Die polizeibezogenen Empfehlungender StPO-Expertenkommission zur praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens

Von Ass. iur. Steffen Rittig, LL.M.; Hochschule der Polizei Rheinland-Pfalz

Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat eine Expertenkommission eingesetzt, die Vorschläge zur Verbesserung des Strafprozessrechts erarbeitet hat. Das Gremium empfiehlt eine ganze Reihe von Änderungen, die das Verfahren straffen und vereinfachen sollen. Der Beitrag erläutert und bewertet diejenigen Vorschläge, die die Arbeit der Polizei im Strafverfahren betreffen.

1. Einleitung


Das Strafverfahren und die damit verbundene Formenstrenge werden teilweise als ineffektiv und über das erforderliche Maß hinaus aufwendig empfunden. Um innerhalb des durch das Grundgesetz abgesteckten Rahmens Verbesserungsmöglichkeiten auszuloten, hat das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) eine „Expertenkommission zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des allgemeinen Strafverfahrens und des jugendgerichtlichen Verfahrens“ eingesetzt.

Das 42-köpfige Gremium besteht aus Vertretern der Wissenschaft, der juristische Praxis, der Landesjustizverwaltungen, des Bundesministeriums des Innern und des BMJV. In ihrem im Oktober 2015 vorgestellten und rund 180 Seiten starken Bericht spricht die Expertenkommission 50 Empfehlungen zur Änderung des Strafverfahrensrechts aus, die das Verfahren effektiver gestalten sollen. Im Folgenden werden die unmittelbar die polizeiliche Arbeit betreffenden Vorschläge erläutert und bewertet. Dabei wird auch auf die Stellungnahme des Strafrechtsausschusses der Bundesrechtsanwaltskammer Bezug genommen.

2. Anwesenheits- und Fragerecht des Verteidigers bei polizeilichen Beschuldigtenvernehmungen


Die Expertenkommission empfiehlt: „Dem Verteidiger sollte ein Anwesenheitsrecht bei der polizeilichen Vernehmung des Beschuldigten gestattet werden. Ihm sollte dabei ein Fragerecht zustehen.“
Bisher besteht ein Anwesenheitsrecht des Verteidigers nur bei richterlicher (§ 168c Abs. 1 StPO) und staatsanwaltschaftlicher Vernehmung (§ 163a Abs. 3 Satz 2 i. V. m. § 168c Abs. 1 StPO). Das ist tatsächlich nicht überzeugend, denn nach Auffassung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte kann das Anwesenheitsrecht in dieser Verfahrenssituation aus Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK und aus der Richtlinie 2013/48/EU vom 22. Oktober 2013 hergeleitet werden. Insoweit sieht die Expertengruppe die Bundesrepublik Deutschland durch europarechtliche Vorgaben zur Anpassung der StPO verpflichtet.
Wird einem Verteidiger nach heutigem Recht die Anwesenheit bei der polizeilichen Vernehmung nicht gestattet, wird er dem Beschuldigten die Verweigerung der Aussage zur Sache empfehlen oder ihn zum Gehen auffordern, wodurch die polizeiliche Vernehmung sinnlos wird. Vor diesem Hintergrund würde die Einführung eines Anwesenheitsrechts bei der polizeilichen Vernehmung in der Gesamtschau aller Vorgänge vermutlich keine Mehraufwände für die Polizei verursachen.
Die Expertenkommission fürchtet allerdings, dass die polizeilichen Vernehmungspersonen dem juristischen Sachverstand des Verteidigers nicht gewachsen sein könnten. Das scheint unbegründet, denn die polizeiliche Vernehmung dient in erster Linie der Sachverhaltsaufklärung, weshalb dem Beschuldigten zumindest bei der ersten polizeilichen Vernehmung gem. § 163a Abs. 4 Satz 1 StPO nur die ihm zur Last gelegte Tat zu eröffnen ist, nicht aber die in Betracht kommenden Strafvorschriften. Die Nennung der Strafvorschriften verlangt nur § 136 Abs. 1 Satz 1 StPO, auf den § 163a Abs. 4 Satz 2 StPO gerade nicht verweist, weshalb sich die Polizeibeamten auf vertiefte rechtliche Auseinandersetzungen mit dem Verteidiger ohnehin nicht einlassen müssen. Zudem trifft die Polizei auch keine verfahrensabschließenden Entscheidungen, weswegen es auch aus der Sicht eines Verteidigers nicht sinnvoll erscheint, nach Einleitung eines Strafverfahrens mit der Polizei vertiefte Diskussionen über rechtliche Details zum Strafvorwurf zu suchen. Schließlich, drittes Argument, ist es bei Abwesenheit eines Verteidigers typischerweise der Beschuldigte, der der Fachkompetenz der Polizeibeamten unterlegen und damit aus prozessualer Sicht schützenswert ist. Somit spricht viel dafür, Strafverteidigern ein Anwesenheitsrecht bei polizeilichen Vernehmungen zuzubilligen und ihnen dann – anders macht es keinen Sinn – auch ein Fragerecht zuzubilligen. Das sieht auch der Strafrechtsausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer so.

3. Anwesenheits- und Fragerecht des Verteidigers bei Tatortrekonstruktionen und Gegenüberstellungen

Die Expertenkommission empfiehlt: „Bei Tatortrekonstruktionen und Gegenüberstellungen mit dem Beschuldigten sollte dem Verteidiger die Anwesenheit gestattet werden. Die Regelungen weiterer Anwesenheitsrechte des Verteidigers empfiehlt die Kommission nicht.?

Foto: Ministerium der
Justiz Rheinland-Pfalz

Eine Tatortrekonstruktion kann durch die Anwesenheit der Verteidigung allerdings schwieriger werden, wenn nachdrücklich andere Vorstellungen vom Geschehensablauf eingebracht werden. Andererseits lassen sich so vielleicht frühzeitig und dokumentiert Einwände abarbeiten, die sonst erst in der Hauptverhandlung vorgebracht würden und zur Wiederholung der Tatrekonstruktion führen könnten. Dies spricht genauso für den Vorschlag der Kommission, wie auch das Argument, dass Tatortrekonstruktionen unter Mitwirkung eines Beschuldigten viel besser gelingen können. Muss ein Verteidiger aber seinen Ausschluss befürchten, kann er aus verfahrenstaktischen Erwägungen selbst einem geständigen Beschuldigten die Mitwirkung an der Rekonstruktion keinesfalls empfehlen. Entsprechend begrüßt auch der Strafrechtsausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer den Vorschlag, auch wenn man sich dort noch weitere Anwesenheitsrechte des Verteidigers gewünscht hätte, etwa bei der staatsanwaltschaftlichen Vernehmung von Zeugen.

4. Legaldefinition für den Beschuldigtenbegriff


Die Expertenkommission empfiehlt: „Die Möglichkeiten einer gesetzlichen Regelung des Beschuldigtenbegriffs unter Einschluss der Rechtsstellung des strafunmündigen Kindes sollten geprüft werden.“
Derzeit wird der Beschuldigtenbegriff in der StPO zwar vorausgesetzt, eine Legaldefinition existiert allerdings nicht. Daher gibt es verschiedene Ansichten über die Voraussetzungen der Beschuldigteneigenschaft, die zu einem „formellen Beschuldigtenbegriff“, einem „materiellen Beschuldigtenbegriff“ und dem in praxi typischerweise angewendeten „gemischt formell-materiellen Beschuldigtenbegriff“ geführt haben. Die Frage, von welchem Beschuldigtenbegriff auszugehen ist, hat für die Polizei eine hohe Bedeutung, weil der Beschuldigtenstatus verfahrenserhebliche Informations- und Belehrungspflichten auslöst, die vor der polizeilichen Vernehmung zur Sache oder im Zusammenhang mit einer Spontanäußerung zu erfüllen sind. Die Empfehlung der Expertengruppe kann wegen der damit verbundenen Rechtsklarheit für die Polizei nur begrüßt werden. Das sieht auch der Strafrechtsausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer so.

5. Erscheinenspflicht von Zeugen bei der Polizei bei staatsanwaltschaftlichem Vernehmungsauftrag


Die Expertenkommission empfiehlt: „Zeugen sollten zur Vernehmung vor Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft erscheinen müssen, wenn der polizeilichen Ladung ein einzelfallbezogener Auftrag der Staatsanwaltschaft zugrunde liegt. Bestehen Zweifel hinsichtlich der Zeugeneigenschaft oder hinsichtlich des Vorliegens von Zeugnis- oder Auskunftsverweigerungsrechten, soll die Polizei verpflichtet werden, unverzüglich Kontakt mit der Staatsanwaltschaft aufzunehmen.“
Zeugen sind nach geltendem Recht nur bei richterlichen (§ 48 Abs. 1 StPO) und staatsanwaltschaftlichen (§ 161a Abs. 1 Satz 1 StPO) Vernehmungen zum Erscheinen verpflichtet, nicht jedoch auf Ladung der Polizei. Das Verfahren kann sich aber erheblich verzögern, wenn geladene Zeugen ohne Rückmeldung der polizeilichen Vernehmung fernbleiben. Daher ist der Vorschlag, die Zeugen bei staatsanwaltschaftlicher Einzelanordnung zum Erscheinen zur polizeilichen Vernehmung zu verpflichten, ein begrüßenswerter Ansatz zur Verfahrensbeschleunigung. Das angestrebte Erfordernis einer Einzelanordnung resultiert aus der Sachleitungsbefugnis der Staatsanwaltschaft, die immerhin bis zum Abschluss der letzten gerichtlichen Instanz die verfahrensrechtliche Verantwortung für alle strafprozessualen Maßnahmen trägt. Deshalb hat das Gremium auch zurecht keine generelle Erscheinenspflicht bei polizeilichen Vernehmungen empfohlen. Dieser Vorschlag findet auch den Zuspruch des Strafrechtsausschusses der Bundesrechtsanwaltskammer, die die verpflichtende Teilnahme an einer polizeilichen Vernehmung allerdings gerne mit einer audiovisuellen Dokumentation derselben verknüpft sähe (siehe unten Nr. 7).
Plausibel ist auch die Empfehlung der Expertenkommission, die ohnehin geübte Praxis einer Rücksprache zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft bei Zweifeln über die Zeugeneigenschaft oder Art und Umfang eines Zeugnis- oder Aussageverweigerungsrechts im Gesetz zu verankern.

6. Abschaffung des Richtervorbehalts bei Blutproben für Verkehrsdelikte


Die Expertenkommission empfiehlt: „Der Richtervorbehalt bei Blutprobenentnahmen sollte im Bereich der Straßenverkehrsdelikte abgeschafft werden. Die regelmäßige Anordnungsbefugnis sollte auf die Staatsanwaltschaft übergehen.“
Die Entnahme einer Blutprobe zur Feststellung der Blutalkoholkonzentration zu repressiven Zwecken bei Verdacht der Fahruntüchtigkeit ist eine körperliche Untersuchung gem. § 81a Abs. 1 StPO, deren Anordnung nach Abs. 2 der Vorschrift dem Richter obliegt. Nur wenn die engen Voraussetzungen einer Gefahr im Verzug vorliegen, obliegt die Anordnungskompetenz dem Staatsanwalt und, nach herrschender Auffassung nachrangig, ihren Ermittlungspersonen.Nicht geteilt wird die Auffassung der Kommission, dass die Grundrechtseingriffsintensität bei der Blutentnahme derart niederschwellig sei, dass ein vorgeschalteter Rechtsschutz in Form eines Richtervorbehalts verzichtbar wäre. Auch wenn eine ordnungsgemäß durchgeführte Blutentnahme tatsächlich nicht schlimm ist, steht die Annahme der Niederschwelligkeit doch im Widerspruch zu der Wertung des § 81a Abs. 1 Satz 2 StPO. Nach dieser Vorschrift sind die mit unfachmännischen Blutentnahmen verbundenen Gefahren nämlich offenbar so hoch, dass Blutentnahmen kumulativ nur „von einem Arzt“ und nur „nach den Regeln der ärztlichen Kunst“ vorgenommen werden dürfen. Vor diesem Hintergrund erscheint der Verzicht auf vorgeschalteten Rechtsschutz durch Wegfall des Richtervorbehalts keinesfalls naheliegend, sondern als Systembruch. Vermisst wird in diesem Zusammenhang eine Auseinandersetzung mit der Durchsuchung des Beschuldigten nach Beweismitteln gem. § 102 StPO, die nach § 105 Abs. 1 StPO ebenfalls unter Richtervorbehalt steht. Für diese Maßnahme wurde nämlich gerade kein Verzicht auf den Richtervorbehalt empfohlen, obwohl beispielsweise das Abtasten des bekleideten Körpers und der anschließende Griff in die Hosen- und Jackentaschen eindeutig weniger grundrechtsbelastend sind als die Entnahme von Blut aus dem Körper mit einer Spritze.
Nicht überzeugend ist ferner die Annahme der Kommission, dass der nachträgliche Rechtsschutz ebenso effektiv die Rechtsstaatlichkeit der Ermittlungsmaßnahme sichern könne, wie ein Richtervorbehalt. Die Kommission geht auf zwei wesentliche Punkte nicht ein: Zum wird ein Gericht nachträglich nur auf Antrag tätig, was wiederum voraussetzt, dass der Betroffene von der Möglichkeit nachträglichen Rechtsschutzes weiß, was mangels Rechtsbehelfsbelehrung in diesen Fällen erst nach kostenpflichtiger Beratung durch einen Rechtsanwalt der Fall sein wird. Zum zweiten ist die eigentlich statthafte Anfechtung der Maßnahme gem. § 23 EGGVG wegen ihrer Erledigung ausgeschlossen, weshalb dem Betroffenen als Rechtsbehelf nur der Antrag auf gerichtliche Entscheidung analog § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO bleibt. Dieser Antrag wird aber in aller Regel fruchtlos verlaufen, weil das Gericht erst nach Vorlage der Verfahrensakte entscheiden kann. Die Akte der die Maßnahme anordnenden Behörde wird spätestens bei der erst mehrere Tage später dort eingehenden Anforderung durch das Gericht typischerweise aber so abgefasst sein, dass die Voraussetzungen für die Anordnung der Blutprobe im Rückblick in jedem Fall erfüllt sein werden – alles andere wäre eine enorme Überraschung. Daher gilt: Nur die spontane Beantwortung von Fragen, die der Richter dem (z. B. auf Geheiß des Staatsanwalts) anrufenden Polizeibeamten zum Sachverhalt stellt, ist geeignet, eine objektiv bestehende Unklarheit des Sachverhalts oder etwa bestehende Wertungsfehler (z. B. der Verdacht einer Trunkenheitsfahrt ergäbe sich daraus, dass der Proband einen Atemalkoholtest verweigert) aufzudecken und zugleich mit Blick auf den drohenden Beweismittelverlust schnell zu entscheiden.
Dieser Einwand darf nicht so verstanden werden, dass Staatsanwaltschaft und Polizei nicht die fachliche Expertise für eine ordnungsgemäße Prüfung hätten. Er ist vielmehr das Ergebnis der allgemeinen Wertung des Gesetzgebers, dass von der Exekutive angestrebte schwerwiegendere Grundrechtseingriffe vor ihrer Durchführung auch durch die Judikative geprüft werden müssen (Vier-Augen-Prinzip), sofern die Zeit es irgendwie zulässt, und zwar sowohl in der Repression als auch in der Prävention. Zur Verdeutlichung des Gedankengangs sei auf die repressive Freiheitsentziehung verwiesen: Grundsätzlich bedarf es eines vorher einzuholenden gerichtlichen Haftbefehls nach § 114 StPO. Nur unter den engen Voraussetzungen der Gefahr im Verzug kann eine vorläufige Festnahme nach § 127 Abs. 2 StPO auch durch Staatsanwaltschaft und Polizei erfolgen, was dann – anders als bei der Blutentnahme – unmittelbar die Vorführung gem. § 128 Abs. 1 S. 1 StPO und damit nachträglichen Rechtsschutz ohne ein Antragserfordernis auslöst.
Obwohl die Kommission die Blutentnahme als niederschwellig ansieht, unterbreitet sie den dann auf der Hand liegenden Vorschlag nicht, nicht nur bei Verkehrsdelikten, sondern in allen Deliktsbereichen auf den Richtervorbehalt bei der Blutentnahme zu verzichten. Das ist nicht konsequent, denn aus der Sicht des Beschuldigten pikst die Nadel immer gleich stark in den Arm, rechtlich formuliert hat dieser Eingriff in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG immer dieselbe Intensität, unabhängig vom Anlass der Blutentnahme. Es stellt sich daher die Frage, ob der Vorschlag der Kommission nicht primär durch den Wunsch nach einer Entlastung der Gerichte geleitet ist, weil die allermeisten Blutentnahmen aus Anlass des Verdachts eines Verkehrsdelikts durchgeführt werden.
Vor dem hier erläuterten Hintergrund ist es sehr überraschend, dass der Strafrechtsausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer dem Vorschlag „nicht entgegentritt“, ihn also weder begrüßt, noch ablehnt. Der Ausschuss folgt der Expertengruppe in der Annahme, der massenhafte Charakter der Blutentnahme im Verkehrsbereich rechtfertige (nur dort!) niederschwelligere Eingriffsvoraussetzungen, zumal es nicht um schwerwiegende Straftaten gehe. Offen bleibt wiederum, weshalb der identische Eingriff in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit bei anderem, schärferem Deliktsvorwurf anders zu bewerten sein soll. Dieser offensichtliche Bruch in der Systematik des Strafverfahrensrechts wird auch dort nicht aufgegriffen, sondern schlicht hingenommen.

7. Audiovisuelle Dokumentation von Vernehmungen bei bestimmten Delikten


Die Expertenkommission empfiehlt: „Beschuldigten- und Zeugenvernehmungen sollten jedenfalls bei schweren Tatvorwürfen oder bei einer schwierigen Sach- oder Rechtslage im Regelfall audiovisuell aufgezeichnet werden. Die Vernehmung sollte nach den hierfür geltenden Regelungen zusätzlich protokolliert werden.“
Nach § 163 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. § 58a Abs. 1 Satz 1 StPO ist es bereits möglich, die polizeiliche Vernehmung eines Zeugen auf Bild-Ton-Träger aufzuzeichnen, in den Fällen des Satz 2 „soll“ die Aufzeichnung erfolgen. Mit guten Argumenten erläutert das Gremium, dass die audiovisuelle Aufzeichnung der Vernehmung dem üblichen schriftlichen Protokoll deutlich überlegen ist und auch deutlich weniger Aufwände als ein Wortprotokoll bedeutet. Zurecht führt die Kommission aus, dass die Aufzeichnung die Vernehmungspersonen einerseits zur besonderen Einhaltung der strafprozessualen Förmlichkeiten zwingt, sie andererseits aber auch vor unzutreffenden Behauptungen des Vernommenen schützt. Gerade der letzte Punkt kann für vernehmende Polizeibeamte bedeutend sein, sollte der Vernommene in einer Weise von der Vernehmung berichten, die für die Vernehmungspersonen straf- oder dienstrechtliche Konsequenzen haben könnte. Beide Aspekte werden auch durch den Strafrechtsausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer als Grund dafür angegeben, den Vorschlag nicht nur zu begrüßen, sondern die Umsetzung zu fordern.
Um die Aufwände im Rahmen zu halten, ist der Ansatz überzeugend, die Aufzeichnungspflicht auf bestimmte und vom Gesetzgeber noch festzulegende Sachverhalte zu beschränken, etwa Fälle der notwendigen Verteidigung nach § 140 StPO, Schwurgerichtssachen nach § 74 Abs. 2 S. 1 GVG, Sexualdelikte, Delikte der Organisierten Kriminalität oder Fälle aus dem Katalog des § 100c Abs. 2 StPO. Auf die Protokollierung der Vernehmung in der üblichen Art soll allerdings nicht verzichtet werden, auch dies überzeugt inhaltlich.
Die Umsetzung der Empfehlung würde für die Polizei in einem ersten Schritt aber die vermehrte Anschaffung von entsprechender Technik erfordern. Auch würden mitunter erhebliche Mehraufwände für die Polizei entstehen, wenn in den dann vorgeschriebenen Fällen zwingend sowohl eine Videodokumentation als auch eine Protokollierung der Vernehmung erfolgen müsste. Zudem würde sich ein an sich unnötiges neues Angriffsfeld für die Verteidigung öffnen, wenn zwischen Videodokumentation der Vernehmung und dem nicht zwingend als wörtliches Protokoll zu führenden Inhaltsprotokoll über die Vernehmung vermeintlich oder tatsächlich Unterschiede bestehen. Andererseits könnte später Zeit vor Gericht gespart werden, wenn, wie von der Kommission an anderer Stelle empfohlen, die Einbringung von Protokollen und Aufzeichnungen in die Hauptverhandlung die Vernehmung von (polizeilichen) Zeugen teilweise verkürzen oder ersetzen könnte. In dieser Kombination erscheint der Vorschlag sehr sinnvoll, isoliert betrachtet dominiert aus polizeilicher Sicht wohl die Mehrbelastung.

8. Gesetzliche Regelungen für den Einsatz von V-Personen


Die Expertenkommission empfiehlt: „Für den Einsatz von Verbindungs- oder Vertrauenspersonen (V-Personen) sollte eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage geschaffen werden.“
Bislang ist nur der Einsatz von Verdeckten Ermittlern gesetzlich geregelt, und zwar in den §§ 110a ff. StPO. Auch die RiStBV, die als bloße Verwaltungsvorschrift ohnehin keinen Gesetzescharakter hat, bietet keinen Anhalt, denn ihre Anlage D „Gemeinsame Richtlinien der Justizminister/-senatoren und der Innenminister/-senatoren der Länder über die Inanspruchnahme von Informanten sowie über den Einsatz von Vertrauenspersonen (V-Personen) und Verdeckten Ermittlern im Rahmen der Strafverfolgung“ wurde nicht in Kraft gesetzt. Naheliegend ist es daher, auch den Einsatz von Verbindungs- und Vertrauensleuten im Mindestmaß in der StPO zu verankern. Dies wäre für die Polizei nicht nur deshalb von Vorteil, weil sie es ist, die die V-Personen anleitet, führt und in erster Linie die tatsächliche – aber nicht rechtliche – Verantwortung für diese Zeugen und ihre Verwendung in der Verbrechensaufklärung trägt. Auch die mit erheblichen Aufwänden verbundene und den Innenministerien als oberste Dienstbehörden obliegende Formulierung von Sperrerklärungen zur Geheimhaltung der Identität dieser Zeugen analog § 96 StPO könnte erleichtert werden, gäbe es eine gesetzliche Grundlage für ihren Einsatz. Daher ist dem Vorschlag zuzustimmen. Das sieht auch der Strafrechtsausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer so.

9. Einstellung von Strafverfahren, die nur der Verfolgung zivilrechtlicher Ansprüche dienen


Die Expertenkommission empfiehlt :„Die Möglichkeit, zivil- oder verwaltungsrechtliche Vorfragen vor Anklageerhebung im Zivil- oder Verwaltungsrechtsweg klären zu lassen, sollte auf alle Fälle erweitert werden, in denen die Erhebung der öffentlichen Klage in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht vom Bestehen oder Nichtbestehen einer nach Zivil- oder Verwaltungsrecht zu beurteilenden Rechtsposition abhängt. Voraussetzung hierfür sollte sein, dass dem Anzeigeerstatter die Rechtsverfolgung im Zivil- oder Verwaltungsrechtsweg möglich und zumutbar ist, die Schwere der Schuld oder das öffentliche Interesse nicht entgegensteht und das für die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständige Gericht zustimmt.“
Die derzeitige Rechtslage eröffnet der Staatsanwaltschaft mit § 154d StPO die Option einer Verfahrenseinstellung, wenn die Erhebung der Strafklage von einer zivil- oder verwaltungsrechtlichen Frage abhängt und der Anzeigeerstatter eine von ihr gesetzte Frist zur Klageerhebung im Zivil- oder Verwaltungsprozess ungenutzt verstreichen lässt. Die Kommission schlägt die erhebliche Erweiterung der Norm mit dem Ziel vor, diejenigen Fälle zu erfassen, in denen die staatliche Materialsammlung für zivil- oder verwaltungsrechtliche Prozesse die einzige Intension des Anzeigeerstatters ist, ein echtes Strafverfolgungsinteresse bei ihm also offensichtlich nicht besteht. Der Vorschlag wird durch den Strafrechtsausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer befürwortet.
Eine solche sehr begrüßenswerte Regelung könnte die Polizei insbesondere bei den sog. Inkasso-Fällen entlasten, in denen die Strafanzeige nur dem Zweck dient, den Druck auf den säumigen Schuldner zu erhöhen und ihn so zur Erfüllung einer tatsächlich oder vermeintlich bestehenden Forderung zu bewegen. Wenn eine solche Strafanzeige unmittelbar bei der Staatsanwaltschaft einginge, etwa die Anzeige eines Sportstudiobetreibers gegen einen säumigen Kunden, könnte dort dann frühzeitig das Verfahren eingestellt werden. Sollte die Anzeige allerdings bei der Polizei eingehen, würde die angestrebte Ressourcenschonung bei ihr nur dann eintreten, wenn eine sehr frühe und enge Abstimmung mit der Staatsanwaltschaft erfolgt. Sinnvoll könnte ein Kriterienkatalog etwa in der RiStBV sein, der vorgibt, in welchen Fällen die Anzeige vor Aufnahme der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft vorgelegt und ihr die Möglichkeit einer vorübergehenden oder endgültigen Einstellung gegeben werden soll.

10. Erweiterte Verlesungsmöglichkeit im Hauptverfahrenfürnichtrichterliche Vernehmungsprotokolle


Die Expertenkommission empfiehlt: „Die Verlesung von Niederschriften über die nichtrichterliche Vernehmung von Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten sollte in der Hauptverhandlung auch zulässig sein, wenn der unverteidigte Angeklagte dem nach Belehrung zustimmt und die Verlesung lediglich der Bestätigung des Geständnisses dient.“
Bei nicht verteidigten Angeklagten ist derzeit die Verlesung von Protokollen über die nichtrichterliche Vernehmung von Zeugen, Sachverständigen und Mitbeschuldigten nur stark eingeschränkt und damit sehr selten möglich. Eine Aufweichung des Grundsatzes der umfassenden Überprüfung von Geständnissen durch Einbringung von nichtrichterlichen Vernehmungsprotokollen nach entsprechender Belehrung und Zustimmung des Angeklagten könnte insbesondere in den Strafverfahren vor den Amtsgerichten zu einer Entlastung der Polizei führen. Bei geständigen Angeklagten und eindeutigem Sachverhalt könnte auf diese Weise die Vernehmung von Polizeibeamten in der Hauptverhandlung in vielen Fällen entbehrlich oder wenigstens stark verkürzt werden. Daher ist dieser Vorschlag aus der Sicht der Polizei zu begrüßen.
Der Strafrechtsausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer ist anderer Auffassung. Dort wird die Gefahr gesehen, dass der nicht verteidigte Angeklagte die Tragweite seiner Zustimmung nicht erkennt. Diese Gefahr kann nicht bestritten werden. Allerdings obliegt es dem Richter, den Angeklagten entsprechend aufzuklären und ihm so eine tragfähige Entscheidungsgrundlage zu schaffen. Das zeigt auch der Vergleich mit der Rechtsmittelbelehrung: Selbstverständlich muss auch bisher schon allen Verurteilten eine Rechtsmittelbelehrung erteilt werden, obwohl es auf der Hand liegt, dass unverteidigte Verurteilte die Belehrung in den meisten Fällen nicht verstehen und die Fristen für die Einlegung von Rechtsmitteln von einer Woche nach Urteilsverkündung (§§ 314 Abs. 1, 341 Abs. 1 StPO) so kurz sind, dass die Möglichkeiten zur Beratung mit einem Rechtsanwalt – zumal ohne Schriftfassung des Urteils – begrenzt sind.

11. Fazit


Die meisten die Polizei betreffenden Vorschläge zur Änderung des Strafverfahrensrechts erscheinen sinnvoll und könnten im Fall ihrer Umsetzung die Arbeit der Polizei erleichtern oder Zeit einsparen. Sie sind daher überwiegend zu begrüßen. Anders ist es nach hier vertretener Auffassung bei dem Vorschlag zum Wegfall des Richtervorbehalts bei Blutentnahmen aus Anlass eines Straßenverkehrsdelikts, wobei diese Idee schon länger und auch sehr kontrovers diskutiert wird.
Ein erster, hier aber nicht bekannter Gesetzesentwurf zur Änderung der StPO soll den Landesjustizverwaltungen Anfang des Jahres 2016 zur Prüfung und Stellungnahme übersandt worden sein. Insoweit bleibt abzuwarten, ob und gegebenenfalls welche Änderungen kommen und wie sie tatsächlich durch den Gesetzgeber ausgestaltet werden. Vielleicht kann die Polizei schon ab Mitte des Jahres 2017 von einem etwas vereinfachten Strafverfahrensrecht profitieren.