexiver Form mit dem Arbeitsalltag und seinen Anforderungen und Konflikten beschäftigt und insofern direkt mit der beruflichen Praxis verknüpft ist.

4.3 Supervisionsformen für die Polizei

Für die Durchführung von Supervision gibt es zahlreiche Varianten und Möglichkeiten. Bei der berufsbegleitenden Supervision erfolgt üblicherweise eine Differenzierung der Settings in Gruppen-, Einzel- und Teamsupervision.33
Während Supervision im sozialen Bereich über einen langen Zeitraum grundsätzlich in Einzelsettings durchgeführt wurde, brachte erst die Erforschung gruppendynamischer Prozesse die Idee, den Gruppenvorteil auch im Bereich der Supervision zu nutzen.34 Hieraus ergeben sich die Möglichkeiten der Gruppen- und Teamsupervisionen.
Bei der Gruppensupervision finden Gespräche eines Supervisors mit verschiedenen Personen in einer Gruppe statt, wobei die Teilnehmer in gleichen, ähnlichen oder anderen beruflichen Funktionen, jedoch nicht in einem gemeinsamen institutionellen Rahmen tätig sind.35 Eine andere Situation ergibt sich beim Setting der Teamsupervision. Hierbei werden kooperierende Arbeitsgruppen von jeweils einem Supervisor beraten.36 Im Unterschied zur Gruppe besteht ein Team aus einem festen Personengefüge, das über einen längeren Zeitraum zusammen arbeitet und dabei gemeinsam vorgegebene Leistungsanforderungen bzw. Arbeitsergebnisse erreichen soll. Aufgrund der gemeinsamen Aufgabenbewältigung besteht in einem Team meist eine gemeinsame Wertvorstellung im Sinne eines Wir-Gefühls.
Die dienstliche Tätigkeit und die Arbeitsanforderungen innerhalb der Polizeiorganisation führen automatisch zu ausgeprägten Formen der Teamarbeit. Ohne die Arbeit im Team ist ein Großteil der polizeilichen Aufgaben gar nicht zu bewältigen. Die Zusammenarbeit im täglichen Dienst, die gemeinsame Bewältigung von Einsatzlagen in der Gefahrengemeinschaft und das Wissen um persönliche Hintergründe eröffnen einer Supervision im Teamsetting ganz andere Möglichkeiten, als dies in einer Einzel- oder Gruppensupervision der Fall ist. Innerhalb einer Dienstgruppe werden supervisionsrelevante Ereignisse bei entsprechenden Einsatzlagen gemeinsam erlebt und abgearbeitet. Daher ist es naheliegend, die daraus resultierenden Belastungen und Konflikte auch gemeinsam in diesem Team supervisorisch zu beleuchten.
Teamsupervision ermöglicht den Teilnehmern einen identitätsstiftenden Wert, aber auch vielfältige Erfahrungen menschlicher Verbundenheit und erhält daher als Ort kollektiven Handelns „ihren besonderen Wert schon durch sich selbst.“37 Vor dem dargestellten Hintergrund polizeilicher Aufgabenbewältigung bietet die Teamsupervision ein zielführendes Instrument zur Reflexion dienstlicher Ereignisse.

5. Selbstreflexion als Professionalisierungsmerkmal im Polizeidienst


Das Instrument der Supervision ermöglicht den Supervisanden die Reflexion bestimmter Situationen bzw. die Selbstreflexion der eigenen Empfindungen und Verhaltensweisen. Unabdingbare Voraussetzung für eine erfolgreiche Durchführung von Supervision ist jedoch die Bereitschaft zur Reflexion des eigenen Handelns.
Insbesondere in komplexen Situationen sichert die Reflexion dem Supervisanden seine Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit durch die Förderung von Erkenntnissen, da eine Reflexion grundsätzlich neue Zugänge zu Aufgaben, Anliegen, Problemen und Konflikten eröffnet.38 Individuelle Reflexion kann die Fähigkeit zur Entwicklung situationsübergreifender, methodisch-systematischer Problemlösungstechniken stärken und zu einem angemessenen Umgang mit unbekannten Situationen führen.39 Dadurch fördert eine Reflexion durch Supervision die Fähigkeit in der Auseinandersetzung mit der eigenen Person und auch mit den Kollegen und trägt somit zu einer Professionalisierung des beruflichen Handelns bei.40 Nur wer seine Verhaltensweisen im Gesamtkontext reflektiert, kann seine Entscheidungs- und Kommunikationsfähigkeit, Handlungssicherheit und letztendlich auch seine persönlichen und sozialen Kompetenzen erweitern.

5.1 Individualethische Aspekte

Bezogen auf das Individuum des Polizisten stellt sich die Frage, welche Rolle im Polizeidienst die Bereitschaft spielt, das eigene Handeln und belastende Einsatzgeschehen im Nachhinein zu reflektieren.
Bei Betrachtung dieses individualethischen Aspektes sind eindeutige Schwerpunkte in der Fehlerkultur der Polizei und in der Kritikfähigkeit des Einzelnen zu erkennen. Unabhängig vom Polizeidienst, fällt es vielen Menschen schwer, sich selbst wahrzunehmen, zu relativieren und eigene Fehler einzugestehen. Darüber hinaus wird deutlich, dass dieser negative Umgang mit Fehlern bei der Polizei sehr ausgeprägt ist. Ursachen hierfür dürften in der Problematisierung der Fehlerkultur durch den Strafverfolgungszwang, aber auch in der bisherigen Polizeikultur liegen, die einen konstruktiven Umgang mit Schwächen und Fehlern nicht zugelassen hat. In dem ausgeprägten Image der starken Polizisten und in der Angst vor disziplinarischen Maßnahmen liegen die Gründe für eine Vermeidung von Selbstreflexion.41 Es muss darum gehen, Schwachstellen nicht mehr zu verheimlichen, sondern zu erkennen, dass Emotionen mit bisher tabuisierten Aspekten wie Angst und Unsicherheit zum Leben gehören.42
Dies ist wichtig, da nicht reflektierte Einsatzbelastungen und verschwiegene Probleme nicht nur für den Betroffenen zu Stress, Erkrankungen, Demotivation oder dem Gefühl mangelnder Wertschätzung, sondern auch zu Schwierigkeiten im unmittelbaren kollegialen Umfeld führen können. Es bedarf Kommunikationsbereitschaft, Offenheit und einer positiven Einstellung als unabdingbare Voraussetzungen für die Reflexion des eigenen Handelns, ohne die eine Bewältigung belastender Ereignisse gar nicht möglich erscheint.
„Die Reflexion über Sinn und Wert des eigenen Tuns eröffnet die Möglichkeit zu alltagspraktischer Selbstfürsorge […], [die] in Zeiten gesellschaftlicher Beschleunigung und Individualisierung und insbesondere im Kontext der Veränderungsprozesse in Organisationen eine immer höhere Bedeutung für die Organisationsangehörigen […] als psychosoziale Ressource bekommt.“43 Daher ist in der Selbstreflexion des beruflichen Handelns und des Selbstbildes ein notwendiger Bestandteil polizeilicher Professionalisierung zu sehen.44
In der individualethischen Betrachtung ist festzustellen, dass die Bereitschaft zur Selbstreflexion eine elementare und wichtige Rolle im Polizeidienst einnimmt. Diese Bereitschaft des Einzelnen scheint jedoch untrennbar mit der vorherrschenden Fehlerkultur verbunden zu sein. Erst wenn das Eingestehen von Fehlern und eine positive Kritikfähigkeit in der Organisationskultur verankert sind, wird eine bedingungslose und konstruktive Reflexion des eigenen Handelns für das Individuum des Polizisten möglich sein.

5.2 Organisationsethische Aspekte

Die Fähigkeit und Bereitschaft zur Reflexion des eigenen Handelns hängt nicht nur vom jeweiligen Individuum ab, sondern unterliegt auch Einflussfaktoren der Organisation sowie des unmittelbaren kollegialen Umfelds des Einzelnen. Insbesondere bürokratische Organisationen wie die Polizei „gelten nicht gerade als Orte der Gefühls- oder Beziehungsarbeit und damit nicht als besonders supervisionsempfänglich.“45
Demgemäß üben Dienstgruppen einen maßgeblichen Einfluss auf die Reflexionsbereitschaft ihrer Mitglieder aus, da sie durch das Zusammengehörigkeitsgefühl für den Einzelnen Unterstützung, Orientierung und sogar die Möglichkeit der Reflexion bieten. Dies wird insbesondere durch Gespräche und Einsatznachbereitungen im Rahmen informeller Treffen der Teams nach Dienstende, aber auch bei gemeinsamen Ausflügen gewährleistet.
Dienstgruppenleiter, Streifenpartner, Praxisanleiter und die sog. „Bärenführer“ werden als zentrale Figuren mit Vorbildfunktion im positiven Sinne verstanden. Dabei spielt die Vertrauensbasis zum Streifenpartner und zur Dienstgruppe eine entscheidende Rolle, um den Betroffenen vertrauliche Gespräche über belastende Ereignisse zu ermöglichen. In einer von Vertrauen geprägten Kollegialität möchten Beschäftigte in schwierigen Situationen die Unterstützung durch Kollegen in Anspruch nehmen.
In diesem Zusammenhang steht der Vorgesetzte in einer besonderen Vorbildfunktion. Der Umgang von Vorgesetzten mit ihren Mitarbeitern wird als entscheidender Faktor für die Motivation, die empfundene Wertschätzung und auch für die Reflexionsbereitschaft der Beamten bewertet.
Die Organisation Polizei ist auch heute noch durch eine mangelhafte Fehlerkultur geprägt. Notwendig wäre jedoch ein konstruktiver Umgang mit Fehlern. Erst wenn Fehler als potenzielle Grundlage für Verbesserungen erkannt werden, kann der Umgang mit Fehlern zu einem strukturellen Qualitätsmerkmal avancieren und bietet den Mitarbeitern die Chance zur Entwicklung einer eigenen positiven Fehlerkultur.46Dabei darf auch die Gefühlsarbeit im Polizeidienst nicht unberücksichtigt bleiben. „Insgesamt ist das Reden über Gefühle in der Polizei immer noch tabubesetzt oder mindestens ungewohnt.“47 Auch hier ist ein entsprechender Wandel erforderlich.
In diesem Zusammenhang müssen hohe emotionale Fähigkeiten als entscheidende Ressource erkannt und von der Organisation entsprechend gefördert werden.48
Im Ergebnis der organisationsethischen Betrachtung ist eine herausragende Bedeutung von Dienstgruppe und Streifenpartner auf die Reflexionsbereitschaft des einzelnen Polizisten festzustellen. Zur Förderung von Gesprächsbereitschaft und eines vertrauensvollen Umgangs in der Gruppe steht der jeweilige Vorgesetzte in einer wichtigen Vorbildfunktion und trägt demgemäß eine große Verantwortung zur Förderung der Reflexionsbereitschaft. Hierfür muss die Organisation jedoch insbesondere durch eine Verbesserung der Fehlerkultur, das Schaffen von Freiräumen und die Förderung des Selbstverständnisses von Selbstreflexion die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen.

5.3 Gesellschaftsethische Aspekte

Die Polizei verrichtet ihren „Dienst für und mit dem Bürger“49 und legt in ihrem Leitbild Wert auf ein partnerschaftliches Verhältnis. Die Arbeit der Polizei stößt bei vielen Bürgern auf großes Interesse. Die Polizeiarbeit und auch ihre Belastungen werden in den Medien täglich thematisiert. In diesem Kontext stellt sich die Frage, welche gesellschaftlichen Erwartungen an eine professionelle Polizei und an die einzelnen Polizisten hinsichtlich des Umgangs mit polizeispezifischen Belastungen gestellt werden.
Aufgrund ihrer Funktion und Tätigkeit in unserer Gesellschaft steht die Polizei fast selbstverständlich im Rampenlicht der Öffentlichkeit und wird von den Bürgern sowohl aufgrund individueller Erlebnisse als auch im Kontext der Darstellung in Massenmedien wahrgenommen.50 Neben realitätsfremden Darstellungen der Polizeiarbeit in Kriminalfilmen und sog. „Doku-Soaps“, gibt es auch seriöse Berichterstattungen. Diese geben den Bürgern Einblicke in die reale Polizeiarbeit und vermitteln hierbei Informationen über Aufgabenerfüllung, Belastungen im Polizeidienst, polizeiseelsorgerische Maßnahmen und Krisenintervention, was der Wahrnehmung und dem Wissen der Bevölkerung gut tut.
Eine Veränderung gesellschaftlicher Erwartungen durch diese Berichte ist jedoch nicht zu erwarten, da die Bevölkerung nicht nachvollziehen kann, wie belastende Einsatzsituationen von den Polizisten wirklich erlebt werden. Die Bürger erwarten vielmehr, dass die Polizei ihre Probleme regelt, neutral und professionell arbeitet, für Gerechtigkeit eintritt, sich Opfern zuwendet, schnell und sicher handelt und dabei die eigenen Belastungen hinten anstellt. Auch wenn er um die Belastungen des Polizeiberufs weiß, werden diese aber im konkreten Fall von den individuellen Interessen des Bürgers überlagert und somit nicht akzeptiert. Das Interesse nach Berücksichtigung spezifischer Besonderheiten seines konkreten Anliegens steht für den Bürger im Vordergrund.51
Die Bevölkerung erwartet, dass die Polizei in ihrer Gesamtheit funktionsfähig ist und die politische Führung in der Pflicht steht, sich um belastete Polizisten durch geeignete Maßnahmen zu kümmern. Die Polizei ist in vielen Situationen immer der erste Ansprechpartner für den Bürger. Daraus lässt sich auch der hohe Erwartungsdruck der Bevölkerung erklären.
Im Ergebnis ist festzustellen, dass die Medien die Sichtweise der Bevölkerung über die Polizeiarbeit entscheidend beeinflussen. Dadurch wird auch das Bewusstsein über polizeiliche Belastungen bei den Bürgern geschärft. Dennoch sind die gesellschaftlichen Erwartungen an eine funktionsfähige Polizei sehr hoch, da jeder Mensch im Kontakt mit der Polizei ganz egoistisch nur sein Anliegen sieht und von der Polizei eine professionelle Arbeit verlangt. Aus dieser Erwartungshaltung an voll einsatzfähige Polizisten kann jedoch die Forderung nach Gesunderhaltung bzw. Wiederherstellung der vollen Einsatzfähigkeit bei entsprechenden Beeinträchtigungen abgeleitet werden.
Die Polizei sollte sich daher auch gesellschaftsethisch verpflichtet sehen, Belastungen aufzuarbeiten, um die volle Dienstfähigkeit im Dienst für und mit dem Bürger zu gewährleisten.

6. Supervision als Instrument zur Selbstreflexion in der Polizei

6.1 Handlungsbedarf in der Polizei Rheinland-Pfalz

Die untersuchten Belastungen im Polizeiberuf mit den erkannten Schwerpunkten hinsichtlich des Erlebens toter und schwerverletzter Menschen, der Beteiligung von Kindern sowie Gewalterfahrungen in Ausübung des Polizeidienstes, lassen deutlichen Handlungsbedarf erkennen. Hierbei werden neben dem Umgang mit Betroffenen und Angehörigen insbesondere die Empathie und die Wahrnehmung durch Sehen, Hören und Riechen als zentrale Aspekte belastender Situationen angesehen. Die Organisationskultur und die zunehmende Komplexität des Polizeidienstes sind dabei verstärkende Faktoren.
Zur Kompensation dieser Belastungen bietet die rheinland-pfälzische Polizei ihren Beamten bereits einige Betreuungsangebote. Konkrete Angebote beziehen sich, wie bereits dargestellt, nur auf Akutphasen oder spezifische Einzelfälle.
Individuell erlebte Belastungssituationen bleiben unberücksichtigt, genau wie die Zeit vor und teilweise nach den jeweiligen Akutphasen. Das individuelle Belastungsempfinden der Polizisten sowie eine präventive Vorbereitung auf potenziell belastende Einsatzsituationen finden keine Berücksichtigung.
Dennoch wird jeder Polizist in seinem dienstlichen Alltag schwere Verkehrsunfälle erleben und mit toten und schwerverletzten Menschen umgehen müssen. In diesem Zusammenhang erscheint eine Vorbereitung junger Polizisten auf gewisse Situationen zielführend, um den Umgang und die Bewältigung solcher Einsätze zu erleichtern. Bei diensterfahrenen Polizisten führen dagegen die Häufigkeit und Vielzahl bisher erlebter Einsatzsituationen zu kumulierenden Belastungen, die durch jeden weiteren Einsatz verstärkt werden können. Daher ist eine Selbstreflexion für jeden Polizeibeamten notwendige Voraussetzung zur Bewältigung akuter und zum professionellen Umgang mit künftigen belastenden Einsatzsituationen. Die Durchführung von Supervision könnte hierzu einen wichtigen Beitrag leisten.
Hinsichtlich der Zielgruppe, ergibt sich, wie bereits erörtert, ein eindeutiger Schwerpunkt im Bereich des Wechselschichtdienstes der Schutzpolizei und des Kriminaldauerdienstes. Darüber hinaus besteht weiterer Handlungsbedarf bei den Mitarbeitern von Kriminalkommissariaten, die sich mit Sexualdelikten, Gewalt gegen Kinder und Frauen sowie mit Todesermittlungen und Spurensicherung befassen.
Für die genannten Zielgruppen würde sich Supervision im Team anbieten, bei der die Polizisten einer Dienstgruppe oder eines Kommissariats als Team gemeinsam solche Einsatzereignisse reflektieren könnten. Insbesondere jüngere Polizisten könnten sich somit präventiv auf solche belastende Ereignisse vorbereiten und im Vorfeld Handlungsstrategien für den Umgang mit diesen Belastungen erlernen. Erfahrene Beamte könnten bereits erlebte Situationen und bestehende Belastungen aufarbeiten und im Rahmen der Teamsupervision zudem ihre Erfahrungen im Umgang mit schwierigen Situationen an jüngere Kollegen weitergeben. Somit könnte die Supervision im Team präventive Aspekte mit der Verarbeitung erlebter Belastungen sinnvoll verknüpfen. Die Teammitglieder könnten dadurch mit Hilfe der Supervision voneinander lernen, was nicht zuletzt die gegenseitige Wertschätzung zwischen jungen und dienstälteren Kollegen positiv beeinflussen würde.
Dagegen erscheint die Vorbereitung auf größere Schadenslagen und Katastrophen mit den dadurch verbundenen Belastungen generell nur schwer möglich. Grundsätzlich ist auch bei der Verarbeitung schwerwiegender Belastungen infolge derartiger Einsatzlagen an das Instrument der Supervision zu denken. Dabei ist jedoch die strenge Abgrenzung zwischen Belastungen und schweren Beeinträchtigungen der Polizisten wie z.B. durch posttraumatische Belastungsstörungen, zwingend erforderlich, da die Beamten in einem solchen Fall einer professionellen psychologischen Therapie zugeführt werden müssen.

6.2 Voraussetzungen

Die Durchführung von Supervision in der Polizei ist an gewisse Voraussetzungen geknüpft, die in der Verantwortlichkeit der Organisation liegen. Neben der Bereitstellung der notwendigen finanziellen Mittel und Ressourcen müssten trotz bzw. aufgrund der steigenden Komplexität des Polizeidienstes Freiräume geschaffen werden, um den Polizisten die Teilnahme an Supervisionsmaßnahmen zu ermöglichen. Hierbei wäre es erforderlich, den Beamten die Durchführung von Supervision außerhalb ihrer normalen Dienstzeit und außerhalb ihrer Dienststellen, jedoch im Team mit ihren vertrauten Kollegen aus den Kommissariaten bzw. Dienstgruppen zu ermöglichen. Zielführend im Sinne der Organisationsentwicklung wäre in diesem Zusammenhang die Aufnahme von Supervision in den allgemeinen Fortbildungskatalog sowie die Implementierung dieses Beratungsinstruments in den Kontext des behördlichen Gesundheitsmanagements.
Es scheint erforderlich „die Thematisierung von persönlichen Empfindungen, subjektivem Belastungserleben und individuellem Entlastungsbedarf als wesentliche Bestandteile der […] Personalentwicklungsprozesse, der Aus- und Fortbildung als auch des Führungsverhaltens in das professionelle Selbstverständnis der Polizei zu integrieren.“52 Aus diesem Grund müsste neben den dargelegten organisationalen Voraussetzungen auch die Organisationskultur einen deutlichen Wandel erfahren. Die Organisation muss sich von einer mangelhaften Fehlerkultur lösen und einen konstruktiv positiven Umgang mit Fehlern glaubwürdig vorgeben. Eine weitere Voraussetzung liegt im generellen Umgang mit Gefühlsarbeit. Die Organisation und insbesondere die Vorgesetzten müssen die Polizisten zur Thematisierung von Empfindungen und Belastungen ermutigen und diese Einstellung auch vorleben. In Verbindung mit einer positiven und konstruktiven Fehlerkultur kann dadurch ein professionelles Selbstverständnis von Supervision und Selbstreflexion in die Organisationskultur der Polizei integriert werden.
Eine entscheidende Voraussetzung für eine erfolgreiche Implementierung von Supervision liegt in der Akzeptanz und dem Vertrauen der Polizisten in den Supervisor. Die Akzeptanz durch die Supervisanden hängt maßgeblich von den Kompetenzen des handelnden Supervisors ab. In diesem Zusammenhang wird die Feldkompetenz als wichtige Voraussetzung angesehen.53 Hierzu zählen insbesondere das Wissen über die polizeiliche Tätigkeit mit ihren Belastungen und ein Überblick über die Organisationsstruktur der Polizei. Wichtig sind diesbezüglich auch Kenntnisse der Polizeisprache, die das Verstehen beim Supervisor ermöglichen und die Akzeptanz bei den Supervisanden steigert.54
Im Interesse einer professionellen Organisations- und Personalentwicklung wird eine offiziell anerkannte Ausbildung zum Supervisor als zwingende Voraussetzung erachtet.
Eine zielführende Supervision im Sinne gewinnbringender Organisations- und Personalentwicklung setzt auf Seiten der Teilnehmer bestimmte Einstellungen und Verhaltensweisen voraus. Zunächst sind in diesem Zusammenhang die sozialen und persönlichen Kompetenzen zu nennen, die bei Polizisten zur Verarbeitung belastender Ereignisse als notwendig erachtet werden. Neben Kommunikations- und Teamfähigkeit, einer gewissen Belastbarkeit und Menschlichkeit ist auch die Kompetenz zur Gefühlsarbeit eine notwendige Voraussetzung für einen konstruktiven Umgang mit Belastungen.
Die Erörterung individualethischer Aspekte verdeutlicht das Erfordernis an Kommunikationsbereitschaft, Offenheit und positiver Einstellung als wichtige Voraussetzung zur Reflexion des eigenen Handelns. Diesbezüglich wurde bereits festgestellt, dass diese Reflexionsbereitschaft des einzelnen Polizisten untrennbar mit der Fehlerkultur der Organisation verbunden ist, wobei Strafverfolgungszwang und mögliche Disziplinarmaßnahmen es dem Individuum zusätzlich erschweren, eigene Fehler einzugestehen und das Handeln zu reflektieren. Zur Verbesserung der individuellen Reflexionsbereitschaft muss die Organisation demnach im Rahmen ihrer Entwicklung zu einer konstruktiven und positiven Fehlerkultur finden. Dennoch muss jeder einzelne Polizist in einem ständigen Prozess seine Fehlerkultur und seine Kritikfähigkeit verbessern, um eine wirksame Reflexion durch Supervision zu ermöglichen.

7. Fazit und Ausblick

Abschließend kann die zentrale Frage nach der Notwendigkeit von Supervision im Polizeiberuf als Instrument zur professionellen Selbstreflexion eindeutig mit Ja beantwortet werden. Die Untersuchung der Belastungen im Polizeidienst lässt einen deutlichen Schwerpunkt beim Umgang mit toten und schwerverletzten Menschen, bei der Beteiligung von Kindern sowie bei Gewalterfahrungen erkennen. Die steigende Komplexität des Polizeidienstes und die Organisationskultur beeinflussen diese Belastungen zusätzlich. Die Aussagen in den Experteninterviews und in der einschlägigen Fachliteratur zeigen das Erfordernis, den Polizisten beim Umgang mit schwierigen Einsatzsituationen und bei der Bewältigung entsprechender Belastungen professionelle Unterstützung anzubieten. Zur Schließung aufgezeigter Lücken im aktuellen Betreuungsangebot der rheinland-pfälzischen Polizei wird Supervision grundsätzlich als geeignetes Instrument bewertet, wobei gewisse Voraussetzungen erfüllt sein müssen, um eine zielführende Reflexion durch Supervision gewährleisten zu können.
Vertrauen, Akzeptanz durch Feldkompetenz, Neutralität durch Distanz und eine professionelle Supervisionsausbildung sind entscheidende Voraussetzungen für einen Supervisor.
Weitere Voraussetzungen für eine erfolgreiche Supervision sind Kommunikations-, Konflikt- und Teamfähigkeit sowie weitere soziale und persönliche Kompetenzen der teilnehmenden Polizisten, deren Rolle als Supervisanden zudem eine Bereitschaft zur Selbstreflexion erfordert. Die genannten Kompetenzen, die Selbstreflexion und die Supervision bedingen einander gegenseitig und verstärken sich dabei gleichzeitig.
Zudem muss die Organisation neben der Bereitstellung nötiger Ressourcen und der Schaffung von Freiräumen für ihre Mitarbeiter den bereits einsetzenden Wandel der Polizeikultur weiter forcieren. Dabei müssen die Enttabuisierung des Sprechens über Gefühle und Emotionen sowie die damit verknüpfte Reflexion des eigenen Handelns als Selbstverständlichkeit Eingang in die Organisationskultur finden. Nur mit dem authentischen Vorleben einer positiven und konstruktiven Fehlerkultur kann die Polizei ihrem Beamten als Individuum eine zielführende Selbstreflexion ermöglichen und dadurch das Instrument der Supervision im Bereich der Polizei erfolgreich implementieren. Von der Supervision profitiert sowohl der einzelne Beamte als auch die gesamte Organisation durch vielfältige positive Auswirkungen, höhere Belastbarkeit, bessere Arbeitsergebnisse, gesteigerte Arbeitszufriedenheit und Motivation der Polizisten sowie eine verbesserte Psychohygiene und die Reduktion von Fehlern.55
Bei abschließender Bewertung der Aussagen in den Experteninterviews und in der Fachliteratur kann im Ergebnis festgestellt werden, dass im Polizeidienst die Einführung von Supervision im Team zur Bewältigung belastender Einsatzsituationen, aber auch insbesondere zur präventiven Auseinandersetzung der Polizisten mit zukünftigen Einsatzbelastungen, als notwendiger Bestandteil einer zeitgemäßen und modernen Organisations- und Personalentwicklung erachtet wird.
Mittlerweile hat die Polizei Rheinland-Pfalz die sich aus der Supervision ergebenden Chance erkannt. Im März 2015 konnte im Polizeipräsidium Rheinpfalz ein Pilotprojekt „Supervision“ beginnen, das zunächst auf eine Laufzeit von einem Jahr begrenzt wurde. Im Zuge der Evaluation des Projektes im Frühjahr 2016 werden Empfehlungen hinsichtlich einer landesweiten Implementierung von Supervision im Polizeidienst erfolgen. Eine Entscheidung hierüber darf mit Spannung erwartet werden.

Anmerkungen


  1. Rommel (1995): Harte Männer braucht die Polizei, S. 331.
  2. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Die maskuline Form gilt insofern für beiderlei Geschlecht.
  3. Vitek (2009): Supervision, S. 505.
  4. Behr (2000): Cop Culture, S. 215.
  5. ISM Rheinland-Pfalz (2009): Dienstvereinbarung zur Umsetzung des Behördlichen Gesundheitsmanagements, S. 1.
  6. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (2008): Psychische Belastung durch traumatisierende Ereignisse im Beruf, S. 16.
  7. Vgl. Hallenberger / Mueller (2000): Was bedeutet für Polizistinnen und Polizisten Stress, S. 60.
  8. Vgl. Behr (2009): Coaching und Supervision als Professionalisierungsinstrument, S. 196.
  9. Vgl. Szymenderski (2011): Gefühlsarbeit als Element professioneller Polizeiarbeit, S. 94.
  10. Vgl. Hertel et al. (2007): Emotionale Intelligenz als Ressource im Polizeialltag, S. 694.
  11. Vgl. Behr (2000): Cop Culture, S. 214.
  12. Okunlola (2009): Dem Volk dienen, S. 325 f.
  13. Vgl. Szymenderski (2011): Gefühle als Qualifikationsanforderung im Polizeidienst, S. 325.
  14. Vgl. Hallenberger / Mueller (2000): Was bedeutet für Polizistinnen und Polizisten Stress, S. 60.
  15. Behr (2006): Polizeikultur. Routinen – Rituale – Reflexionen, S. 12.
  16. Chwallek et al. (2011): Coaching, Gesundheitszirkel und Supervision bei Polizeibeamten, S. 345.
  17. Grützner (2006): Vorwort zum Handbuch Polizeiseelsorge, S. 11.
  18. Ahlf (2000): Ethik im Polizeimanagement, S. 98.
  19. Ahlf (2000): Ethik im Polizeimanagement, S. 152.
  20. Vgl. Daser (2011): Kollegialität, S. 38.
  21. Vgl. Völschow (2007): Kollegiale Beratung und Supervision (KoBeSu), S. 163.
  22. Vgl. Handrich (2011): Professionalität und Qualität der Arbeit, S. 11 f.
  23. Vgl. Vitek (2009): Supervision, ein Instrument zur positiven Gestaltung des beruflichen Handelns der Polizei, S. 26.
  24. Vgl. Belardi (2005): Supervision, S. 18 f.
  25. Vgl. DGSv (2012): Supervision ein Beitrag zur Qualifizierung beruflicher Arbeit, S. 7.
  26. Vgl. Belardi (2005): Supervision, S. 19.
  27. Vgl. Belardi (2005): Supervision, S. 19.
  28. Vgl. DGSv (2012): Supervision ein Beitrag zur Qualifizierung beruflicher Arbeit, S. 7.
  29. de.pons.eu/latein-deutsch
  30. DGSv (2012): Supervision ein Beitrag zur Qualifizierung beruflicher Arbeit, S. 8.
  31. Belardi (2005): Supervision, S. 15.
  32. Hausinger (2011): Supervision, S. 9.
  33. Vgl. Rappe-Giesecke (2003): Supervision für Gruppen und Teams, S. 8.
  34. Vgl. Rappe-Giesecke (2003): Supervision für Gruppen und Teams, S. 3.
  35. Vgl. DGSv (2012): Supervision ein Beitrag zur Qualifizierung beruflicher Arbeit, S. 19.
  36. Schreyögg (2004): Supervision, S. 22.
  37. Schreyögg (2004): Supervision, S. 206.
  38. Vgl. Hausinger (2011): Supervision, S. 9 f.
  39. Vgl. Senuysal (2011): Individuelle und strukturelle Belastungen im Polizeidienst und ihre Auswirkungen auf die Erfüllung polizeilicher Aufgaben, S. 250 f.
  40. Vgl. Smetanin (2005): Polizisten in der Krise, S. 69.
  41. Vgl. Smetanin (2005): Polizisten in der Krise, S. 68.
  42. Vgl. Hallenberger (1998): Polizeiliche Beanspruchung, S. 154.
  43. Daser / Kerschgens (2011): Selbstfürsorge, S. 57.
  44. Vgl. Mensching (2011): Polizeiliches Handeln, S. 60.
  45. Behr (2004): Wir haben nie gelernt über Gefühle zu reden, S. 44.
  46. Vgl. Haselow / Schümchen (2004): Über die Fehlerkultur, S. 269.
  47. Behr (2004): Supervision in der Polizei, S. 160.
  48. Vgl. Hertel et al. (2007): Emotionale Intelligenz als Ressource im Polizeialltag, S. 694.
  49. Polizei Rheinland-Pfalz (2004): Unser Leitbild.
  50. Vgl. Schweer (2007): Die Polizei im Fokus der Öffentlichkeit, S. 751.
  51. Vgl. Szymenderski (2011): Gefühlsarbeit als Element professioneller Polizeiarbeit, S. 94.
  52. Szymenderski (2011): Gefühle als Qualifikationsanforderung im Polizeidienst, S. 329.
  53. Vgl. Ricken (2001): Supervision und Coaching in der Polizei, S. 20.
  54. Vgl. Hörner (2001): Sozialarbeit in der Polizei, S. 12.
  55. Vgl. Vitek (2009): Supervision, S. 506.