Vom Hilfsbeamten zur Ermittlungsperson

Funktionswandel der Polizei in europäischen Kriminaljustizsystemen

1877 wurde in Deutschland die Reichsstrafprozessordnung eingeführt. Damit einher ging die Etablierung einer Staatsanwaltschaft, welcher die Polizei als Hilfsorgan zur Aufklärung von Straftaten unterstellt wurde. Die Polizei erhielt nur in sehr engen Grenzen eine Ermächtigung zur eigenständigen Sachverhaltserforschung (§ 161 RStPO, bzw. seit 1942 § 163 StPO), die Sachleitungsbefugnis sollte vielmehr allein der Staatsanwaltschaft obliegen
(§ 159 RStPO, nunmehr §§ 160, 161 StPO). Weiter wurde mit § 152 GVG eine Regelung geschaffen, die den Ländern erstmals die Möglichkeit gab, Ermittlungsbeamte der Staatsanwaltschaft einzusetzen. Diese waren als gesondert gerichtliche Polizei der Anordnungsbefugnis der Staatsanwaltschaft unterstellt und sollten ihr als sog. Hilfsbeamte im Ermittlungsverfahren besonders zur Seite stehen. Diese gesetzlichen Regelungen beanspruchen noch bis heute fast unveränderte Gültigkeit. Die Polizei, insbesondere die zu Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft ernannten Beamten, wurden dementsprechend über viele Jahrzehnte als lediglich „verlängerter Arm der Staatsanwaltschaft„ bezeichnet.

Institut für
Kriminalwissenschaften
Lehrstuhl Prof. Jehle
Jur. Fakultät der Georg-
August-Universität Göttingen

Durch das erste Justizmodernisierungsgesetz vom 01.09.2004 wurde erstmals der Begriff der Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft durch den Begriff Ermittlungspersonen ersetzt. Amtlich begründet wurde die Umbenennung damit, dass der Begriff Hilfsbeamte der heutigen Funktion der Polizei im Ermittlungsverfahren sprachlich wie tatsächlich nicht mehr gerecht werde. Zwar wird betont, dass die Sachleitungsbefugnis im Ermittlungsverfahren weiter uneingeschränkt bei der Staatsanwaltschaft liege, im Hinblick auf den inzwischen erreichten Ausbildungsstand der Polizeibeamten und der daraus folgenden Tatsache, dass die Polizei aus einer lediglich untergeordneten Hilfsfunktion herausgewachsen sei, die ursprüngliche Bezeichnung nicht mehr zeitgemäß sei und der Begriff „ Ermittlungsperson„ wohl eher das heutige Verhältnis zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei charakterisiere und der Ermittlungswirklichkeit Rechnung trage1. Der Beitrag soll sich mit dem heutigen Zusammenspiel beider Organe im Bereich der Straftatenermittlung befassen. Es soll ein rechtsvergleichender Überblick über die Zusammenarbeit zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei im Ermittlungsverfahren in rechtlicher wie rechtstatsächlicher Hinsicht gegeben werden; dies insbesondere mit Blick darauf, inwieweit die Polizei innerhalb des laufenden Ermittlungsverfahrens in ihrer Tätigkeit frei oder von der Staatsanwaltschaft abhängig ist und inwieweit sie am Ende der Ermittlungen Entscheidungen über den weiteren Verfahrensverlauf treffen kann. Im ersten Schritt soll untersucht werden, was genau sich an dem Verhältnis zwischen beiden Organen im Ermittlungsverfahren geändert hat, das eine Änderung der Begrifflichkeit hin zu der Bezeichnung „Ermittlungspersonen„ hat notwendig erscheinen lassen und was genau zu dieser Veränderung geführt hat.
In einem zweiten Schritt soll der Frage nachgegangen werden, ob sich diese Entwicklung allein im deutschen Strafjustizsystem beobachten lässt oder ob eine Veränderung des Verhältnisses zwischen beiden Organen auch in anderen europäischen Ländern anzutreffen ist. Dies erscheint gerade im Hinblick auf ein Zusammenwachsen aller Mitgliedstaaten im europäischen Rechtsraum interessant, da dies auch eine verstärkte Kooperation aller betroffener Kriminaljustizsysteme erforderlich macht. Untersuchungsgrundlage bildet zum einen eine Forschungsstudie über die Funktion von Staatsanwaltschaften im europäischen Rechtsvergleich2. Die Studie wurde durch eine Gruppe von Experten aus 11 unterschiedlichen europäischen Ländern unterstützt. Als Vergleichsländer standen hier neben Deutschland England einschließlich Wales, Frankreich, die Niederlande, Kroatien, Schweden, die Schweiz, Spanien, Polen, die Türkei und Ungarn zur Verfügung.
Die Untersuchung befasste sich unter Betrachtung gesetzlicher wie auch empirischer Informationen nicht nur mit der Funktion und Arbeitsweise von Staatsanwaltschaften in den Kriminaljustizsystemen, sondern auch detailliert mit der Rolle der Polizei und des Gerichts im Vorverfahren. Bei der Studie wurden zwei Untersuchungsschwerpunkte gesetzt: einerseits ein internationaler Vergleich, der die Funktionen der verschiedenen Staatsanwaltschaften, aber auch die im jeweiligen Kriminaljustizsystem eingebauten funktionalen Äquivalente rechtstatsächlich untersuchte; andererseits eine Analyse der rechtlichen Rahmenbedingungen einschließlich ihrer Auswirkungen auf das Verhältnis von Legalitäts- und Opportunitätsprinzip wie auf die rechtsstaatlichen Garantien beim Entscheidungsverhalten der Staatsanwaltschaft. Die relevanten Informationen und Daten wurden mittels eines erstellten Fragebogens erhoben3. Die Auswertung der auf diese Weise gesammelten Daten und Informationen fand Eingang in eine internationale, (rechts-)vergleichende Synthese, die insbesondere die gemeinsamen Trends innerhalb Europas herausstellt. Zum anderen liegt der hier angestellten Untersuchung die Dissertation der Verfasserin zugrunde. In dieser wurden die durch die Studie gewonnenen Erkenntnisse bezogen auf das Verhältnis zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei ausgewertet und im Hinblick auf die Bewegungen im deutschen und niederländischen Kriminaljustizsystem weiter vertieft4. Für die Betrachtung des deutschen Strafverfahrens wurde anhand einer Auswertung bundeslandinterner untergesetzlicher Bestimmungen versucht, einen Eindruck über die derzeitige polizeiliche Strafverfolgungspraxis zu gewinnen. In die Analyse wurden nur Bestimmungen miteinbezogen, die entweder landesweit oder zumindest für den Bezirk eines Oberlandesgerichtes gelten. Normgeber dieser Bestimmungen sind in der Regel die Justizministerien, teilweise in Zusammenarbeit mit anderen Ressorts aber auch die Generalstaatsanwaltschaften.

Beschreibung des Verhältnisses zwischen Staatsanwalt- schaft und Polizei im deutschen Ermittlungsverfahren

Im deutschen Strafverfahren wird die Staatsanwaltschaft traditionell als die Herrin des Ermittlungsverfahrens bezeichnet. Sie ist als Anklagebehörde grundsätzlich strikt dem Legalitätsgrundsatz verpflichtet, der allerdings durch die Opportunitätsvorschriften der Strafprozessordnung (§§ 153 ff. StPO) begrenzt wird. Aufgrund des Legalitätsprinzips besteht für die Staatsanwaltschaft die Pflicht, die Polizei zur gleichmäßigen und strikten Einhaltung des Strafverfolgungszwanges anzuhalten und zu überwachen. Die Polizei ist folglich im Rahmen ihrer repressiven Tätigkeit der Staatsanwaltschaft gegenüber weisungsunterworfen. Es wird hierbei von Gesetzes wegen zwischen Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft, die mit besonderen, zusätzlichen Befugnissen im Zwangsmittelbereich für dringende Fälle ausgestattet sind, und den übrigen allgemeinen Polizeibehörden und -beamten unterschieden, welchen nur einige wenige Eingriffsrechte gem. der Strafprozessordnung und dem Gerichtsverfassungsgesetz zustehen5. Darüber hinaus haben alle Polizeibeamten nach §§ 163, 161 StPO das Recht und die Pflicht, im Rahmen des ersten Zugriffs ohne Auftrag die Ermittlungstätigkeiten zu beginnen. Die gewonnenen Ermittlungsergebnisse sind dann unverzüglich der Staatsanwaltschaft zu übermitteln. Folglich hat auch in diesem Falle die Staatsanwaltschaft die justizmäßige Sachleitung der polizeilichen Ermittlungen. Verfahrensbeendende Entscheidungskompetenzen, wie z.B. die zur Einstellung aus Verfahrens- oder Opportunitätsgründen, stehen der Polizei nicht zu.



Faktisches Verhältnis zwischen Staatsanwaltschaft
und Polizei


Die Auswertung bundeslandinterner Richtlinien6ergab eine deutliche Orientierung des polizeilichen Ermittlungsverhaltens an der Gravität des einschlägigen Deliktes und dessen voraussichtlich weiterer justizieller Behandlung. Hiernach kann eine Dreiteilung der polizeilichen Ermittlungstätigkeit in die Bereiche leichte, mittlere und schwere Kriminalität vorgenommen werden. Im Bereich der leichten und mittelschweren Kriminalität führt die Polizei das Ermittlungsverfahren überwiegend eigenständig. Die Staatsanwaltschaft erlangt erst mit Übergabe der ausermittelten Akten bzw. nach Ablauf der durch die Regelungen jeweils bestimmten Bearbeitungszeit Kenntnis von der begangenen Straftat und den seitens der Polizei aufgenommenen Ermittlungen. Die polizeiliche Ermittlungstätigkeit ist auf ein Minimum reduziert und standardisiert. Bei Fällen, die voraussichtlich von der Staatsanwaltschaft unter Opportunitätsgesichtspunkten eingestellt werden, kann die Ermittlungsintensität dahingehend reduziert werden, dass die Staatsanwaltschaft anhand dieser Ergebnisse eine verfahrensbeendende Maßnahme treffen kann. Überdies stehen der Polizei gerade in diesem Bereich in vielen Bundesländern vermehrt Mitwirkungsrechte am staatsanwaltschaftlichen Entscheidungsprozeß über eine Einstellung zu. Diese reichen über die Befugnis zur ersten Beurteilung des Sachverhaltes hin auf die Eignung zu einer Einstellung, über das Recht, eine solche der StA in geeignetem Falle vorzuschlagen bis hin zu einer tatsächlichen Mitwirkung an der Durchführung des Einstellungsverfahrens. Von einer solchen Einbindung wird vorwiegend im jugendstrafrechtlichen Diversionsverfahren Gebrauch gemacht. Doch stehen auch bereits vereinzelt im allgemeinen Strafverfahren der Polizei derartige Mitwirkungsrechte zu. So wurde 1999 in Sachsen ein Verfahrensmodell für die Verfolgung von Ladendiebstahlsfällen eingeführt, das 2002 auf Fälle der Beförderungserschleichung ausgedehnt wurde7. Nach diesem ist es der Polizei möglich, dem Beschuldigten in den für eine Einstellung nach § 153 a StPO geeigneten Fällen eine solche nach Zahlung eines Geldbetrages vorbehaltlich der Einstellungsentscheidung durch die StA anzubieten und die Eintreibung dieser Zahlung an eine unabhängige Justizkasse in die Wege zu leiten, bevor sie die Akten mit Einstellungsvorschlag an die StA weiterleitet. Mit steigender Gravität des Deliktes und/oder Zunahme des Ermittlungsumfanges nimmt die eigenständige Ermittlungsführung der Polizei aber immer mehr ab. In Fällen schwerer Kriminalität nimmt die Staatsanwaltschaft ihre Leitungs- und Weisungsbefugnis dann vollständig wahr. Sie wird unverzüglich über den strafrechtlich relevanten Sachverhalt in Kenntnis gesetzt und kann dadurch das Verfahren von Beginn an kontrollieren. Zusammenfassend kann damit eine faktische Verfahrensherrschaft der Polizei im Kleinkriminalitätsbereich festgestellt werden. Die Tatsache aber, dass die Polizei die Ermittlungen im Bereich der leichten Kriminalität weitgehend eigenständig vornimmt, besagt nicht notwendig, dass die Staatsanwaltschaft ihren Status als Herrin des Verfahrens eingebüßt hätte. Vielmehr wird die Polizei von ihr durch allgemeine Instruktionen zur Ermittlungsführung angeleitet. Man kann hier von einer Art „faktischer Übereinkunft„ beider Organe sprechen, mit steigenden Fallzahlen besser umgehen zu können und den Arbeitsanfall zu bewältigen. Die Staatsanwaltschaft hat ein vorrangiges Interesse daran, nur in die Fälle und einzelnen Entscheidungen aktiv eingebunden zu werden, bei denen ihre Partizipation notwendig ist. Dies wird insbesondere in den Verfahren der Fall sein, die von ihr voraussichtlich durch Anklage vor Gericht zu bringen sind. Allgemeine Instruktionen und Vorgaben zur Ermittlungs- und Beweismittelführung werden meist durch untergesetzliche Bestimmungen vorgenommen. Aber auch Erfahrungswerte beruhend auf der alltäglichen gemeinsamen Arbeitspraxis spielen dabei eine bedeutende Rolle.



Beschreibung des Verhältnisses zwischen Staats-
anwaltschaft und Polizei in einigen europäischen Nachbarländern


Ein Blick auf die Normen, die die Funktion der Polizei in anderen europäischen Kriminaljustizsystemen wie auch ihr Verhältnis zu den jeweiligen nationalen Staatsanwaltschaften beschreiben, lässt feststellen, dass sich die Rolle der Polizei innerhalb Europas von Land zu Land von einander unterscheidet. So bestehen von Gesetzes wegen Unterschiede, was Kompetenzen wie verfahrensrechtliche Möglichkeiten der Polizei aber auch hinsichtlich ihres Verhältnisses zu den Staatsanwaltschaften im Rahmen der Strafverfolgung anbelangt. Es muss zunächst schon einmal zwischen kontinentaleuropäischen und angelsächsischen Rechtssystemen unterschieden werden. Neben Deutschland kann auch in fast allen anderen die Staatsanwaltschaft als die Herrin des Ermittlungsverfahrens bezeichnet werden, auch wenn in einigen Ländern wie Spanien, Kroatien und Frankreich ein Untersuchungsrichter als Strafverfolgungsorgan neben die Staatsanwaltschaft tritt. Lediglich in Schweden kann das Verhältnis zwischen beiden Organen als ein anderes beschrieben werden; beide Organe werden dort als grundsätzlich gleichwertige Institutionen angesehen, die in Strafsachen dem Justizministerium gegenüber verantwortlich sind. Ebenso wie in Deutschland gilt auch in einigen anderen Vergleichsländern die Unterstellung der Polizei unter die Staatsanwaltschaft nicht für alle Polizeibeamten in demselben Maße: Auch in den Niederlanden8 und in Frankreich9werden bestimmte Ermittlungsbeamte der Staatsanwaltschaft unterstellt, die mit von Land zu Land unterschiedlichen besonderen, zusätzlichen Befugnissen ausgestattet sind und die sich damit von den übrigen allgemeinen Polizeibeamten absetzen, welchen nur einige wenige Eingriffsrechte gemäß den Strafprozessordnungen zukommen. Allerdings handelt es sich hierbei nicht um besondere Einheiten der Polizei, sondern lediglich um eine den einzelnen Polizeibeamten zugesprochene Funktion10. Im Schweizer Kanton Basel-Stadt11, existiert eine spezielle Kriminalpolizei, welche allein für die Strafverfolgung zuständig ist und welche in den Behördenaufbau der Staatsanwaltschaft direkt integriert ist.
In jedem Falle wird der Polizei in fast allen kontinentaleuropäischen Rechtssystemen eine bloß unterstützende Funktion zugewiesen. Sie ist gesetzlich verpflichtet, die Staatsanwaltschaft mit den notwendigen Informationen zu versorgen, die eine Vereinfachung der Strafverfolgung bieten sollen. Gemäß des besonderen Verhältnisses zwischen beiden Ermittlungsorganen gestaltet sich dieses in Schweden anders; so kommt der Polizei nach den dort geltenden strafverfahrenrechtlichen Vorschriften für strafrechtlich relevante Fälle einfacher Natur eine völlig eigenständige Ermittlungskompetenz zu12. Unter Fällen einfacher Natur werden solche mit unkomplizierter Sach- und Beweislage sowie der Begrenzung einer maximal zu erwartenden Freiheitsstrafe von zwei Jahren verstanden13. In den kontinentaleuropäischen Rechtssystemen sind die staatsanwaltschaftliche Kontrolle und ihr Einfluss elementar. Als Herrin des Strafverfahrens ist die Staatsanwaltschaft für die korrekte Beweismittelsammlung im Ermittlungsverfahren verantwortlich. Folglich werden ihr auch in allen Ländern durch Gesetz weit reichende Kontroll- und Einflussmöglichkeiten auf die generelle Durchführung des Ermittlungsverfahrens eingeräumt. bilden einen Gegenpol zu den kontinentaleuropäischen Rechtssystemen. England, einschließlich Wales, bietet einen Einblick in ein Common-Law-System, das erst 1985 eine Staatsanwaltschaft eingeführt hat. Sie ist in erster Linie für die Anklageerhebung und Vertretung vor Gericht zuständig. Im Ermittlungsverfahren sollte ihre originäre Aufgabe lediglich die sein, Ermittlungen der Polizei zu initiieren und die Polizei bei der Durchführung ihrer Ermittlungen in vollkommen eigener Verantwortung zu überwachen. Eine Weisungsbefugnis gegenüber der Polizei kam ihr bislang nicht zu. Einzige Einflussmöglichkeit auf das Ermittlungsverfahren bestand für die Staatsanwaltschaft bislang darin, das Verfahren generell einzustellen. In diesem Fall nämlich ist die Polizei an ihre Entscheidung gebunden. Weiteres indirektes Kontrollinstrument stand ihr ansonsten erst nach Zuleitung der ausermittelten Akten seitens der Polizei zur Verfügung. Denn ab diesem Moment hatte sie die Möglichkeit der Abänderung der Klage nach ihren Vorstellungen bzw. der Entscheidung über die Anklageerhebung an sich. Allerdings ist auch dieses strafverfahrensrechtliche Grundkonzept in jüngster Vergangenheit einer Reform unterzogen worden. Zwar agiert die Polizei in der Durchführung der Ermittlungen wie auch in ihren Entscheidungen weiterhin relativ unabhängig. Seit nunmehr 2 Jahren aber wird die Staatsanwaltschaft vermehrt in die Ermittlungen von schweren Straftaten eingebunden. Sie hat weitgehende Weisungs- und Kontrollmöglichkeiten erhalten, die es ihr ermöglichen, sich direkt in das Verfahren zu involvieren. Was die Einbindung der Staatsanwaltschaft in jeden Einzelfall anbelangt, so wird in gesetzlicher Hinsicht in fast allen Vergleichsländern unabhängig von Art und Schwere der Straftat grundsätzlich eine Einbindung der Staatsanwaltschaft in die Ermittlungen von der ersten Minute an verlangt. Die Polizei ist gesetzlich verpflichtet, die Staatsanwaltschaft nach Kenntnisnahme eines strafrechtlich relevanten Sachverhaltes unverzüglich, ggf. alsbald nach Einleitung der ersten Ermittlungsmaßnahme über diesen zu informieren und die Akten und damit auch die volle Verantwortlichkeit für die Durchführung an sie zu übergeben. Allein in Polen und Schweden und seit 2 Jahren nunmehr auch in England & Wales gilt dies nur für schwere Straftaten und besondere Ermittlungsfälle; in Ungarn ist diese Verpflichtung zur sofortigen Einbindung der Staatsanwaltschaft in die Ermittlungen allein für die Bearbeitung von Bagatellfällen ausgeschlossen. In allen anderen Fällen besteht gesetzlich eine sofortige Übergabepflicht. Des Weiteren wird die polizeiliche Handlungsfähigkeit noch durch Zustimmungsvorbehalte insbesondere im Zwangsmittelbereich begrenzt. Je stärker der Eingriff in die Grundrechte des Betroffenen ist, desto eher sieht das Gesetz eine Zustimmungspflicht seitens der Staatsanwaltschaft oder des Gerichtes vor. Diese uns aus dem deutschen System wohl vertraute Regel gilt in allen Ländern ausnahmslos. Auch Art und Reichweite einzelner polizeilicher Befugnisse unterscheiden sich überwiegend nicht. Meist handelt es sich bei den eigenständigen Befugnissen lediglich um leichte Eingriffe, wie beispielsweise die Durchsuchung oder Beschlagnahme von Gütern entweder mit Einwilligung des Betroffenen oder wenn diese explizit durch Gesetz vorgesehen sind. Signifikant werden die Unterschiede allein beim Festnahmerecht der Polizei. Hier hat sie in 7 von 11 Ländern noch die Möglichkeit zu einer Festnahme bis zu 6 Stunden14. Je weiter die einzelne Festnahme zeitlich darüber hinausgeht, desto eher bedarf sie in den meisten Ländern dann der Zustimmung seitens der Staatsanwaltschaft oder des Gerichts. Lediglich in Kroatien und Ungarn hat die Polizei unter ganz bestimmten Umständen noch die Befugnis, den Beschuldigten für mehr als 48 Stunden ohne weitere Zustimmung eines anderen Organs festzuhalten. Etwas anderes gilt allerdings in Eilfällen. Hier wird der Polizei in Fällen, in denen ihrer Beurteilung nach Gefahr in Verzug besteht, ein wesentlich weiterer Handlungsspielraum zugestanden.
Fortsetzung folgt

Faktisches Verhältnis zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei

Die Betrachtung der gesetzlichen Vorgaben und deren Vergleich sagen allerdings wenig über deren praktische Handhabe aus.
Sie lassen damit noch keine Aussagen über die Verfahrenspraxis innerhalb Europas zu. Die Studie hat es sich daher zum Ziel gesetzt, neben den gesetzlichen Vorgaben auch deren rechtstatsächliche Handhabe zu erfassen.
Die Untersuchung ergab, dass wie zu vermuten in allen Vergleichsländern in der Praxis die Staatsanwaltschaft grundsätzlich nicht in jeden einzelnen Fall involviert ist. Vielmehr wurden Mechanismen geschaffen, die Einbindung in die Ermittlungen im Einzelfall auf das Mindestmaß zu beschränken. In allen Vergleichsländern beschränkt sich die aktive Teilnahme der Staatsanwaltschaft an den Ermittlungen meist auf Fälle mittelschwerer bis schwerer Kriminalität bzw. komplexere Sachverhalte. Hier wird sie unverzüglich nach Kenntnisnahme eines strafrechtlich relevanten Sachverhaltes bzw. alsbald nach Durchführung der ersten Ermittlungsmaßnahme informiert und die Akten sofort an sie übergeben. Fälle von Bagatellkriminalität werden von der Polizei weitgehend eigenständig ermittelt; die Staatsanwaltschaft wird hier meist erst mit Aktenübergabe am Ende des Ermittlungsverfahrens über den Fall informiert und zwar lediglich für die Entscheidung über die weitere Strafverfolgung, aber nicht grundsätzlich für die Durchführung weiterer Ermittlungen. In Fällen leichter bis mittelschwerer Kriminalität hängt die Beteiligung der Staatsanwaltschaft von dem jeweiligen Einzelfall ab. Meist aber wird sie erst dann involviert, wenn eine notwendige Ermittlungsmaßnahme der Anordnung ihrerseits oder des Gerichtes bedarf.
Die Tatsache aber, dass auch in den Vergleichsländern die Polizei die Ermittlungen in weiten Teilen eigenständig vornimmt, besagt auch für diese nicht notwendig, dass die Staatsanwaltschaft ihren Status als Herrin des Verfahrens weitgehend eingebüßt hätte. Vielmehr wird auch in diesen Ländern die Polizei von ihr durch allgemeine Instruktionen zur Ermittlungsführung angeleitet. Insoweit gilt hier dasselbe wie in Deutschland. Auch in den Vergleichsländern werden allgemeine Instruktionen und Vorgaben zur Ermittlungs- und Beweismittelführung in der Regel durch untergesetzliche Bestimmungen vorgenommen. Ebenso spielen auch hier Erfahrungswerte, beruhend auf der alltäglichen gemeinsamen Arbeitspraxis, eine bedeutende Rolle.
Die Beachtung und Anwendung dieser Bestimmungen durch die Polizei werden von der Staatsanwaltschaft auf unterschiedliche Weise überprüft:Überwiegend findet in den Vergleichsländern ein (regelmäßiger) stichprobenartiger Check der Polizeiakten und damit wenigstens eine nachträgliche Kontrolle polizeilichen Handelns statt. In England & Wales, der Schweiz und den Niederlanden wird darüber hinaus die alltägliche Ermittlungsarbeit der Polizei mittels den Polizeistationen zugeordnetern Personals betreut und kontrolliert.

Möglichkeiten zur Verfahrensbeendigung durch die Polizei in einzelnen Europäischen Mitgliedsstaaten

Die wachsende Einflussnahme der Polizei im Ermittlungsverfahren wird in vielen der Vergleichsländer noch dadurch verstärkt, dass ihr Kompetenzen zur Verfahrensbeendigung zugesprochen werden. Zwar ist die Polizei, gebunden an ihre Strafverfolgungspflicht, traditionell dazu verpflichtet, alle eingeleiteten oder zu Ende durchgeführten Ermittlungsverfahren und -maßnahmen der Staatsanwaltschaft zur weiteren Entscheidung zuzuleiten. So wurde selbst im Angelsächsischen System die Staatsanwaltschaft insbesondere aus dem Grunde eingeführt, die Durchführung des Strafverfahrens durch eine objektive Behörde zu garantieren und diese nicht mehr nur der Polizei zu überlassen .
Jedoch sind derweil vielerorts Möglichkeiten der Verfahrenserledigung für die Polizei geschaffen worden bzw. hat sich eine bedeutende Mitwirkungsmöglichkeit ihrerseits an verfahrensbeendenden Entscheidungen der Staatsanwaltschaft in der Praxis etabliert.
Hierbei kann zwischen Einstellungsbefugnissen, Sanktionskompetenzen und Anklagebefugnissen vor Gericht unterschieden werden:
Die der Polizei in allen Vergleichsländern auferlegte Strafverfolgungspflicht beinhaltet grundsätzlich neben der Pflicht zur Weiterleitung aller Verfahren, in denen genügend Beweise vorhanden sind, auch die der Weitergabe aller Fälle, in denen der Täter unbekannt oder die Beweise unzureichend sind.
Allerdings hat die Polizei in der Schweiz , Ungarn und Schweden die Befugnis, das Verfahren aus verfahrenstechnischen Gründen einzustellen.
Jedoch ist das allerorts lediglich auf Fälle von Bagatell- bis mittelschwerer Kriminalität beschränkt bzw. in Schweden lediglich auf die Straftaten, bei denen die Polizei die Verfahrensherrschaft innehat.
In Polen, den Niederlanden und der Türkei kann hingegen lediglich von einer Antizipation staatsanwaltschaftlicher Entscheidung gesprochen werden, die durch Richtlinien der Staatsanwaltschaft gelenkt wird. Die formelle Entscheidung verbleibt in diesen Fällen bei der Staatsanwaltschaft.
Auch hat die Polizei in einigen Ländern die Befugnis, das Verfahren mangels öffentlichen Interesses einzustellen.
So ist es ihr in der Schweiz, England, Frankreich und Polen möglich, in Fällen, in denen ihrer Beurteilung nach ein öffentliches Interesse an der weiteren Strafverfolgung nicht gegeben ist, das eingeleitete Ermittlungsverfahren unter Auferlegung von Zahlung einer bestimmten Geldbuße durch den Beschuldigten eigenständig einzustellen.
Diese Möglichkeit besteht länderübergreifend nur bei Bagatellen und leichteren Straftaten: In der Schweiz handelt es sich bei den einzustellenden Delikten meist um leichte Verkehrsdelikte und andere leichte Taten (sog. Übertretungen, aufgelistet in der Ordnungsbussenverordnung). Die Kantonpolizei hat hier die Möglichkeit, das Verfahren gegen Zahlung einer Geldbuße i.H.v. 300 CHF einzustellen (§ 5 StPO Kanton Basel-Stadt). Auch in England und Wales handelt es sich vorrangig um Verkehrsdelikte leichter Art, aber auch um leichten Diebstahl oder Prostitution. In Frankreich kommt der Polizei diese Befugnis für die sogenannten Contraventions 1. - 4. Classe zu, bei denen es sich meist um Verkehrsdelikte, leichte Körperverletzungsdelikte oder leichte Sachbeschädigung handelt, bei denen grundsätzlich eine Geldstrafe bis zu 200 Euro vorgesehen ist. In Polen kommt der Polizei diese Befugnis lediglich bei kleineren Taten (sog. Wykroczenia) zu, worunter überwiegend Verkehrsstraftaten und leichte Diebstähle fallen (§ 96 KPSW).
Das aufgrund der Deliktskategorisierung per se strafrechtliche Verfahren wird damit in ein administratives Verfahren ohne weitere strafverfahrensrechtliche Konsequenzen überführt, wodurch es zu einer Art prozessualer Entkriminalisierung dieser Delikte kommt.
Der deutsche Gesetzgeber hat, zumindest was viele der von diesen Regelungen betroffenen Verkehrsdelikte angeht, bereits in den 70er Jahren durch eine materielle Entkriminalisierung diese Delikte zu Ordnungswidrigkeiten herabgestuft. Damit werde diese Taten in den genannten Ländern und in Deutschland zwar vom Ergebnis her gleich behandelt; dennoch bleiben sie in den Vergleichsländern ihrer Natur nach Straftaten. Hinzu kommen leichte Taten wie Körperverletzungen und Sachbeschädigungen, die im deutschen Strafrecht als Straftaten kodifiziert sind. Damit ist die Polizei in der Schweiz, England, Frankreich und Polen für diese Delikte legitimiert, an der Verfahrensbeendigung von Straftaten eigenständig mitzuwirken.
Wenn dies auch keine eigenständige Einstellungsbefugnis darstellt, so findet man auch in der niederländischen Strafverfahrenspraxis wiederum eine ausschlaggebende Mitwirkungsbefugnis der Polizei an verfahrensbeendenden Einstellungen der Staatsanwaltschaft mangels öffentlichen Interesses. Hier antizipiert die Polizei wiederum die staatsanwaltschaftliche Entscheidung, welche somit im Bagatellbereich oft als rein formelle Zustimmung erscheint.

Einstellung des Verfahrens gegen Erfüllung einer Auflage

Auch die bedingte Verfahrenseinstellung, d.h. eine Einstellung gegen Auflage, ist als eine weitere verfahrensbeendende Möglichkeit der Polizei zu finden.
In den Niederlanden verfügt die Polizei in Fällen leichter Kriminalität seit Mitte der neunziger Jahre sowohl im allgemeinen Strafverfahren als auch im Jugendstrafverfahren über eine solche Möglichkeit der informellen Verfahrensbeendigung.
Hierbei spielt zum einen die Transaktion (sog. Politietransactie, 74 c nlStGB), eine bedingte Verfahrenseinstellung gegen Geldzahlung bis zu einer Höhe von 350 Euro seitens des Beschuldigten, eine Rolle. Dieses kommt insbesondere bei leichten Verkehrdelikten wie auch in Fällen von Ladendiebstählen und Unterschlagung in Betracht. Zum anderen besteht die Möglichkeit zur Einleitung eines Halt-Verfahrens im Jugendstrafrecht (Art. 77 e nlStGB), bei dem der Jugendliche an eine Sozialdienstelle übermittelt wird, bei der er sich bestimmten Lern- oder Arbeitsaktivitäten zu unterziehen hat.
Nach erfolgreicher Durchführung dieser Maßnahmen wird das Verfahren von der Polizei eigenständig eingestellt.
Allerdings wird die Polizei in ihren Entscheidungen in beiden Verfahren durch strikte Vorgaben der Staatsanwaltschaft mittels Richtlinien gelenkt, die den Handlungs- und Beurteilungsspielraum für eine solche Entscheidung weitgehend auf Null reduzieren.

Sanktionskompetenz

Die weitaus eingriffintensivste Erledigungsform ist in allen Vergleichsländern die Verhängung einer Sanktion.
Dies ist in einigen Kriminaljustizsystemen nicht nur dem Gericht als unabhängige Entscheidungsinstanz, sondern auch der Staatsanwaltschaft und teilweise sogar auch der Polizei eingeräumt worden.
Schweden ist Beispiel für ein solches Verfahrenssystem. Grundsätzlich kommt hier der Polizei in den Fällen, in denen ihr die Leitung des Ermittlungsverfahrens zusteht, die Befugnis zu, das Verfahren durch Verhängung einer Geldstrafe (sog. Ordningsbotföreläggande) zu beenden .
Sie hat den Charakter einer echten Kriminalstrafe; dies unter anderem deshalb, weil eine personengebundene, mit dem dt. Bundeszentralregistereintrag vergleichbare Registrierung der begangenen Straftat erfolgt.
Anfang dieses Jahres ist auch in den Niederlanden eine vergleichbare polizeiliche Sanktionskompetenz für Fälle leichterer Kriminalität eingeführt worden. Die sogenannte Strafbeschikking ist keine völlig unabhängige Sanktionsbefugnis der Polizei; vielmehr wird die Polizei wie bereits bei Ausführung der Transaktie dabei von der Staatsanwaltschaft durch strikte Vorgaben in ihrem Entscheidungsverhalten gelenkt.
In England kann die Polizei bei bagatellhaften Verstößen neben einer folgenlosen Einstellung das Verfahren auch durch eine formelle polizeiliche Verwarnung des Beschuldigten beenden, (sog. Police Cautoning/ Final Warning oder Reprimand ). Diese kann u. U. noch an die Verpflichtung des Täters zur Erfüllung einer bestimmten Auflage geknüpft werden (sog. Cautioning Plus). Ebenso wie in Schweden kommt diese Verwarnung nach deutschem wie auch österreichischem Rechtsverständnis einer Kriminalstrafe gleich, da unter anderem auch hier der Täter einen Eintrag ins Vorstrafenregister erhält.

Die Befugnis zur Anklage

Als eine verfahrensrechtliche Besonderheit des schweizerischen, polnischen und französischen Systems kann die polizeiliche Befugnis bezeichnet werden, Fälle selbständig vor Gericht zu bringen.
In den drei Ländern ist eine solche Verfahrensvariante grundsätzlich für alle die Fälle von Bagatellkriminalität möglich, in denen die Polizei das Strafverfahren selbständig einstellen und durch Auferlegen einer Geldbuße administrativ beenden kann.
Die schweizerische Polizei hat die Option, das Verfahren entweder in einer Art Strafbefehlsverfahren vor dem Strafbefehlsrichter oder aber in einem regulären Hauptverfahren zu Gericht zu bringen.

Die französische Polizei erhebt selbständig in einem schriftlichen Verfahren (sog. Ordonnance Pénale) oder in Anstrengung einer normalen Hauptverhandlung Anklage bei einem besonderen Polizeigericht (sog. Tribunal de Police). Mit dieser Tätigkeit werden bestimmte Polizeibeamte betraut, denen in diesen Fällen die Funktion eines staatsanwaltschaftlichen Anklagevertreters vor Gericht zukommt. In den meisten Fällen wird die Reaktion eine bloße Geldbuße und eben keine strafrechtliche Sanktion sein.
Wird allerdings eine andere Sanktion verhängt oder die Geldbuße mit einer anderen Reaktion wie beispielsweise der Entziehung des Führerscheins verbunden, so kann dies einen Zentralregistereintrag mit sich bringen und damit auch als eine Sanktionierung im strafrechtlichen Sinne gewertet werden.
In Polen wird das Verfahren eigenständig durch die Polizei vor besondere Abteilungen der Amtsgerichte gebracht. Ähnlich wie in Frankreich übernimmt der handelnde Beamte dabei die Funktion eines Staatsanwaltes. Das Gericht kann in diesen Fällen u. U. eine Geldstrafe aussprechen oder sogar eine kurze Freiheitsstrafe verhängen.
In England und Wales besteht für eine solche Verfahrensmöglichkeit zwar keinerlei gesetzliche Basis. In der Praxis aber bringt die Polizei heute noch bestimmte Bagatellen vor Gericht. Dieses findet in der Regel in einer Art Vereinfachtem Verfahren statt, sogenannten Bulk-proceedings. Hierbei werden in einem gesondert anberaumten Termin vor dem Magistrates Court gleich mehrere Verfahren in einer Sitzung gebündelt abgehandelt.

Schlussfolgerungen

Es wurde festgestellt, dass die feinen gesetzlichen Unterschiede innerhalb der kontinentaleuropäischen Rechtssysteme wie auch die traditionell bestehenden großen Unterschiede zwischen diesen und den angelsächsischen Common-law-Systemen dank fortschreitender Etablierung der Staatsanwaltschaft in diesen Systemen immer mehr verwischen. Vielmehr hat sich innerhalb Europas eine funktional vergleichbare Rechtspraxis entwickelt.
Des Weiteren hat die Untersuchung ergeben, dass die Rolle der Polizei im Ermittlungsverfahren nicht nur in Deutschland, sondern in fast allen kontinentaleuropäischen Vergleichsländern zunehmend an Bedeutung gewonnen hat.
Im Bereich der Massenkriminalität agiert die Polizei in allen Ländern weitgehend unabhängig. Eine aktiv ermittelnde Rolle nimmt die Staatsanwaltschaft vorrangig im Bereich schwerer Straftaten ein; dies nun vermehrt auch in Common-law-Systemen wie England und Wales.
Zwar besteht auch eine staatsanwaltschaftliche Beteiligung an den Ermittlungen in weniger schweren Fällen. Eine solche beschränkt sich aber eher auf generelle Instruktionen und allgemeine Vorgaben zum Ermittlungsverhalten anhand untergesetzlicher Bestimmungen. Eine Kontrolle polizeilichen Handelns findet in diesen Fällen erst im Nachhinein statt.
Besonders stellt sich die Bedeutung der Polizei im Strafverfahren in den Ländern dar, die auf gesetzlicher Ebene verfahrensbeendende Befugnis für die Polizei geschaffen haben. Aber auch in den Ländern, bei denen eine solche gesetzliche Regelung nicht besteht, hat sich eine entscheidende Einflussnahme auf die staatsanwaltschaftliche Entscheidung etabliert.
Die Tatsache, dass in Spanien und Kroatien, die immer noch einen sehr starken Untersuchungsrichter neben der Staatsanwaltschaft aufweisen, eine Trendwende hin zu einer als Entscheidungsinstanz agierenden Polizei noch nicht abzusehen ist, mag damit zu begründen sein, dass durch den Untersuchungsrichter an sich im Ermittlungsverfahren wie auch bei den Verfahrenseinstellungen eine gewisse Entlastung der Staatsanwaltschaft in ihrem alltäglichen Arbeitsanfall eintritt.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass man in Europa - abgesehen von den angelsächsischen Rechtssystemen - einen derzeitigen Trend erblicken kann, die Position der Polizei im Strafverfahren zu stärken. Zwar erscheint das Mittel, der Polizei zur Entlastung der Staatsanwaltschaft mehr Rechte zuzugestehen, im Hinblick auf seine Adäquanz wie auch auf seine Verhältnismäßigkeit nicht unproblematisch. Jedoch erscheint es mit zu verzeichnenden steigenden Fallzahlen und einer damit einhergehenden justiziellen Überlastung in der heutigen Zeit kaum mehr möglich, sich die Staatsanwaltschaft als alleinige Ermittlungs- und Entscheidungsinstanz vorzustellen, die sich der Polizei lediglich als eine Art „Hilfsorgan„ bedient.
Darüber hinaus mag sich die wachsende Bedeutung der Polizei im Ermittlungsverfahren neben der in der amtlichen Begründung der Umbenennung der Hilfsbeamten in Ermittlungsbeamte aufgeführten guten polizeilichen Aus- und Fortbildung von Polizeibeamten, wohl auch mit der guten personellen und materiellen Ausstattung der Polizei, dem Einsatz moderner Ermittlungsmethoden wie auch der Spezialisierung bei der Strafverfolgung begründen. Hierdurch hat die Polizei eine gewisse Unabhängigkeit gegenüber der Staatsanwaltschaft erlangt.



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