Genetischer Fingerabdruck

Heute Ausnahme, morgen Standard bei ED-Maßnahmen?

Von GStA Klaus Pflieger und OStA Armin Striewisch,
beide Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart

I. Einleitung

Die Desoxyribonukleinsäure-Analyse – kurz DNA-Analyse – ist aus dem Instrumentarium moderner Ermittlungsmethoden nicht mehr wegzudenken. Nicht nur, aber insbesondere bei der Aufklärung von Gewaltverbrechen liefern DNA-Untersuchungen oft den entscheidenden Beweis. Es verwundert daher nicht, dass solche Fälle immer wieder Forderungen nach einer konsequenteren Erhebung und Nutzung des genetischen Fingerabdrucks nach sich ziehen. Eindrucksvoll zeigte sich dies zuletzt im Zusammenhang mit der gewaltsamen Tötung des Münchener Modeschöpfers Rudolph Moshammer. Die zügige Aufklärung der Tat mit Hilfe der DNA-Analyse führte schnell zu Diskussionen über eine Ausweitung der gesetzlichen Regelungen. Ein Großteil der Auseinandersetzungen fand über die Medien in öffentlichkeitswirksamer, emotionaler Weise statt. Eine Versachlichung der Diskussion, in der es schließlich um für die Sicherheit der Bevölkerung bedeutsame Fragestellungen geht, ist geboten. Hierzu möchten wir mit einer kleinen Abhandlung einen Beitrag leisten.

Klaus Pflieger, Generalstaatsanwalt Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart


I. Ausgangslage

1. Allgemeines
Vorschriften über die DNA-Analyse wurden erstmals durch das Strafverfahrensänderungsgesetz - DNA-Analyse vom 17.03.19971 in die Strafprozessordnung eingestellt. Die Erhebung des genetischen Fingerabdrucks zum Nachweis der Identität des Spurenverursachers ist mittlerweile fester Bestandteil der Praxis der Ermittlungsbehörden. Die Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters zu Zwecken der Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren und dessen Speicherung in der DNA-Datei des Bundeskriminalamts haben sich als besonders wirksames Mittel zur Aufklärung von Straftaten erwiesen.

Fast täglich werden Fälle bekannt, in denen mit Hilfe des genetischen Fingerabdrucks selbst Jahrzehnte zurückliegende Verbrechen aufgeklärt werden konnten. So wurde im Januar 2005 ein früherer Justizbeamter vom Landgericht Heilbronn wegen Mordes an einem zwölfjährigen Mädchen im Jahr 1984 zu lebenslanger Haft verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der Angeklagte das Mädchen auf dem Heuboden eines Reiterhofs missbraucht und es anschließend aus Angst vor einer Entdeckung der Tat erdrosselt hatte. Erst durch neue gentechnische Untersuchungs-möglichkeiten konnte das damals gesicherte und seither archivierte Spurenmaterial genauer analysiert werden. Dadurch kamen die Ermittlungsbehörden auf die Spur des bereits unmittelbar nach der Tat zum Kreis der Verdächtigen zählenden Angeklagten2. Wenige Tage später verurteilte das Landgericht Ellwangen einen 45-Jährigen wegen eines 23 Jahre zurückliegenden Mordes zu lebenslanger Haft. Nach Überzeugung des Gerichts hatte der Angeklagte das damals 21 Jahre alte Opfer vergewaltigt und erdrosselt. Jahre nach der Tat vergewaltigte der Angeklagte eine weitere Frau. Im Zusammenhang mit diesem Delikt wurde ihm eine Speichelprobe entnommen, die schließlich auch mit den am Tatort des Mordes sichergestellten Spuren abgeglichen wurde3.

Dass die DNA-Analyse nicht nur der Tataufklärung dient, sondern auch präventiv wirken kann, belegt folgender Fall: Im Jahr 1973 wurde eine 16-jährige Schülerin aus Ulm getötet. Seinerzeit wurden an der Kleidung des Opfers Körpersekrete gesichert, die viele Jahre später einer DNA-Analyse unterzogen werden konnten. Im Januar 2000 wurden eine Reihe von Personen aus dem damaligen Umfeld des Opfers schriftlich gebeten, freiwillig eine Speichelprobe für einen Spurenabgleich abzugeben. Unter den angeschriebenen Personen befand sich ein 44-jähriger Ulmer, der sich – offenkundig unter dem Druck der bevorstehenden Untersuchung und aus Angst vor Entdeckung – der Staatsanwaltschaft stellte und gestand, seine damalige Schulfreundin getötet zu haben. Vor dem Hintergrund dieses Falles erscheint es nicht zweifelhaft, dass sich zumindest eine ganze Reihe potentieller Wiederholungstäter, deren DNA-Muster bereits in der DNA-Datei registriert ist, von der Begehung weiterer Straftaten abhalten lassen, da sie befürchten müssen, mit großer Wahrscheinlichkeit der DNA-Analyse zugängliche Spuren am Tatort zu hinterlassen.

Seit Einrichtung der DNA-Analyse-Datei beim Bundeskriminalamt im April 1998 wurden über 370.000 Personen- und Spurendatensätze (Stand: Ende September 2004) eingegeben und gespeichert, nämlich DNA-Identifizierungsmuster von etwa 310.000 Personen und von mehr als 62.000 Tatortspuren. Im Monat kommen etwa 6.000 bis 7.000 Datensätze dazu. Mit Zunahme der Datensätze ist kontinuierlich auch die Häufigkeit der Treffer gestiegen. Es muss daher Ziel sein, die Datenbasis weiter zu verbreitern.

Armin Striewisch , Oberstaatsanwalt Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart


2. Gegenstand der DNA-Untersuchung
Bei der forensischen Untersuchung stützt man sich auf den Vergleich so genannter Längenpolymorphismen. Das sind Teile der DNA, die in den Zellen einer Person konstante Längen, in der Bevölkerung aber Variationen aufweisen. Das DNA-Identifizierungsmuster wird heute hauptsächlich durch Untersuchung bestimmter Abschnitte, der sog. short tandem repeats (STRs), unterschiedlicher Chromosomen bestimmt. Diese Teile finden sich ausschließlich in dem nicht-codierenden Bereich der DNA, der etwa 98% ausmacht, während 2% der DNA codierend sind. Nur aus dem codierenden Bereich können die Informationen über ein Lebewesen gewonnen werden, die nicht von der Umwelt bestimmt werden (z.B. Augenfarbe, Körpergröße). Von dieser Möglichkeit ist der aktuelle Stand der Wissenschaft aber noch weit entfernt. Demgegenüber ist es derzeit nicht möglich, aus dem – bei der DNA-Analyse allein untersuchten – nicht-codierenden Bereich außer hinsichtlich der Geschlechtsbestimmung aussagekräftige Hinweise über körperliche oder gar geistige oder charakterliche Eigenschaften eines Menschen zu erhalten.

3. Rechtliche Grundlagen
Die gesetzlichen Grundlagen über die DNA-Analyse finden sich insbesondere in §§ 81 e bis 81 g StPO sowie im DNA-Identitätsfeststellungsgesetz (DNA-IFG). § 81 e StPO regelt die Voraussetzungen für die molekulargenetische Untersuchung in laufenden Ermittlungsverfahren. Danach sind molekulargenetische Untersuchungen an dem nach § 81 a StPO von dem Beschuldigten erlangten Material zur Feststellung der Abstammung oder der Tatsache, ob aufgefundenes Spurenmaterial von dem Beschuldigten oder dem Verletzten stammt, zulässig. An dem von Dritten nach § 81 c StPO erlangten Material ist die DNA-Analyse unter denselben Voraussetzungen erlaubt. Durch das am 01.04.2004 in Kraft getretene Gesetz vom 27.12.2003 zur Änderung der Vorschriften über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und zur Änderung anderer Vorschriften4 wurde die Regelung dahingehend erweitert, dass die DNA-Analyse auch zur Bestimmung des Geschlechts der Person zulässig ist. Im Übrigen ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten.

Der vorliegend vor allem interessierende § 81 g StPO – bezüglich bereits verurteilter Personen in Verbindung mit § 2 DNA-IFG – legt die engen Voraussetzungen fest, unter denen einem Beschuldigten zum Zweck der Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren Körperzellen entnommen, diese molekulargenetisch untersucht und das Identifizierungsmuster gespeichert werden dürfen. Der Betroffene muss eine sog. Anlasstat, also eine Straftat von erheblicher Bedeutung oder eine Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung5, begangen haben. Von ihm müssen weitere Taten von erheblicher Bedeutung zu erwarten sein (sog. qualifizierte Negativprognose). Es gilt – wie im Übrigen auch bei § 81 e StPO – der Richtervorbehalt.

Überlegungen, die eine konsequentere Erhebung und Nutzung des genetischen Fingerabdrucks zum Gegenstand haben, sind unvollständig, wenn nicht die Rechtsprechung des Bundesverfassungs-gerichts einbezogen wird. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits mehrfach Entscheidungen zur DNA-Analyse getroffen6. In dem Beschluss vom 14.12.2000 hat das Gericht die Verfassungsmäßigkeit der Speicherung des genetischen Fingerabdrucks bei verurteilten Straftätern gemäß § 2 DNA-IFG i.V.m. § 81 g StPO bestätigt. Ein – auch aufgrund eines Gesetzes unzulässiger – Eingriff in den absolut geschützten Kernbereich der Persönlichkeit liege nicht vor. Dies gelte jedenfalls, solange sich die Eingriffsermächtigung nur auf den nicht-codierenden Anteil der DNA beziehe, ausschließlich die Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters zum Zweck der Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren vorgenommen und das Genmaterial nach der Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters vernichtet werde. In diesem Zusammenhang sieht das Gericht Parallelen zum Daktylogramm, dem herkömmlichen Fingerabdruck, führt aber weiter aus: Entscheidend sei, dass durch die Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters anhand des Probenmaterials, das gemäß § 81 g Abs. 2 StPO anschließend zu vernichten sei, Rückschlüsse auf persönlichkeitsrelevante Merkmale wie Erbanlagen, Charaktereigenschaften oder Krankheiten des Betroffenen, also ein Persönlichkeitsprofil, nicht ermöglicht würden.

Die Feststellung, Speicherung und (künftige) Verwendung des DNA-Identifizierungsmusters greife allerdings in das durch Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG verbürgte Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ein. Dieses Recht gewährleistet die aus dem Gedanken der Selbstbestimmung folgende Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden. Es gewähre seinen Trägern Schutz gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung oder Weitergabe der auf sie bezogenen, individualisierten oder individualisierbaren Daten. Der Eingriff diene aber der Erleichterung der Aufklärung künftiger Straftaten von erheblicher Bedeutung und damit einer an rechtsstaatlichen Garantien ausgerichteten Rechtspflege, der ein hoher verfassungsrechtlicher Rang zukomme und daher einen solchen Eingriff grundsätzlich zulasse.

Die vorsorgliche Beweisbeschaffung nach § 2 DNA-IFG i.V.m. § 81 g StPO verstoße auch nicht gegen das Übermaßverbot. Sie knüpfe an eine vorangegangene Verurteilung des Betroffenen
wegen einer Straftat von erheblicher Bedeutung an und setze die auf bestimmte Tatsachen gestützte Prognose voraus, dass gegen ihn künftig weitere Strafverfahren wegen Straftaten von erheblicher Bedeutung zu führen sein werden. Auf diese Weise werde die Maßnahme auf besondere Fälle beschränkt. Das Interes-se des Betroffenen an effektivem Grundrechtsschutz werde durch den Richtervorbehalt gemäß § 81 g Abs. 3 und § 81 a Abs. 2 StPO berücksichtigt, der die Gerichte zur Einzelfallprüfung zwinge.

Bei der Prüfung eines Verstoßes gegen das Übermaßverbot misst das Bundesverfassungsgericht ersichtlich dem jeweiligen Stand der Wissenschaft und dem Umstand Gewicht bei, dass es sich nach geltendem Recht um eine auf besondere Fälle beschränkte Maßnahme handelt. Die Ausführungen des Gerichts lassen –so jedenfalls unser Eindruck – Unbehagen gegen eine allzu extensive Ausweitung der DNA-Analyse erkennen.
Konkrete Handlungsanweisungen für den Gesetzgeber mit Blick auf eine Ausweitung des genetischen Fingerabdrucks lassen sich den Entscheidungen aber nicht mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen. Für das Gericht bestand auch kein Grund, sich insoweit zu äußern.



III. Erweiterung der Anwendung des genetischen Fingerabdrucks

Eine konsequentere Nutzung der mit der DNA-Analyse verbundenen Möglichkeiten muss zum einen bei einer Vereinfachung des Verfahrens ansetzen. So ist ein umfassender Richtervorbehalt, wie er sich im geltenden Recht findet, nicht erforderlich. Ein richterlicher Beschluss ist etwa entbehrlich, wenn es um die Untersuchung von anonymem Spurenmaterial in laufenden Ermittlungsverfahren geht (vgl. §§ 81 e, 81 f Abs. 1 Satz 2 StPO). In diesen Fällen enthält das DNA-Identifizierungsmuster wegen der fehlenden Verknüpfung mit den Personalien des Spurenverursachers keine Hinweise auf dessen Person und stellt somit keine unter dem Aspekt des Datenschutzes sensible personenbezogene Angabe dar. Auch bedarf es keiner Entscheidung eines Richters, wenn die betroffene Person nach vorheriger umfassender Belehrung ihr Einverständnis erklärt hat.

Zum anderen kann die Effizienz der DNA-Datei als Instrument insbesondere der Aufklärung, aber auch der Verhinderung künftiger Straftaten nur durch eine erhebliche Verbreiterung der Datenbasis deutlich erhöht werden. Dies erfordert eine Änderung der Vorschriften, welche die Voraussetzungen für die Erhebung und Speicherung des genetischen Fingerabdrucks in der DNA-Datei regeln.

1. Angleichung des genetischen Fingerabdrucks an die erkennungsdienstliche Behandlung nach § 81 b StPO
Die Regelung der Erhebung und Speicherung des DNA-Identifizierungsmusters als Standard-maßnahme der erkennungsdienstlichen Behandlung würde zweifelsohne zu einer weiteren erheblichen Effizienzsteigerung führen un
ist daher anzustreben. Auf eine entsprechende Gesetzesänderung zielt etwa ein im Bundesrat eingebrachter Gesetzesantrag der Länder Hessen, Bayern, Hamburg, Saarland und Thüringen vom 03.02.20057.

Eine solche Gleichsetzung bedeutet aber – was in der öffentlichen Diskussion oft vergessen wird – keineswegs, dass ein genetischer Fingerabdruck immer schon dann erhoben werden dürfte, wenn eine Straftat begangen worden ist. Nach § 81 b Alt. 2 StPO dürfen Lichtbilder und Fingerabdrücke des Beschuldigten gegen seinen Willen nur aufgenommen und Messungen und ähnliche Maßnahmen nur an ihm vorgenommen werden, soweit es für die Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig ist. Die Notwendigkeit erkennungsdienstlicher Maßnahmen bemisst sich danach, „ob der anlässlich des gegen den Betroffenen gerichteten Strafverfahrens festgestellte Sachverhalt nach kriminalistischer Erfahrung angesichts aller Umstände des Einzelfalls Anhaltspunkte für die Annahme bietet, dass der Betroffene künftig oder anderwärts gegenwärtig mit guten Gründen als Verdächtiger in den Kreis potentieller Beteiligter an einer noch aufzuklärenden strafbaren Handlung einbezogen werden könnte und dass die erkennungsdienstlichen Unterlagen die dann zu führenden Ermittlungen – den Betroffenen schließlich überführend oder entlastend – fördern könnten“8. Die Zulässigkeit eines genetischen Fingerabdrucks wäre somit an durchaus strenge Kriterien geknüpft, die nach unserer Einschätzung auch vor dem Bundesverfassungsgericht bestehen könnten.

Zum einen geht das Bundesverfassungsgericht in der bereits zitierten Entscheidung vom 14.12.20009 selbst von einer Vergleichbarkeit zwischen genetischem und herkömmlichem Fingerabdruck aus. Zum anderen besteht bei der DNA-Analyse keine erhöhte Missbrauchsgefahr. Unabhängig davon, dass molekulargenetische Untersuchungen über die Erhebung des DNA-Identifizierungsmusters hinaus mit einem von vielen Labors nicht leistbaren Aufwand verbunden sind, enthält § 81 e Abs. 1 StPO eine eindeutige Regelung, worauf sich die DNA-Analyse allein erstrecken darf. Hinzu kommen strenge Bestimmungen über die Durchführung der Untersuchung und die Anonymisierung des Untersuchungsmaterials (§ 81 f Abs. 2 StPO). Der eher theoretischen Missbrauchsgefahr könnte, um verbleibenden Bedenken Rechnung zu tragen, zusätzlich durch die Schaffung eines strafbewehrten Verbotstatbestandes begegnet werden.

Ebenfalls nicht überzeugend ist das Argument, dem DNA-Identifizierungsmuster komme ein gegenüber dem herkömmlichen Fingerabdruck erhöhter Beweiswert zu, weshalb die Übereinstimmung einer an einem Tatort aufgefundenen DNA-Spur mit einem in der DNA-Datei gespeicherten Muster mit weitaus gravierenderen Folgen als bei einem gewöhnlichen Fingerabdruck verbunden sein könne. Werde nämlich der Verdacht auf eine Person gelenkt, die mit der Tat nichts zu tun habe, werde es für diese angesichts des ungleich größeren Beweiswerts schwierig, die Ermittlungsbehörden von ihrer Unschuld zu überzeugen. Praktisch wirke der Treffer so wie eine Beweislastumkehr. Dies sei deshalb besonders gravierend, weil DNA-Spuren rein zufällig, etwa durch Zwischenträger, an den Tatort gelangen könnten oder gar von dem richtigen Täter eine falsche Spur gelegt werden könne. Dem ist entgegenzuhalten, dass ein genetischer Fingerabdruck immer im Kontext der weiteren Ermittlungsergebnisse und unter Berücksichtigung der vorstehend geschilderten Problematik beurteilt wird. Im Zweifel ist für den Angeklagten zu entscheiden. Hinzu kommt, dass die Spur als solche gleichwohl erhoben wird und nur aufgrund einer gegebenenfalls fehlenden Registrierung in der DNA-Datei nicht zugeordnet werden kann. Es erscheint aber
deutlich problematischer, wenn eine Zuordnung möglicherweise erst viele Jahre später erfolgt und dann eine Entlastung vielleicht wesentlich schwieriger wird. Umgekehrt können die in der DNA-Datei erfassten Personen in der Regel als entlastet angesehen werden, wenn der Abgleich der eingestellten DNA-Identifizierungsmuster mit einem anlässlich einer neuen Straftat erstellten genetischen Fingerabdruck nicht zu einem Treffer führt. Auch dieser Entlastungseffekt spricht für eine Ausweitung der DNA-Analyse.

2. Einzelne Korrekturen
Die Forderung der Gleichstellung des genetischen mit dem herkömmlichen Fingerabdruck beinhaltet der Sache nach die Aufgabe des Erfordernisses einer Anlasstat von – abgesehen von den in § 81 g Abs. 1 Nr. 2 StPO angeführten Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung – erheblicher Bedeutung und eine Reduzierung der Anforderungen an die Negativprognose. Eine derart weitreichende Neuregelung ist im Hinblick auf die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag derzeit nicht zu erwarten. Einzelne Änderungen des geltenden Rechts erscheinen aber möglich.

In der Diskussion ist zum einen die Ausdehnung der Anlasstaten – etwa durch die völlige Streichung des Tatenkatalogs oder jedenfalls dessen Erweiterung auf die wiederholte Begehung für sich genommen nicht erheblicher Straftaten unter Beibehaltung des Erfordernisses der qualifizierten Negativprognose. Untersuchungen hätten – so die Begründung – gezeigt, dass sexuelle Gewalttäter keineswegs typischerweise zunächst durch Begehung sexueller Belästigungsdelikte auffielen, sondern zu einem hohen Prozentsatz vor der ersten Sexualstraftat unterschiedlichste Delikte begingen. Die zum 01.04.2004 erfolgte Ausweitung des Anlasstatenkatalogs auf – nicht notwendig erhebliche – Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung werde dem nicht gerecht, greife vielmehr zu kurz.

Zum anderen wird über einen Verzicht auf eine qualifizierte Negativprognose, aber die Beibehaltung des Anlasstatenkatalogs nachgedacht. Maßgeblich ist insoweit die Überlegung, dass die derzeitigen Voraussetzungen der qualifizierten Negativprognose nach § 81 g StPO nicht erforderlich seien, weil auch weniger erhebliche Zieltaten schon im Interesse zukünftiger Opfer schnell und zuverlässig aufgeklärt werden sollten.

Vor dem Hintergrund, dass das Ziel einer Gesetzesänderung eine erhebliche Verbreiterung der Datenbasis der DNA-Datei sein sollte, gehen beide Ansätze sicherlich in die richtige Richtung. Die qualifizierte Negativprognose erfordert aber eine einzelfallbezogene Beurteilung, in die zwar auch kriminalistisch und kriminologisch anerkannte Erfahrungssätze einzufließen haben. Neben der Erkenntnis, dass Täter schwerwiegender Delikte davor zunächst oft durch Begehung unterschiedlicher und weniger erheblicher Straftaten auffallen, sind aber jeweils Art und Ausführung der Anlasstat und die Persönlichkeit des Täters einzubeziehen (§ 81g Abs. 1 StPO). Die Begründung wird in der Regel umso schwieriger sein, je weniger gewichtig die Anlasstaten sind, in vielen Fällen daher nicht zum Erfolg führen. Selbst bei einer Streichung des Anlasstatenkatalogs oder jedenfalls dessen Erweiterung auf die wiederholte Begehung für sich genommen nicht erheblicher Straftaten wird das Erfordernis der qualifizierten Negativprognose daher einer deutlichen Ausweitung des genetischen Fingerabdrucks entgegenstehen. Wird demgegen-über der Anlasstatenkatalog – bei Verzicht auf die qualifizierte Negativprognose – beibehalten, sind die Möglichkeiten für eine Erhebung und Speicherung des DNA-Identifizierungsmusters von vornherein auf die Fälle beschränkt, in denen eine solche Anlasstat begangen wurde.

Die aufgezeigten Vorschläge für einzelne Korrekturen erscheinen daher nicht entscheidend weiterführend.

3. Abgleich mit DNA-Datei nur bei schweren Straftaten
Will man eine deutlich breitere Datenbasis erhalten, andererseits aber Bedenken der politischen Entscheidungsträger und möglicherweise auch des Bundesverfassungsgerichts nach einer zu weitgehenden Anwendung der mit der DNA-Analyse verbundenen Möglichkeiten Rechnung tragen, sehen wir einen – soweit ersichtlich bisher nicht diskutierten – Ansatz darin, die Erhebung und Speicherung eines DNA-Identifizierungsmusters unter denselben Voraussetzungen wie sonstige erkennungsdienstliche Maßnahmen zu erlauben, den Abgleich mit einer in einem laufenden Verfahren gesicherten Spur aber nur dann zuzulassen, wenn es um die Aufklärung schwerer Straftaten geht. Eine ähnliche Systematik findet sich bei der Telefonüberwachung, bei der gemäß § 100 b Abs. V StPO folgende Regelung gilt: Die durch die Telefonüberwachung erlangten personenbezogenen Informationen dürfen in anderen Strafverfahren zu Beweiszwecken nur verwendet werden, soweit dies zur Aufklärung einer der in § 100 a StPO genannten Straftaten erforderlich ist. Eine solche per „Kataloglösung“
eingeschränkte Beweisverwertung würde bei der DNA-Analyse zwar hinter dem derzeitigen Rechtszustand zurückbleiben, weil nach § 81 e StPO molekulargenetische Untersuchungen grundsätzlich zur Aufklärung jeder Straftat zulässig sind, wenn der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Einzelfall nicht entgegensteht. Dieser vermeintliche Rückschritt würde aber mehr als aufgewogen, wenn auf der anderen Seite die Grundlagen zur Aufklärung schwerer Straftaten erheblich erweitert würden. Wir hielten es beispielsweise für hinnehmbar, dass die an einer Briefmarke gesicherten Speichelreste des Absenders eines anonymen Briefes beleidigenden Inhalts nicht zum Zweck eines Abgleichs mit der DNA-Datei molekulargenetisch untersucht werden dürfen, falls es andererseits möglich wäre, einen Mörder oder Sexualstraftäter, der im Vorfeld nur wegen kleinerer Diebstahlsdelikte aufgefallen und von dem deshalb ein genetischer Fingerabdruck erhoben und gespeichert worden ist, aufgrund einer am Tatort sichergestellten Spur alsbald zu identifizieren. Nur um Missverständnissen vorzubeugen: Selbstverständlich ist es erforderlich, auch Straftaten der einfachen und mittleren Kriminalität möglichst schnell und sicher aufzuklären und sich dazu moderner Ermittlungsmethoden zu bedienen. Ist aber die Regelung der Erhebung und Speicherung des DNA-Identifizierungsmusters als Maßnahme der erkennungsdienstlichen Behandlung aus verfassungsrechtlichen Gründen problematisch oder aus politischen Gründen nicht durchsetzbar, müsste einer Ausweitung mit dem Ziel der Aufklärung und Verhinderung schwerer Straftaten Priorität zukommen. Als Katalogtaten, bei denen ein Abgleich zulässig wäre, kämen die Tatbestände aus der Anlage zu § 2 c DNA-IFG in Betracht.



IV. Fazit

Aus Sicht der Strafverfolgungsbehörden besteht ein dringendes Bedürfnis für eine noch effizientere Nutzung der DNA-Datei. Neben Vereinfachungen des Verfahrens sind die gesetzlichen Bestimmungen mit dem Ziel einer wesentlichen Verbreiterung der Datenbasis zu ändern. Die Regelung der Erhebung und Speicherung des DNA-Identifizierungsmusters als Standardmaßnahme der erkennungsdienstlichen Behandlung gemäß § 81 b Alt. 2 StPO halten wir für den richtigen Weg. Sollte eine entsprechende Gesetzesänderung nicht durchsetzbar sein, müssen bei einer Prüfung von Alternativen auch bisher nicht diskutierte Ansätze einbezogen werden. Dazu gehört die Überlegung, die Erhebung und Speicherung eines DNA-Identifizierungsmusters unter denselben Voraussetzungen wie sonstige erkennungsdienstliche Maßnahmen zu erlauben, den Abgleich mit einer in einem laufenden Verfahren gesicherten Spur aber nur dann zuzulassen, wenn es um die Aufklärung schwerer, im Gesetz näher zu bestimmender Straftaten geht.



Fußnoten

1 BGBl. I S. 534
2 Stuttgarter Zeitung vom 31.01.2005
3 Stuttgarter Zeitung vom 02.02.2005
4 BGBl. I S. 3007
5 Die 2. Alternative wurde ebenfalls durch Gesetz vom 27.12.2003, vgl. Fn. 4, eingefügt.
6 z.B. Beschluss vom 2.08.1996, NJW 1996, 3071; Beschluss vom 14.12.2000, BVerfGE 103,21; Beschluss vom 15.03.2001, NJW 2001, 2320
7 BR-Drs. 99/05
8 Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 19.10.1982, BVerwGE 66, 202
9 vgl. Fn. 7