BGH: Verwertung von Ergebnissen präventivpolizei-

BGH: Verwertung von Ergebnissen präventivpolizeilicher Telekommunikations- und Wohnraumüberwachung
(Beschluss vom 8.9.2005, BGH AK 9/05)
Von Dr. Rolf Meier, Polizei-Führungsakademie Münster

Dr. Rolf Meier,
Polizei-Führungsakademie,
Münster

1. Leitsätze des Bearbeiters

Die Verwertbarkeit von Ergebnissen von Überwachungsmaßnahmen aufgrund des Polizeirechts (hier: Polizei- und Ordnungsbehördengesetz Rheinland-Pfalz) richtet sich nach § 100 d Abs. 6 Nr. 3 StPO.
Sie ist jedenfalls dann zulässig, wenn nicht zu besorgen ist, dass die Polizeibehörden in einer Situation, in der Tatsachen den Verdacht einer Straftat nach § 129 b StGB begründet haben, und in der Ziel der Maßnahmen die weitere Aufklärung des Sachverhalts zum Zweck der Strafverfolgung war, die polizeirechtlichen Anordnungen herbeigeführt haben, um so die engeren Voraussetzungen zu unterlaufen, die die Strafprozessordnung an die Durchführung repressiver Maßnahmen stellt.


2. Aus den Gründen1:

Der Beschuldigte wurde am 23. Januar 2005 vorläufig festgenommen und befindet sich seit dem 24. Januar 2005 aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs … ununterbrochen in Untersuchungshaft.

1. Der Beschuldigte ist dringend verdächtig, in elf Fällen gemeinschaftlich mit den Mitbeschuldigten K. und I. A. in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt zu haben, dass er durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen einen Irrtum erregte oder unterhielt, sowie in weiteren 23 Fällen eine solche Tat versucht zu haben (§ 263 Abs. 1, § 25 Abs. 2, §§ 22, 23 StGB)…

a) Nach dem derzeitigen Ermittlungsstand besteht der dringende Verdacht, dass der Beschuldigte in Deutschland spätestens im Sommer 2004 mit dem Mitbeschuldigten K. übereinkam, durch die Begehung von Betrugstaten zum Nachteil von Lebensversicherungsgesellschaften hohe Geldsummen … zu erlangen. Zu diesem Zweck sollte alsbald nach dem Abschluss von Verträgen ein tödlicher Verkehrsunfall des Beschuldigten in Ägypten vorgetäuscht werden. Alsdann sollten von den Mitbeschuldigten K. und I. A., dem Begünstigten der Verträge, die Versicherungssummen geltend gemacht werden; von dem Erlös sollte der ausländischen terroristischen Vereinigung Al Qaeda ein Fünftel bis ein Drittel zukommen; in Verfolgung dieses Plans gelang den Beschuldigten der Abschluss von elf Lebensversicherungsverträgen mit einer Gesamtversicherungssumme von über 1,3 Millionen Euro. Mit Eingehung des Vertrages waren die Versicherungsgesellschaften geschädigt, weil sie dem Risiko ausgesetzt waren, innerhalb kurzer Zeit hohe Versicherungsleistungen auszahlen zu müssen, ohne dass dem eine adäquate Gegenleistung gegenüberstand (vgl. BGH StV 1985, 368). In 23 weiteren Fällen stellten die Beschuldigten Anträge auf Lebensversicherungen mit einer Gesamtversicherungssumme von mehr als 3 Millionen Euro, ohne dass es zu Vertragsabschlüssen kam…

b) Der dringende Verdacht ergibt sich aus den Ergebnissen der durchgeführten Telekommunikations- und Wohnraumüberwachungen sowie aus den Bekundungen von Vertretern der Versicherungen und der Auswertung der Vertragsunterlagen. Wegen der Einzelheiten wird auf den Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 24. Januar 2005 sowie auf die Zuleitungsschrift des Generalbundesanwalts im Haftprüfungsverfahren vom 20. Juli 2005 Bezug genommen…

c) Die Ergebnisse der Überwachungsmaßnahmen sind auch insoweit verwertbar, als diese aufgrund des Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes Rheinland-Pfalz (POG RhPf) durchgeführt worden sind. Die Erkenntnisse dürfen hier nach § 100 d Abs. 6 Nr. 3 StPO (§ 100 f Abs. 2 StPO aF) zu Beweiszwecken im Strafverfahren verwendet werden, solange sie der Aufklärung einer Katalogtat nach
§ 100 c Abs. 2 StPO dienen.

Der Erlangung der Erkenntnisse nach § 29 Abs. 1 POG RhPf stehen durchgreifende Bedenken nicht entgegen. Die Vorschrift erlaubt die Datenerhebung nur zur Abwehr einer dringenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und nicht zur „Vorsorge für die Verfolgung“ (vgl. insoweit BVerfG, Urt. vom 27. Juli 2005 – 1 BvR 668/04 – zu § 33 a Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 SOG Nds). Die Anforderungen, die das Bundesverfassungsgericht für die gesetzliche Ermächtigung zur Überwachung von Wohnraum zum Zweck der Strafverfolgung aufgestellt hat (BVerfG NJW 2004, 999 = NStZ 2004, 270), führen – übertragen auf die landesgesetzliche Regelung zur präventiven Wohnraumüberwachung – nicht zur Unverwertbarkeit der Erkenntnisse. Das Bundesverfassungsgericht hat §§ 100 c ff. StPO aF zwar als teilweise mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt und den Gesetzgeber verpflichtet, bis zum 30. Juni 2005 einen verfassungsgemäßen Rechtszustand herzustellen, jedoch die weitere Anwendung der beanstandeten Normen unter Berücksichtigung des Schutzes der Menschenwürde und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit bis zu diesem Zeitpunkt erlaubt (BVerfG NStZ 2004, 270, 273). Es ist nicht ersichtlich, dass die hier durchgeführten Überwachungsmaßnahmen gegen diese einschränkenden Voraussetzungen versto-
ßen hätten.

Der Senat muss nicht abschließend entscheiden, ob die genannten Anordnungsbeschlüsse durch die landesgesetzliche Ermächtigungsgrundlage in jeder Beziehung gedeckt waren, denn sie waren jedenfalls vertretbar (vgl. BGHSt 47, 362; BGHR POG-RhPf § 25 b Lausch-Eingriff 1). Insbesondere ist nicht zu besorgen, dass die Polizeibehörden in einer Situation, in der Tatsachen den Verdacht einer Straftat nach § 129 b StGB begründet haben, und in der Ziel der Maßnahmen die weitere Aufklärung des Sachverhalts zum Zweck der Strafverfolgung war, die polizeirechtlichen Anordnungen herbeigeführt haben, um so die engeren Voraussetzungen zu unterlaufen, die die Strafprozessordnung an die Durchführung repressiver Maßnahmen stellt.

Soweit Bedenken gegen den Beschluss des Landgerichts daraus abgeleitet werden könnten, dass dieser Beschluss entgegen § 29 Abs. 4 Satz 2 POG RhPf nicht befristet war, ist diese Frist jedenfalls dadurch eingehalten worden, dass rechtzeitig vor ihrem Ablauf der erforderliche gerichtliche Verlängerungsbeschluss erwirkt worden ist…


3. Anmerkungen

Der BGH spricht in dieser Entscheidung die Frage der Verwertbarkeit polizeirechtlich durch den verdeckten Einsatz technischer Mittel in oder aus Wohnungen gewonnener Erkenntnisse für das Strafverfahren an. Der verdeckte Einsatz technischer Mittel in oder aus Wohnungen zur Datenerhebung richtete sich nach § 29 POG Rheinland-Pfalz, der zum Zeitpunkt der Durchführung der Maßnahme diesen Einsatz „…zur Abwehr einer dringenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit … und …(über) Kontakt- und Begleitpersonen …zur Verhütung besonders schwerwiegender Straftaten…“ ermöglichte. In dem Katalog der besonders schweren Straftaten (§ 29 Abs. 2 POG) waren u. a. die §§ 129 Abs. 1, 129 a und 129 b StGB genannt2.

Der BGH schafft nun Klarheit über die Verwendbarkeit dabei erlangter Daten zu Zwecken der Strafverfolgung und macht deutlich, dass diese unter den Voraussetzungen des § 100 d Abs. 6 Nr. 3 StPO zulässig ist. Er geht dabei offenbar davon aus, dass dem Gesetzgeber die Umsetzung der Anforderungen aus dem „Lauschangriff-Urteil“ des BVerfG3 in der Neufassung der §§ 100 c ff. StPO gelungen ist. Jedoch wird ausdrücklich betont, dass die Polizeibehörden in den Fällen, in denen das Ziel der Maßnahmen die weitere Aufklärung des Sachverhalts zum Zweck der Strafverfolgung ist, die polizeirechtlichen Anordnungen nicht herbeiführen dürfen, um so die engeren Voraussetzungen zu unterlaufen, die die Strafprozessordnung an die Durchführung repressiver Maßnahmen stellt. Dies ist vor dem Hintergrund bedeutsam, dass einige Landesgesetzgeber im Hinblick auf die im präventiven Bereich möglichen Rechtsgüterabwägungen andere Eingriffsvoraussetzungen geschaffen haben als der Bund in der StPO.


4. Fundstellen und Literatur

Beschluss: StrafverteidigerForum (StraFo) 2005, S. 507
Vahle, Jürgen, Kriminalistik 2006, S. 166 (Anmerkung)


Fußnoten

1 BGH, Beschluss vom 8.9.2005, Az. AK 9/05, JurisNr. KORE549882005
2 Zur Änderung des § 29 POG, wonach nunmehr statt zur „Verhütung“ zur „Verhinderung“ besonders schwerer Straftaten der Einsatz verdeckter technischer Mittel erlaubt ist und der Straftatenkatalog des § 29 Abs.2 POG geändert wurde, vgl. Meier „Die präventiv-polizeiliche Wohnraumüberwachung in Rheinland-Pfalz“, in: Die Kriminalpolizei 2005, S. 84-85, und Peilert „Die präventiv-polizeiliche Wohnraumüberwachung in Rheinland-Pfalz“, in: Die Kriminalpolizei 2005, S. 86-89.
3 BVerfGE 109, 279.