Überlegungen zu den Kosten der Kriminaltechnik

Outsourcing im Strafverfahren,Privatisierung und Kosten

Möglichkeiten, Notwendigkeiten und Grenzen des Outsourcing der Kriminaltechnik im Strafverfahren können schnell zu einem Horrorszenario umfunktioniert werden. Publikums- und öffentlichkeitswirksam könnte man das Thema unter den Titelzeilen

  • Ausverkauf des Kriminalisten an Privatunternehmen!
  • Ermittler zu mieten gesucht!

Dr. Heiko Artkämper
Staatsanwalt
Dortmund

präsentieren. Die in Presseveröffentlichungen dargestellte Privatisierung der Kriminaltechnik in England ist – was gerne unterschlagen wird – aus der Not geboren, da die durch die staatlichen Stellen verursachten Verluste nicht mehr tragbar sind. Eine durchaus lesenswerte – aber romantisch anmutende – Beschreibung findet sich bei Westphal1: „Die schnelle Entwicklung z. B. der Kriminaltechnik bringt es mit sich, dass die Kriminalpolizei auf diesen besonderen Arbeits- und Wissensgebieten über umfassende Sachkunde verfügt, die von anderen Institutionen oder Personen nicht erbracht werden kann.„

Bestandsaufnahme

Folgt man den Ausführungen im Duden zum Begriff des Outsourcing, so bedeutet dies, dass Arbeiten und Aufträge ausgegliedert, d. h. also nach außen verlegt werden. Es geht also um die Auslagerung von bisher in einem Unternehmen selbst erbrachten Leistungen an externe Auftragnehmer oder Dienstleister.
Es darf nicht übersehen werden, dass wesentliche Teile der Kriminaltechnik privatisiert und damit ausgelagert worden sind. Bei genauerer Überlegung sind damit bereits die Kriminaltechniker der Landeskriminalämter und des Bundeskriminalamtes bei einer exakten pedantischen Betrachtung eine Art des Outsourcing. Die Alternative darf daher nicht sein, dass nichts getan wird oder outgesourct wird, sondern es geht um die kriminalistische Tatklärung auch mit der Möglichkeit des Outsourcing.2 Eine sicherlich nicht vollständige Bestandsaufnahme ergibt folgendes Bild:



Nicht nur wissenschaftliche Nischen sind daher bereits auf Dritte übertragen, sondern weite Teile der Kriminaltechnik liegen in den Händen Privater.

Aktuelle Veröffentlichungen

Vorhandene, aktuelle Veröffentlichungen aus dem Jahre 2011 sind polarisierend und lassen sich, was gefährlich erscheint, in zwei Schubladen verfrachten: die positive, befürwortende Ansicht von Detektiv und Rechtsanwalt versus der kritisch zurückhaltenden Auffassung der Juristen.3
Beide Extreme scheinen verfehlt. Ein gedanklicher Fehler liegt in dieser Polarisierung, nach der Polizeibeamte entweder nur als Sachverständige oder Sachverständige nur als Polizeibeamte auftreten können. Es muss darum gehen, die für oder gegen ein Outsourcing sprechenden Argumente kritisch abzuwägen. Dabei sollen diese Kriterien zunächst einmal nur plakativ nebeneinander gestellt werden.

Pro und contra

Gegen eine Privatisierung kriminaltechnischer Untersuchungen spricht prima facie

  • die Frage der Einhaltung der Qualitätsstandards,
  • die Frage der Qualitätskontrollen,
  • die Frage nach dem Umfang und der Gewährleistung der Verschwiegenheit,
  • die Gefahr der Vergrößerung der Möglichkeit undichter Stellen,
  • Verlust von know how
  • die Frage der verursachten Kosten.

Für das Outsourcing streitet prima facie

  • der Zeitfaktor, da Wirtschaftsunternehmen anders tätig werden als Beamte und auch bereit sind, außerhalb der „Dienstzeiten„ zu arbeiten,
  • ein Wettbewerb, der üblicherweise dazu führt, dass bei mehreren Anbietern Qualität und Preis in einem vernünftigen Verhältnis stehen,
  • in vielen Teilbereichen die Privaten (als Anbieter, Hersteller und/oder Geschädigter) über das know how zur Auswertung verfügen,
  • die Erreichbarkeit privater Anbieter rund um die Uhr,
  • Abdeckung von Nischen – verstanden im Sinne entfernt liegender Untersuchungen.

Bei genauer Betrachtung sind sämtliche Argumente pro und contra ambivalent, was kurz am Beispiel der Kosten erläutert werden soll: Bei der Ausschreibung von Aufträgen auf einem Markt, auf dem mehrere gleich starke Anbieter vorhanden sind, werden die Kosten (zunächst) zurückgehen. Erfahrungsgemäß unterbieten sich die Preise, was dazu führt, dass immer mehr Mitbewerber die Segel streichen und schließlich einer der Anbieter über den Marktführer zum Monopolisten wird; wie sich diese Stellung auf den Preis auswirken wird, weiss jeder. Der rechtliche Rahmen insbesondere im Ermittlungsverfahren wird durch Nr. 70 der RiStBV geschaffen: Danach obliegt die Auswahl und Leitung des Sachverständigen (ausschließlich) dem Staatsanwalt. Eine Bindung an polizeiinterne Sachverständige besteht dabei nicht, auch wenn diese aus Kostengründen vielfach gewählt werden.
Ermittlungsspitzen lassen sich zudem durch die Verlagerung der Untersuchungen abfangen, aber nur sofern Anbieter am Markt sind und sich behaupten können; diese können allein von Einzelaufträgen nicht (über)leben.
Der Gedanke des Outsourcing findet in der Praxis immer häufiger Anwendung, da es Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft gibt. Häufig ist die Polizei nicht bereit, bei Bagatelldelikten die relativ hohen Kosten für etwa eine DNA-Analyse in Kauf zu nehmen, insbesondere in den Fällen, in denen klar scheint, dass eine Tatklärung – und damit die Ermittlung eines Kostenpflichtigen – eher unwahrscheinlich ist. Im Hinblick auf kosten- und/oder zeitaufwändige Ermittlungen werden teilweise ermittlungstechnische Maßnahmen nicht durchgesetzt. Symptomatisch sind insoweit die Ausführungen unter dem Thema „Aufwand und Erfolg„ bei Weihmann/Schuch:4 „Im Bereich der Spurensuche und Spurensicherung muss ebenfalls der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben. ... Beim Sachbeweis bedeutet die Verhältnismäßigkeit, dass der Aufwand und die Kosten für den Sachbeweis nicht in krassem Missverhältnis zur Schwere der Tat stehen. Doch die Schwere der Straftat ... darf nicht an der später tatsächlich verhängten Strafe gemessen werden, ..., sondern an der im gesetzlichen Tatbestand dazu angedrohten Höchststrafe.„
Diesem Phänomen korrespondieren staatsanwaltliche Einstellungsverfügungen, die allerdings nur dann rechtmäßig sein können, wenn sie sich in den engen Grenzen des Opportunitätsprinzips der §§ 153 ff. StPO bewegen. Das Legalitätsprinzip fordert zunächst einmal eine hemmungslose Aufklärung von Straftaten. Einstellungsgründe wie „zu teuer„, „keine Zeit„, „kein Personal„ und/oder ein „unverhältnismäßiger Ermittlungsaufwand„ sind dem Strafverfahren grundsätzlich fremd. Es bleibt abzuwarten, ob nicht durch eine teilweise oder vollständige Privatisierung von Ermittlungsmöglichkeiten letztendlich sich auch kostengünstige kriminaltechnische Untersuchungen am Markt etablieren werden. Jedenfalls muss sich sowohl der Kriminalist als auch die Justiz davor hüten, zu glauben, es gebe ein staatliches Monopol zur Durchführung derartiger Ermittlungen. Die tatsächliche Praxis – angefangen bei der Rechtsmedizin, deren Ausgliederung und Verlagerung auf selbstständige Institute historisch gewachsen, aber letztendlich willkürlich ist – zeigt, dass in vielen Bereichen private Ermittler jedenfalls ebenbürtig, teilweise sogar den beamtenrechtlichen Strukturen überlegen tätig werden können.
Auch wenn es im Grundsatz richtig ist, dass Kosten bei der Aufklärung von Straftaten keine Rolle spielen dürfen, laufen an dieser Stelle Realität und prozessuale Vorgaben auseinander. Stichworte wie Haushaltsmittel und Budgetierung sind auch dem Strafverfahren und der Justiz – verstanden im Sinne der Verwaltungen von Staatsanwaltschaften und Gerichten – nicht mehr fremd. Allerdings darf auch nicht unerwähnt bleiben, dass in den meisten Landeshaushalten der Teilbereich der Justiz, der sich mit der Aufklärung von Straftaten beschäftigt, nur einen marginalen Teil des Gesamthaushaltes für sich beansprucht.
Nicht zu teilen ist das Fazit von de Vries,5 der bei Ermittlungen durch Private davon ausgeht, dass das staatliche Ermittlungsmonopol durch die aktuellen Rechtsentwicklungen in seinen Rändern in Frage gestellt wird. Allein der Umstand, dass es bei Privatermittlungen im Bereich des Wirtschaftsrechtes im Einzelfall nicht gerecht zugehen mag, rechtfertigt nicht, das „Kind mit dem Bade„ auszuschütten und das Ergebnis auf private kriminaltechnische Untersuchungen zu übertragen. Ohne das dies hier an Einzelfällen verifiziert werden soll, ist jedem bekannt, dass auch die Einschaltung staatlicher Kriminaltechnik in der Vergangenheit Fehler nicht (gänzlich) hat vermeiden können.
Symptomatisch für die entgegengesetzte Auffassung – denn funktionierend – sind beispielhaft

  • Begutachtungen im Markenrecht, die durch die privaten Firmen durchgeführt werden, die durch das Plagiat verletzt worden sein könnten; hier liegt auf der Hand, das gerade das „Opfer„ in besonderem Maße über die Sachkunde verfügt, eine Markenrechtsverletzung zu enttarnen.
  • Auslesung digitaler Spuren etwa in Kraftfahrzeugen moderner Generationen, bei denen zunächst (nur) die Hersteller wissen, welche Spuren und Informationen wo gespeichert und wie diese sichtbar gemacht werden können.

Spurensicherungsprivileg staatlicher Kriminaltechniker?

Allenfalls wäre zu überlegen, ob es gilt, ein Spurensicherungsprivileg in staatlichen Händen zu bewahren, um so nicht wieder gut zu machende Fehler im ersten Zugriff zu vermeiden bzw. zu minimieren. Es dürfte unbestritten sein, dass eine qualitativ hochwertige Spurenaufarbeitung und Spurensicherung elementare Grundlage einer objektiven Tatklärung sind. Was liegt daher näher, als an dieser zentralen (Schlüssel)Stelle die originäre Rolle des staatlichen Kriminalisten zu verorten; sein Recht auf den ersten Zugriff scheint Qualitätsgarant zu sein. Auch diese Überlegung erweist sich als Scheinargument, da die Spurensicherung naturgemäß davon abhängig ist, wer welche Untersuchungen später vornimmt. Eine qualitativ hochwertige Spurensicherung sollte daher durch den Spezialisten erfolgen, wie es heute auch schon – etwa bei der Blutspurenmusteranalyse – geschieht.

Fazit

Wenn notwendige Ermittlungen nicht durchgeführt werden, weil Personaldecken zu dünn und finanzielle Ressourcen nicht vorhanden sind, kann nicht akzeptiert werden, dass der Staat sich aus der Verfolgung bestimmter Straftaten weitgehend zurückzieht. Flexible Privatermittler und private Kriminaltechniker, für die Qualitätsstandards festgelegt und überprüft werden müssen, werden gefragt sein. Dem Verfasser liegt daher die Aussage von Arndt und Seydel6 näher: „Es muss gewährleistet sein, dass die übertragenen Aufgaben von qualifizierten, rechtstreuen Privatermittlern erfüllt werden und hoheitliches, insbesondere strafprozessuales Handeln in den Händen der Polizei bleibt„.
Letztendlich dürfte das Gespenst des Outsourcing bei der kritischen Bestandsaufnahme kein Phänomen des 21. Jahrhunderts sein. Privatermittler und Polizei arbeiten seit Jahrzehnten – vielleicht seit Jahrhunderten – Hand in Hand, ohne dass dies mit emotional belasteten Schlagworten in der einen oder der anderen Richtung stigmatisiert wurde und werden darf.

Das Ergebnis kann nicht lauten dass Nichts oder Alles outgesourct wird; die Zukunft gebührt einer kriminalistischen Tatklärung unter Einbeziehung der Möglichkeiten des Outsourcing. Die Qualitätskontrolle und das Qualitätsmanagement müssen allerdings in den Händen der Kriminalisten und Juristen verbleiben.
Deren Aufgabe wird es in verstärktem Maße werden, Qualitätsstandards zu erarbeiten und deren Einhaltung zu überwachen. Der Begriff des Qualtitätsmanagements darf zukünftig bei den Strafverfolgungsorganen kein Fremdwort (mehr) sein.

Anmerkungen
Der kriminalistische Beweis, (2010), S. 48.
Zu vgl. Weihmann/Schuch, Kriminalistik, (11. Aufl. 2010), S. 200.
Vgl. Hinrich de Vries, Privatisierung der Ermittlungen – Ermittlungen durch Private, verliert der Staat das Aufklärungsmonopol? Kriminalistik 2011, 83 ff.; Mario Arndt und Mario H. Seydel, Zusammenarbeit zwischen Polizei und Privatermittlern, Kriminalistik 2011, 91 ff.
Kriminalistik, S. 200.
Kriminalistik 2011, S. 88.Kriminalistik 2011, S. 94.