Herausforderungen in der Fallbearbeitung

Von KOK Jan Schmidt, Kiel


 

Durch die GdP Schleswig-Holstein und deren Landesfachausschuss Kriminalpolizei wurde im Mai diesen Jahres in Kooperation mit dem Fachbereich Polizei der Fachhochschule für Verwaltung und Dienstleistung (FHVD) eine Veranstaltung unter dem Titel „Missbrauch von Kindern – Belastungen und Herausforderungen in der Fallbearbeitung“ durchgeführt. Hintergrund der Veranstaltung war die konstant steigende Arbeitsbelastung in einem Deliktsfeld, mit besonders schutzbedürftigen Opfern. Teilnehmer der Veranstaltung waren neben Ermittlerinnen und Ermittlern auch Staatsanwälte und Richter, die der Einladung gefolgt waren. Die Belastungen im Bereich Kinderpornografie sollten herausgearbeitet werden, um eine fundierte Gesprächsgrundlage im Austausch mit den verantwortlichen Stellen so themenorientiert und praxisnah wie möglich zu gestalten. Eines wurde trotz der hohen Belastung an diesem Tage deutlich: Die Motivation der Kolleginnen und Kollegen in diesem Deliktsfeld ist extrem hoch.

 

1 Perspektive einer Ermittlungsbeamtin


Den Einstieg in das Thema machte die Ermittlerin einer Bezirkskriminalinspektion Schleswig-Holsteins, die bereits seit mehreren Jahren in diesem Deliktsfeld tätig ist. Sie zeichnete ein schonungsloses Bild der täglichen Arbeit in der Ermittlungsgruppe Kinderpornografie. Hierbei wurde deutlich, dass im Laufe der letzten Jahre die Komplexität der Arbeit stark zugenommen habe und die heutigen sächlichen und personellen Ressourcen bei Weitem nicht mehr ausreichend seien. Neben Zunahme der Anzahl an Vorgängen und Durchsuchungsbeschlüssen hätten auch die technischen Möglichkeiten der Täter eine enorme Veränderung vollzogen, die eine Anpassung der polizeilichen Arbeit nötig machten. Das geforderte technische Verständnis sei wesentlich größer geworden: Massenspeicher, feste und mobile Endgeräte sowie Cloud-Dienste seien hierbei nur beispielhaft genannt. Eine Auswertung aller Dateien lohne dennoch, um weiter Beschuldigte zu ermitteln oder aber ggf. Hinweise auf anhaltende Missbrauchsfälle zu erhalten. Insgesamt sei festzustellen, dass es neben dem normalen Arbeitsdruck auch eine große deliktsimmanente Belastung gebe, ohne jegliche Wertschätzung seitens politisch Verantwortlicher.

 

2 IT-Beweissicherung


Daran schloss ein Beamter der regionalen IT-Beweissicherung an, zuständig für die fachliche Leitung des Projektes „Eagle Eye“, einer Künstlichen Intelligenz (KI), die die Ermittler im Rahmen ihrer Auswertearbeit unterstützen soll. Der Kollege zeigte den erheblichen Anstieg der Belastungszahlen auf, seit 2012 eine Fallsteigerung um 400%. Hinzu kämen die hohen Anforderungen in dem Bereich, fehlende Soft- und Hardware sowie bürokratische Probleme bzw. Hürden, die sich auf die Ermittler auswirken würden.

 

3 Ermittlungsgruppe „Berg“


Weitere Einblicke in die Ermittlungsarbeit gaben Kolleginnen und Kollegen aus Nordrhein-Westfalen, die extra für die Veranstaltung angereist waren. Neben KD Michael Esser als Leiter der EG waren ein weiterer Ermittler und eine Ermittlerin, mit denen er den bundesweit größten Missbrauchskomplex im Bereich der organisierten sexuellen Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen bearbeitet hatte, vor Ort. Es handelte sich hierbei um die aus den Medien bekannte Ermittlungsgruppe „Berg“, bei der die Ermittler über einen ersten Beschuldigten auf ein großes organisiertes Netzwerk stießen. Die oberste Priorität galt durchgehend der Beendigung der Missbrauchshandlungen. Neben der beweissicheren Strafverfolgung wurde in dieser BAO ein eigener Einsatzabschnitt für die psychosoziale Nachbetreuung eingerichtet, die eigens für Einsatzkräfte und Angehörige vorhanden war. Diese Betreuung war ein Angebot zur freiwilligen Wahrnehmung, um bei diesem die Psyche sehr belastenden Deliktsfeld der Gesundheitsfürsorge Rechnung zu tragen. Sie erstreckte sich von kleineren Angeboten wie gemeinsamen Mittagspausen oder Aktivitäten bis hin zu Supervisionen und psychosozialer Betreuung. Trotz intensiver Betreuung sind bis heute noch nicht wieder alle eingesetzten Beamtinnen und Beamten dienstfähig.


Zu den Ermittlungen schilderte das Trio zusätzlich, dass die Täter erschreckenderweise häufig aus dem sozialen Nahbereich der Opfer kämen. Beziehungen wie Vater, Stiefvater oder auch Onkel und Großvater wurden hier benannt, ebenso wie Nachbarn. Bei den einzelnen Personen sei eine sofortige Datensicherung und dann die Aufbereitung mit vorhandener Software, teilweise die händische Sicherung durch Screenshots und die vollumfängliche Datenauswertung erforderlich gewesen, um andauernde Missbrauchsfälle zu identifizieren und unverzüglich zu beenden. Observationen mit der Zielrichtung „offenes Handy“ zwecks einfacherer Auswertung, weitere verdeckte Maßnahmen, mehrtägige Durchsuchungen, Tatortaufnahmen und Vernehmungen hätten die Arbeit der EG „Berg“ ebenso gekennzeichnet wie auch die Erfassung in Datenbanken im Zentrum der Ermittlungen. So seien insgesamt alle rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft worden, im gesamten Verfahren 439 Tatverdächtigte identifiziert und 27 Personen festgenommen worden. Die Ermittlungen führten ebenfalls dazu, dass 65 Kinder befreit werden konnten, was allein schon Lohn genug gewesen sei. Das jüngste Opfer sei gerade 3 Monate alt gewesen.

 

4 Konsequenzen aus der Änderung des § 184b StGB


Nach dem Vortrag über die Ermittlungsgruppe „Berg“ schilderte KOR Lars Oeffner (Dezernatsleiter des LKA SH für Cybercrime und digitale Spuren) Änderungen, die sich durch die Strafverschärfung des §184b StGB (Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Inhalte) im Jahr 2021 ergeben hätten. Weiterhin stellte er dar, dass die Bearbeitung der Verfahren allein durch Personaleinsatz aufgrund steigender Fallzahlen als auch gestiegenen Auswertemengen nicht mehr zu bewältigen sei. In den Jahren 2016 bis 2021 seien die Fälle um 384% auf 1.151 in Schleswig-Holstein gestiegen. Für das Jahr 2022 rechne das LKA Schleswig-Holstein mit einer nochmaligen Zunahme um bis zu 94%. Für die Vorgangsbearbeitung ergäben sich hieraus ernsthafte Probleme, da die Ermittler derzeit etwa 70% ihrer Arbeitszeit mit dem Sichten von Dateien zur Strafverfolgung und Gefahrenabwehr, 5% mit Durchsuchungen, Asservatenpflege und lediglich 25% mit der eigentlichen Vorgangsbearbeitung wie dem Fertigen von Berichten und Vernehmungen verbringen würden. Ziel sei es, durch den Einsatz von KI die Zeit für die Sichtung zu reduzieren und damit die Zeit für die Vorgangsbearbeitung zu erhöhen.

 



Hintergrund für die steigenden Deliktszahlen und schwierigeren Verfahren seien unter anderem sog. NCMEC-Fälle (National Center For Missing & Exploited Children). Es handelt sich bei NCMEC um eine amerikanische private gemeinnütze Organisation, welche Verdachtsfälle von Kinderpornographie an das BKA melde und zudem Fälle von vermissten oder ausgebeuteten Kindern bearbeite. Die Zahlen der Meldungen hätten sich auch hier von 6.000 im Jahr 2014 auf 79.000 im Jahr 2021 gesteigert. Die Zuweisung der NCMEC-Fälle an die LKÄ erfolge dann durch das BKA. Zusätzlich seien die Speichermengen um ein Vielfaches größer geworden, was die Zeit erkläre, die für die Auswertung benötigt werde. Fraglich sei auch noch, wie sich die Gesetzgebung auswirke, die Telemediendienstanbieter dazu verpflichten werde, strafrechtlich möglicherweise relevante Hinweise an das BKA zu melden. Derzeit sei die Meldepflicht nach NetzDG jedoch aufgrund von Konflikten mit dem EU-Recht noch nicht anwendbar.


Ähnlich wie KD Esser zeigte auch KOR Oeffner das Problem des Gefahrenüberhanges auf. Hinter jedem Bild oder Video könne sich ein anhaltender Kindesmissbrauch verbergen, weshalb die Auswertung eben auch so wichtig sei. Daneben sei die eigentliche Arbeit kaum noch zu schaffen. Es würden dringend weitere Stellen für Ermittler und digitale Forensiker im Bereich Kinderpornographie benötigt werden, um der Auswertung Herr zu werden. Die in Schleswig-Holstein eingeführte KI „GriffEye Brain“ filtere aus Speichermedien die kinderpornographischen Inhalte zwar heraus, jedoch sei die erhoffte Arbeitserleichterung noch nicht eingetreten. Einen Menschen werde die KI allerdings nie ersetzen können, dennoch sei sie der beste Ansatz für steigende Fallzahlen. Ohne diese KI zur Bearbeitung sei die Bearbeitung der Verfahren nicht mehr leistbar. Die KI „GriffEye Brain“ des schwedischen Herstellers Griffeye Technologies sei mittlerweile in Schleswig-Holstein flächendeckend im Einsatz. Ein bundeseinheitliches Vorgehen bzgl. Des Einsatzes von KI gebe es dabei noch nicht.

 

5 Workshops und Podiumsdiskussion


Im Anschluss an die Vorträge erfolgte in mehreren Workshops der Austausch der Tagungsteilnehmer untereinander, um den Ist-Zustand herauszustellen und Vorschläge zur Beseitigung von Missständen sowie eine Steigerung der Arbeitsplatzqualität zu benennen.


Am Nachmittag erfolgte dann eine Podiumsdiskussion unter Beteiligung politischer Parteien (CDU, SPD, Grüne und SSW) sowie der GdP Schleswig-Holstein. Seitens der Politiker wurde die Wichtigkeit der Arbeit herausgestellt und die Absicht erklärt, sich in der nun folgenden Legislaturperiode (die Veranstaltung fand kurz nach der Landtagswahl statt) der Problematiken annehmen zu wollen. Auch die Frage, ob die Auswertung immer durch die Polizei erfolgen müsse, wurde seitens eines Politikers aufgeworfen. Die GdP hob die Wichtigkeit der Wertschätzung für die Ermittler hervor und forderte ein, die Bekämpfung der Kinderpornographie zu einem Schwerpunktthema innenpolitischen Handelns zu machen.

 

6 Entwicklung eines Positionspapiers


Im Anschluss an die Veranstaltung resümierte der Landesfachausschuss Kriminalpolizei Schleswig-Holstein gemeinsam mit dem Geschäftsführenden Landesvorstand der GdP und entwickelte das Positionspapier „Kindesmissbrauch“. In diesem werden vier Bereiche skizziert, welche nach Ansicht der Gewerkschaft der Bearbeitung bedürfen:

  • Ausreichende personelle Ausstattung im Bereich der Bekämpfung von Kinder- und Jugendpornographie sowohl bei der Polizei als auch in der Justiz
  • Sächliche Ausstattung auf einem stets aktuell gehaltenen Technikstand sowie die zugehörige Aus- und Fortbildung
  • Individuelles Gesundheitsfür- und –nachsorgeangebot entsprechend des Bedarfes für die Sachbearbeiter und Führungskräfte
  • Echte Wertschätzung der Arbeit der Ermittler und öffentliches Bekennen des Themas „Kinderpornographie“ als Schwerpunktthema polizeilicher Arbeit
  • Das Positionspapier kann auf der Internetseite der GdP Schleswig-Holstein (https://t1p.de/3xpnb) abgerufen werden.

Anmerkungen


Der Autor ist als Kriminaloberkommissar im Kommissariat 16 (Kriminaldauerdienst) der FI I der Bezirkskriminalinspektion Kiel tätig. Er ist stellvertretender Vorsitzender des Landesfachausschusses Kriminalpolizei der GdP Schleswig-Holstein.