Interkulturelle Kompetenz in der Polizei

Dr. Marwan Abou-Taam,
Mainz

Die Polizeiarbeit erfährt durch strukturelle Veränderungen der Gesellschaft eine zunehmende Veränderung ihres Aufgabenspektrums und damit ist sie Auswirkungen ausgesetzt, die das innere Gefüge der Polizei und das Selbstverständnis von Polizistinnen und Polizisten betreffen. Anhand von Bevölkerungsvorausberechnungen und Projektionen des Statistischen Bundesamtes ist abzulesen, dass ab dem Jahr 2020 die bundesdeutsche Bevölkerung von 81 Millionen auf ca. 75 Millionen zurückgehen, wobei der Anteil der über 60-jährigen auf etwa 36 Prozent der Gesamtbevölkerung steigen wird. Die daraus resultierende Bevölkerungsstruktur ist eine feste, kurzfristig kaum veränderbare Größe. Nicht nur die Altersstruktur in Deutschland wird sich massiv ändern, sondern auch die gesellschaftliche Zusammensetzung. In diesem Zusammenhang muss man zunehmend feststellen, dass Deutschland ein Zuwanderungsland ist. Mittlerweile leben hier mehr als zwölf Millionen Menschen, die nicht in Deutschland geboren wurden oder nicht die deutsche Nationalität besitzen. Sie sind aus nahezu allen Ländern und Kulturen zugewandert. Zahlen des Statistischen Bundesamtes gehen gar davon aus, dass sowohl die absolute Zahl als auch der relative Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund an der Gesamtbevölkerung in Deutschland wächst. Dabei hat jedes dritte Kind unter zehn Jahren einen Migrationshintergrund. Etwa 29% der Kinder unter zehn Jahren haben einen. Dieser Anteil ist höher in den Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen sowie in Südhessen und im westlichen Teil Nordrhein-Westfalens, dort liegt er bei über 40 %.1 In Rheinland-Pfalz ist der Anteil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund im Jahr 2007 mit 18 Prozent knapp unter dem Bundesdurchschnitt von rund 19 Prozent.2


Soziale Kompetenz - interkulturelle Kompetenz

Sowohl die Selbstwahrnehmung innerhalb der Polizei als auch der politische Auftrag erfordern eine bürgernahe Polizeiarbeit, die durch ihre Bürgerorientierung und die damit verbundene Verlagerung von Entscheidungsbefugnissen in die vorderste Linie bestimmt sind. Dadurch ergibt sich eine der wichtigsten Herausforderung in der Polizeiarbeit, denn die Bürgernähe und das demokratische Selbstbild bedürfen die Stärkung der Problemlösungskompetenz der Polizeibeamtinnen und Beamten. In diesem Kontext wurde die Soziale Kompetenz als zentrale Größe diskutiert, die der Erhöhung der Leistungsfähigkeit innerhalb der Polizei und der Wirkungskraft nach außen hin dient. Die Verbesserung der sozialen Kompetenz der Polizeibeamtinnen und Beamten ist damit Teil einer Strategie zur Steigerung von Effektivität und Effizienz und damit von Professionalität. Soziale Kompetenz ist damit Teil einer fachlichen Kompetenz mit für die Polizeiarbeit unverzichtbaren Synergieeffekten bei der Erfüllung polizeilicher Kernaufgaben: Gefahrenabwehr, Prävention, Repression und Opferschutz.
Wenn Soziale Kompetenz eine Schlüsselqualifikation in der modernen Polizeiarbeit ist, so ist die interkulturelle Kompetenz von Beamtinnen und Beamten die logische Konsequenz des oben beschrieben Wandels der gesellschaftlichen Struktur in Deutschland.
Spricht man von „Kulturen„, hat man in der Regel größere Gruppen von Menschen vor Augen. Letztlich ist jedoch jeder Einzelne Träger einer besonderen, ihm eigenen Kultur, einer Reihe von Überzeugungen, Gewohnheiten, Verhaltensmerkmalen usw., die ihm anerzogen worden sind, die er kultiviert oder zu unterdrücken versucht. Solche Einzelnen bilden kulturelle Gruppen sowohl im „subjektiven„ Sinne, durch Zugehörigkeitsgefühl und Solidarisierung, als auch „objektiv„, im Sinne einer empirisch feststellbaren Kategorie. In beiden Fällen ist die Gruppendefinition Ergebnis einer Abstraktion: Unter den zahllosen kulturellen Merkmalen jedes Gruppenmitglieds werden einige, allen gemeinsame Merkmale ausgesucht und zu Merkmalen der Gruppe erklärt. Je weiter man diesen Abstraktionsprozess treibt, d. h. je weniger Merkmale man in die Gruppendefinition aufnimmt, desto größer wird die so definierte Gruppe. Im Kontext eines solchen kulturellen Pluralismus scheint es für die tägliche Polizeiarbeit unabdingbar zu sein, ein Konglomerat aus verschiedenen bedeutsamen Teilkompetenzen vorzuweisen. Die erfolgreiche Bewältigung von Einsätzen erfordert zunehmend die Fähigkeit, Mehrdeutigkeiten aushalten zu können. Diese Ambiguitätstoleranz setzt voraus, dass Verhaltensflexibilität und Offenheit eingeübt werden, so dass die Bereitschaft, gewohnte Denk- und Verhaltensschemata zu korrigieren und spontan zu agieren, hoch ist. Eine solche Flexibilität ist prozessorientiert und ermöglicht kreative Lösungen. Diese Kreativität hat jedoch innerhalb der Polizeiarbeit eine natürliche Grenze. Denn nach wie vor sind Beamtinnen und Beamte an gesetzliche Normen gebunden und repräsentieren das staatliche Gewaltmonopol.

Interkulturelle Kompetenz als notwendige Qualifikation in der Polizeiarbeit

Im allgemeinen Sprachgebrauch wird Kompetenz im Sinne eines spezifischen „Könnens„ bzw. als eine „Fertigkeit„ verstanden. Kompetenzen umfassen damit das, was ein Mensch wirklich kann und weiß. Wobei mit Kompetenz ein System innerpsychischer Voraussetzungen gemeint ist, das sich in der Qualität sichtbarer Handlungen niederschlägt. Darauf aufbauend definiert Christian Geistmann3 die interkulturelle Kompetenz als die Suche nach einem Ausgleich zwischen eigenen und fremden Interessen und Ansprüchen, die aus unterschiedlichen kulturellen Prägungen herrühren. Damit wird die Fähigkeit beschrieben, über einen um fremdkulturelle Aspekte erweiterten Verhaltensspielraum, Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Kulturen anzuerkennen und für die erfolgreiche Interaktion in interkulturellen Überschneidungssituationen im Sinne der übergreifenden interkulturellen Handlungskompetenz umzusetzen. Charakteristisch ist somit die hohe Verhaltensorientierung im Zusammenhang mit der Realisierung der Sachaufgabe.

  • Kognitive Komponente der bewussten Verhaltenssensibilisierung in Form von Wissenspaketen (Wissen)
  • Affektive Komponente der bewussten Verhaltenssensibilisierung in Form von Einstellungspaketen (Emotionen)

Das Wissen über die anderen Kulturen, die eigenen kulturelle Sensibilität und die Fähigkeit, zielgerichtet zu handeln, können als strategische Vorteile bei der Erfüllung von Aufgaben fungieren. Wobei letzteres das Ergebnis einer prozesshaften Auseinandersetzung mit eigenen kulturellen Mustern in Einsatzsituationen ist. Die damit verbundene kulturelle Selbstreflexion und die Kenntnis der eigenkulturellen Prägung ist die Basis für eine bessere Kommunikation mit Menschen anderer Kulturen. An dieser Stelle muss darauf hingewiesen werden, dass Polizistinnen und Polizisten nicht zur Anthropologen umgeschult werden sollen. Das spezifische Wissen über andere Kulturen kann nur im Bezug auf jene kulturelle Gruppen antrainiert werden, die empirisch am häufigsten mit der Polizei in Kontakt stehen.
Prinzipiell kann lediglich die Anforderung in den Raum gestellt werden, dass ein Wissen über mögliche kulturelle Interaktionsmuster und Kulturstandards hinsichtlich einer sich kulturell wandelnden Gesellschaft breit vermittelt wird. Dabei ist es durchaus denkbar, dass auf Im Konkreten geht es um die Vermittlung von Handlungskompetenzen. Diese setzen ein stabiles Selbstwertgefühl und Identitätsbewusstsein voraus. Aus der Polizeiperspektive soll durch die Auseinandersetzung mit den eigenen Werten und mit der neuen sozialen Realität der konstruktive Umgang mit interkulturellen Konflikten gefördert werden. Die Sensibilisierung für den Umgang mit dem Thema muss jedoch in Betracht ziehen, dass die Begegnung der Polizistinnen und Polizisten mit Vertretern anderer Kulturkreisen in vielen Fällen konfliktbelastet ist. Hier wird die kulturelle Verschiedenheit die Grenzen der eigenen Toleranz sichtbar machen. Dem kann man nur durch die Intensivierung positiver Kontakte und Erfahrungen entgegenwirken.

Auch innerhalb der Polizei begegnen Beamtinnen und Beamten Kollegen mit Migrationshintergrund. Der professionelle Umgang mit dieser Diversität macht geradezu das interkulturelle Wissen ebenso notwendig wie die Auseinandersetzung mit den eigenen, oft nicht hinterfragten Werte- und Denkmustern. Hierbei muss man bedenken, dass Menschen mit Migrationshintergrund nicht automatisch offener sind für kulturelle Vielfalt.
Daraus ergibt sich eine Notwendigkeit zur interkulturellen Bildung aller Betroffenen. Denn Interkulturelle Kompetenz für Angehörige der Polizei bedeutet konfliktfähig zu sein und Spannungen auszuhalten. Diese Eigenschaften werden immer bedeutender, wenn man bedenkt, dass allein aufgrund der demografischen Entwicklung der Anteil der Polizistinnen und Polizisten mit Migrationshintergrund steigen wird.

PolizistInnen mit Migrationshintergrund

Ein Nebeneffekt der Öffnung polizeiliche Strukturen für Menschen mit Migrationshintergrund ist integrationspolitischer Natur. Eine Migrantenpolizei für Migranten kann und ist nicht Ziel einer systematischen Öffnung der Polizei für Menschen mit Migrationshintergrund. Jedoch kann die Erhöhung ihres Anteils innerhalb der Polizeiarbeit die Professionalität der Organisation erhöhen und damit die Qualität von Einsätzen in interkulturell geprägten Stadtteilen steigern.
Dafür müsste der Anteil der Beschäftigten mit Migrationshintergrund zunehmen, was sich als eine besondere Herausforderung darstellt, denn obwohl der Anteil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund zunimmt, ist die Bildungsbeteiligung der Jugendlichen mit Migrationshintergrund rückläufig. Damit fehlen den Interessierten grundlegende Voraussetzungen für die Teilnahme an Auswahlverfahren.
Insgesamt ist das Interesse von Migrantinnen und Migranten an einer Ausbildung im öffentlichen Dienst, auch wenn sie die schulische Qualifikation dafür haben, sehr gering. Das kann viele kulturelle aber auch pragmatische Ursache haben. Möchte man jedoch die Anzahl von jungen Menschen mit Migrationshintergrund im öffentlichen Dienst signifikant erhöhen, so müsste man das Interesse potentieller Bewerberinnen und Bewerbern steigern.
Die Realisierung von Wissensvorteilen unter bestimmten sozialen und kognitiven Rahmenbedingungen transportiert nicht unbedingt konstante Handlungschancen, vielmehr ist es von einer aktiven Integration dieses Potentials abhängig. Die Bedeutung der Führungskompetenz nimmt zu, mit kultureller Diversität umzugehen. Die Vermittlung interkultureller Kompetenzen ist somit ebenfalls Thema für die Führungskräfte der Polizei auf allen Ebenen, insbesondere wenn man das Wissen innerhalb der Organisation optimal ausschöpfen und allmählich in die organisatorischen Routinen einbetten will. Prozesse, Praktiken als fließende Mischung aus strukturierten Erfahrungen, Wertvorstellungen, Kontextinformationen und Fachkenntnissen liefern in ihrer Gesamtheit einen Strukturrahmen zur Beurteilung neuartiger Situationen und können in Entscheidungsprozesse einfließen. Interkulturelle Kompetenz ist in diesem Kontext ein synergetisches Produkt eines permanenten Wechselspiels mit dem Ziel den Möglichkeitsraum zu maximieren, um damit über ein möglichst großes Repertoire an Verhaltens- und Kommunikationsformen zu verfügen.

1 Migration und Bevölkerung: Deutschland - Mehr Menschen mit Migrationshintergrund, in migration-info.de, Newsletter Nr. 3, 2008
2 Statistisches Landesamt Rheinland-Pfalz: http://www.statistik.rlp.de/bev/presse/pm09129.html3 Geistmann, Christian (2002): Interkulturelle Kompetenz - Eine wichtige förderbare Fähigkeit in der internationalen Zusammenarbeit, Dissertation, Erlangen.

Interkulturelle Kompetenz – ein Selbsttest
Wer Lust hat, seine interkulturelle Kompetenz auf den Prüfstand zu stellen, kann dies mit Hilfe eines Selbsttests auf der Homepage des Landeszentrale für politische Bildung Thüringen tun.
www.ikkompetenz.thueringen.de/selbsttest/index.htm
Zu gewinnen sind bei dem Test keine Punkte, sondern neue Informationen – auch über eigene Kenntnisse und Einstellungen.
Die Lösungen zu den einzelnen Fragen sind vielschichtig und auch nicht immer in der (vielleicht gewünschten) Eindeutigkeit formulierbar. Aber mit Nicht-Eindeutigkeiten umgehen, sie „aushalten„ und sich selbst Offenheit und Flexibilität bewahren zu können, ist bereits ein wichtiger Bestandteil interkultureller Kompetenz.
Empfehlenswert (findet die Redaktion)