„Es muss doch hier irgendwo sein“

Wie lange können strafprozessuale Durchsuchungsmaßnahmen auf Gefahr im Verzug gestützt werden?


Von Oberstaatsanwalt Dr. Sören Pansa, Schleswig1

 

1 Einleitung

 

Polizeibeamte erleben im täglichen Einsatz eine Vielzahl von Situationen, welche schnelle und entschlossene Reaktionen erfordern. Hierzu gehören oftmals strafprozessuale Durchsuchungsmaßnahmen i.S.d. §§ 102ff. StPO. Deren Anordnung steht zwar grundsätzlich gemäß § 105 StPO unter Richtervorbehalt. In Fällen besonderer Eilbedürftigkeit – Gefahr im Verzug genannt – kann diese jedoch auch durch die Staatsanwaltschaft oder ihre Ermittlungspersonen erfolgen. Typischerweise sind aufgrund des kurzfristig und kaum vorhersehbar entstehenden Anfangsverdachts einer Straftat und des drohenden Beweismittelverlustes nicht genügend Polizeibeamte vor Ort, um zeitnah sowohl die Eigensicherung zu garantieren als auch die Beschuldigten von etwaigen Verdunkelungshandlungen abzuhalten und die Durchsuchung durchzuführen sowie diese in angemessenem Maße zu dokumentieren. Insofern ist es meist erforderlich, weitere Kräfte heranzuführen, was erfahrungsgemäß eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt. Hierbei ist fraglich, ob trotz dieser Verzögerung die anschließenden Durchsuchungsmaßnahmen ebenfalls noch auf Gefahr im Verzug gestützt werden können oder hierdurch der Richtervorbehalt wiederauflebt. Diesbezüglich sind zuletzt mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen. Von großer Relevanz ist hierfür auch eine Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahr 2015, deren Maßgaben die Anwendbarkeit von Gefahr im Verzug auch heute noch nachhaltig beeinflussen. In diesem Beitrag sollen daher die wesentlichen Inhalte der bezeichneten Judikate dargestellt und Hinweise zur Vermeidung von Fehlern bei der Durchführung von Durchsuchungsmaßnahmen aufgrund von Gefahr im Verzug gegeben werden.

 

2 Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes vom 16. Juni 20152


In dieser Entscheidung beschäftigten das Bundesverfassungsgericht drei Verfassungsbeschwerden, die sich jeweils auf Durchsuchungsmaßnahmen bezogen, welche gem. § 105 StPO aufgrund von Gefahr im Verzug angeordnet worden waren. Gemeinsam war den Verfahren dabei, dass die Staatsanwaltschaft unmittelbar vor der Anordnung bei den zuständigen Ermittlungsrichtern fernmündlich den Erlass von Durchsuchungsbeschlüssen beantragt hatte. Die Richter gaben jedoch jeweils an, ohne Akten keine Entscheidung treffen zu können. In der Freien und Hansestadt Hamburg, in welcher die Durchsuchungsmaßnahmen durchgeführt worden sind, ist gemäß §§ 21e, 22c GVG ein richterlicher Bereitschaftsdienst zur Nachtzeit eingerichtet worden, also ein Ermittlungsrichter grundsätzlich jederzeit erreichbar. Dies ist gerade in eher ländlichen Regionen tendenziell nicht der Fall.3Dem Bundesverfassungsgericht missfiel die beschriebene Vorgehensweise außerordentlich, weshalb es die Entscheidung über die Verfassungsbeschwerden in einem umfangreichen Beschluss zusammenfasste und in diesem grundlegende Äußerungen bezüglich der Anordnung und Durchführung strafprozessualer Durchsuchungsmaßnahmen tätigte:


Ordnen die Strafverfolgungsbehörden eine Durchsuchung an, entfällt die präventive richterliche Kontrolle. Die nachträgliche Überprüfung kann den erfolgten Grundrechtseingriff nicht mehr rückgängig machen und genügt dem Anspruch präventiven richterlichen Grundrechtsschutzes nicht. Demgemäß ist der Begriff „Gefahr im Verzug“ eng auszulegen. Dieser ist nur anzunehmen, wenn die richterliche Anordnung nicht mehr eingeholt werden kann, ohne dass der Zweck der Maßnahme – grundsätzlich die Sicherstellung von Beweismitteln – gefährdet wird. Kann hingegen der Richter mit dem Durchsuchungsbegehren befasst werden und über dieses entscheiden, ohne dass damit ein Risiko des Verlusts von Beweismitteln verbunden ist, ist für einen Rückgriff auf die Eilkompetenz der Strafverfolgungsbehörden kein Raum. Befasst wird der zuständige Richter, wenn die Staatsanwaltschaft den Antrag tatsächlich unterbreitet hat, wodurch der Richter in eine erste Sachprüfung eintreten kann. Dem Richter ist dabei zumutbar, jedenfalls in einfach gelagerten Fällen, in denen allein aufgrund der mündlichen Darstellung des Sachverhalts eine sachangemessene Entscheidung möglich ist, über die Anordnung der Durchsuchungsmaßnahmen auch ohne Vorlage der Akten zu entscheiden. Ab dem Moment der richterlichen Befassung sind weder die Staatsanwaltschaft noch die ermittelnden Polizeibeamten mehr befugt, die Durchsuchung kraft Gefahr im Verzugs anzuordnen. Jedoch kann die Eilkompetenz der Ermittlungsbehörden neu begründet werden, wenn nach der Befassung des Richters tatsächliche Umstände eintreten oder bekannt werden, die sich nicht aus dem Prozess der Prüfung und Entscheidung über diesen Antrag ergeben, und hierdurch die Gefahr eines Beweismittelverlusts in einer Weise begründet wird, die der Möglichkeit einer rechtzeitigen richterlichen Entscheidung entgegensteht (überholende Kausalität). Falls die Ermittlungsbehörden zu dem Ergebnis gelangen, dass bereits der bloße Versuch der Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung den Erfolg der Durchsuchung gefährden würde, und diese unter Inanspruchnahme ihrer Eilkompetenz selbst anordnen, sind die dieser Entscheidung zugrunde gelegten Umstände des Einzelfalles zu dokumentieren, um der Garantie effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG Rechnung zu tragen.


Diese Grundsatzentscheidung hat die Möglichkeit, mittels Gefahr im Verzug i.S.d. § 105 StPO zu agieren, stark eingeschränkt. Es ist jedoch positiv hervorzuheben, dass das Bundesverfassungsgericht mit seinem deutlichen Hinweis auf die Pflicht der Ermittlungsrichter, Beschlüsse grundsätzlich auch mündlich und ohne Akten zu erlassen, den Bedarf, mittels Gefahr im Verzug vorzugehen, ebenfalls gesenkt haben dürfte. In den folgenden Jahren hat die höchstrichterliche Rechtsprechung die durch das Bundesverfassungsgericht beschriebenen Grundsätze in Ihrer Deutlichkeit teilweise relativiert. So ist ein fehlender Vermerk über die Dringlichkeit der Maßnahme dann irrelevant, wenn bereits allein die Beschreibung der tatsächlichen Umstände in den Einsatzberichten aus den Akten das Vorliegen von Gefahr im Verzug als evident erscheinen lässt.4Ferner ist anzumerken, dass kein Rangverhältnis zwischen der Staatsanwaltschaft und den Ermittlungspersonen bei der Anordnung einer Durchsuchung aufgrund von Gefahr im Verzug besteht. Also die Ermittlungspersonen grundsätzlich keine Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft vor der Anordnung halten müssen. Dies ist auch nur logisch. Wie soll begründet werden, dass ein Ermittlungsrichter aufgrund eines drohenden Beweismittelverlustes nicht fernmündlich informiert werden kann, wenn ein Anruf bei dem zuständigen Staatsanwalt unproblematisch möglich war?5


Den nachfolgend beschriebenen Judikaten ist gemein, dass der Bundesgerichtshof zunächst von der rechtmäßigen Anordnung einer Durchsuchung aufgrund von Gefahr im Verzug ausgeht. Fraglich ist dabei lediglich, wie lange Durchsuchungsmaßnahmen hierauf gestützt werden können.

3 Urteil des 2. Senates des Bundesgerichtshofes vom 15. März 20176


Der 2. Senat vertritt diesbezüglich eine vergleichsweise extensive Auffassung. Der Entscheidung lag ein Sachverhalt aus dem Bereich der organisierten Betäubungsmittelkriminalität zugrunde, bei welchem bereits im Vorfeld umfangreiche Ermittlungs- und Überwachungsmaßnahmen durchgeführt worden waren. Der Angeklagte konnte gegen 6.00 Uhr im Rahmen der Observation in einem bis dahin unbekannten Fahrzeug festgenommen werden. Das Fahrzeug wurde unmittelbar danach in das Polizeipräsidium verbracht. Dort wurde aufgrund von Gefahr im Verzug seitens der Ermittlungspersonen die Durchsuchung angeordnet und zunächst mit negativem Ergebnis durchgeführt. Als ein Rauschgifthund anschlug, wurde eine für das Auffinden von Schmuggelverstecken spezialisierte Tatortgruppe angefordert, die gegen 10.50 Uhr in dem Fahrzeug ca. 11 Kilogramm Heroinzubereitung entdeckte. Bereits um 10.20 Uhr telefonierte der die Ermittlungen leitende Polizeibeamte mit dem zuständigen Staatsanwalt und besprach die bisherigen Ermittlungsergebnisse sowie das weitere Vorgehen. Die Sicherstellung und Durchsuchung des Fahrzeugs ist dem Staatsanwalt dabei nicht mitgeteilt worden.


Der 2. Senat stellt prägnant die die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen fest: „Die Durchsuchung des ins Polizeipräsidium verbrachten Fahrzeugs nach der Festnahme des Angeklagten war, nachdem die Ermittlungsbeamten erfolglos versucht hatten, einen Staatsanwalt zur Herbeiführung einer richterlichen Genehmigung zu erreichen, trotz mangelhafter Dokumentation durch die Annahme von Gefahr in Verzug gedeckt. Diese Durchsuchung dauerte noch an, als einige Zeit später um 10.50 Uhr eine spezialisierte Tatortgruppe die Rauschgiftverstecke ausfindig machte. Eine relevante Zäsur ist nicht dadurch eingetreten, dass die erste Nachschau erfolglos geblieben war. Denn nachdem ein Rauschgifthund angeschlagen hatte, war es nunmehr nicht vor Ort befindlichen Spezialisten überlassen, nach dem Rauschgiftversteck zu suchen. Ohne Bedeutung ist es insoweit im Übrigen, dass der die Ermittlungen leitende Polizeibeamte zwischenzeitlich den ermittelnden Staatsanwalt erreicht hatte, ohne mit ihm über die Durchsuchung des Kraftfahrzeugs zu sprechen. Eine Pflicht, hinsichtlich einer rechtmäßig auf Gefahr in Verzug gestützten und noch laufenden Durchsuchung eine richterliche Genehmigung zu erwirken, bestand für die Ermittler nicht“.


Diese Linie setzt der 2. Senat auch mit einem Urteil vom 31. März 2021 fort.7 Der Sachverhalt bezüglich der durchgeführten Durchsuchung wird dabei leider nur teilweise mitgeteilt. Der Senat führt aus, „in dem angefochtenen Urteil hat das Landgericht darauf abgestellt, dass die Durchsuchungsanordnung des Staatsanwalts wegen Gefahr im Verzug fehlerhaft gewesen sei. Es hat aber nicht geprüft, ob bereits zuvor eine wirksame Anordnung der Durchsuchung durch die Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft vorgelegen hatte. Die Durchsuchung begann mit dem Eingriff in den Schutzbereich gemäß Art 13. Abs. 1 GG; dieser lag jedenfalls mit dem Betreten der Räume der Wohngemeinschaft vor, nicht erst mit Betreten des Zimmers der Angeklagten. Insoweit konnte die Durchsuchungsanordnung des Staatsanwalts prozessual überholt gewesen sein; denn eine zurecht wegen Gefahr im Verzug begonnene Durchsuchung kann gegebenenfalls in zulässiger Weise fortgesetzt werden, wenn in deren Verlauf die ursprünglich zutreffend angenommene Gefahr eines Beweismittelverlustes entfällt“. Vorstellbar wäre als Sachverhalt etwa, dass die Ermittlungspersonen um 11.00 Uhr aufgrund von Gefahr im Verzug begonnen hatten, die Gemeinschaftsräume der Wohngemeinschaft des A und des B zu durchsuchen. Um 12.00 Uhr ordnete der Staatsanwalt fernmündlich die Durchsuchung des Zimmers des A ebenfalls aufgrund von Gefahr im Verzug an. Diese zweite Anordnung war unwirksam, da seit 11.00 Uhr genug Zeit gewesen wäre, bei einem Ermittlungsrichter fernmündlich einen Durchsuchungsbeschluss zu beantragen. Die Ausführungen des Senates sind dahingehend zu verstehen, dass die Wirksamkeit der rechtmäßigen ersten Anordnung der Durchsuchung, hier um 11.00 Uhr, bis zu deren Ende fortwirkt, unabhängig davon, ob in der Zwischenzeit etwaige rechtswidrige Anordnungen aufgrund von Gefahr im Verzug ergangen sind.

 

 

4 Urteil des 5. Senates des Bundesgerichtshofes vom 18. Juli 20188


Auch der 5. Senat ist auf den beschriebenen Kurs des 2. Senates eingeschwenkt. Dieser Entscheidung lag eine Wohnungsdurchsuchung zugrunde: Eingesetzten Polizeibeamten teilte eine Zeugin gegen 20.15 Uhr mit, dass eine Wohnung im Erdgeschoss vermehrt von Personen aufgesucht würde, die sich dort regelmäßig nur wenige Minuten aufhielten und aus der starker Marihuanageruch dringe. Als sich die Polizeibeamten unmittelbar darauf der von der Zeugin bezeichneten Wohnung näherten, nahmen sie ebenfalls starken Marihuanageruch und die Stimmen mehrerer Personen wahr. Sie beschlossen, die Wohnung wegen drohenden Beweismittelverlustes umgehend zu durchsuchen. Auf ihr Klopfen öffnete der Angeklagte die Tür einen Spalt breit und entgegnete in dem Bemühen, die Wohnungstür sofort wieder zu schließen, auf die Frage der Polizeibeamten, ob sie die Wohnung betreten dürften, dass dies „gerade schlecht sei“. Nachdem sich die Polizeibeamten durch einen kräftigen Stoß gegen die Tür und das Einstellen eines Fußes in den Türrahmen Zutritt zur Wohnung verschafft hatten, ergab eine erste Umschau, dass kleine Griptütchen mit Marihuana auf dem Couchtisch, den beiden Sitzgelegenheiten und auf dem Fußboden verstreut lagen. Außerdem befand sich auf dem Tisch und auf dem Fußboden jeweils eine Feinwaage. Neben letzterer waren zwei Plastiktüten mit offensichtlich größeren Mengen Marihuana erkennbar. Daraufhin wurden gegen 20.45 Uhr Beamte des Kriminaldauerdienstes sowie des Rauschgiftdezernats hinzugezogen, die an der weiteren Durchsuchung mitwirkten, wobei unter anderem etwa 350 Gramm Marihuana und Haschisch beschlagnahmt werden konnten.


Der Senat bejaht eine rechtmäßige Anordnung der Durchsuchung kraft Gefahr im Verzugs. Hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der gesamten Dursuchungsmaßnahmen wird ausgeführt, es „liegt auch keine relevante Zäsur darin, dass nach dem Betreten der Wohnung durch Beamte der örtlichen Polizeiinspektion weitere Beamte des Kriminaldauerdienstes und des Rauschgiftdezernats zugezogen wurden, die die Durchsuchungsmaßnahme fortsetzten. Die Beamten waren nicht verpflichtet, hinsichtlich einer rechtmäßig auf Gefahr in Verzug gestützten und noch laufenden Durchsuchung eine richterliche Genehmigung zu erwirken.“

 

5 Beschluss des 4. Senates des Bundesgerichtshofes vom 4. Juni 20209


Der 4. Senat hingegen verfolgt offensichtlich eine restriktivere Linie. Auch in dieser Entscheidung waren Dursuchungsmaßnahmen bezüglich einer Wohnung erfolgt: Gegen 18.10 Uhr suchten mehrere Polizeibeamte den Angeklagten auf, da zwei Haftbefehle gegen ihn vorlagen. Als der Angeklagte seine Wohnungstür öffnete, schlug den Polizeibeamten intensiver Cannabisgeruch entgegen. Sie gaben dem Angeklagten zunächst die gegen ihn vorliegenden Haftbefehle bekannt. Dieser ging daraufhin in seine Wohnung zurück, um noch einige Sachen zu holen. Dabei blieb die Wohnungseingangstür geöffnet. Kurz darauf kamen die Mutter des Angeklagten und dessen Bruder hinzu. Da sich für die Polizeibeamten der Anfangsverdacht für eine Betäubungsmittelstraftat ergeben hatte und nicht bekannt war, ob sich in der Wohnung noch weitere Personen aufhielten, beabsichtigten sie, sogleich in der Wohnung Nachschau zu halten. Als der Angeklagte wieder aus seiner Wohnung kam, wiesen sie ihn auf die Verdachtslage hin und forderten ihn auf, die Wohnungstür offen zu lassen. Entgegen dieser Aufforderung zog der Angeklagte die Wohnungstür ins Schloss und steckte den Schlüssel seiner Mutter zu. Auf ihre Aufforderung, den Schlüssel herauszugeben, stritt die Mutter des Angeklagten dessen Besitz zunächst ab, gab den Schlüssel schließlich aber doch heraus. Die Polizeibeamten betraten daraufhin gegen 18.40 Uhr die Wohnung. Dabei sahen sie mehrere Behältnisse mit Cannabisblüten, trafen aber keine weitere Person an. Sie verließen deshalb die Wohnung wieder und forderten Kräfte der Kriminalpolizei an. Als die Kriminalbeamten gegen 19.10 Uhr eintrafen, nahmen sie nach erfolgter Unterrichtung über die Lage Kontakt mit ihrer Dienststelle auf. Nach mehreren Rücksprachen verständigte schließlich der leitende Polizeibeamte den zuständigen Staatsanwalt des Bereitschaftsdienstes, der daraufhin um 20.26 Uhr die Durchsuchung aller den Angeklagten betreffenden Räumlichkeiten und des Gartens fernmündlich anordnete, woraufhin die eingesetzten Polizeibeamten die Wohnung betraten und zahlreiche Betäubungsmittel beschlagnahmten.


Der Senat würdigt das Geschehen kritisch und stellt einen Verstoß gegen § 105 StPO fest: „Die nach der um 20.26 Uhr getroffenen Anordnung des Staatsanwalts erfolgte zweite Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten und des von ihm genutzten Gartens war rechtswidrig. […] Für die wiederholte Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten durch die herbeigerufenen Beamten der Kriminalpolizei nach 20.26 Uhr bedurfte es einer neuen Anordnung. Auf die der ‚Wohnungsnachschau‘ um 18.40 Uhr, bei der es sich in der Sache um eine Wohnungsdurchsuchung gehandelt hat, zugrundeliegende polizeiliche Anordnung, konnte das neuerliche Betreten der Wohnung nicht mehr gestützt werden. Zwar ist diese erste Anordnung nach § 105 Abs. 1 S. 1 StPO zu Recht ergangen, denn aufgrund des Verhaltens des Angeklagten und seiner Mutter bestand zu diesem Zeitpunkt Gefahr im Verzug. Diese Anordnung war aber bereits verbraucht, denn die ausführenden Beamten haben mit dem Verlassen der Wohnung konkludent die Beendigung dieser Durchsuchungsmaßnahme erklärt. […] Im Zeitpunkt der staatsanwaltlichen Durchsuchungsanordnung um 20.26 Uhr lag keine Gefahr im Verzug im Sinne des § 105 Abs. 1 S. 1 StPO mehr vor. Spätestens mit dem Eintreffen der Beamten der Kriminalpolizei um 19.10 Uhr stand die Erforderlichkeit einer erneuten Durchsuchung fest. Dabei war den Ermittlungsbehörden bereits aufgrund der um 18.40 Uhr erfolgten ‚Wohnungsnachschau‘ bekannt, dass sich keine Person in der von der Polizei seitdem überwachten Wohnung des festgenommenen Angeklagten aufhielt und deshalb mit einer Beweismittelvernichtung oder anderen Verdunkelungshandlungen nicht (mehr) zu rechnen war. Für die Annahme von Gefahr im Verzug bestand danach kein Raum mehr“.

 

6 Resümee


Aus den dargestellten Judikaten des Bundesgerichtshofes wird ein Grundsatz ersichtlich: Eine einmal gemäß § 105 Abs. 1 S. 1 StPO aufgrund von Gefahr im Verzug angeordnete Durchsuchung darf bis zu ihrer Beendigung durchgeführt werden, ohne dass es einer richterlichen Anordnung bedarf. Fraglich ist jedoch, wann eine Durchsuchung beendet ist und der Richtervorbehalt wiederauflebt. Die Entscheidungen des 2. und 5. Senates sprechen insofern von einer Zäsur, welche zur Beendigung einer Durchsuchungsmaßnahme führen würde. Eine solche Zäsur tritt jedoch wohl offensichtlich nicht allein durch Zeitablauf ein, da in dem Urteil des 2. Senates etwa vier Stunden zwischen der ersten aufgrund von Gefahr im Verzug angeordneten Dursuchungsmaßnahme des Kraftfahrzeuges und dem Auffinden von Betäubungsmitteln in dem Kraftfahrzeug durch angeforderte Spezialkräfte lagen. Vielmehr scheint von Bedeutung zu sein, ob es objektiv ersichtliche Hinweise gibt, dass die Durchsuchung (zunächst) nicht mehr fortgeführt wird. In dem Beschluss des 4. Senates ist hierfür das Verlassen der Wohnung durch die eingesetzten Polizeibeamten bis zum Eintreffen weiterer Kräfte als entscheidend angesehen worden.


Was also soll Ermittlungspersonen geraten werden? Der höchstrichterlichen Rechtsprechung kann entnommen werden, dass aufgrund Art. 13 GG bezüglich Wohnungen strengere Maßstäbe gelten als bei sonstigen Durchsuchungen. Dies müssen Polizeibeamte verinnerlichen und bei ihren Entscheidungen berücksichtigen. Zunächst ist vor Anordnung der Durchsuchung sorgfältig unter Berücksichtigung der Grundsätze der dargestellten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zu prüfen, ob Gefahr im Verzug vorliegt. Wird dies bejaht, bedarf es später einer Dokumentation dieses Entscheidungsprozesses in den Akten. Die anschließenden Maßnahmen sind stringent durchzuführen. Müssen weitere Kräfte herangeführt werden, sollte derweil trotzdem zumindest ein Polizeibeamter die Durchsuchung fortführen. Eine Wohnung ist keinesfalls durch sämtliche Einsatzkräfte zu verlassen. Kann eine zeitliche Unterbrechung der Durchsuchung nicht vermieden werden, muss vor deren Fortführung genau geprüft werden, ob gegenwärtig überhaupt noch ein Beweismittelverlust droht. Oftmals wird dies faktisch durch die getroffenen Sicherungsmaßnahmen und die Anwesenheit zahlreicher Polizeibeamter ausgeschlossen. In diesen Fällen sollte, insbesondere bei Wohnungsdurchsuchungen, „sicherheitshalber“ die fernmündliche Beantragung eines Durchsuchungsbeschlusses bei dem zuständigen Ermittlungsrichter durch einen Staatsanwalt veranlasst werden. Nur so lassen sich potentielle Beweisverwertungsverbote vermeiden, welche ansonsten einer späteren Verurteilung entgegenstehen könnten.


Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes Polizeibeamten noch ausreichende Möglichkeiten eröffnet, mittels Gefahr im Verzug flexibel auf Situationen zu reagieren, welche eine schnelle Durchsuchung erforderlich machen. Bezüglich der Durchführung der Durchsuchungsmaßnahmen gilt in zeitlicher Hinsicht ein eher großzügiger Maßstab, worauf sich aber bei Wohnungsdurchsuchungen nicht uneingeschränkt verlassen werden darf.

 

Anmerkungen

 

  1. Dr. Sören Pansa ist bei der Generalstaatsanwaltschaft Schleswig-Holstein tätig. Der Beitrag gibt ausschließlich die persönliche Auffassung des Verfassers wieder.
  2. BVerfG, Beschluss vom 16. Juni 2015 – 2 BvR 2718/10, 2 BvR 1849/11, 2 BvR 2808/11 –, BVerfGE 139, 245.
  3. Das Bundesverfassungsgericht hat dabei bereits ausgeführt, dass unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten die Einrichtung eines richterlichen Bereitschaftsdienstes zur Nachtzeit nicht zwingend erforderlich ist: BVerfG, Beschluss vom 12. März 2019 – 2 BvR 675/14 –, BVerfGE 151, 67.
  4. BGH, Urteil vom 17. Januar 2018 – 2 StR 180/17 –, NStZ-RR 2018, 146.
  5. Umfassend hierzu Metz, NStZ 2012, 242.
  6. BGH, Urteil vom 15. März 2017 – 2 StR 23/16 –, NStZ 2017, 713.
  7. BGH, Urteil vom 31. März 2021 – 2 StR 300/20 –, zitiert nach juris.
  8. BGH, Urteil vom 18. Juli 2018 – 5 StR 547/17 –, zitiert nach juris.
  9. BGH, Beschluss vom 4. Juni 2020 – 4 StR 15/20 –, NStZ 2020, 621.