Neue Asservatenverwaltung bei der Bayerischen Polizei

Von Kriminalhauptkommissar Jürgen Sigl, Bayerisches Landeskriminalamt, SG 632, Projektgruppe Asservate


25 Durchsuchungsobjekte und 1.500 Asservate – bei mittleren bis großen Ermittlungsverfahren keine Seltenheit.
Eine Geldbörse mit Inhalt – Alltag in der Asservatenverwaltung hochbelasteter Polizeidienststellen.
In beiden Fällen ist die Dokumentation über alle Details der Asservate1 enorm wichtig. So muss z. B. jederzeit nachvollziehbar sein, wer welches Asservat anlegte, übernahm, versandte usw.

Wird es bei anderen Dienststellen weiter bearbeitet oder untersucht, muss auch dies nachvollziehbar bleiben.
Eine Kennzeichnung der verwahrten Gegenstände ist ohnehin unumgänglich.
Bisher mussten all diese Daten nicht nur häufig per Hand eingetragen werden, sondern es blieb zumeist nicht bei einer einzigen Erfassung. Es wurde festgestellt, dass verschiedene Asservate zehnmal und mehr in verschiedene Verzeichnisse eingetragen wurden.

Geschichte


Im Jahr 2006 entschied die AG Fach2 Bayern, dass die Einführung einer EDV-gestützten Spuren- und Asservatenverwaltung geprüft werden soll, um u. a. die eingangs erwähnten Bedürfnisse möglichst effizient zu erfüllen.
Als Kernpunkte wurden hierbei gefordert:

  • möglichst einmalige Erfassung aller Spuren- und Asservatendaten
  • Vernetzung der Anwendung zur weiteren Nutzung dieser Einträge
  • durchgängiger Geschäftsprozess mit automatischer Dokumentation
  • Erzeugung von Anträgen und Berichten unter Nutzung der gespeicherten Daten

Neben einer Wirtschaftlichkeitsprüfung wurden in der Folgezeit auch umfangreich die Geschäftsprozesse zahlreicher Polizeidienststellen in Bayern analysiert und in ein äußerst detailliertes Fachfeinkonzept gegossen.

Das Bayerische Staatsministerium des Innern erteilte schließlich den Auftrag zur Beschaffung eines entsprechenden Systems.
Nach Durchführung eines entsprechenden Vergabeverfahrens entstand im Jahre 2010 Die erste lauffähige Version der Software der Fa. rola Security Solutions GmbH. Verantwortlich für die Umsetzung war fortan die Projektgruppe ASSERVATE beim Bayerischen Landeskriminalamt.
Unter dem Namen rsEvid© vertrieben, verwendet die Bayerische Polizei das Programm unter der Bezeichnung „SpAss“.
Eingesetzt wird die Software seit November 2012 deutschlandweit als erste seiner Art.
Aktuell arbeiten fast alle bayerischen Verbände mit SpAss, von der Polizeistation über den Erkennungsdienst bis hin zum Kriminaltechnischen Institut beim Bayerischen Landeskriminalamt, das die Daten über eine Schnittstelle in sein Laborsystem übernimmt.

Funktionen

  • Asservaten-Daten können direkt aus dem Vorgangsbearbeitungssystem (IGVP) per Schnittstelle übernommen werden.Der Eintrag in IGVP ist ohnehin vorgeschrieben. Es entfällt jede weitere schriftliche Erfassung. Mit den Daten des Asservats werden zudem Angaben über die Maßnahme sowie die betroffene Person übertragen. Zahlreiche Vorgangsdaten sind zusätzlich Inhalt des Transfers.
  • Es muss kein Asservatenbuch mehr geführt werden. Die Historisierungsfunktionen der Software machen diesen Nachweis entbehrlich. Alleine der handschriftliche Eintrag in ein Verwahrbuch nahm bisher in etwa die Zeit in Anspruch, die für den Übertrag ins System benötigt wird (inklusive Datenprüfung und Ausdruck von hochwertigen Etiketten!).
  • Verwahretiketten können direkt mit dem Umwandeln ausgedruckt werden. Die erneut zeitraubende Beschriftung per Hand entfällt. Sie barg neben erhöhtem Zeitaufwand zusätzlich die Gefahr der Unleserlichkeit.
  • Die Etiketten werden mit einem Datamatrix-Code bedruckt, der die softwaregestützte Annahme von Asservaten ermöglicht.
  • Eigenhändige Tests zeigen, dass der Zeitvorteil mit SpAss bei einem einzigen Asservat hier mindestens zwei Minuten beträgt3. Bei mehreren Objekten steigt dieser noch überproportional an. Was auf den ersten Blick nicht viel erscheint, fällt bei derzeit ca. 400.000 Asservaten im System ungleich deutlicher ins Gewicht.
  • Die Anlage von Asservaten ist auch direkt in der Anwendung möglich. Dadurch entfällt vor allem bei Massendaten der vorherige Eintrag in IGVP. (Lagerelevante Einträge haben aber nach wie vor im Vorgangssystem zu erfolgen!).
  • Die Vergabe der Nummern ist nach BKA-System gestaltet und entspricht der PDV 100, Anlage 11 und ATOS4
  • Voraussetzung hierfür ist natürlich die Möglichkeit, je Vorgang eine Objektstruktur anzulegen, um z. B. Asservate verschiedener Durchsuchungsobjekte auch systematisch erfassen zu können.
  • Untersuchungsanträge werden direkt per Auswahl der betreffenden Spuren bzw. Asservate gestartet und abgearbeitet. Alle Fragestellungen, die bisher in 182 verschiedenen Formblättern gemacht wurden, sind in SpAss hinterlegt. Es entfällt die oft mühsame Suche nach selten benötigten Formularen, die teils im Intranet, in IGVP oder nur papiermäßig vorlagen.
  • Die Daten der Asservate selbst müssen nicht erneut in die Formulare eingetragen werden, da sie ja durch das Prinzip der Einmalerfassung bereits im System vorhanden sind. Vor allem bei Individualnummern, PIN, PUK, Kennzeichen oder umfangreichen Beschreibungen erwarten wir hier eine erhebliche Entlastung für die (kriminal-)polizeiliche Sachbearbeitung.
  • Erstellte Ergebnisse und Gutachten können ins System direkt zu den Untersuchungen hochgeladen werden und sind in Echtzeit für Berechtigte sichtbar.
  • Der Versand von Asservaten wird durch zahlreiche Funktionalitäten unterstützt. So ist bei erstellten Untersuchungsanträgen die Empfängerstelle bereits voreingestellt. Die sonstigen Sendungen werden durch die Auswahl von Polizeidienststellen unterstützt. Aber auch Kommunalbehörden, externe Untersuchungsstellen oder Verfahrensbeteiligte können ohne umständliche Adresssuche direkt angewählt werden.
  • Zahlreiche Filterfunktionen, die bereits bei der Eingabe aktiv werden, helfen dem Ersteller, Zeit zu sparen. Wenn z. B. „würz“ getippt wird, reduziert sich die Auswahl live auf die Würzburger Polizeidienststellen.
  • Sollen ausgewählte Gegenstände an die Staatsanwaltschaft oder einen Berechtigten herausgegeben werden, so erscheinen sie automatisch auf einer Empfangsbestätigung, die in der Versandbearbeitung erzeugt werden kann.
  • Das Versandetikett, das ebenfalls im Sekundenbereich erstellt wird, enthält neben den wichtigen Adressdaten auch einen individuellen Datamatrix-Code, mit dem wiederum eine vereinfachte Annahme durch andere Dienststellen5 möglich ist.
  • Die Annahme von Versandstücken oder einzelnen Asservaten erfolgt, wie bereits beschrieben sehr einfach über das Einscannen des entsprechenden Datamatrix-Codes. Sollte ein Handscanner nicht zur Verfügung stehen, gibt es Ausweichmöglichkeiten.
  • Im Bereich Versand und Annahme spielt die im Hintergrund laufende Historisierung mit die bedeutendste Rolle. So kann ein Berechtigter jederzeit überprüfen, wo und ggf. in welchem Status sich bestimmte Asservate gerade befinden. Bisher war dies – wenn überhaupt – nur durch umständliches Nachfragen möglich.
  • Durch die Programmierung des sogenannten „Mini Client“ wurde vor allem für Kurierfahrer eine unkomplizierte Möglichkeit geschaffen, sich innerhalb von Sekunden am System anzumelden. Per Scanner nehmen sie mehrere Pakete in kürzester Zeit an und dokumentieren dies dadurch. Das Unterschreiben von langen Übernahmeverhandlungen entfällt.
  • Durch die Anwendung können auch Berichte generiert werden. So ist beispielsweise die Erstellung von Tatbefund- und Spurenbericht möglich.
  • Für die Verwendung am Einsatzort steht ab Anfang 2014 auch der sogenannte Offline-Client zur Verfügung. Hiermit können Asservate direkt vor Ort erfasst und anschließend im Büro ins System importiert werden.
  • Ein Ausdruck von Etiketten und Verzeichnissen am Ort der Maßnahme ist möglich.
  • Diese Funktion komplettiert schließlich das Prinzip der Einmal-Erfassung auch für Sicherstellungen außerhalb der Dienststelle6.

Programmkomponenten

Mini-Client
Diese vor allem für Kuriere geschaffene Programm-Ausprägung soll nur die unkomplizierte Annahme von Paketen unterstützen.

Standard-Client
Für polizeiliche Grund-Sachbearbeiter steht eine abgespeckte Eingangs-Version mit nur wenigen Funktionen zur Verfügung.

Spezial-Client
Experten mit umfangreichem Anforderungsprofil können zahlreiche Zusatzfunktionen des Programms nutzen.

Offline-Client
Die Möglichkeit, SpAss auch am Einsatzort zu nutzen, wird durch diesen Programmteil eröffnet.

Herausforderungen


Der Pilotbetrieb und die Erweiterung hiervon führten bei fast allen bayerischen Polizeiverbänden faktisch zum flächendeckenden Produktivbetrieb.
Hieraus ergaben sich bereits in den ersten Monaten sehr wertvolle Erkenntnisse für die weitere Entwicklung des Programmes und dessen Verbreitung.

Handling
Trotz Unterteilung in verschieden anspruchsvolle Programmversionen enthält die Software sehr viele Möglichkeiten. Eine Bedienung ist ohne Schulungsmaßnahmen meist nicht möglich.
So vielfältig wie die Optionen im Programm sind auch die Kolleginnen und Kollegen, für die SpAss gemacht wurde. Während dem oder der einen der Umgang mit EDV keinerlei Probleme bereitet, stehen andere IuK-Anwendungen eher skeptisch gegenüber.
Hinzu kommen die enorme Einsatzbelastung vieler Dienststellen und die Überhäufung mit neuen Verfahren.
Umso wichtiger wird die Qualität der Wissensvermittlung in diesem Bereich. Denn wenn die Kniffe zur Bedienung eines Hilfsmittels nicht geläufig sind, wird es eher als Belastung empfunden.
Hier war und ist die Projektgruppe besonders gefordert. 
Neben den ursprünglichen Multiplikatoren-Seminaren stehen wir laufend mit den Einführungsverantwortlichen der Verbände in Verbindung und bieten neben Direkt-Support auch Info-Veranstaltungen vor Ort an.
Diese werden zum Teil durch eine Mitarbeiterin des Kriminaltechnischen Instituts beim BLKA begleitet. Hierdurch können die Bedürfnisse auf gutachterlicher Seite besser vermittelt werden.
Zum besseren Verständnis und einfacherer Nach-„Lese“ begannen wir sogar, verschiedene Programmschritte mit bescheidensten Mitteld als vertonte Videos darzustellen. Leider können diese nicht über Intranet zum Stream bereit gestellt werden, weil die dortige Maximal-Auflösung unzureichend ist.
Ab Januar 2014 werden auch beim Fortbildungsinstitut der Bayerischen Polizei (BPFI) in Ainring einwöchige Seminare für Multiplikatoren angeboten, die von der Projektgruppe gestaltet werden.

Sonstige Fehler


Das Programm läuft von Anfang an stabil. Es gab einzelne stundenweise Ausfälle der Datenübertragung aus IGVP. Diese konnten immer sofort behoben werden.
Kleinere Unzulänglichkeiten werden laufend verbessert, wie dies bei allen bekannten Anwendungen geschieht, ob innerhalb der Polizei oder auf dem freien Markt. Wer einen privaten PC oder auch ein Smartphone besitzt, ahnt sicherlich in diesem Zusammenhang die Bedeutung der laufenden Updates für diese Systeme.
Bedürfnisse und Anregungen zu den erzeugten Formularen werden aufgenommen, bewertet und meist landesweit abgestimmt. Wird ein fachlicher Bedarf festgestellt, erfolgt umgehend die Umsetzung. 
So können z. B. Zusatzangaben der Asservate auf dem Verwahretikett aufgenommen oder die Darstellung in Ausdrucken verbessert werden.

Fazit


Bis zum Ende des Rollouts bei der Bayerischen Polizei werden bis zu 30.000 Kolleginnen und Kollegen mit dem Programm „SpAss“ arbeiten und ihre Spuren und Asservate damit verwalten.
Die Anforderungen an diese Software waren enorm, sie stellt deshalb auch eine gewisse Herausforderung in der Bedienung dar.
Der fachliche Mehrwert von SpAss ist unbestreitbar, es gibt nichts Vergleichbares und damit Besseres auf dem Markt. 
Zudem ist eines sicher: Durch die umfangreiche Nutzung der Software sowie durch konstruktive Zusammenarbeit wird dieses Verfahren praktisch täglich verfeinert und weiter verbessert. 
Die Projektgruppe bedankt sich sehr herzlich bei allen, die dafür bereits seit Monaten und Jahren nach dem letzten Absatz arbeiten, ohne ihn jemals gelesen zu haben.

Anmerkungen

  1. Zur besseren Übersicht wird hier meist nur von „Asservat“ gesprochen, technisch ist im System kein Unterschied zu einer „Spur“
  2. AG FACH = ehemaliges Gremium zur Koordinierung des fachlichen Teils der IuK-Planung und –Ausführung in Bayern
  3. Gemessen mit durchschnittlichem Netzwerkverhalten und Benutzerübung (Eintrag in Verwahrbuch, Ausfüllen Asservatenetikett). Bei versierten Usern und schneller Anbindung ist der Unterschied noch deutlich größer.
  4. „Anleitung Tatortarbeit – Spuren“ des BKA – ZD 31
  5. Annahme mit Datamatrix-Code nur durch Dienststellen, die mit SpAss arbeiten.
  6. Voraussetzung: Standard-Notebook mit relativ aktuellen Leistungsdaten, sicherer USB-Speicher.