Der G7-Gipfel von Elmau - Eine Nachbetrachtung

Von Dr. Udo Baron, Historiker, Hannover

Vom 7. auf den 8. Juni 2015 fand der 41. Gipfel der führenden Wirtschaftsnationen der Welt, der sogenannte G7-Gipfel, im bayerischen Schloss Elmau in der Nähe von Garmisch-Partenkirchen statt. Es war seit Heiligendamm 2007 der erste von mittlerweile sechs Weltwirtschaftsgipfeln auf deutschem Boden.

Auch gegen dieses Gipfeltreffen bildete sich wieder ein breites Protestbündnis, in dem sich vor allem linksextremistische Bündnisse bzw. Netzwerke wie die Interventionistische Linke (IL) oder die Perspektive Kommunismus (PK) engagierten. Diese sich als postautonom verstehenden Bündnisse kennzeichnen eine undogmatische marxistisch-leninistische Ideologie und der Wille, sich zu organisieren, sich zu vernetzen und Bündnisse zu schließen, um so in einem langfristigen Prozess die vorherrschenden Verhältnisse zu überwinden.

Dreiklang des Protests


Diese Gegner des G7-Gipfels versuchten bereits im Vorfeld für das Jahr 2015 einen Dreiklang des Protestes zu orchestrieren. Den Auftakt zur „Protestsaison“ 2015 sollte die Münchener Sicherheitskonferenz Anfang Februar bilden. Dieses aus der früheren Wehrkundetagung hervorgegangene alljährliche Treffen hochrangiger internationaler Sicherheitspolitiker, Wirtschaftsvertreter und Militärs ruft den Protest vor allem linksextremistischer Kreise hervor. Schon seit Jahren nimmt jedoch die Zahl der Protestteilnehmer stetig ab, daran änderte sich auch 2015 nichts.

Foto: Bundesregierung/Denzel


Das zweite Topereignis auf dem Weg nach Elmau erhoffte sich die linksextremistische Protestszene von den Blockupy-Protesten am 18. März 2015 gegen die Neueröffnung des Gebäudes der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt am Main. Tatsachlich versetzte die linksextremistische Szene durch eine Orgie der Gewalt gegen Polizisten und öffentliche Einrichtungen die Stadt nahezu in den Ausnahmezustand. Was in München noch misslang, schien sich nun in Frankfurt zu realisieren, so dass aus linksextremistischer Sicht die Chancen gut für Elmau als Höhepunkt des Protestes 2015 standen.
Doch bereits die als „Warm Ups“ für Elmau gedachten Proteste gegen die im Vorfeld des G7-Gipfels erfolgten Tagungen der G7- Außen-, Energie- und Finanzminister stießen kaum auf Resonanz. Lediglich in Lübeck kam es am Rande des Treffens der G7-Außenminister nach einer zunächst friedlich verlaufenen Demonstration am 14. April 2015 zu Zusammenstößen zwischen der Polizei und Linksautonomen, als diese zum Lübecker Rathaus vordringen wollten. Im Anschluss an dieses Treffen ruderte Christoph Kleine, einer der führenden Protagonisten der IL, aber aufgrund der geringen Teilnehmerzahl bei den Demonstrationen mit den linksextremistischen Erwartungen an die Proteste gegen den G7-Gipfel bereits zurück und erklärte in einem Interview mit dem Neuen Deutschland nicht mehr den Gipfel von Elmau, sondern die Blockupy-Proteste von Frankfurt am Main zu dem „zentralen Widerstandsereignis in diesem Jahr.“

Der G7-Gipfel von Elmau


Bereits vor Beginn des eigentlichen G7-Gipfels von Elmau bildete ein sogenannter Alternativgipfel vom 3. bis 4. Juni in München den Protestauftakt. Er endete am 4. Juni mit einer Großdemonstration von mehr als 34.000 Menschen, zu der u.a. Die Grünen, Attac, Die Linke und die DKP aufgerufen hatten.
Eigentlich sollte diese Großdemonstration erst am 6. Juni in Garmisch-Partenkirchen stattfinden. Die Wahl des Kundgebungsortes hatte während der 3. Aktionskonferenz des die Proteste organisierenden Bündnisses „Stop G7 Elmau“ im Dezember 2014 fast zu einer Spaltung der Protestbewegung geführt, da das nichtextremistische Spektrum mehrheitlich für München, das extremistische jedoch für Garmisch-Partenkirchen votierte. Aus diesem Grunde kam es zu zwei voneinander getrennt stattfindenden Großdemonstrationen in München und in Garmisch-Partenkirchen.

Foto: BayPol


Entgegen den Erwartungen der Organisatoren nahmen an der Veranstaltung in Garmisch-Partenkirchen nach Angaben der Polizei nur rund 4.000 Personen teil, darunter ein „großer antikapitalistischer Block von Perspektive Kommunismus, Teilen der Interventionistischen Linken, dem 3A-Bündnis“, gefolgt von einem eigenständigen Block anarchistischer Kräfte, wie der Website der PK zu entnehmen ist. Vereinzelt kam es dabei zu Angriffen auf Polizeibeamte, einige Personen versuchten erfolglos die Polizeisperren zu durchbrechen. Ein plötzlich einsetzendes Unwetter führte schließlich dazu, dass sich die Abschlusskundgebung nach dem Ende der Demonstration schnell auflöste.
Am 7. Juni, den Tag des Gipfelbeginns, wollten etwa 350 Personen am frühen Morgen aus drei Richtungen in einem Sternmarsch in Richtung Elmau marschieren, obwohl das Bayrische Verwaltungsgericht alle angemeldeten Kundgebungen in der Nähe von Schloss Elmau untersagt hatte. Zusätzlich fand auf der Bundesstraße 2 (B2) zwischen Garmisch-Partenkirchen und Klais ein Fahrradkorso statt. Die Teilnehmer erreichten zwar die Sicherheitszäune und Absperrungen rund um den Tagungsort, wurden dort jedoch von den Einsatzkräften aufgehalten. Daraufhin kam es zu mehreren Blockadeversuchen der als „Protokollstrecke“ für den Transport der Staatsgäste dienenden B2. Einzelne Aktivisten wurden dabei von Sicherheitskräften von der Straße entfernt, als sie versuchten, diese zu blockieren. Auch einen Versuch, die Bahnstrecke München – Garmisch-Partenkirchen zu blockieren, konnte zeitnah unterbunden werden.
Nach Beendigung des Sternmarsches formierte sich am Protestcamp ein Aufzug mit rund 400 Teilnehmern, der zur Gefangenensammelstelle zog, um die dort während der Blockadeaktionen vom Vormittag kurzzeitig in Gewahrsam genommenen Demonstranten zu befreien.
Da bereits im Verlauf des Tages zahlreiche Gipfelgegner abgereist waren, fand die für den 8. Juni angekündigte Abschlusskundgebung in Garmisch-Partenkirchen nur noch als „Abschiedskundgebung“ mit etwa 20 Personen statt.

Fazit


Zu einem von der linksextremistischen Szene erhofften Dreiklang des Protestes ist es 2015 nicht gekommen. Nachdem die Proteste gegen die Münchener Sicherheitskonferenz quasi nicht stattgefunden haben, hat es zwar bei den Protesten gegen die Neueröffnung des EZB-Gebäudes richtig „gekracht“. Zugleich wurden die Frankfurter Krawalle aber auch von vielen Linksextremisten als kontraproduktiv weil politisch sinnentleert kritisiert. Unübersehbar ist der Funke von den (gewaltsamen) Protesten in Frankfurt nicht, wie von manchen Linksextremisten erhofft, auf die Protestbewegung gegen den G7-Gipfel in Elmau übergesprungen, so dass es dort zu keiner Neuauflage der Frankfurter Blockupy-Proteste kam. Den G7-Gegnern fehlte es im Gegensatz zur Blockupy-Protestbewegung mit ihrer gezielten Kritik am Kapitalismus im Allgemeinen und an dem internationalen Finanzsystem im Besonderen an einem zugkräftigen, konkreten Thema. Mit Blick auf die Teilnehmerzahlen als auch auf die selbstgesteckten Ziele wie die Blockade des Gipfelgeländes blieben die G7-Proteste somit weit hinter den Erwartungen der linksextremistischen Szene zurück. So fand eine Mobilisierung über den süddeutschen Raum hinaus kaum statt, auch aus dem europäischen Ausland kamen nur wenige Teilnehmer. Zutreffend kritisierte daher die PK, dass es im Gegensatz zu den Protesten beim G8-Gipfel von Heiligendamm nicht gelungen sei, auch Teile des eher bürgerlichen Spektrums erfolgreich zu mobilisieren.
Die linksextremistischen Gegner des G7-Gipfels haben mit ihren Protesten sowohl eine taktische als auch eine strategische Niederlage erlitten. Auch wenn sie auf einer Pressekonferenz noch ein weitgehend positives Fazit der Protestwoche zogen und versuchten, die geografische Lage des Gipfelortes und die langen juristischen Auseinandersetzungen um die Genehmigung des Protestcamps für ihren Misserfolg verantwortlich zu machen, kann nicht übersehen werden, dass insbesondere die postautonomen Bündnisse die Verantwortung für das weitgehende Scheitern der Gipfelproteste tragen. Vor allem deren Entscheidung, die zentrale Großdemonstration in Garmisch-Partenkirchen und nicht in München stattfinden zu lassen, führte quasi zum Bruch des Konsenses zwischen extremistischen und nichtextremistischen Gipfelgegnern und somit zu einer Spaltung des Protests. So kam es, dass in München der weitgehend demokratische Protest stattfand, während die linksautonome Szene sich vor allem auf Garmisch-Partenkirchen konzentrierte.
Als urbane Bewegung war diese jedoch den geografischen und klimatischen Bedingungen des ländlichen Raums nicht gewachsen. Ohne Kenntnisse der Örtlichkeiten und ohne die Hilfe von ortskundigen Scouts agierte sie weitgehend „hilflos“ mit der Folge, dass sie beispielsweise den Gipfelort erst gar nicht ausfindig machen konnte. Sie machte es daher den Sicherheitskräften relativ leicht, die Lage zu kontrollieren. Dadurch, dass die Polizei die Demonstranten durchgängig sehr eng durch die Straßen von Garmisch-Partenkirchen begleitete und vor allem den beteiligten Linksextremisten der Rückzugsraum, den ihnen die Stadt ansonsten bietet, weitgehend fehlte, gelang es ihr, die Bildung eines Schwarzen Blocks und davon ausgehende Ausschreitungen schon im Keim zu ersticken. Die massive Polizeipräsenz ließ zudem auch die im Vorfeld angekündigten Aktionen des „zivilen Ungehorsams“ wie die weitreichenden Blockadeaktionen kaum zu, da jeder „Ausbruch“ aus dem Protestzug durch die Sicherheitskräfte direkt unterbunden wurde. Hinzu kamen die ungünstigen Witterungsbedingungen, die dazu führten, dass das Protestcamp unterspült und Aktionen wie die Abschlusskundgebung am 8. Juni praktisch ausfielen. Aus Sicht der linksextremistischen Szene gilt es nun, sich neu aufzustellen. Vor allem die postautonomen Bündnisse stehen gegenwärtig szeneintern in der Kritik, da es ihnen nicht einmal ansatzweise gelang, mit der von ihnen verfolgten Vernetzung der linksautonomen Szene und einer offensiven Bündnispolitik gegenüber dem demokratischen Spektrum eine strukturierte Massenbewegung zu organisieren. Für sie kommt es jetzt erst recht darauf an, für eine neue Akzeptanz ihres Politikansatzes innerhalb der linksautonomen Szene zu werben, um zumindest langfristig die Deutungshoheit über die künftige Ausrichtung dieser Szene zu erlangen. An ihrem Erfolg oder Misserfolg wird sich zeigen, welche Gefahr künftig von der linksautonomen Szene für den demokratischen Rechtsstaats ausgehen wird.