Deal – Verständnis für Verständigung im Strafverfahren?!

Von Staatsanwalt (GL) Dr. Heiko Artkämper, Dortmund, zugleich Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kriminalistik (DGfK)


Der Verfasser war lange Zeit ein überzeugter Befürworter von Absprachen im Strafverfahren; die grundlegende Entscheidung des BGH im 43.ten Band beruhte auf einem Verfahren, das er geführt und in dem er den Deal angeschoben hatte. Die in der Folgezeit selbst erlebte und von anderen berichtete Praxis hat zu einem radikalen Sinneswandel geführt.

1. Entscheidung des BVerfG



Das BVerfG hat im Jahr 20131 die gesetzlichen Regelungen der Verständigung für verfassungskonform erklärt, sieht aber Vollzugsdefizite und betont in diesem Zusammenhang die Verantwortung der Verfahrensbeteiligten (insbesondere der Staatsanwaltschaften und der Generalstaatsanwaltschaften):
Postulate des BVerfG:

  • Dem Gesetzgeber ist es nicht verwehrt, Verständigungen normativ zuzulassen.
  • Der Vollzug des Verständigungsgesetzes ist in erheblichem Maße defizitär, was (jedenfalls derzeit noch) nicht zur Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Regelung und Praxis führt. Das Vollzugsdefizit beruht nicht auf Regelungslücken, sondern auf der mangelhaften Umsetzung und fehlenden vollständigen Verinnerlichung der Regelungen. Den Gesetzgeber trifft eine Pflicht zur Beobachtung und ggf. zur Nachbesserung.
  • Der Kontrolle durch die Staatsanwaltschaft kommt beim Deal eine herausgehobene Bedeutung zu, weil sich Angeklagter und Gericht hinsichtlich des möglichen Verfahrensergebnisses einer eingeschränkten Bindung unterwerfen. Die Staatsanwaltschaft hat als „Wächter des Gesetzes“ die Gesetzmäßigkeit dieser Bindung zu sichern, gesetzwidrigen Vorgehensweisen ihre Zustimmung zu verweigern und gegen hiergegen verstoßende Urteile Rechtsmittel einlegen. Dabei ermöglichen es Weisungsgebundenheit und Berichtspflichten, einheitliche Standards für die Erteilung der Zustimmung zu Absprachen sowie für die Ausübung der Rechtsmittelbefugnis aufzustellen und durchzusetzen. 
  • Verfassungsrechtliche Grundsätze des Schuldprinzips, der Pflicht zur Erforschung der materiellen Wahrheit, eines fairen, rechtsstaatlichen Verfahrens, Unschuldsvermutung, Selbstbelastungsfreiheit und Neutralitätspflicht des Gerichts gelten unbedingt. Wahrheitserforschung, rechtliche Subsumtion und Grundsätze der Strafzumessung stehen nicht zur freien Disposition der Verfahrensbeteiligten.
  • Das Verständigungsgesetz stellt eine abschließende Regelung dar und sichert die Einhaltung der genannten verfassungsrechtlichen Vorgaben. Außerhalb des gesetzlichen Regelungskonzepts erfolgende (sogenannte „informelle“) Absprachen sind unzulässig.
  • Einen „Handel mit Gerechtigkeit“ darf es nicht geben. Bloße inhaltsleere Formalgeständnisse, insbesondere etwa bei der Weigerung der Beantwortung von Fragen zum Sachverhalt, dem „Abnicken“ der Anklage oder in Form einer Erklärung, der Anklage nicht entgegentreten zu wollen, sind untaugliche Grundlage der richterlichen Überzeugungsbildung. Gerade ein verständigungsbasiertes Geständnis ist zwingend auf seine Richtigkeit zu überprüfen, wenn auch unter weniger strengen Anforderungen als im Rahmen einer förmlichen Beweisaufnahme.
  • Zusagen der Staatsanwaltschaft, andere anhängige Ermittlungsverfahren – etwa nach § 154 Abs. 1 StPO – einzustellen, lösen weder eine Bindungswirkung noch schutzwürdiges Vertrauen aus. Verständigungen dürften sich ausschließlich auf das zugrunde liegende, aktuelle Erkenntnisverfahren beziehen.
  • Ein wirksamer Rechtsmittelverzicht ist ausgeschlossen.

Diese Forderungen sollen anhand von Beispielen und Missbrauchsfällen aus der Praxis näher erläutert werden.2 

2. Rolle der Staatsanwaltschaft


Bei einer ordnungsgemäßen Absprache wird ein Plädoyer des Staatsanwaltes im eigentlichen Sinne des Versuchs einer Überzeugung des Gerichts von der eigenen Einschätzung der Sach- und Rechtslage häufig zu einer begriffsjuristischen Farce: Sämtliche Aspekte im tatsächlichen und rechtlichen Bereich sind vorher ausdrücklich in öffentlicher Hauptverhandlung erörtert worden, so dass eigentlich nichts bleibt, als eine bloße Wiederholung. 
Das Gericht muss die Absprache mit einer 2/3-Mehrheit beschließen. Zu einem Vorschlag erhalten sämtliche Verfahrensbeteiligten – auch Nebenkläger –3 Gelegenheit zur Stellungnahme. Stimmen Staatsanwaltschaft und Verteidigung zu – auf die Nebenklage kommt es nicht an – ist das Gericht an die Absprache gebunden und kann von ihr nur unter den Voraussetzungen des § 257c Abs. 4 S. 1, 2 StPO abrücken. Die Absprache bindet Rechtsmittelgerichte ebenso wenig wie die Gerichte, an die das Verfahren nach § 354 StPO zurückverwiesen wird; allerdings greift das allgemeine Verschlechterungsverbot ein.

Der Staatsanwalt ist ein Gegner von Absprachen, da er der Überzeugung ist, dass ein kontradiktorisches Verfahren bessere Ergebnisse erzeugt.

§ 257c StPO räumt der Staatsanwaltschaft eine starke Stellung – ein Vetorecht – ein: „Das Gericht muss sich dem Vorschlag der Staatsanwaltschaft beugen, wenn es eine Verständigung erreichen möchte.4 Bei Angeklagten, die dienstrechtliche, öffentlichkeitsbedingte, berufliche oder familiäre Folgen einer Fortsetzung des Strafverfahrens zu erwarten haben, wird die Staatsanwaltschaft besonders verantwortungsvoll vorzugehen haben. Gleiches gilt bei Absprachen mit unverteidigten Angeklagten und solchen mit geringer „Verhandlungsmasse“. Jenen ist jedoch ein gleicher Zugang zu konsensualer Verfahrenserledigung zu ermöglichen.5 Andererseits kann „eine hemdsärmlige und bisweilen wichtigtuerisch auftretende „Lebensnähe“ nicht mehr zählen […] als richterliche Gesetzesbindung und Pflichtbewusstsein“6. Die Staatsanwaltschaft muss sich deswegen manchen Ansinnen der Gerichte verschließen.

  • Der Kontrolle durch die Staatsanwaltschaft kommt beim Deal eine herausgehobene Bedeutung zu, weil sich Angeklagter und Gericht hinsichtlich des möglichen Verfahrensergebnisses einer eingeschränkten Bindung unterwerfen. Die Staatsanwaltschaft hat als „Wächter des Gesetzes“ die Gesetzmäßigkeit dieser Bindung zu sichern, gesetzwidrigen Vorgehensweisen ihre Zustimmung zu verweigern und gegen hiergegen verstoßende Urteile Rechtsmittel einlegen.
  • Dabei ermöglichen es Weisungsgebundenheit und Berichtspflichten, einheitliche Standards für die Erteilung der Zustimmung zu Absprachen sowie für die Ausübung der Rechtsmittelbefugnis aufzustellen und durchzusetzen. Auch kann es angezeigt sein, dass sich die Generalstaatsanwaltschaften als Mittelbehörden dem annehmen.

3. Kurze historische Reminiszens 


Die Motivationen für einen Deal sind unterschiedlich: „Auf seiten der Justiz wird eher das Bestreben im Vordergrund stehen, die knappen Ressourcen durch ein „abgesprochenes“ und damit möglichst rasches Verfahren zu schonen. Angeklagter und Verteidigung werden sich durch ihre Mitwirkung an einer Verständigung, deren bedeutendster Teil ein Geständnis ist, ein für den Angeklagten möglichst günstiges Ergebnis des Strafverfahrens erhoffen.“7 Damit korrespondiert aus der Sicht der Verteidigung, dass Absprachen signifikant häufig zu milderen Urteilen mit einem Rabatt zwischen einem Viertel und einem Drittel der (sonst) schuldangemessenen Strafe führen sollen.8 
Der Gesetzgeber hat den Deal im Strafverfahren Bindungen unterworfen; ob diese Regelungen verfassungsrechtlichen Vorgaben entsprechen, hatte das BVerfG zunächst nicht entschieden,9 nunmehr aber bejaht. Zuvor hatte der BGH10 folgende Grundsätze aufgestellt:

  • Die Verständigung musste von allen Verfahrensbeteiligten gewünscht werden und alle Verfahrensbeteiligte einbeziehen,
  • unbeschadet von Vorgesprächen in Anwesenheit aller Verfahrensbeteiligter in öffentlicher Hauptverhandlung getroffen und protokolliert werden,
  • sie durfte sich – auch bei Geständnissen – nicht auf den Schuldspruch beziehen,
  • und nicht die Zusage einer genau bestimmten Strafe, sondern allenfalls einer Strafobergrenze beinhalten, die das Gericht grundsätzlich nicht überschreiten durfte,
  • wobei Abweichungen hiervon nur in Ausnahmefällen, d.h. im übertragenen Sinne bei „Wegfall der Geschäftsgrundlage“ in Betracht kamen,
  • und eine Abweichung einen rechtlichen Hinweis entsprechend § 265 StPO erforderte,
  • die bis zur zugesagten Obergrenze verhängte Strafe tat- und schuldangemessen sein musste, wobei einem Geständnis, auch wenn es taktisch veranlasst war, eine strafmildernde Wirkung zukam,
  • die Strafmilderung nicht von einem Rechtsmittelverzicht des Angeklagten abhängig gemacht werden durfte.

Dieses Anforderungsprofil wird durch das Erfordernis einer qualifizierten Belehrung dahingehend ergänzt, dass ein Rechtsmittelverzicht des Angeklagten unwirksam sei, wenn nicht darüber belehrt worden war, dass ungeachtet der Absprache Rechtsmittel eingelegt werden kann.11

  • Dem Gesetzgeber ist es nicht verwehrt, Verständigungen normativ zuzulassen.
  • Den Gesetzgeber trifft eine Pflicht zur Beobachtung und ggf. zur Nachbesserung.

Im Rahmen der Hauptverhandlung sagt bei einer unsicheren Beweislage der Verteidiger ein Geständnis des Angeklagten zu, sofern eine Freiheitsstrafe mit Bewährung verhängt wird. Hintergrund dieses Vorgehens sind weitere Verfahren gegen den Angeklagten, die durch die Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren gemäß § 154 Abs. 1 StPO im Hinblick auf das anhängige Verfahren vorläufig eingestellt worden sind und deren Wiederaufnahme der Verteidiger befürchtet. 

Ein derart evident taktisches Geständnis ist mit Vorsicht zu genießen. Zulässige Absprachen dürfen sich nicht auf den Schuldspruch beziehen, sondern Gericht und Staatsanwaltschaft sind aufgefordert, auch ein Geständnis umfassend auf seine Glaubhaftigkeit zu überprüfen. Umgekehrt:

Der Richter ist in einem Verfahren wegen Exhibitionismus darüber erzürnt, dass der Angeklagte die Tatbegehung bestreitet; auch das Angebot eines gegen die Sanktionsschere verstoßenden Verfahrensausgangs führt nicht zu dem erhofften Geständnis. Der Richter lässt daraufhin mit den Worten, „Sie kommen jetzt mit! Ich zeige Ihnen mal, wie ihre Zukunft aussehen kann,“ den Angeklagten für etwa 20 Sekunden in einer Gewahrsamszelle im Keller des Gerichts bei geschlossener Tür verweilen. Sodann beenden Geständnis, Therapiezusage und Rechtsmittelverzicht das Strafverfahren.12

Aus der Regelung von Absprachen in der StPO ist herzuleiten, dass die übliche Praxis, Absprachen neben dem Gesetz bzw. ohne gesetzliche Grundlage zu treffen, rechtswidrig ist. Werden Absprachen getroffen, müssen sich diese an die hierfür eigens geschaffenen Regelungen halten13 – mag der „heimliche Deal“ mit Vereinbarung einer bestimmten Strafe und Rechtsmittelverzicht“ für manche Prozessbeteiligte auch „viel verlockender14 sein. Erfahrungsberichte – auch auf Seiten der Verteidigung –, sind ernüchternd, wenn nicht gar erschreckend.

Die Voraussetzungen einer Maßregel (in concreto der Sicherungsverwahrung) liegen vor, was sowohl der Anklageverfasser als auch der Eröffnungsbeschluss übersehen haben. Der Staatsanwalt als Sitzungsvertreter erkennt dies und weist im Rahmen eines „Verständigungsgespräches“ darauf hin. Der Vorsitzende interveniert mit den Worten, dass dies doch niemanden interessiere, wenn die Sache hier – wovon man ausgehe – rechtskräftig werde. Der Mantel der Rechtskraft deckte das entsprechende Fehlurteil später zu!15

4. Ermittlungsverfahren


Das Zustandekommen einer Absprache kann bereits im Ermittlungsverfahren beginnen. Gemeint sind damit nicht konsensuale Verfahrensbeendigungen über § 153a StPO und/oder die konsentierte Beantragung eines Strafbefehls, um dem Beschuldigten die Stigmatisierung durch eine öffentliche Hauptverhandlung zu ersparen. In geeigneten Fällen „kann“ der Staatsanwalt darüber hinaus den Stand des Verfahrens mit den Verfahrensbeteiligten erörtern, soweit dies geeignet erscheint, das Verfahren zu fördern. Der wesentliche Inhalt jener Gespräche ist dabei (praktisch: in Vermerkform) aktenkundig zu machen (§ 160b S. 2 StPO), was unabhängig davon gilt, ob die Erörterung zu einer Einigung oder einem Dissens geführt hat.16 

Potenzielle Inhalte derartiger Erörterungen können

  • die Beschränkung der Strafverfolgung,
  • die (teilweise) Einstellung des Verfahrens,
  • deren jeweiliger Umfang,
  • ein Täter-Opfer-Ausgleich sowie
  • die Vorbereitung einer Absprache in der Hauptverhandlung

sein.

Verteidiger suchen eine frühzeitige Kontaktaufnahme mit dem zuständigen Dezernenten, um Verhandlungsmasse auszuloten und auf eine Beschränkung des Prozessstoffs hinzuwirken. Eine Verpflichtung der Staatsanwaltschaft, auf Gesprächsangebote der Verteidigung einzugehen, besteht nicht. 
Bei den Verfahrensbeteiligten handelt es sich neben dem Beschuldigten und seinem Verteidiger auch um nebenklageberechtigte Personen, obwohl deren Anschlusserklärung erst mit Erhebung der öffentlichen Klage wirksam wird. Erörterungen mit Verletzten, die nicht nebenklageberechtigt sind, deckt § 160b StPO nicht, weil ihnen lediglich Informations- und Schutzrechte zustehen (§ 406 f StPO), nicht aber prozessuale Gestaltungsrechte. Gleiches gilt für Zeugen und Sachverständige.17 
Der Voraussetzung der Geeignetheit zur Förderung des Verfahrens kommt keine erhebliche beschränkende Wirkung zu, weil diese ex ante kaum je auszuschließen ist. Insbesondere sind auch telefonische Erörterungen möglich; eine besondere Form ist nicht erforderlich. Erfüllen Verfahrensbeteiligte später den von ihnen zugesicherten Teil der Absprache nicht, entfällt die Bindung der anderen Verfahrensbeteiligten. 

Der Angeklagte gesteht in der Hauptverhandlung absprachegemäß, die Staatsanwaltschaft unterlässt es jedoch, einen Antrag nach § 154 Abs. 2 StPO zu stellen.

Lässt sich der Angeklagte nicht geständig ein, ist die Staatsanwaltschaft auch nicht mehr gehalten, einen Verfahrenskomplex nach § 154 Abs. 1 Nr. 1 StPO mit Blick auf die verbleibende anzuklagende Tat einzustellen.18 Wurde der Absprache jedoch Folge geleistet, kann sich der Kontrahent nicht ohne weiteres von seiner Verpflichtung lösen. Tut er dies gleichwohl, kommt eine wesentliche Strafmilderung in Betracht. 

5. Zwischenverfahren 


§ 202a StPO gestattet im Zwischenverfahren in ähnlicher Weise die Erörterung des Verfahrensstoffes mit den Beteiligten, wobei die Initiative in der Regel vom Gericht ausgehen wird (aber nicht muss). Es gilt dann, den Verfahrensstand zur Vorbereitung einer Absprache in der Hauptverhandlung zu erörtern. Auch hier sind die jeweiligen wesentlichen Inhalte aktenkundig zu machen. Soweit eine Vorwegnahme der Hauptverhandlung durch eingehende Erörterung des Prozessstoffs oder eine Nachholung wesentlicher Teile des Ermittlungsverfahrens befürchtet wird,19 ist dies aus praktischer Sicht unbegründet. Die wesentlichen inhaltlichen Erfordernisse des Deals in der Hauptverhandlung regelt § 257c StPO abschließend, und ein verantwortungsvoller Staatsanwalt wird erst nach entsprechenden Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens Anklage erheben bzw. sich erst mit entsprechender Verhandlungsmasse auf Absprachen einlassen. Eine Mitwirkung der Schöffen ist im Zwischenverfahren – allgemeinen Grundsätzen folgend – nicht vorgesehen; ihnen ist die Ausübung des Richteramts nur in der Hauptverhandlung zugewiesen.20 Das Gericht kann bindende Zusagen, die protokolliert werden müssen, ohnehin erst in der Hauptverhandlung abgeben. 

6. Hauptverfahren


Im Hauptverfahren sind Verständigungen – als Kernstück der Regelungen zum Deal – vorgesehen.
Das Verständigungsgesetz stellt eine abschließende Regelung dar und sichert die Einhaltung der genannten verfassungsrechtlichen Vorgaben. 
Außerhalb des gesetzlichen Regelungskonzepts erfolgende (sogenannte „informelle“) Absprachen sind unzulässig.

6.1. Erörterung des Verfahrensstandes außerhalb der Hauptverhandlung


Nach Eröffnung des Hauptverfahrens erklärt § 212 StPO die Regelung über das Zwischenverfahren für entsprechend anwendbar. Dies gilt nicht nur für Zeitabschnitte vor Beginn der Hauptverhandlung, sondern auch zwischen einzelnen Verhandlungsterminen, unabhängig davon, ob es sich dabei um die Unterbrechung oder Aussetzung der Hauptverhandlung handelt.21 Die Mitwirkung von Schöffen ist ebenso wenig vorgesehen wie im Zwischenverfahren. Dies wird kritisiert, weil nicht selten entscheidende Weichenstellungen vor oder parallel zur Hauptverhandlung getroffen werden,22 ist nach der gesetzlichen Systematik aber unabweisbar.

6.2. Erörterung des Verfahrensstandes in der Hauptverhandlung


Der Verteidiger fragt bereits vor Beginn der Hauptverhandlung oder nach der Verlesung der Anklageschrift nach, ob „man nicht erst einmal ein Rechtsgespräch führen“ könne.

Richter und Staatsanwälte können sich mehr sicher sein, vor Sitzungsbeginn oder während einer Verhandlungspause mit dem Ansinnen „belästigt“ zu werden, dass sich der Angeklagte mit einem bestimmten Urteilsspruch einverstanden erkläre, im Hinblick darauf ein (Teil-)Geständnis ablege und sich daher eine weitere Beweisaufnahme erledige. Das „Bedürfnis nach konsensualer, rechtlich und sachlich reduzierter Verfahrensbewältigung“23 scheint groß. 
Nach § 257b StPO kann das Gericht in der Hauptverhandlung den Stand des Verfahrens mit den Verfahrensbeteiligten erörtern, soweit dies geeignet erscheint, das Verfahren zu fördern. Eine Verpflichtung zu derartigen Gesprächen, die regelmäßig eine Absprache über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens im Sinne des § 257c StPO vorbereiten können, besteht nicht. Werden Verständigungsgespräche unter Sachleitung des Vorsitzenden durchgeführt, sind wesentliche Ergebnisse nach § 273 Abs. 1a S. 2 StPO zu protokollieren. Gericht in § 257b StPO meint dabei den gesamten Spruchkörper einschließlich der Schöffen.
Als typische Inhalte kommen in Betracht 

  • Strafrahmen im Falle eines (Teil-)Geständnisses auszuloten,
  • die Erforderlichkeit weiterer Beweiserhebungen und die vorläufige Bewertung bereits erhobener Beweise oder 
  • die rechtliche Bewertung von Tatvorwürfen zu erörtern sowie regelmäßig
  • eine Verständigung im Sinne von § 257c StPO vorzubereiten.

Der Angeklagte ist mit den möglichen Inhalten einer Verständigung nicht einverstanden. Deswegen lehnt er die Richter wegen Besorgnis der Befangenheit ab.

Ist die Verteidigung oder der Angeklagte mit den vorgenannten Inhalten nicht einverstanden, verspricht ein Befangenheitsantrag nach § 24 Abs. 1 2. Alt. StPO keinen Erfolg, weil das Gesetz dem Gericht ausdrücklich die Möglichkeit einer Erörterung einräumt.24 



6.3. Mitteilung vorangegangener Erörterungen


Der Vorsitzende teilt nach der Verlesung des Anklagesatzes und vor der Belehrung des Angeklagten über sein Schweigerecht25 zunächst mit, ob Erörterungen stattgefunden haben, die sich auf die Möglichkeit einer Verständigung nach § 257c StPO richteten, und – sofern dies der Fall ist – deren wesentlichen Inhalt. 

Im Ermittlungs- und Zwischenverfahren hat es eine Vielzahl von Kontakten zwischen den Verfahrensbeteiligten gegeben, die alle um eine konsensuale Verfahrenserledigung bemüht sind.

Wurde eine Verständigung in der Hauptverhandlung im Ermittlungs- oder Zwischenverfahren vorbereitet und eine Einigung erzielt, sind die Erörterungen und deren wesentlicher Inhalt wegen des Öffentlichkeitsgrundsatzes und der materiellen Unmittelbarkeit (Schöffen) in der Hauptverhandlung bekanntzugeben. Diese Pflicht zur Transparenz26 besteht auch dann, wenn die Gespräche fehlgeschlagen sind. Sofern sich im Laufe der Hauptverhandlung Abweichungen von den vorangegangenen und mitgeteilten Erörterungen ergeben, sind diese bekanntzugeben (§ 243 Abs. 4 S. 2 StPO). Sämtliche Mitteilungen – also auch jene über eine Abweichung von einer vorausgegangenen Mitteilung – sind nach § 273 Abs. 1a S. 2 StPO zu protokollieren. Unterbleibt eine Protokollierung, können sich wegen der negativen Beweiskraft des Protokolls weder das Gericht noch andere Verfahrensbeteiligte auf eine stattgefundene Verständigung berufen;27 die Protokollierungspflicht sichert ein mögliches Revisionsverfahren ab.

6.4. Verständigung


Häufiger werden die Inhalte einer Absprache bereits in vorangegangenen Verfahrensstadien vorbesprochen und sollen in der Hauptverhandlung (lediglich) in die rechtliche Form einer Absprache im Sinne des § 257c StPO gegossen werden. 

6.4.1. Grenzen der Absprachen


In einem Verfahren wegen gefährlicher Körperverletzung findet ein Adhäsionsverfahren statt, bei dem die Geschädigte ein – in dieser Höhe angemessenes – Schmerzensgeld von 15.000 € fordert. Nach den üblichen Strafen der erkennenden Kammer wäre eine Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 9 Monaten schuld- und tatangemessen. Zwischen der Verteidigung und der Nebenklägerin findet eine Verständigung dergestalt statt, dass die Angeklagte bereit ist, 45.000 € Schmerzensgeld zu zahlen, wenn eine Freiheitsstrafe mit Bewährung verhängt wird.

Trotz der zahlreichen Bemühungen des Gesetzgebers, den Täter-Opfer-Ausgleich zu kodifizieren, sind in diesem Fall die Grenzen einer zulässigen Absprache überschritten. Auch die Verständigung im Strafverfahren ist an die Findung einer schuld- und tatangemessenen Strafe gebunden, mit der Folge, dass ein Freikaufen von Strafe und/oder eine im Zivilverfahren keinesfalls in dieser Höhe zu erreichende Schadensersatzleistung nicht in der Lage ist, eine Absprache zu legitimieren. 
Verfassungsrechtliche Grundsätze des Schuldprinzips, der Pflicht zur Erforschung der materiellen Wahrheit, eines fairen, rechtsstaatlichen Verfahrens, Unschuldsvermutung, Selbstbelastungsfreiheit und Neutralitätspflicht des Gerichts gelten unbedingt.
Wahrheitserforschung, rechtliche Subsumtion und Grundsätze der Strafzumessung stehen nicht zur freien Disposition der Verfahrensbeteiligten.

6.4.2. Verständigung im Jugendstrafverfahren


Über § 2 JGG sind die Normen zur Erörterung und Verständigung auch in Jugendstrafverfahren anwendbar. Nicht geeignet im Sinne von § 257c Abs. 1 S. 1 StPO sind nach dem Jugendstrafrecht zu beurteilende Fälle jedenfalls, solange kein Verteidiger beteiligt ist.28 

Die Verfahrensbeteiligten kommen überein, dass auf den heranwachsenden Angeklagten Jugendrecht Anwendung finden soll, obwohl die Voraussetzungen nicht vorliegen. Man möchte eine Sanktion aus dem Jugendrecht anwenden.

Wenngleich eine Verständigung eher selten dem Erziehungsgedanken Rechnung tragen wird,29 hat der BGH vor der StPO-Novelle entschieden, dass bei einem Heranwachsenden die Entscheidung, ob Jugend-30 oder Erwachsenenstrafrecht31 Anwendung findet, verständigungsfähig ist. Dies wird mit Blick auf die erweiterten Absprachemöglichkeiten für zulässig erachtet,32 dürfte jedoch zweifelhaft sein. 

6.4.3. Sonstige Inhalte 


War es dem Gericht früher möglich, mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft eine Strafobergrenze zuzusichern,33 ist nach § 257c StPO nunmehr eine Vereinbarung des Gerichts mit den weiteren Verfahrensbeteiligten erforderlich. Dabei weisen die §§ 257c Abs. 1 S. 2, 244 Abs. 2 StPO das Gericht an, nicht bloß eine abgesprochene Rechtsfolge für ein nicht näher aufgeklärtes Geschehen zu verhängen.34 

Der bestreitende Angeklagte wird von seinem Verteidiger darauf hingewiesen, dass – im Falle der Nachweisbarkeit der angeklagten Taten – die angebotene Freiheitsstrafe mit Bewährung kein schlechtes Angebot sei. Der Angeklagte gibt daraufhin folgende Erklärung ab: „Ich gebe das, was in der Anklageschrift steht, zu, mir wird hier ja sowieso nicht geglaubt.“ Auf die Nachfrage, ob dieses Geständnis alle Anklagevorwürfe betrifft: „Ja, was anderes glaubt mir eh keiner.“35

Im Interesse des Angeklagten ist die Verteidigung vor dem Hintergrund der neuen Regelungslage gehalten, in jedem Falle auszuloten, ob und unter welchen Bedingungen Gericht und Staatsanwaltschaft zu einer Verständigung bereit sind. 
Taugliche Inhalte einer Absprache können 

  • die zulässigen Rechtsfolgen des Urteils,
  • dazugehörige Beschlüsse,
  • verfahrensbezogene Maßnahmen im zugrundeliegenden Erkenntnisverfahren und
  • das Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten
  • sein, wobei von Seiten des Angeklagten regelmäßig ein
  • Geständnis abgelegt werden soll.

Die Rechtsfolgen des Urteils betreffen dabei lediglich den Sanktionsausspruch. Der Schuldspruch und die Rechtsfolgen der Maßregeln der Besserung und Sicherung sind keine tauglichen Inhalte einer Absprache (§ 257c Abs. 2 S. 3 StPO). Die Maßregeln der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt oder in einem psychiatrischen Krankenhaus sowie die Führungsaufsicht sind wegen der zugrundeliegenden Gefährlichkeit ohnehin nicht verhandelbar. Gleiches gilt für das Berufsverbot und den Entzug der Fahrerlaubnis nebst Sperrfrist.36 
Demgegenüber können die dem Strafausspruch zuzurechnenden Rechtsfolgen des Fahrverbots, der Einziehung und des Verfalls sowie die formlose Einziehung von Vermögensgegenständen37 etwa zum Zweck der Vermögensabschöpfung Gegenstand der Absprache sein. Die Gesetzesbegründung nennt ferner ausdrücklich Einstellungsentscheidungen des Gerichts und Beweiserhebungen (letztere in den Grenzen der §§ 244 Abs. 2, 257c Abs. 1 S. 2 StPO).38 In Betracht kommen auch der Inhalt der Anrechnungsentscheidung nach § 51 StGB, die Zustimmung des Gerichts zur Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 BtMG, die Strafrestaussetzung bei einem auf freiem Fuß befindlichen Angeklagten sowie Entscheidungen zur Untersuchungshaft;39 ferner ist an den Inhalt des Bewährungsbeschlusses zu denken.40

Sämtliche Verfahrensbeteiligten erörtern in öffentlicher Hauptverhandlung die Sach- und Rechtslage und sind einig, dass für die angeklagten (und vorläufig eingestellten) Taten eine Gesamtfreiheitsstrafe von 12 Jahren schuld- und tatangemessen ist. Die Kammer sagt nach einer Zwischenberatung eine derartige Strafe zu und schließt einverständlich die Beweisaufnahme.

Der BGH hatte dargelegt, dass die Zusage einer genauen Strafe mit den Prinzipien des Strafverfahrensrechts nicht vereinbar ist, da in einem derartigen Fall die Strafe (möglicherweise) nicht aus der im Rahmen der Urteilsberatung vollzogenen richterlichen Strafzumessungsentscheidung, die die §§ 260, 261 StPO und § 46 StGB voraussetzen, resultiert, sondern auf einer vorangegangenen Absprache der Verfahrensbeteiligten41. Zulässig war daher nur die Mitteilung einer Strafobergrenze, zu deren Einhaltung das Gericht bei unveränderter Geschäftsgrundlage grundsätzlich verpflichtet ist. Aus § 257c Abs. 3 S. 2 StPO ergibt sich, dass auch eine bestimmte Strafe nicht Gegenstand einer Absprache sein kann;42 es ist kumulativ eine Ober- und Untergrenze der Strafe anzugeben.43 Demgegenüber ist – in der Regel bei einem Geständnis, in Ausnahmefällen aber auch ohne ein solches – die Aussetzung der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe zur Bewährung absprachefähig.44 Zu bedenken, nach dem systematischen Zusammenspiel der §§ 35a S. 3, 302 Abs. 1 S. 2 StPO jedoch eindeutig, ist, dass die Ankündigung eines Rechtsmittelverzichts nicht verständigungsfähig ist.
Sonstige verfahrensbezogene Maßnahmen im zugrundeliegenden Erkenntnisverfahren sind insbesondere Einstellungsentscheidungen und Beweiserhebungen. Wird über eine Beweiserhebung disponiert, kann dies nur in engen Grenzen geschehen, da die Sachaufklärungspflicht nicht verletzt werden darf. Das Prozessverhalten der Beteiligten meint die Wahrnehmung prozessualer Rechte durch Angeklagten, Verteidiger, Staatsanwaltschaft, Nebenkläger und Nebenklagevertreter. Dabei kommen insbesondere der Verzicht auf Beweis- oder Befangenheitsanträge oder die Zusage einer Schadenswiedergutmachung in Betracht. Dabei darf allerdings keine unsachgemäße Verknüpfung zwischen prozessualem Konformitätsverhalten und Rechtsfolgenausspruch hergestellt werden, etwa der Verzicht auf einen Beweisantrag unmittelbar mit einer Strafreduktion belohnt wird.45

Der Verteidiger versucht, eine Absprache davon abhängig zu machen, dass sein Mandant die Strafe in einer heimatnahen JVA verbüßen wird/sofort in den offenen Vollzug kommt/zum Halbstrafenzeitpunkt in sein Heimatland abgeschoben werden wird.

Derartige Absprachegegenstände sind in der Praxis beliebt, da sie – droht die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung – in die Zukunft gerichtet sind und vollzugsmäßige Perspektiven eröffnen. Der lautere Staatsanwalt wird der Versuchung derartiger Zusagen allerdings widerstehen, da sie nicht in seine Zuständigkeit fallen: Die zuständige JVA ergibt sich aus Belegungsplänen, die Ausgestaltung der konkreten Haftbedingungen erfolgt durch den Vollzug und für eine Abschiebung nach § 456a StPO ist der Rechtspfleger zuständig.
Zulässig sind aber der Verzicht auf weitere Anträge im Prozessverlauf durch Staatsanwaltschaft und Nebenklage. Allerdings dürfte die Erklärung des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft, sich gegenüber dem zuständigen (§ 31 Abs. 2 S. 1 RpflG) Rechtspfleger für die Abschiebung des Angeklagten gemäß § 456a StPO nach Ablauf einer bestimmten Haftzeit (idR mit Ablauf des Halbstrafentermins) einzusetzen, unter das Merkmal „Prozessverhalten“ zu subsumieren sein.46 Zulässig sollten weiterhin Verständigungen über das Vorgehen der Staatsanwaltschaft in anderen Verfahren (etwa nach § 154 Abs. 1 StPO), um eine „Gesamtbereinigung der gegen den Angeklagten anhängigen Ermittlungs- und Strafverfahren47 zu erzielen: „Nicht ausgeschlossen ist aber, dass die Staatsanwaltschaft Zusagen im Rahmen ihrer gesetzlichen Befugnisse zur Sachbehandlung in anderen, bei ihr anhängigen Ermittlungsverfahren gegen den Angeklagten, wie z. B. eine Einstellung nach § 154 StPO, abgibt. Solche Zusagen können aber naturgemäß nicht an der Bindungswirkung teilnehmen, die eine zustande gekommene Verständigung nach Maßgabe der Absätze 4 und 5 für das Gericht entfaltet.48 Dem hat das BVerfG nunmehr eine klare Absage erteilt.
Zusagen der Staatsanwaltschaft, andere anhängige Ermittlungsverfahren – etwa nach § 154 Abs. 1 StPO – einzustellen, lösen weder eine Bindungswirkung noch schutzwürdiges Vertrauen aus. Verständigungen dürften sich ausschließlich auf das zugrunde liegende, aktuelle Erkenntnisverfahren beziehen.


6.5. Geständnis


Ferner soll Gegenstand der Absprache ein Geständnis des Angeklagten sein, wobei ein Formalgeständnis durch das bloße Bestätigen („Abnicken“) der Anklagevorwürfe ohne weitere Angaben zur Sache nicht ausreicht, sondern ein qualifiziertes Geständnis gefordert ist. Dadurch soll verbürgt werden, dass die für Sachverhaltsaufklärung und Strafzumessung bedeutsamen Aspekte abgedeckt werden. „Dazu muß das selbstbelastende, keinen besonderen Zweifeln im Einzelfall unterliegende Geständnis wenigstens so konkret sein, daß geprüft werden kann, ob es derart im Einklang mit der Aktenlage steht, daß sich hiernach keine weitergehende Sachaufklärung aufdrängt. Ein bloßes inhaltsleeres Formalgeständnis reicht hingegen nicht aus […].49

Im geschilderten Fall des abgenickten Anklagevorwurfes wurden weder seitens des Gerichts noch des Staatsanwaltes weitere Nachfragen gestellt – sondern trotz des Appells des Angeklagten, dass ihm – so oder so – nicht geglaubt werde, verurteilt.50

Unmittelbar nach Verlesen der Anklageschrift eröffnet der Vorsitzende ein Rechtsgespräch und erklärt, dass bei einem Geständnis eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren mit Bewährung, bei einer „streitigen“ Hauptverhandlung eine solche von vier Jahren plus x denkbar wäre.

  • Einen „Handel mit Gerechtigkeit“ darf es nicht geben. Bloße inhaltsleere Formalgeständnisse, insbesondere etwa bei der Weigerung der Beantwortung von Fragen zum Sachverhalt, dem „Abnicken“ der Anklage oder in Form einer Erklärung, der Anklage nicht entgegentreten zu wollen, sind untaugliche Grundlage der richterlichen Überzeugungsbildung. Gerade ein verständigungsbasiertes Geständnis ist zwingend auf seine Richtigkeit zu überprüfen, wenn auch unter weniger strengen Anforderungen als im Rahmen einer förmlichen Beweisaufnahme.

Inhalt der Verständigung ist typischerweise ein Geständnis gegen die Zusicherung einer Strafober- und -untergrenze, § 257c Abs. 3 S. 2 StPO; die Festlegung einer bestimmten Strafe ist unzulässig.51 Macht das Gericht entsprechende Angebote, darf es für den Fall eines Geständnisses keine Strafe in Aussicht stellen, die diejenige für den Fall des Ausbleibens eines Geständnisses um mehr als ein Drittel unterschreitet (sog. Sanktionsschere).52 Gleiches gilt für den durch Verstoß gegen § 136a StPO zustande gekommenen Deal. Wird die Sanktionsschere um mehr als ein Drittel53 geöffnet, wendet das Gericht eine Drohung im Sinne von § 136a StPO an und begründet damit zugleich die Besorgnis der Befangenheit.54 Die Verteidigung kann der Verwertung des abgegebenen Geständnisses widersprechen und einen Befangenheitsantrag stellen.

Eine Kammer gibt bei Absprachen regelmäßig zwar eine Strafunter- und eine Strafobergrenze an. Die Untergrenze scheint eher – mit Blick auf die Verteidigung – kosmetischer Natur und die Strafe liegt immer einem Monat unter der angegebenen Höchstgrenze. Teilweise wird auch eine Strafuntergrenze nicht genannt.

Die Angabe einer Strafuntergrenze erfolgte vor der StPO-Novelle kaum; das Gericht gab eine Strafobergrenze vor, die sie regelmäßig auch ausschöpfte oder von der sie nur marginal abwich.55 Dieser Praxis hatte bereits der BGH einen Riegel vorgeschoben: „Angesichts des Wortlauts der Vorschrift („Ober- und Untergrenze der Strafe“; „der in Aussicht gestellte Strafrahmen [§ 257c Abs. 4 Satz 1]“) und der Gesetzesmaterialien (BT-Drucks. 16/13095 S. 3 [Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses]: „wobei das Gericht eine [...] tat- und schuldangemessene Strafober- und Strafuntergrenze anzugeben hat“) sprechen gewichtige Gründe dafür, dass nach dem Willen des Gesetzgebers das Gericht nach fallbezogener Verengung des gesetzlichen Strafrahmens stets einen konkreten Rahmen für die schuldangemessene Strafe, bestehend aus einer Strafober- und einer Strafuntergrenze, anzugeben hat.56
Allerdings ist der Angeklagte in der Regel nicht beschwert, wenn das Gericht nur eine Ober- und keine Untergrenze angibt: „Der Gesetzgeber ist mit der Regelung in § 257c Abs. 3 Satz 2 StPO einer Forderung der Generalstaatsanwälte nachgekommen, die in der Festlegung einer unteren Strafgrenze ein legitimes Anliegen der Staatsanwaltschaft gesehen haben, ihre Vorstellung von einem gerechten Schuldausgleich nicht nur nach oben, sondern auch nach unten abgesichert zu sehen […]. Die Benennung einer Strafuntergrenze trägt daher vordringlich den Interessen der Staatsanwaltschaft Rechnung […], deren Zustimmung für das Zustandekommen einer Verständigung im Unterschied zu der Rechtslage vor dem Inkrafttreten des § 257c StPO nunmehr unerlässlich ist. Fehlt es an der Angabe einer Strafuntergrenze durch das Gericht, kann dies in der Regel nur von der Staatsanwaltschaft im Rahmen einer Revision zum Nachteil des Angeklagten beanstandet werden. […] Im vorliegenden Fall ist keine Ausnahme gegeben, wonach der Angeklagte erfolgreich eine Beschwer geltend machen kann. Denn es sind hier weder Anhaltspunkte dafür ersichtlich noch vorgetragen, dass er im Fall der Angabe einer Strafuntergrenze durch das Gericht der Verständigung nicht zugestimmt hätte. Auch sein Geständnis kann daher von der fehlenden Benennung einer Strafuntergrenze nicht berührt sein.57
Allerdings wird für einen Angeklagten die Entscheidung, ob er eine Verständigung eingeht, auch von der möglichen Untergrenze der Strafe abhängen. Da bei einer Verständigung keine Punktstrafe zugesichert werden darf, wird der Angeklagte davon ausgehen, dass die Strafe ggf. erheblich hinter der Strafrahmenobergrenze zurückbleiben kann; nur dann kann er seine Handlungsoptionen verlässlich einschätzen.

Der Vorsitzende regt unmittelbar nach der Verlesung der Anklage an, man sollte mal über die Sache und die zu erwartende Strafe reden; zudem erläutert er seine – mit den Beisitzern nicht abgestimmte – Straferwartung.

Wenngleich nach dem Wortlaut des § 257c Abs. 3 S. 1 StPO das Gericht die Initiative ergreifen kann, ist es ebenso zulässig, wenn die übrigen Prozessbeteiligten hierzu den Anstoß geben. Auch insoweit kommt ein erfolgreicher Befangenheitsantrag nicht in Betracht.58 Ein Angeklagter, der die Befangenheit des Gerichts vor dem Hintergrund einer (angeregten) Absprache rügt, verhält sich widersprüchlich und damit rechtsmissbräuchlich, so dass ein entsprechender Befangenheitsantrag abzulehnen ist.59

6.6. Änderung der Geschäftsgrundlage


Aufgrund rechtlich oder tatsächlich bedeutsamer Umstände, die übersehen wurden oder neu zutage treten und den in Aussicht gestellten Strafrahmen nicht mehr als tat- und schuldangemessen erscheinen lassen, entfällt die Bindung des Gerichts an die Absprache. Solche Umstände können auch im Prozessverhalten des Angeklagten liegen (§ 257c Abs. 4 S. 2 StPO). Damit sind recht weite Möglichkeiten für das Gericht eröffnet, sich von der Absprache zu lösen.60 
Allerdings hatte der 4. Strafsenat des BGH Mitte 2012 entschieden, dass die Bindungswirkung einer Verständigung nicht kraft Gesetzes entfällt, sondern ein Wegfall eine entsprechende gerichtliche Entscheidung erfordert, die den an der Absprache Beteiligten unverzüglich mitzuteilen ist.61

Der bislang in den Akten befindliche BZR-Auszug weist keine Vorstrafen auf. Es handelt sich allerdings versehentlich um eine Auskunft, die sich auf eine andere Person mit gleichem Vor- und Nachnamen bezieht. Die korrekte Auskunft weist diverse Vorstrafen auf, die überwiegend einschlägig sind und belegt, dass der Angeklagte in zwei Fällen unter Bewährung steht.

Bereits ein rechtlicher oder tatsächlicher Irrtum der Kammer kann dazu führen, dass die Bindung an die Absprache entfällt. Kompensiert wird diese relativ geringe Erwartungssicherheit des Angeklagten dadurch, dass bei einem Abrücken des Gerichts von der Absprache dies ausdrücklich mitzuteilen ist und ein ggf. bereits abgegebenes Geständnis nicht mehr verwertet werden darf (§ 257c Abs. 4 StPO). Dies entspricht dem Gebot eines fairen Verfahrens und setzt die Verfahrensbeteiligten in den Stand, ihr weiteres Prozessverhalten auf die geänderte Lage einzustellen.62 

Aufgrund einer Absprache räumt der Angeklagte die Tat ein und erklärt auch, wo er das Tatwerkzeug versteckt hat. Dieses wird daraufhin gefunden und untersucht; an ihm finden sich DNA-Spuren des Opfers und des Angeklagten. Später scheitert der Deal.

Dem Verwertungsverbot kommt nach allgemeinen Regeln keine Fernwirkung zu; aus dem Inhalt des Geständnisses ergeben sich nicht selten neue Ermittlungsansätze, die den Tatnachweis ermöglichen. Zudem werden sich insbesondere die Schöffen innerlich kaum von dem vernommenen Geständnis lösen können. Die Verwertung eines abgegebenen Geständnisses ist auch dem Berufungsgericht versagt, wenn die Staatsanwaltschaft nach erfolgter Verständigung zu Lasten des Angeklagten Berufung einlegt. Dies ergibt sich aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens. Jener gebietet ferner, den Angeklagten in der zweiten Instanz vor einem erneuten Geständnis qualifiziert darüber zu belehren, dass sein Geständnis aus der Vorinstanz nicht verwertet werden kann. Zudem ist eine Beschränkung der Berufung der Staatsanwaltschaft auf das Strafmaß jedenfalls dann unzulässig, wenn die Feststellungen des angefochtenen Urteils ausschließlich auf dem Geständnis des Angeklagten beruhen.63

6.7. Protokollierung


Ablauf und Inhalt einer Verständigung, die Mitteilung des Gerichts über das Abrücken davon sowie die Belehrung über die Voraussetzungen und Folgen der Abweichung des Gerichts sind im Protokoll zu vermerken. Aber auch das Fehlen einer Verständigung ist im Protokoll zu dokumentieren (§ 273 Abs. 1a StPO); es besteht eine positive wie negative Protokollierungspflicht. Will sich der Angeklagte auf das Vorliegen einer Verständigung berufen, etwa, um die Unwirksamkeit eines Rechtsmittelverzichts nach § 302 Abs. 1 S. 2 StPO herzuleiten, muss er im Revisionsverfahren dartun, dass das Urteil nach einer Verständigung gesprochen wurde. Dabei kann er sich nur des Protokolls bedienen, das ihm jedoch nach Ansicht des 5. Strafsenats nicht hilft, wenn lediglich protokolliert wurde, dass im Vorfeld der Hauptverhandlung keine Gespräche zwischen den Verfahrensbeteiligten stattgefunden hatten. Das Fehlen eines „Negativattests” sei insoweit bedeutungslos, da auch das positive Vorliegen eine Verständigung nicht protokolliert wurde.64 

Im Protokoll der Hauptverhandlung finden sich keinerlei Angaben zu Absprachen.

Der 2. Strafsenat hat ausgeführt, dass es sich bei der Protokollierung, ob eine Verständigung stattgefunden habe oder nicht, um eine wesentliche Förmlichkeit handele. Sei entgegen der zwingenden gesetzlichen Anordnungen weder die eine noch die andere Variante protokolliert, sei das Protokoll widersprüchlich und verliere insoweit seine Beweiskraft. Dann könne das Gericht im Freibeweisverfahren – in der Regel durch das Einholen dienstlicher Äußerungen der beteiligten Richter – feststellen, ob eine Verständigung getroffen worden sei. In der Revisionsbegründungsschrift ist dann allerdings konkret darzulegen, in welchem Verfahrensstadium, in welcher Form und mit welchem Inhalt die von ihm behauptete Verständigung zustande gekommen ist.65 Ist dem Urteil eine Verständigung vorangegangen, ist dies im Urteil anzugeben (§ 267 Abs. 3 S. 5 StPO). Das gilt auch, wenn sich das Gericht von der Verständigung wieder gelöst hat, da überprüfbar sein muss, ob das Beweisverwertungsverbot des § 257c Abs. 4 S. 3 StPO eingreift.
Auch bei rechtskräftigen Urteilen muss das Gericht die Absprache nennen, da diese für Verfahren gegen Mittäter und Wiederaufnahmeverfahren bedeutsam sein kann.66 Es muss lediglich wiedergegeben werden, dass eine Verständigung stattgefunden hat, nicht aber deren Inhalt, mithin nur das „Ob“ nicht das „Wie“ der Verständigung.67

6.8. Unwirksamkeit eines Rechtsmittelverzichts


Sämtliche Verfahrensbeteiligten treffen eine Absprache. Entgegen der ursprünglichen Zusicherung des Verteidigers gibt dieser nach Urteilsverkündung keine Erklärung zum Rechtsmittelverzicht ab; er legt Revision ein (und sodann das Mandat nieder).

Ein Rechtsmittelverzicht kann nicht rechtswirksam vor der Verkündung der Entscheidung abgegeben werden. Vielmehr ist mit Blick auf das Innenverhältnis zwischen Mandanten und Verteidiger dieser intern verpflichtet, das Rechtsmittel einzulegen, falls sein Auftraggeber dies wünscht. 

Einige Beweisanträge zwingen – so glaubt das Gericht – dazu, diesen nachzugehen oder zu dealen. Der Richter bietet einen Freispruch an für den Fall, dass die Anträge nur noch als Hilfsbeweisanträge gestellt werden. Auf die Intervention des Verteidigers erklärt der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft, dass er auf Rechtsmittel verzichten wird. Gegen den Freispruch legt die Staatsanwaltschaft kein Rechtsmittel ein.68

Nach der Gesetzesbegründung sollen Rechtsmittel gegen ein Urteil, das aufgrund einer Absprache ergangen ist, nicht beschränkt werden. Nach § 35a S. 3 StPO muss der Angeklagte über seine Berechtigung belehrt werden, Rechtmittel gegen das Urteil auch dann einzulegen, wenn ein Rechtsmittelverzicht Gegenstand der Absprache war. Diese wesentliche Förmlichkeit ist zu protokollieren und nimmt an der negativen Beweiskraft des Protokolls (§ 274 StPO) teil. Dies entspricht materiell der vom BGH69 bereits vor der neuen Gesetzeslage durch Richterrecht geforderten qualifizierten Belehrung und ist auch nur vor diesem (rechtshistorischen) Hintergrund verständlich. „Qualifizierte Belehrung bedeutet, dass der Betroffene vom Gericht ausdrücklich dahin zu belehren ist, dass er ungeachtet der Urteilsabsprache und ungeachtet der Empfehlung der übrigen Verfahrensbeteiligten, auch seines Verteidigers, in seiner Entscheidung frei ist, Rechtsmittel einzulegen. Er ist darauf hinzuweisen, dass ihn eine – etwa im Rahmen einer Urteilsabsprache abgegebene – Ankündigung, kein Rechtsmittel einzulegen, weder rechtlich noch auch sonst bindet, dass er also nach wie vor frei ist, gleichwohl Rechtsmittel einzulegen. Ferner kann es sich empfehlen, dem Angeklagten Gelegenheit zu einem ausführlichen Beratungsgespräch mit seinem Verteidiger zu geben und auch diesen Vorgang zu protokollieren […].70
§ 302 Abs. 1 S. 2 StPO regelt die Unwirksamkeit eines Rechtsmittelverzichts, wenn dem Urteil eine Absprache vorausgegangen ist, und geht damit weit über das Erfordernis einer qualifizierten Belehrung hinaus. Rechtskraft kann daher nach Absprachen grundsätzlich zunächst nur durch den ungenutzten Ablauf der Rechtsmittelfrist eintreten.

Der Angeklagte legt unmittelbar nach der Urteilsverkündung Rechtsmittel ein und nimmt dieses sodann zurück; dem Urteil liegt eine Absprache zugrunde.

Der Gesetzeswortlaut ermöglicht diese Umgehung, sofern der Angeklagte unmittelbar nach der Urteilsverkündung ein Rechtsmittel einlegt und dieses – Sekunden später – wieder zurücknimmt. Es stand zu erwarten, dass die Revisionsgerichte diesem Kunstgriff als rechtsmissbräuchlich die Anerkennung versagen würden,71 was sie allerdings nicht getan haben.72
Beabsichtigt ist, eine Kontrolle durch das Revisionsgericht darüber sicherzustellen, ob Verständigungen nach den Vorgaben des Gesetzgebers erfolgen und speziell die Vorgaben des § 257c Abs. 4 StPO zum Wegfall der Bindung des Gerichts an die Verständigung eingehalten werden; ferner soll der Grundsatz der Sachverhaltsaufklärung von Amts wegen gewahrt bleiben. Die Regelung bewirkt eine wenig wertungsgerechte Rechtslage: Auch wenn nach neuem Recht der Angeklagte, die Staatsanwaltschaft und das Gericht über die Rechtsfolgen einig sein müssen und der Angeklagte in aller Regel die ausgesprochene Strafe erwartet und gebilligt hat, kann er nunmehr keinen Rechtsmittelverzicht erklären, obwohl der Angeklagte in einem ohne Absprache beendeten Verfahren dies zwanglos kann.73
Eine weitere Folge dieser Regelung ist, dass eine abgekürzte Fassung der Urteilsgründe nach § 267 Abs. 4 S. 1 StPO vor Ablauf der Wochenfrist ausscheidet. Ein auf der Grundlage einer Absprache abgelegtes Geständnis entbindet den Tatrichter nicht von einer geschlossenen Darstellung des Tatgeschehens, das im Rahmen der Hauptverhandlung festgestellt wurde. Fehlt diese, kann eine revisionsrechtliche Überprüfung des Urteils unmöglich sein und zur Aufhebung der Entscheidung führen.74
Wichtig ist allerdings, dass der Angeklagte, wurde er nicht im Sinne von § 35a S. 3 StPO über sein Recht belehrt, in jedem Falle Rechtsmittel einzulegen, ggf. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 45 Abs. 1, 2 S. 2 StPO beantragen kann. Dabei muss er glaubhaft machen, er sei der Meinung gewesen, gegen das Urteil kein Rechtsmittel einlegen zu können. Die Vermutung des § 44 S. 2 StPO gilt nicht, weil der Rechtsmittelverzicht nach einer Urteilsabsprache – und zwar selbst, wenn diese unzulässigerweise die Frage eines Rechtsmittelverzichts einbezogen hat – häufig darauf beruhen wird, dass der Angeklagte das Ergebnis der gefundenen Verständigung als dauerhaft akzeptiert und eine Rechtsmittelüberprüfung gar nicht wünscht.75
Ein wirksamer Rechtsmittelverzicht ist ausgeschlossen.

7. Fazit


Der Vollzug der gesetzlichen Regelungen ist in der Tat in erheblichem Maße defizitär, was (jedenfalls derzeit noch) nicht zur Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Regelung führt. Das Vollzugsdefizit beruht nicht auf Regelungslücken, sondern auf einer mangelhaften Umsetzung und fehlenden vollständigen Verinnerlichung der Regelung. Die Befürchtungen Fischers, dass der Deal das Recht zerstört, das BVerfG die Praxis des Geständnishandels abgesegnet hat und damit Macht vor Recht gehe,76 sind berechtigt, aber durch einen verantwortungsvollen Umgang der Verfahrensbeteiligten mit der lex lata zu entkräften. Die Gefahr des Missbrauchs ist jedem Recht und jedem Rechtsinstitut immanent.
Der Vollzug des Verständigungsgesetzes ist in erheblichem Maße defizitär, was (jedenfalls derzeit noch) nicht zur Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Regelung und Praxis führt. Das Vollzugsdefizit beruht nicht auf Regelungslücken, sondern auf der mangelhaften Umsetzung und fehlenden vollständigen Verinnerlichung der Regelungen.

Erste Entscheidungen der Obergerichte nach dem Entscheid des BVerfG setzen dessen Vorgaben in unterschiedlicher Weise um: So wird zum einen erörtert, ob die Verständigung bezüglich der Annahme eines unbenannten minder schweren Falles als förmliche Absprache denkbar ist77 und damit – wie Deutscher es ausdrückt – nach einem Schlupfloch gesucht.78 Der 1. Strafsenat des BGH postuliert hingegen für den Fall einer Verständigung, dass eine fehlende Belehrung nach § 257c Abs. 5 StPO dazu führt, dass das Urteil regelmäßig auf die Revision des Angeklagten hin aufzuheben sein wird.79 In diese Richtung geht auch eine Entscheidung des OLG München, das erklärt, dass Verstöße gegen die geltende gesetzliche Regelung den Angeklagten in seinen Rechten auf ein faires Verfahren und dem des nemo-tenetur-Grundsatzes verletzt.80
Es steht zu befürchten, dass die Praxis die (verfassungs-)rechtlichen Vorgaben (weiterhin) missachtet und so selbst – insoweit allerdings zu recht – diesen Deal zu Grabe trägt. Dem Ansehen und der Reputation der Strafjustiz wäre damit ein Gefallen getan, ist doch ein kontradiktorisches (Straf-)Verfahren im Sinne eines ritualisierten Konfliktes eben mehr als nur lárt pour lárt.

Anmerkungen

  1. Urteil vom 19.3.2013, NJW 2013, 1058 ff.; vgl. dazu u.a. Kudlich, Grenzen der Verfassungsgerichtsbarkeit – die Entscheidung des BVerfG zur strafprozessualen Verständigung, NStZ 2013, 379 ff.; Meyer, Die faktische Kraft des Normativen – Das BVerfG und die Verständigung im Strafverfahren, NJW 2013, 1850 ff.
  2. Zu den nachfolgenden Ausführungen vgl. auch Artkämper, Die „Gestörte“ Hauptverhandlung, 4. Aufl. 2013, S. 379 ff.
  3. Vgl. Meyer-Goßner, § 257c Rn 24.
  4. Meyer-Goßner, ZRP 2009, 107, 109; krit. Schünemann, ZRP 2009, 104, 105 f., 106.
  5. Darauf machen Altenhain/Hagemeier/Haimerl, NStZ 2007, 71, 77 f. aufmerksam.
  6. Fischer, NStZ 2007, 433.
  7. BT-Drs. 16/11736, S. 5; ebenso BR-Drs. 65/09, S. 5; vgl. a. den Strafrechtsausschuss der BRAK, ZRP 2005, 235: „Unverzichtbare Entlastungswirkung für die Strafrechtspflege“.
  8. Altenhain/Hagemeier/Haimerl, NStZ 2007, 71, 72.
  9. Vgl. zuletzt BVerfG StRR 2012, 184f.
  10. BGHSt 43, 195 ff. 
  11. BGH (GS) NJW 2005, 1440, 1445 f., 1446.
  12. BGH, Beschluss vom 31.5.2012 – 2 StR 610/11 m. Anm. Putzke/Putzke, Legal Tribune online vom 6.6.2012.
  13. So auch Meyer-Goßner, § 257c Rn 4.
  14. Meyer-Goßner, NStZ 2007, 425, 426.
  15. Nobis, StRR 2012, 84, 85f. 
  16. Meyer-Goßner, § 160b Rn 8.
  17. Meyer-Goßner, § 160b Rn 4.
  18. Meyer-Goßner, § 160b Rn 9.
  19. Meyer-Goßner, § 202a Rn 3.
  20. Meyer-Goßner, § 202a Rn 4; krit. Altenhain/Hagemeier/Haimerl, NStZ 2007, 71, 74.
  21. Meyer-Goßner, § 212 Rn 1.
  22. Altenhain/Hagemeier/Haimerl, NStZ 2007, 71, 75.
  23. Dahs, NStZ 2005, 580.
  24. BR-Drs 65/09, S. 21; Meyer-Goßner, § 257b Rn 3.
  25. Meyer-Goßner, § 243 Rn 18b.
  26. BT-Drs 16/11736, S. 7; BR-Drs 65/09, S. 8; krit. zu derartigem Vorgehen Weigend, NStZ 1999, 57, 60.
  27. Meyer-Goßner, § 243 Rn 18c f.
  28. Siehe Meyer-Goßner, § 257c Rn 7.
  29. Meyer-Goßner, § 257c Rn 7.
  30. BGH NStZ 2001, 555, 556; Eisenberg, NStZ 2001, 556, 557; ders., NStZ 2003, 124, 132.
  31. BGH NStZ-RR 2006, 187, 188.
  32. Meyer-Goßner, § 257c Rn 7.
  33. Eine Zustimmung der Staatsanwaltschaft war erforderlich, vgl. BGH LNR 2003, 21882; a.A. Meyer-Goßner52, Vor § 213 Rn 12.
  34. Meyer-Goßner, § 257c Rn 4.
  35. Nach Nobis, StRR 2012, 84, 85.
  36. Meyer-Goßner, § 257c Rn 9.
  37. Meyer-Goßner, § 257c Rn 10, Vor § 430 Rn 4a.
  38. BT-Drs 16/11736, S. 11.
  39. Vgl. Strafrechtsausschuss der BRAK, ZRP 2005, 235, 239.
  40. Vgl. hierzu einerseits BGH NJW 1999, 373, 375 und andererseits OLG Dresden NStZ-RR 2007, 267.
  41. BGHSt 43, 195, 205 ff.
  42. So auch Meyer-Goßner, § 257c Rn 11.
  43. BGH StRR 2010, 465 f. m.w.N. pro und contra.
  44. Meyer-Goßner, § 257c Rn 12.
  45. BT-Drs 16/11736, S. 11; BR-Drs 65/09, S. 22.
  46. Krit. BT-Drs 16/4197, S. 9, da Umstände zu berücksichtigen seien, die im Erkenntnisverfahren nicht beurteilt oder vorweggenom-men werden könnten; vgl. dazu auch Artkämper/Herrmann/Jakobs/Kruse, Aufgabenfelder der Staatsanwaltschaft, Rn. 712 ff.
  47. BT-Drs 16/4197, S. 9.
  48. BT-Drs 16/11736, S. 11; BR-Drs 65/09, S. 22.
  49. BGH (GS) NJW 2005, 1440, 1442; BT-DrS 16/11736, S. 12; vgl. a. Meyer-Goßner, § 257c Rn 17.
  50. Nobis, StRR 2012, 84, 85.
  51. BGH StRR 2010, 465 f.; Meyer-Goßner, § 257c Rn 11, 19; s.a. Altenhain/Hagemeier/Haimerl, NStZ 2009, 71, 73 f.
  52. Altenhain/Hagemeier/Haimerl, NStZ 2009, 71, 78; Meyer-Goßner, ZRP 2009, 109; ders., § 257c Rn 19.
  53. Schöch, NJW 2004, 3462, 3465; Meyer-Goßner, ZRP 2009, 107, 109.
  54. BGH NStZ 2008, 170 f.; zuvor BGH NJW 1998, 86, 89; LNR 2004, 27083; (GS) NJW 2005, 1440, 1442; NStZ 2007, 655, 656 f., 657: „unzulässiger Geständniszwang“; Altenhain/Hagemeier/Haimerl, NStZ 2009, 71, 73 f.
  55. Vgl. Altenhain/Hagemeier/Haimerl, NStZ 2007, 71, 73: „In dieser Situation wird das Gericht nicht den Konsens aufs Spiel setzen, indem es eine deutlich hinter der Obergrenze bleibende Strafe auswirft und das Risiko einer Revision der Staatsanwaltschaft eingeht.“; a.A. Meyer-Goßner, § 257c Rn 20 f.
  56. BGH LNR 2010, 26844; vgl. auch StRR 2010, 465 f.
  57. BGH LNR 2010, 26844.
  58. BT-Drs 16/11736, S. 11.
  59. BGH NJW 2009, 690, 691 f; krit. Meyer-Goßner, § 257c Rn 27a.
  60. Vgl. Meyer-Goßner, NStZ 2007, 425, 428.
  61. BGH, Urteil vom 21.6.2012 – 4 StR 623/11.
  62. BGH, Urteil vom 21.6.2012 – 4 StR 623/11; BT-Drs 16/11736, S. 13.
  63. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 06.10.2010 – III 4 RVs 60/10, BeckRS 2010, 27064.
  64. BGH LNR 2010, 26792.
  65. BGH LNR 2010, 27170; s.a. Leipold, NJW-Spezial 2010, 760f.
  66. Meyer-Goßner, § 267 Rn 23a.
  67. BGH NStZ-RR 2010, 151; Meyer-Goßner, § 267 Rn 23a.
  68. Nach Nobis, StRR 2012, 84, 86f.
  69. Vgl. BGH (GS) NJW 2005, 1440, 1445 f., wodurch der BGH ferner die Protokollierung der qualifizierten Belehrung als wesentliche Förmlichkeit gemäß § 273 Abs. 1 StPO anordnete.
  70. BGH (GS) NJW 2005, 1440, 1446; s.a. BT-Drs 16/11736, S. 9.
  71. Vgl. schon BGH NJW 2010, 2294; Roggenwallner/Herrmann/Jansen, Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, Rn. 380.
  72. BGH StV 2010, 346; vgl. auch Burhoff, StRR 2011, 248, 253.
  73. Meyer-Goßner, § 257b Rn 26c f.
  74. BGH 5 StR 594/10 vom 19.2.2011.
  75. BR-Drs 65/09, S. 18; vgl. a. bereits BGH (GS) NJW 2005, 1440, 1446.
  76. Die Zeit vom 27.3.2013.
  77. Vgl. dazu BGH StRR 2013, 343 f.
  78. StRR 2013, 343.
  79. Vgl. dazu BGH StRR 2013, 344.
  80. OLG München, Urteil vom 28.8.2013, 4 StRR 174/13, zitiert nach Jurion News StR 38/2013 vom 19.9.2013.