Sind Kinder als Betroffene von Gewalt in unserem Strafgesetzbuch eigentlich nur minderwertig?

Von PD a.D. Rainer Becker, Güstrow

 

 

Dieser Fachartikel ist bereits vor der geänderten Position von Bundesjustizministerin Christine Lambrecht erstellt worden. Die Lage befindet sich aktuell in der von mir angestrebten und beförderten Bewegung. Insofern stellen meine Ausführungen hierzu einen spannenden Rückblick in die bisherige Entwicklung, ihre Zusammenhänge und Hintergründe dar. Allerdings noch sind die angekündigten Nachbesserungen im Strafgesetzbuch nicht ausformuliert und auch noch nicht in Kraft getreten.


Rainer Becker

 

 

 

1 Einleitung

 

Bei dieser Veröffentlichung geht es dem Verfasser um eine persönliche rechtspolitische Auseinandersetzung mit den aktuellen Regeln und Defiziten im strafrechtlichen Kinderschutz, offenkundigen Unzulänglichkeiten bei der sog. Vorratsdatenspeicherung gem. § 100g StPO und dem menschenfeindlichen Umgang mit (ehemaligen) Betroffenen von (sexueller) Gewalt. Auf Grund der Besonderheiten des für ihn sehr persönlichen Themas wird der Verfasser diesen Artikel anders als sonst üblich nicht in der dritten Person zu schreiben. In den folgenden Ausführungen wird es darum gehen, Widersprüchlichkeiten sowohl rechtlicher als auch sprachlicher Art aufzuzeigen und auch den einen oder anderen logischen Fehler in § 100g StPO. Zudem wird intensiv auf den Umgang des Systems und unserem persönlichen Umgang mit Kindern und späteren Erwachsenen als Betroffenen von (sexueller) Gewalt eingegangen und auf unser nicht selten gespaltenes Verhältnis zu ihnen – und dies geht nicht nur sachlich und objektiv.

 

 

2 Zu § 184b StGB – Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Schriften


Vielen Lesern, die nicht unmittelbar dienstlich mit dem Thema zu tun haben, ist oft nicht bekannt, dass die damalige angedrohte Höchststrafe für den Besitz und die Besitzverschaffung von sog. kinderpornografischem Material nach dem Fall des ehemaligen Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy im Jahr 2015 um ein Drittel auf danach 3 Jahre angehoben wurde, heißt für den kriminalpolizeilichen Sachbearbeiter, es handelt sich um ein sog. minder schweres Vergehen. Nun könnte man argumentieren, dass es schließlich ja lediglich darum geht, dass sich jemand gelegentlich sog. Pornos angesehen hat, was mittlerweile ja wohl die meisten von uns schon getan haben und gelegentlich tun, und dass die Verwerflichkeit eben darin besteht, dass Kinder darin mitwirken. Doch neben der angedrohten Höchststrafe, die so – scheinbar logisch – deutlich unter der für den sog. einfachen Diebstahl wie dem Ladendiebstahl mit 5 Jahren liegt, machen diejenigen, die dies bisher nicht so gesehen haben, sich nicht bewusst, dass es sich in keiner Weise um pornografisches Material handelt, weswegen gegen diejenigen, die es sich verschaffen, besitzen oder verbreiten ermittelt wird. Vielleicht ist die angedrohte Höchststrafe ja auch wegen dieses sprachlichen Fehlers, sei er nun bewusst oder unbewusst so aufgenommen worden, so außergewöhnlich niedrig. Während es bei der Pornografie um einvernehmlich ausgeübte Sexualität Erwachsener untereinander geht, die ihre Handlungen dabei bewusst auf Bild- und Tonträger aufzeichnen und verbreiten lassen, handelt es sich bei der sog. Kinderpornografie um nichts anderes als auf Bild- und Tonträger aufgezeichnete sexuelle Gewalt (bis hin zur Vergewaltigung) gegen Kinder, die sich nicht dagegen wehren können und in aller Regel nicht einmal wissen, dass sie danach ein Leben lang im Netz zu sehen sein werden. Und auf der anderen Seite eines Bildschirms sitzt ein Mensch, der sich mit Mittäter- oder wenigstens mit Teilnehmerwillen daran erregt, was andere gerade mit dem Kind machen. Dies hat jedoch nichts mit Pornografie zu tun, hier wird Menschen sexuelle Gewalt angetan. Und es muss gefragt werden, warum dem Schutz des Eigentums in unserem Land ein deutlich höherer Stellenwert eingeräumt wird als dem Recht von Kindern auf körperliche Unversehrtheit und eine ungehinderte und unbeeinflusste Entwicklung einer eigenen sexuellen Identität?

Die Täter machen die Kinder zu bloßen Objekten ihrer eigenen sexuellen Befriedigung wie auch die von anderen. Aus diesem Grund ist es dringend geboten, hier sowohl sprachlich als auch bezüglich der Strafandrohung nachzubessern. Sprachlich handelt es sich bei der sog. Kinderpornografie um „Auf Bild- und Tonträger aufgezeichnete sexuelle Gewalt gegen Kinder“, auch wenn einem dieser Ausdruck nicht so leicht aussprechbar erscheinen mag wie die sog. Kinderpornografie.

Gemeinsam mit den Teilnehmer*innen der Innenministerkonferenz vom Juni 2019 in Kiel, die allerdings nicht auf die sprachlichen Defizite bei § 18 b StGB eingingen, fordere ich, dass die Strafandrohung bezüglich der Höchststrafe – sehr moderat - von heute 3 Jahren zukünftig auf mindestens 5 Jahre – und damit mindestens analog zum einfachen Diebstahl – anzuheben ist. Damit würden die Täter dieser Delikte wenigstens einem Ladendieb gleichgestellt. Es mag überraschen, aber mit Stand Dezember 2019 verweist das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz allen Ernstes darauf, dass die Strafandrohung im Jahr 2015 ja schon von 2 Jahren auf 3 Jahre angehoben worden sei und dass es daher derzeit kein Erfordernis einer Anpassung sieht. Dabei ist es die sog. Kinderpornografie-Szene, die durch das Aufzeichnen und Verbreiten der ausgeübten sexuellen Gewalt gegen Kinder den noch schwerer wiegenden so genannten sexuellen Missbrauch von Kindern gemäß § 176 StGB ganz erheblich befördert. Denn wenn es keine die Tatverdächtigen und Täter auch noch anstachelnden Bild- und Tonaufzeichnungen von sexueller Gewalt gegen Kinder mehr gäbe, dürfte das Interesse, sich in die Szene zu begeben und Grenzen zu Hause oder in seinem unmittelbaren sozialen und familiären Umfeld zu überschreiten, sehr wahrscheinlich eher sinken als steigen.

Noch einmal zur Wiederholung: Beim Besitz oder der Besitzverschaffung von sog. kinderpornografischen Material handelt es sich bei jedem einzelnen Bild um eine Vergewaltigung oder sog. sexuellen Missbrauch eines Kindes vor einer Kamera, der danach in aller Regel im Netz verbreitet und/oder in der Szene getauscht wird. Und es ist peinlich und unseres Rechtsstaates unwürdig, die Strafandrohung für derartige Rechtsbrüche auf der Ebene eines minder schweren Vergehens unter der für einen Ladendiebstahl zu belassen.

Haben die Verantwortlichen hierbei eigentlich auch nur einmal an die Opfer, die Betroffenen der Taten gedacht? Und haben sie sich auch nur einmal derartiges Film-Material bei den ermittelnden Beamten angesehen?

Strafen sind sicherlich nicht die Lösung aller Probleme. Aber eine schuldangemessene Mindest- und Höchststrafandrohung in unserem Strafgesetzbuch und eine Benennung der Taten bei ihrem tatsächlichen Namen ohne die bisherige Bagatellisierung im gewählten Ausdruck zeigen insbesondere auch den (ehemaligen) Betroffenen von an ihnen begangenen Straftaten auf, was sie unserer Gemeinschaft und unserer Justiz Wert sind.

In Zusammenhang mit der Intensivierung der Bekämpfung sog. insbesondere Hetze im Netz hatte unsere Bundesjustizministerin Lambrecht im November 2019 in der Bundespressekonferenz hervorgehoben, dass es ein erheblicher Unterschied sei, ob jemand in einer Gaststätte beleidigt würde und dies zwei oder drei andere Personen mitbekämen, oder ob die Beleidigung ins World Wide Web gestellt würde, was dann erheblich höherer Strafen bedürfte. „Dabei berücksichtigen wir insbesondere dessen unbegrenzte Reichweite und die auf Grund vermeintlicher Anonymität oft sehr aggressive Begehensweise“. Ich teile die Auffassung unserer Bundesjustizministerin bezüglich ihrer Auffassung zu sog. rechter Hetze im Netz, frage mich aber zugleich, ob sie dabei nicht zumindest auch an die ins Netz gestellten und nicht selten weltweit geteilten Aufzeichnungen aggressiv begangener sexueller Gewalt gegen Kinder gedacht hat?

Wie mögen sich (ehemalige) Betroffene derartiger Taten gefühlt haben, als sie diese Äußerungen der Bundesjustizministerin den Medien entnehmen konnten?

Darüber hinaus ließ sie den zumindest anscheinend vergessenen bei sexueller Gewalt gegen sie gefilmten und fotografierten Kindern und der Öffentlichkeit durch ihr Haus auch noch erklären, dass sie keinen Nachbesserungsbedarf bei der Strafandrohung für den Besitz und die Besitzverschaffung von sog. kinderpornografischem Material sehe (vgl. hierzu https://www.mdr.de/nachrichten/politik/inland/strafen-kindesmissbrauch-kinderpornografie-100.html). Empathie sieht anders aus, zumal doch gewöhnlich unterstellt wird, dass sich ein Bundesminister für Justiz für die Einheit der Rechtordnung und insbesondere für den Schutz der Opfer von Straftaten einsetzt.

 

 

3 Zu § 176 StGB – Sexueller Missbrauch von Kindern


Ursprünglich soll es dem Gesetzgeber bei der Schaffung von § 176 StGB darum gegangen sein, Kinder besonders vor sexuellen Übergriffen zu schützen. Hervorzuheben ist, dass vielen nicht bekannt ist, dass § 176 StGB nicht lex specialis gegenüber § 177 StGB ist, sondern dass durchaus angewandte oder angedrohte Gewalt gegen ein Kind, um es zu vergewaltigen oder sexuell zu nötigen, nach § 177 StGB strafbar sein kann. Ein Blick in die PKS macht allerdings deutlich, dass sich die Gerichte in Deutschland nur in einer sehr niedrigen Zahl von Fällen in der Lage sahen, die angewandte oder angedrohte Gewalt nachzuweisen, so dass Täter*innen, die gegen ein Kind sexuell übergriffig wurden, in aller Regel, wenn es ihnen denn bewiesen werden konnte, lediglich nach § 176 StGB verurteilt wurden. Bei laut PKS insgesamt in 2019 angezeigten 9426 Fällen von Vergewaltigung und sexueller Nötigung waren nur 235 Kinder unter 14 Jahre dabei. Dem gegenüber standen im selben Jahr rund 15.701 angezeigte Fälle von vollendetem sog. sexuellem Missbrauch von Kindern. Durch die Novellierung des Sexualstrafrechts können die PKS-Zahlen mit denen der Vorjahre nur bedingt verglichen werden. Dennoch wird deutlich, dass es entweder deutlich weniger Fälle von Vergewaltigung oder sexueller Nötigung von Kindern unter 14 Jahren zu geben scheint oder aber eben, dass die Ermittlungsbehörden Probleme damit haben, diese gerichtsfest zu beweisen, so dass daraus dann eben sog. sexueller Missbrauch von Kindern wurde, was sicherlich wegen der geringeren Grund-Strafandrohung im Sinne potentieller insbesondere pädokrimineller Täter sein dürfte.Auch hier beginnt das Problem schon wieder mit der gewählten Sprache, die noch aus einer Zeit stammt, in der das Verhältnis von Männern zu Frauen und Eltern zu ihren Kindern ein anderes war als heute. Die Bezeichnung Missbrauch bagatellisiert, dass es hier um sexuelle Gewalt geht, die einem Kind angetan wurde. Laut Duden wird Missbrauch zunächst einmal als übermäßiger Gebrauch (einer Sache) definiert. Immerhin ist auch der Duden schon etwas fortschrittlicher geworden und geht darüber hinaus auch auf den sexuellen Missbrauch ein, passt sich dabei aber bedauerlicherweise inzwischen der aus heutiger Sicht eher „verunglückten“ Definition des StGB an.

Der Begriff Missbrauch lässt – in aller Regel unbewusst – fälschlich assoziieren, dass es stets auch einen Gebrauch gibt, so wie wir Alkohol als Genussmittel gebrauchen oder eben auch missbrauchen können oder Medikamente zur Heilung gebrauchen oder eben auch missbrauchen können. Aus diesem Grund beklage ich auch hier die bagatellisierende Sprache, die unbewusst natürlich auch diejenigen, die über eine Gewalthandlung zu richten haben, bewusst oder unbewusst mit beeinflussen kann. Sexueller Missbrauch gegen Kinder ist sexuelle Gewalt, nicht mehr und nicht weniger, und er sollte auch als solche bezeichnet werden. Trotzdem ist der sog. sexuelle Missbrauch eines Kindes in seinem Grundtatbestand mit einer Mindestfreiheitsstrafe von 6 Monaten bedroht und somit lediglich ein Vergehen.

Mir geht es dabei nicht um 6 Monate mehr oder weniger, mir geht es darum, dass sexuelle Gewalt gegen ein Kind als das bezeichnet und bestraft wird, was es ist, als ein besonders schwerwiegender Rechtsbruch, ein Verbrechen. Über alles andere wie Strafminderungs- oder Strafverschärfungsgründe mögen die Richter im Rahmen des ihnen zur Verfügung gestellten Spielraums entscheiden. Trotz eines hierauf verweisenden Anschreibens an den damaligen Bundesjustizminister Maas blieb alles beim Alten. Herr Maas begründest es damals so, dass es bei der sexuellen Nötigung eines Erwachsenen um das Schutzgut der sexuellen Selbstbestimmung ginge und bei den betroffenen Kindern um Kinderschutz und dass die Strafandrohung in diesen Fällen daher nicht vergleichbar und eine Erhöhung bei sexueller Gewalt gegen Kinder daher nicht geboten sei.

Bis heute kann, will und werde ich diese Hilfskonstruktion für den Erhalt des begünstigenden Status Quo, der Pädosexuellen und anderen Straftätern in die Hände spielt, nicht mittragen Peinlich war danach die von Herrn Maas hierzu abgegebene Erklärung bei der ersten Lesung des Gesetzentwurfes im Deutschen Bundestag zur Erhöhung der Strafandrohung bei Wohnungseinbrüchen (vgl. hierzu: https://sonderthemen.tagesspiegel.de/14365-wohnungseinbruch-als-wahlkampfthema ).

„Es gehe um einen ‚klugen Mix‘ von Maßnahmen, um Menschen vordem ‚Eindringen in ihre absolute Intimsphäre‘ und vor materiellen Schäden zu schützen…“, so Maas damals. Damit wurde von ihm begründet, den Wohnungseinbruch zu einem Verbrechenstatbestand zumachen. An die von sexueller Gewalt betroffenen Kinder, in deren „absolute Intimsphäre eingedrungen wurde“ und wird, hatte er anscheinend nicht mehr gedacht.

Auch der neue § 177 StGB führte auch zu keiner Entspannung oder gar Verbesserung. Hier heißt es in Abs. 2 z.B., dass bei den Handlungen, bei denen der Täter z.B. ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden, mit einer Mindestfreiheitsstrafe von 6 Monaten zu rechnen hat. Ähnliches gilt für die anderen angeführten Nr. 2 bis 5 des § 177 StGB.

Mir erschließt sich nicht, warum gerade die zahlreichen involvierten Verbände engagierter Juristinnen und weitere angehörte Frauen- und Feministinnen-Verbände bei diesem m.E. deutlich gestörtem Verhältnis zu ihrer sexuellen Selbstbestimmung und einer anscheinend eher männlich dominierten Sichtweise nicht aufgeschrien und lautstark protestiert haben, sondern dieses mitgetragen haben.

Der neue § 177 StGB ist bezüglich seiner Ausführungen zur sexuellen Nötigung Erwachsener nach meiner persönlichen Auffassung ein trauriger und überwiegend frauenfeindlicher Fehlgriff, der zu einem Erfolg herbeigeredet wurde. Sexuelle Gewalt, sei es gegen Kinder oder Erwachsene sollte zunächst immer erst einmal ein Verbrechen sein, alleine, um nach außen zu dokumentieren, dass es sich um einen besonders schweren Rechtsbruch handelt. Über eventuelle Schuldminderungsgründe sollte der zuständige Richter in seinem vorgegebenen Rahmen und am Einzelfall orientiert entscheiden können.

An dieser Stelle hebe ich noch einmal hervor, dass die Innenministerkonferenz in Kiel meine Forderung, den sog. sexuellen Missbrauch von Kindern zu einem Verbrechenstatbestand zu machen, uneingeschränkt teilt und das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz gebeten hat, das Strafgesetzbuch entsprechend nachzubessern. Mittlerweile hatten sich am 27. Mai 2020 die Jugendminister von Bund und Ländern einstimmig der Forderung der Innenminister angeschlossen.

 

4 Widersprüchliche Regelungen in § 100g StPO – Erhebung von Verkehrsdaten


Auch in § 100g StPO, der Regelung über die sog. Vorratsdatenspeicherung, sind die „Normalfälle“ sexueller Gewalt gegen Kinder nicht mit aufgenommen worden, da sie ja lediglich einen – wenn auch schweren – Vergehenstatbestand mit einer Strafandrohung von 6 Monaten bis zu 10 Jahren Freiheitsstrafe darstellen. Erst die Verbrechenstatbestände nach § 176a StGB bzw. § 176b StGB zählen zu den Tatbeständen, die als Verbrechen einer Vorratsdatenspeicherung würdig sind. Nur als Einschub sei wiederholt, dass die Innenministerkonferenzen aus Kiel und Lübeck im Jahr 2019 forderten, jede Form von sexueller Gewalt gegen Kinder zum Verbrechenstatbestand zu machen. Derzeit hat das Land Nordrhein-Westfalen eine diesbezügliche Bundesratsinitiative ergriffen.

Entgegen dieser Logik sind die Fälle des gewerbs- oder bandenmäßigen Verbreitens von sog. kinderpornografischem Material gemäß § 184b StGB – ebenfalls nur mit einer Strafandrohung von 6 Monaten bis zu 10 Jahren Freiheitsstrafe bedroht – mit in den Katalog der besonders schweren Straftaten aufgenommen worden. Und bei sog. jugendpornografischem Material sogar nur von 6 Monaten bis zu 5 Jahren. Ein logischer Widerspruch der sich mir und vermutlich auch jedem anderen, der ansatzweise logisch zu denken vermag, in keiner Weise erschließt. Wenn denn in § 100g StPO explizit nur besonders schwere Straftaten aufgenommen werden sollen, dann könnten dies allenfalls Verbrechen sein oder ggf. noch Vergehen, mit einer Höchststrafandrohung von bis zu 10 Jahren. Entweder gehört dann der Grundtatbestand von § 176 StGB mit dem unangemessenen Grundtatbestand des sog. sexuellen Missbrauchs von Kindern dazu oder § 184b Abs. 2 StGB mit der gleichen Strafandrohung bzw. § 184c Abs. 2 StGB mit einer noch geringeren Höchststrafandrohung haben nichts darin zu suchen. Ein bloßer handwerkliche Fehler oder möglicherweise politische Absicht, damit dem EuGH dieser schwerwiegende logische Bruch auffällt und § 100g StPO in seiner heutigen Fassung zurück an die Bundesregierung verweist und das übliche Prozedere und die damit verbundenen Verzögerungen weiter gehen und die Vorratsdatenspeicherung weiter „ausgesessen“ werden kann?

Deutlich wird darüber hinaus, dass unsere Justiz, vielleicht auch aus ganz praktischen Gründen erhebliche Probleme damit zu haben scheint, sich festzulegen, was unter dem Begriff Gewalt zu verstehen ist, dies gilt insbesondere für Formen von psychischer Gewalt. Ist es schon Gewalt oder die Drohung mit einem empfindlichen Übel, einem Kind das Töten seines Lieblingstieres oder das Wegwerfen eines „Kuscheltieres“ anzudrohen, um es zu sexuellen Handlungen zu nötigen? Insofern scheint es dann einfacher zu sein, kompliziertere Formen insbesondere psychischer Gewalt und damit schwerer beweisbarer Art auszuklammern oder zumindest zu relativieren und sich vermehrt der eindeutigen beweisbaren körperlichen Gewalt zu widmen. Dass dies eine rechtspolitische Fehleinschätzung war, macht der derzeitige politische Aktionismus deutlich, wenn es um heute so massenhaft verbreitete und endlich intensiv wahrgenommene Hass- und Droh-EMails an Politiker und andere im öffentlichen Leben stehende Personen geht.

 

5 Was sagt die EU dazu?


Der Verfasser stellt sich die Frage, ob unsere Bundesjustizministerin bei ihren in keiner Weise ausreichenden und die Innenministerkonferenz missachtenden Nicht-Aktivitäten an die Forderungen der EU-Kommission gedacht hat? Am 25. Juli 2019 hieß es, dass die Kommission in 17 Fällen rechtliche Schritte gegen Deutschland einleitet (https://ec.europa.eu/germany/news/20190725-vertragsverletzungsverfahren_de, kopiert am 26.3.2020). Hält ein Mitgliedstaat das EU-Recht nicht ein, kann die Kommission beschließen, den betreffenden Mitgliedstaat vor dem Gerichtshof der Europäischen Union zu verklagen. Stellt der Gerichtshof in seinem Urteil fest, dass ein Mitgliedstaat gegen seine Verpflichtungen verstoßen hat, so muss dieser Staat die erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um dem Urteil nachzukommen. Hat ein Mitgliedstaat die Maßnahmen zur Umsetzung von Richtlinien nicht innerhalb der vom EU-Ministerrat und vom Europäischen Parlament gesetzten Frist getroffen, kann die Kommission den Gerichtshof ersuchen, bereits mit seinem ersten Urteil in dieser Rechtssache eine Geldstrafe gegen den betreffenden Staat zu verhängen.

Mir stellt sich die Frage, ob und vor allen Dingen warum es unsere Bundesjustizministerin hierauf ankommen lassen will? Oder glaubt sie etwa, dass ihre Aktivitäten bezüglich des sog. Up-Skirting oder das Zulassen computergenerierter Bilder für verdeckte Ermittler auch nur ansatzweise die EU-Kommission zufriedenstellen könnten? Was will sie ihren zukünftigen Wählerinnen und Wählern hiermit (noch) beweisen? Entweder hat sie die Zusammenhänge noch immer nicht erkannt oder sie will sie – warum auch immer – bewusst ignorieren.

Es bedarf erheblich mehr und spezialisierter Ermittlungsbeamter, aber auch Staatsanwälte und Richter, um auf Bild- und Tonträger aufgezeichnete sexuelle Gewalt gegen Kinder auszuwerten und zu verfolgen. Hierfür sind sowohl die Länder als auch der Bund zuständig. Diese müssen hierfür technisch erheblich besser ausgestattet werden. Dies könnte und kann zwar auf Länderebene erfolgten, was teilweise schon der Fall ist, wäre aber auf Bundesebene sinnvoller, weil es kostengünstiger wäre und weniger Kommunikation erfordern würde. Und es bedarf eines Netzwerkdurchsetzungsgesetzes, das Provider verpflichtet, sog. kinderpornografisches Material an das Bundeskriminalamt zu melden.Dies soll ja nun endlich kommen – mit zu meldender auf Bild- und Tonträger aufgezeichneter sexueller Gewalt von Kindern quasi als „Abfallprodukt“, denn dafür war es ja gar nicht vorgesehen. Dies nützt jedoch wieder nichts oder fast nichts ohne eine Erhebung von Verkehrsdaten gemäß den § 96 Abs. 1 TKG und 113 TKG in Verbindung mit § 100g StPO, die die sog. Vorratsdatenspeicherung in Deutschland regeln, die zurzeit vor dem EuGH geprüft wird. Hier ist festzustellen, dass § 100g StPO schwere handwerkliche Fehler enthält und so auf keinen Fall akzeptiert werden wird. Nur ein Fehler eines Juristen aus dem Bundesjustizministerium oder eines ganzen Teams oder vielleicht auch politisch angewiesenen, warum auch immer?

Die verstärkte Bekämpfung von auf Bild- und Tonträger aufgezeichnete sexueller Gewalt gegen Kinder lässt sich nicht sofort lösen und darüber hinaus nur als Gesamtpaket. Alles, was bisher erfolgt ist, ist ein Hin- und Herschieben von Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten und etwas salopp formuliert „Gestoppel“. Ich wünsche mir, dass unser Ministerium für Justiz und Verbraucherschutz endlich mit dem „Gestoppel“ aufhört und anfängt, seine Arbeit zu machen, so schnell und „handwerklich genau“ wie es schon in anderen Fällen wie dem sog. Up-Skirting- oder dem „Gaffer-Gesetz“ unter Beweis gestellt hat und dies ebenso effizient. Es geht doch. Warum nur nicht beim Kinderschutz?

Und mir stellt sich die Frage, ob die am Ende zu zahlende Geldstrafe dann aus dem Haushalt des hierfür verantwortlichen Ministeriums zu zahlen ist oder etwa „nur“ aus dem Bundeshaushalt. Angemessen wäre eine Kürzung des Haushaltes für das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz, um die von der EU-Kommission verhängte Geldstrafe, denn warum sollten die Steuerzahler für die sich niemandem erschließende Verweigerungshaltung einer einzelnen Ministerin aufkommen?

Zur Verdeutlichung an dieser Stelle Auszüge aus der Ziffer 6 des Schreibens der EU-Kommission: „Kinderschutz: Kommission fordert Deutschland … zur Durchsetzung der EU-Vorschriften zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern auf …Die EU hat strenge Vorschriften erlassen, die gewährleisten, dass diese Formen des Missbrauchs in ganz Europa unter Strafe stehen, Täter hart bestraft werden und Opfer im Kindesalter geschützt werden, und die zur Verhütung dieser Straftaten beitragen. Die Richtlinie umfasst auch besondere Maßnahmen zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern im Internet. In fast allen Mitgliedstaaten ist es zu Verzögerungen bei der Umsetzung der neuen Maßnahmen gekommen…Die Kommission hat daher beschlossen, Vertragsverletzungsverfahren… wegen der nicht ordnungsgemäßen Überführung der Richtlinie in nationales Recht einzuleiten. Die betroffenen Mitgliedstaaten haben jetzt zwei Monate Zeit, um gegenüber der Kommission Stellung zu nehmen. Andernfalls kann die Kommission beschließen, eine mit Gründen versehene Stellungnahme zu übermitteln.“

Die Forderungen der Kommission sind dem Grunde nach eine Ohrfeige für unser zivilisiertes Land, in dem sexuelle Gewalt in welcher Form auch allmählich immer zu einem Massendelikt zu werden scheint, und im politischen Jargon muss hier offen die Frage gestellt werden, ob jemand, der zum Minister ernannt wurde und für die Einhaltung der Rechtsordnung unseres Landes zuständig sein soll, unter derartigen Umständen überhaupt (noch) ministrabel ist.

 

6 Unser schwer gestörtes Verhältnis zu Gewalt


Bereits bei körperlicher Gewalt gegen Kinder wird unser oftmals gestörtes Verhältnis zur Gewalt und insbesondere zu Kindern noch ein weiteres Mal deutlich. So wird die sog. Kindesmisshandlung gemäß § 225 StGB nicht einmal als Körperverletzung oder gar als Gewalt bezeichnet, sondern lediglich als eine Misshandlung. Darum werden so oft auch fälschlich einfache Körperverletzungen gegen ein Kind mit hierunter subsumiert und darum scheinen die Zahlen bezüglich Gewalt gegen Kinder mit rund 4000 Betroffenen jährlich auch durchgängig relativ niedrig zu sein. Dabei geht es bei der sog. Kindesmisshandlung gemäß § 225 StGB um schwere und schwerste Gewalt, die einem Kind mehrfach und über einen längeren Zeitraum und besonders quälend angetan wird. Es werden Knochen gebrochen, Zähne herausgeschlagen, es wird verbrüht, verbrannt, verätzt und weitere kaum beschreibbare Grausamkeiten begangen und das alles ist nicht einmal die korrekte Bezeichnung „Schwere Gewalt gegen ein Kind“ wert – warum? Und die derzeitige Mindeststrafandrohung wird allmählich nicht mehr verwundern, sie beträgt auch hier wieder nur 6 Monate Freiheitsstrafe und ist somit wieder nur ein Vergehen und damit kein besonders schwerer Rechtsbruch, aber es scheint ja nur um Kinder zu gehen.

Dabei beinhaltet Gewalt darüber hinaus sowohl gegen Kinder oder Erwachsene gerichtet aber weit mehr als so schwerwiegende Fälle rein körperlicher Gewalt wie die beschriebenen, und es gibt auch Fälle extremer psychischer Gewalt und gleichzeitig so mittelbare und subtile Drohungen, dass niemand deswegen rechtkräftig verurteilt werden könnte. Dies alles wurde und wird m.E. in unserem Land viel zu lange verdrängt und beginnt, uns heute „auf die Füße zu fallen“, denn nachdem am Anfang das Wort war, folgte dem dann bereits die eine oder andere Tat bis hin zum Mord oder Mordversuchen an Politikern selbst auf der kommunalen Ebene.

Es ist ohne Frage ein schwer lösbares juristisches Problem, sich mit den verschiedenen Formen von Gewalt und insbesondere psychischer Gewalt auseinanderzusetzen, aber wann, wenn nicht jetzt, sollten wir damit beginnen, mehr und offensiver dagegen zu halten als bisher. Schlechter als bisher kann es auf keinen Fall werden, und die Lösungsansätze sollten und müssen präventiv bei den jüngsten Betroffenen, unseren Kindern, beginnen, denn sie sollen einmal zu den „rechtstreuen“ Erwachsenen von morgen heranwachsen und uns selber einmal achtsam und liebevoll pflegen – so wie wir mit ihnen umgegangen sind. Und diese ersten Schritte hierzu sollten in unserem Strafgesetzbuch beginnen.

7 Die Arbeit mit den Betroffenen


Es ist gut, dass man jetzt – endlich – versucht, etwas mehr gegen Gewalt und Unterformen von Gewalt zu unternehmen, aber so lange wir an ganz vielen Stellen und ganz besonders auch in unserem Strafgesetzbuch bereits Gewalt gegen Kinder sowohl sprachlich als auch von den Mindest- und Höchststrafandrohungen bagatellisieren, können und dürfen wir uns nicht wundern, dass die Betroffenen und andere, die dies bewusst oder unbewusst erkennen und erleben, dies dann weiter leben und unser Rechtssystem nicht oder nicht mehr ernst nehmen. All das, was wir als Erwachsene unseren Kindern antun oder an Hilfe und Unterstützung unterlassen, bekommen wir irgendwann einmal zurück, spätestens wenn sie irgendwann einmal unsere Pflegekräfte sind. Und jemand, der glaubte, seinem Kind mit Schlägen vermitteln zu müssen, dass man mit Essen nicht spielt, der soll sich dann nicht wundern, wenn er im Alter einmal an einen Altenpfleger kommt, der dies in seiner eigenen Kindheit genauso gelernt und verinnerlicht hat und dem dementen Alten, der mit seinem Essen spielt, mit Ohrfeigen zeigt, dass er dies nicht tun soll.

Und diese scheinbar neue Neigung zu Hass- und Droh-EMails mit übelsten Verunglimpfungen gegen die Betroffenen kommt doch nicht aus dem Nichts. Wo und von wem haben die Schreiber derartiger Texte diesen Hass und diesen Verlust der Impulskontrolle gelernt? Und woher kommt dieser offensichtlich so ausgeprägte Hass gegen alles und jeden? Mir macht diese Vorstellung gelegentlich Angst.

Und das alles beginnt damit, dass wir physische und psychische Gewalt und sexuelle Gewalt gegen unsere Kinder ausüben. Oder wir lassen dies zu oder wir sind nicht bereit oder in der Lage, sie zu schützen – bereits bei unseren Kleinsten. Und sogar unser Strafrechtssystem ist anscheinend nicht bereit oder nicht in der Lage, sie zu schützen. Ja, manchmal scheint es sogar die Täter von sexueller Gewalt mehr zu schützen als die davon Betroffenen. Was soll aus solchen Betroffenen werden? Und wie gehen wir mit ihnen um?

Betroffene sind oft traumatisiert und versuchen oft, ihr Trauma zu verdrängen oder es „wegzureden“, nicht selten zu oft, zu lange und zu anstrengend, denn wir, die Nicht-Betroffenen sind keine ausgebildeten Therapeuten. Und wir wollen dem Grunde nach auch möglichst wenig mit ihrem Trauma zu tun haben, weil es uns unser meistens zugleich auch unser eigenes und sei es mittelbares Versagen vorhält und weil es uns deutlich macht, dass auch wir genauso verletzbar wie die Betroffenen sind und nur das Glück hatten, nicht oder nur anders betroffen zu sein. Wer schaut schon gerne in den Spiegel und gesteht sich dies ein, und mit guten Gefühlen sind derartige Einsichten auf keinen Fall verbunden. Wir nennen es dann „professionelle Distanz“, die wir einhalten müssen, wir erklären, dass die Arbeit mit Betroffenen schwerfällt, dass sie kein Maß finden, dass sie Grenzen überschreiten, zu emotional reagieren und wir möchten uns möglichst nicht mit ihnen auseinandersetzen.

Noch schlimmer – und ich unterstelle unabsichtlich nahezu verletzend – sind dann manchmal ministerielle Antwortschreiben, wenn sie denn einmal versucht haben, sich ihre Betroffenheit von der Seele zu schreiben. Selbst Kenner der ministeriellen oder anderer Behörden-Korrespondenz schütteln manchmal nur den Kopf über die subtil herauszulesende Verärgerung über die Störung der täglichen Abläufe und nicht selten eine provozierende Missachtung und Desinteresse – oder manchmal vielleicht auch nur keine Ahnung vom richtigen Leben außerhalb der Ministerien oder der Behörden darunter. Aber vielleicht ist es einfach auch nur Hilflosigkeit, weil sie selber auch keine Lösung wissen. Doch warum schreiben sie das dann nicht auch so in ihren oft wütend machenden Antwortbriefen?

Verletzende Antwortschreiben macht Betroffene von (sexueller) Gewalt nicht selten ein zweites oder weitere Male zu Betroffenen, nur auf eine andere Art und Weise, nur dieses Mal von Amts wegen. Aber ist das uns gelegentlich verstörende Verhalten der Betroffenen auf Grund dessen, was ihnen angetan wurde, nicht einfach nur normal? Würden wir uns denn anders fühlen und verhalten, wenn wir selber oder unsere Kinder von (sexueller) Gewalt betroffen wären? Und wenn wir dann mitbekämen, dass man uns am liebsten „ausstoßen“ würde aus der Gemeinschaft, die sich in ihrer heilen Schein-Welt und in all ihrer Alltagshektik bei immer mehr Arbeit in immer kürzerer Zeit mit immer weniger Personal nicht durch unser Trauma und unseren Schmerz von uns Betroffenen stören lassen will, wie würden wir uns da fühlen? Nein, Betroffene kann man nicht immer und vor allen Dingen nicht leicht ertragen und wir können uns auch nicht all das Elend der anderen aufladen, wenn wir selber geistig gesund bleiben wollen.

Und wir haben auch das Recht, dies den Betroffenen, wenn wir denn nicht mehr können, ehrlich und in einem angemessenen Ton zu sagen und sie, ohne sie zu verletzen, auf andere professionellere Hilfemöglichkeiten hinzuweisen – von denen es leider viel zu wenige gibt. Aber wir haben kein Recht, Betroffene zu ignorieren. Denn diese ignorante gesellschaftliche Haltung kann unter weiteren ungünstigen Umständen dazu führen, dass Betroffene, für die es keine Möglichkeit zum Austausch gibt, keinen Ausweg mehr sehen, als sich im weiteren Verlauf ihres zerstörten Lebens sogar zu suizidieren. Nachdem sie schon Betroffene geworden sind und wir alle versagt haben, sind wir diesen Menschen zumindest eines schuldig: Respekt. Für unsere politisch Verantwortlichen heißt dies, dass sie mit Betroffenen zu reden, sie an sie betreffenden Diskussionen zu beteiligen und ihnen vor allen Dingen zuzuhören haben. Und dass sie sie bei den Dingen, die sie betreffen, zumindest zu beteiligen haben und nicht nur wie aus einem Elfenbeinturm heraus über sie zu entscheiden. Jeder von uns will erst genommen werden. Er hat ein Recht darauf. Dies sollte erst recht für diejenigen gelten, die wir schon nicht schützen konnten. Alles andere wäre schamlos. Ich erwarte, dass das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz die Innenminister von Bund und Ländern und ihren Beschluss aus dem Juni 2019 nicht länger ignoriert und sich endlich dazu bereit erklärt, einen offenen und ideologiefreien Dialog mit ihnen zu führen. Demokratie ist Streit. Streit mit geistigen Mitteln. Nur erfordert ein Streit mit geistigen Mitteln Kommunikation. Und ausgerechnet unser Ministerium für Justiz und Verbraucherschutz scheint da etwas falsch verstanden zu haben, was die Bereitschaft zur Kommunikation angeht.

Ich wünsche mir, dass der eine oder andere Ministerpräsident dies erkennt und über eine Bundesratsinitiative, den IMK-Beschluss aus Kiel, das StGB nachzubessern und die beschriebenen Ungleichgewichte zu heilen, übernimmt, oder dass sich unsere Bundeskanzlerin an ihren nun schon einige Jahre zurückliegenden und anscheinend schon vergessenen „Kindergipfel“ erinnert, und das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz auffordert, endlich seine Arbeit zu machen.

 

8 Schluss

 

Ich habe eingangs darauf hingewiesen, dass dies kein Fachartikel im eigentlichen Sinne ist. Darum passt hier auch kein „versöhnlicher“ Schluss. Es ist noch lange nicht Schluss. Und die Tatsache, dass dilettantisch dreist und sogar offen vorgehende Täter auch einmal ohne Vorratsdatenspeicherung ermittelt werden konnten, darf nicht zur Ausrede für ein weiteres Aussitzen eines endlich zu lösenden Problems missbraucht werden. Deutschland hat seine Möglichkeiten zum strafrechtlichen Schutz unserer Kinder vor sexueller Gewalt verschlafen, und es wird Zeit, dass es endlich aufwacht. Lassen Sie uns alle endlich anfangen, und zwar nicht nur jetzt und nicht nur im Lesen dieses Artikels, sondern dem Grunde nach schon gestern, denn gefühlt ist es, was unser Verhältnis zu Gewalt in unserer Gesellschaft angeht, bereits 5 Minuten nach 12. Machen wir es besser – wenigstens an unseren Kindern, solange es noch welche gibt. Zumindest die EU-Kommission hat dies endlich begriffen. Und vor allen Dingen: Lassen Sie uns endlich anfangen, ehrlicher miteinander umzugehen.


Anmerkung

Der Autor ist Vorstandsvorsitzender Deutsche Kinderhilfe – Die ständige Kindervertretung e.V. und Polizeidirektor a.D.