Entscheidung des BVerfG vom 9.12.2022 zum SOG MV

Neue Leitplanken für die Polizeigesetze


Von LPD Dirk Staack und KOK Lasse Stock-Dähling, Owschlag/Kronshagen1

 

Mit dem Beschluss vom 9.12.20222 hat das BVerfG entschieden, dass mehrere Vorschriften des Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung in Mecklenburg-Vorpommern (SOG MV)3 mit dem Grundgesetz unvereinbar sind. Das SOG MV wurde wie andere Polizeigesetze u.a. vor dem Hintergrund der anhaltenden Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus und aufgrund der Empfehlungen zur Erreichung gemeinsamer Standards bei der Terrorbekämpfung4 der 206. Konferenz der Innenminister und -senatoren (IMK) im Juni 2017 in Dresden durch Maßnahmen zur Abwehr von terroristischen Gefahren ergänzt.5 Viele dieser Maßnahmen sind auch in anderen Polizeigesetzen von Bund und Ländern enthalten und zum Teil stark an die bisherige Rechtsprechung des BVerfG6 angelehnt. Mit diesem Beschluss hat der Erste Senat des BVerfG seine Rechtsprechung konkretisiert und zum Teil fortentwickelt. Insofern dürfte nicht allein der Landesgesetzgeber in Mecklenburg-Vorpommern aufgefordert sein, sein Polizeisetz zu überarbeiten.

 

1 Die Kernaussagen der Entscheidung

 

Der vorliegende Beitrag soll anhand von ausgewählten Befugnisnormen die wesentlichen Aussagen des Beschlusses nachzeichnen und den Handlungsbedarf für die Gesetzgeber der Polizeigesetze in Bund und Ländern darstellen. Hervorzuheben sind die Aussagen des Senats über den Einsatz von Vertrauenspersonen (VP) und Verdeckten Ermittlern (VE) sowie die Anforderungen an den Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung bei solchen Maßnahmen, die tatbestandlichen Regelungen im Zusammenhang mit der sog. konkretisierten Gefahr, die Befugnisnorm zum heimlichen Betreten und Durchsuchen von Wohnungen zur Vorbereitung einer Online-Durchsuchung oder Quellen-Telekommunikationsüberwachung und die damit verbundene Konkretisierung der Auslegung zum Wohnungsgrundrecht aus Art. 13 GG sowie die Aussagen zur Gesetzgebungskompetenz bei der Verfolgung künftiger Straftaten.

 

2 Kernbereichsschutz beim VE- und VP-Einsatz


In der Entscheidung des Senats werden unter anderem die bestehenden Regelungen zum Kernbereichsschutz beim Einsatz von VE und VP als verfassungsrechtlich unzureichend gerügt. In seiner Bewertung macht der Senat (in diesem Umfang erstmals) weitreichende Ausführungen zur Eingriffsintensität und entwickelt, ähnlich wie bereits in der Vergangenheit bei anderen verdeckten Datenerhebungsmaßnahmen7, ein Konzept zur Umsetzung eines effektiven Kernbereichsschutzes speziell beim Einsatz von VE und VP. Zunächst wird festgestellt, dass der Einsatz solcher, im Auftrag des Staates handelnden Personen, schon grundsätzlich den Kernbereich privater Lebensgestaltung8 tangieren kann.


Der Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG besteht darin, dass die Person ein aufgebautes oder bereits bestehendes schutzwürdiges Vertrauensverhältnis dergestalt ausnutzt, dass Informationen beim Grundrechtsträger erhoben werden, die er dem Staat normalerweise nicht preisgegeben hätte.9 Dabei wird gerade im Fall, dass auf diese Weise Geheimhaltungsinteressen überwunden werden, von einer sehr hohen Eingriffsintensität ausgegangen. Interessanterweise stellt der Senat an dieser Stelle klar, dass er zumindest zwischen dem dauerhaften Einsatz eines VE und einer VP keinen wesentlichen Unterschied im Hinblick auf die Eingriffsintensität sieht.10 Entscheidend für die potenzielle Kernbereichsrelevanz ist vielmehr die Art und Tiefe des Verhältnisses. Je tiefer die vermeintliche Vertrauensbeziehung greift, desto größer ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass Inhalte aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung erfasst werden. Besonders wahrscheinlich ist die Kernbereichsrelevanz bei einer möglicherweise aktiven Einflussnahme im Leben des Grundrechtsträgers, die einen wesentlichen Unterschied zu passiven, technisch-basierten Überwachungsmaßnahmen (z.B. der Telekommunikationsüberwachung) ausmacht.11


Als besondere Feststellung von weitreichender Bedeutung ist zu bemerken, dass der Senat auch Konstellationen benennt, bei denen der Einsatz von VE oder VP ohne jegliche Berücksichtigung des Informationsgehalts eine Kernbereichsrelevanz entfalten kann. Dies ist der Fall, wenn „zum Erhalt oder Aufbau des Vertrauensverhältnisses intime Beziehungen oder vergleichbar engste Bindungen […]“ aufgebaut oder fortgeführt werden. Ein solches staatlich veranlasstes Eingehen oder Weiterführen von beispielsweise Liebesbeziehungen kann tief in den Kernbereich privater Lebensgestaltung eingreifen, da der Grundrechtsträger im privatesten Bereich über Motivation und sogar Identität des Gegenübers getäuscht wird. Somit kommt es an dieser Stelle nicht auf die möglicherweise erhobenen Informationen, sondern bereits im Vorfeld auf die Form und Intensität der Beziehung an, die für sich genommen schon kernbereichsrelevant ist und damit frei von jedem staatlichen Zugriff sein muss.


Auf Grundlage der beschriebenen potenziellen Kernbereichsrelevanz ist ein Schutzsystem nötig, das auf mehreren Ebenen dem Kernbereichsschutz effektiv Rechnung trägt.12 Zum einen muss bereits auf der Ebene der Datenerhebung sichergestellt werden, dass es nach Möglichkeit gar nicht erst zur Erfassung von kernbereichsrelevanten Informationen kommt. So müssen gezielte Datenerhebungen aus dem Kernbereich sowie die oben beschriebenen, bereits der Art nach kernbereichsrelevante Beziehungen schon im Vorfeld ausgeschlossen werden. Auch muss durch eine vorgelagerte Prüfung versucht werden, kernbereichsrelevante Gespräche und Situationen zu vermeiden, sofern dies mit praktisch zu bewältigendem Aufwand möglich ist. Schließlich ist auch ein Abbruchgebot erforderlich, falls trotzdem kernbereichsrelevante Informationen erhoben werden oder sich das Verhältnis im Laufe des Einsatzes in eine oben beschriebene, zu private oder gar intime Richtung entwickeln sollte.13


Neben den Sicherungsmaßnahmen auf der Ebene der Erhebung sind nach Ansicht des Senats aber auch Maßnahmen auf der Aus- und Verwertungsebene zu treffen. So muss zunächst der VE bzw. die VP selbst prüfen, ob die Weitergabe an die VE-/VP-Führung aufgrund der Kernbereichsrelevanz überhaupt möglich ist. Bei einer Weitergabe muss dann die VE-/VP-Führung ihrerseits prüfen, ob eine Kernbereichsrelevanz bei den erhobenen Informationen vorliegt. Darüber hinaus bringt der Senat die Möglichkeit einer weiteren Prüfungsinstanz in Form einer „unabhängigen Stelle“ mit ein. Diese ist zwar bei hoher Verlässlichkeit der ersten beiden Prüfungsinstanzen entbehrlich, besonders in Zweifelsfällen kann sie aber die von Verfassungs wegen verfahrensrechtliche Sicherung des Kernbereichs garantieren.


Die allgemeinen Regelungen zum Kernbereichsschutz bei verdeckten Datenerhebungsmaßnahmen gem. § 26a SOG MV, welche auch für den Einsatz von VE und VP gelten, genügen den dargestellten Anforderungen an den Kernbereichsschutz nicht.


Hinsichtlich der Erhebungsebene richtet der Senat ein besonderes Augenmerk auf das Abbruchgebot. Eine vom Gesetzgeber beschriebene Ausnahme dieses Abbruchgebots gem. § 26a Abs. 3 SOG MV bei Gefährdung der Polizeivollzugsbeamtin oder des Polizeivollzugsbeamten oder der VP sowie deren Weiterverwendung ist zwar im Grundsatz nicht zu beanstanden, jedoch muss diese Gefährdung konkretisiert und so angehoben werden, dass die Ausnahme des Abbruchgebots nicht bereits bei Gefährdungen auf Bagatellebene greift. Insbesondere bei verfassungskonformer Ausgestaltung dieser Ausnahme müssen auf der Aus- und Verwertungsebene speziell auf diese Maßnahmen zugeschnittene, oben beschriebene Sicherungsvorkehrungen implementiert werden, die in der bestehenden Regelung gänzlich fehlen.


Die zu allgemeine Formulierung der Kernbereichsregelung zeigt sich auch in der Begründung des Landtags MV zur Einführung des § 26a SOG MV.14 Der Gesetzgeber orientierte sich zwar am § 100d StPO, nimmt aber in der Begründung zu den einzelnen Absätzen kaum Bezug zu konkreten Datenerhebungsmaßnahmen, sondern bleibt bei allgemeinen Ausführungen.15 Selbst bei der Begründung zur oben beschriebenen Ausnahme zum Abbruchgebot bezieht sich der Gesetzgeber nicht etwa auf den VE-/VP-Einsatz, sondern auf das Beispiel einer Telekommunikationsüberwachung.

 

3 Fehlender Gefahrenbezug als unzulässige Ausweitung der Eingriffsschwelle


In seinem Beschluss erklärt das BVerfG außerdem die Ermächtigungen zu mehreren verdeckten Datenerhebungsmaßnahmen für nichtig bzw. zumindest mit dem Grundgesetz für unvereinbar. Es wird hier eine aus Sicht des BVerfG unzulässige Ausweitung der Eingriffsschwelle gerügt, die durch die Verknüpfung mit bestimmten Vorfeldstraftatbeständen zustande kommt. Im konkreten Fall geht es um die Eingriffsvoraussetzungen für den Einsatz technischer Mittel zur Wohnraumüberwachung nach § 33b i.V.m. § 67a SOG MV, den Einsatz technischer Mittel zum Eingriff in informationstechnische Systeme gem. § 33c i.V.m. § 67a SOG MV, den Einsatz technischer Mittel zur Überwachung der Telekommunikation nach § 33d i.V.m. § 67a SOG MV und die Rasterfahndung nach § 44 i.V.m. § 67a SOG MV, die jeweils auf den Katalog der terroristischen Straftaten des § 67c SOG verweisen sowie um die längerfristige Observation, den Einsatz technischer Mittel und den Einsatz von VP und VE, welche in § 33 Abs. 2 Satz 1 und 3 i.V.m. § 67a SOG MV geregelt sind. Demnach dürfen diese Maßnahmen angewandt werden, wenn die Gefahr einer Begehung von Straftaten von erheblicher Bedeutung gem. § 49 SOG MV oder von terroristischen Straftaten gem. § 67a i.V.m. § 67c SOG MV vorliegt.


Bei der Formulierung des § 67a SOG MV stützte sich der Gesetzgeber auf die Entscheidung des BVerfG zum BKA-Gesetz16 und formuliert, dass o.g. Maßnahmen eingesetzt werden können, „wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass diese Person innerhalb eines überschaubaren Zeitraums auf eine zumindest ihrer Art nach konkretisierten Weise eine terroristische Straftat nach § 67c begehen oder an dieser teilnehmen wird, oder das individuelle Verhalten dieser Person die konkrete Wahrscheinlichkeit dafür begründet, dass sie innerhalb eines überschaubaren Zeitraums eine terroristische Straftat nach § 67c begehen oder an dieser teilnehmen wird, um diese Person durch die Überwachung und die Datenverwendung von der Begehung einer solchen Straftat abzuhalten.“17


Diese Verknüpfung von Straftaten mit der gefahrenabwehrrechtlichen Eingriffsschwelle bleibt jedoch nach Ansicht des Senats hinter den verfassungsrechtlichen Voraussetzungen zurück. Diese fordern nämlich bei solch heimlichen und daher besonders eingriffsintensiven Maßnahmen eine konkrete oder wenigstens konkretisierte Gefahr für ein hinreichend gewichtiges Rechtsgut, wobei für eine konkretisierte Gefahr tatsächliche Anhaltspunkte für die Entstehung einer konkreten Gefahr bestehen müssen.18 Mit der Erfüllung von den genannten Straftatbeständen sind solche Gefahrengrade für ein Rechtsgut aber nicht immer zwangsläufig gegeben.


So ist es zwar im Fall von Delikten, bei denen mit Verwirklichung des Tatbestandes auch eine Verletzung des Schutzguts einhergehe, unproblematisch. Hier sind als Beispiele der Totschlag gem. § 212 StGB oder die Freiheitsberaubung gem. § 239 StGB als unechte19 Staatsschutzdelikte zu nennen. Dies gilt jedoch nicht für alle genannten Straftaten, insbesondere nicht für viele der Vorfeldstraftaten, die unter den terroristischen Straftaten gem. § 67c SOG MV zu finden sind. Gerade bei einigen echten Staatsschutzdelikten wie beispielsweise der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat gem. § 89a StGB20 oder der Bildung einer terroristischen Vereinigung gem. § 129a StGB21 ist die Strafbarkeit bereits weit ins Vorfeld der Schutzgüter der Normen verschoben.22 Dies für sich genommen beanstandet der Senat zwar nicht, wohl aber die vom Gesetzgeber implizierte Annahme, dass mit der Verwirklichung der Straftatbestände auch automatisch eine konkrete oder konkretisierte Gefahr für die jeweils geschützten Rechtsgüter der Normen einhergeht. So besteht beispielsweise bei einem Anfangsverdacht der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat nicht auch automatisch schon eine konkretisierte Gefahr für Leib und Leben von Personen, wenn lediglich Vorbereitungshandlungen (z.B. der Kauf eines Zünders zum Bau einer USBV) begangen wurden. Der bloße Schutz der Rechtsordnung des Staates reicht demnach nicht aus, solange nicht zugleich auch Schutzgüter von erheblicher Bedeutung betroffen sind. Trifft diese Annahme schon bei Verwirklichung der Straftatbestände nicht zu, gilt sie erst recht nicht für die Gefahr der Begehung solcher Straftaten, also einer noch weiteren Verlagerung ins Vorfeld. Zwar hat das BVerfG mit seinem Urteil zum BKAG ausgeführt, dass der Gesetzgeber nicht auf die Schaffung von Eingriffstatbeständen beschränkt ist, „die dem tradierten sicherheitsrechtlichen Modell der Abwehr konkreter, unmittelbar bevorstehender oder gegenwärtiger Gefahren entsprechen. Vielmehr kann er die Grenzen für bestimmte Bereiche mit dem Ziel schon der Straftatenverhütung auch weiter ziehen, indem er die Anforderungen an die Vorhersehbarkeit des Kausalverlaufs reduziert.“23 Allerdings wurde hier vom Gesetzgeber nicht beachtet, dass er die Anforderungen an die Vorhersehbarkeit nur dann reduzieren darf, wenn damit auch ein hinreichend gewichtiges Rechtsgut geschützt wird und Ziel der Maßnahme nicht allein im Schutz der Rechtsordnung besteht.


Zur verfassungskonformen Neugestaltung der Eingriffsschwelle wird vorgeschlagen, dass das Vorliegen einer konkreten oder konkretisierten Gefahr für die durch die Straftatbestände geschützten Rechtsgüter in jedem Einzelfall Mindestvoraussetzung für die Durchführung von den genannten Maßnahmen ist, auch dann, wenn die Verwirklichung eines einschlägigen Straftatbestands droht oder bereits eingetreten ist. Diese Verdeutlichung des tatsächlichen Gefahrengrads und der betroffenen Rechtsgüter erscheint zwar in der Gesamtschau schlüssig und folgerichtig, lässt aber das vielzitierte Urteil des BVerfG zum BKAG v. 20.4.2016 mindestens missverständlich wirken. Führte doch das BVerfG in diesem Urteil zur hinreichend konkretisierten Gefahr noch aus, dass Überwachungsmaßnahmen erlaubt werden können, wenn das individuelle Verhalten einer Person die konkrete Wahrscheinlichkeit begründet, dass sie solche (terroristischen) Straftaten in überschaubarer Zukunft begehen wird,24 wird in der aktuellen Entscheidung deutlicher Abstand zu der Verknüpfung mit Straftaten genommen. Die Nennung des Begriffs „Straftaten“ kann nun im Lichte des vorliegenden Beschlusses allenfalls derart gedeutet werden, dass die unechten Staatsschutzdelikte gemeint waren, bei denen zumindest unmittelbar eine konkretisierte Gefahr für ein hinreichend gewichtiges Rechtsgut vorliegt, was gerade bei den Vorfelddelikten aus dem Staatsschutzbereich nicht zwangsläufig der Fall ist. Das Vorgehen wirkt in der Gesamtschau jedoch missverständlich und unklar. Einerseits kann dem Gesetzgeber die teilweise wörtliche Übernahme der Formulierungen des BVerfG25 in den Gesetzestext26 ohne hinreichend kritische eigene Prüfung vorgeworfen werden. Auch die Ausweitung auf diverse echte Staatschutzdelikte im § 67c SOG MV und die damit einhergehende offensichtliche Entkopplung von der Gefahrenabwehr27 ist zu kritisieren. Andererseits ist auch das BVerfG gefordert, den Gesetzgebern eindeutige verfassungsrechtliche Auslegungen an die Hand zu geben. Nur so ist es dem Gesetzgeber möglich, die vom BVerfG gezogenen Grenzen normenklar umzusetzen.

4 Heimliches Betreten und Durchsuchen von Wohnungen zur Vorbereitung einer Online-Durchsuchung oder einer Quellen-Telekommunikationsüberwachung


§ 33c Abs. 5 SOG MV lässt das verdeckte Durchsuchen von Sachen sowie das verdeckte Betreten und Durchsuchen von Räumlichkeiten der betroffenen Personen zu, soweit dies zur Durchführung von Maßnahmen nach Abs. 1 (Online-Durchsuchung) und Abs. 4 (Einsatz von technischen Mitteln zur Identifikation und Lokalisation von informationstechnischen Systemen wie z.B. sog. WLAN-Catcher) erforderlich ist. Durch Verweisung in § 33d Abs. 3 SOG MV gilt § 33c Abs. 3 und 5 SOG MV für Maßnahmen zur Quellen-Telekommunikationsüberwachung entsprechend.


Das BVerfG stellt in seinem Beschluss dar, dass die konkrete Ausgestaltung der Norm nicht vollständig den verfassungsrechtlichen Anforderungen der Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art. 13 GG genügt. Art. 13 Abs. 1 GG gewährt ein Abwehrrecht zum Schutz der räumlichen Privatsphäre und soll Störungen vom privaten Leben fernhalten.28 Das Wohnungsgrundrecht ist zweifelsohne betroffen, auch wenn die Maßnahme primär dem Zugriff auf das informationstechnische System dient, welches überwacht werden soll.29 Der Senat weist allerdings darauf hin, dass die Unverletzlichkeit der Wohnung einen engen Bezug zur Menschenwürde hat und die Heimlichkeit der Maßnahme den Grundrechtseingriff noch verstärkt. Der Senat prüft im Weiteren umfassend die Anwendbarkeit der Schrankensystematik des Art. 13 GG. Hierbei wird herausgestellt, dass die Grundrechtsschranke aus Art. 13 Abs. 2 GG für die Durchsuchung der Wohnung keine verfassungsrechtliche Rechtfertigung für heimliche Eingriffe in das Wohnungsgrundrecht darstellen kann. Zwar enthält Art. 13 Abs. 2 GG einen Richtervorbehalt, die Regelung rechtfertigt jedoch nach systematischer und historischer Auslegung nur offene Durchsuchungen.


Eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung für heimliche Eingriffe in das Wohnungsgrundrecht enthalten Art. 13 Abs. 3 und Abs. 4 GG. Sie lassen gesetzliche Regelungen zur repressiven und präventiven Wohnraumüberwachung zu. Zwar ist anerkannt, dass die Wohnung zur Vorbereitung einer Wohnraumüberwachung auch heimlich betreten werden darf30, daraus lässt sich allerdings nicht ableiten, dass hierauf auch andere heimliche Maßnahmen wie das Betreten und Durchsuchen zur Vorbereitung einer Online-Durchsuchung oder Quellen-Telekommunikationsüberwachung gestützt werden können. Insofern lehnt der Senat eine Anwendung der Schrankensystematik des Art. 13 Abs. 3 und 4 GG in diesen Fällen ab.


Eine tragfähige Grundrechtsschranke könnte sich jedoch aus Art. 13 Abs. 7 GG ergeben, die gefahrenabwehrrechtlich ausgerichtet ist und entgegen der Grundrechtsschranke aus Art. 13 Abs. 2 GG abgestufte materielle Eingriffsvoraussetzungen vorsieht. Der Senat bewertet die ersten beiden Alternativen, die eine gemeine bzw. eine Lebensgefahr fordern, als ausreichende Grundlage für eine Regelung zum heimlichen Betreten und Dursuchen einer Wohnung. Die dritte Alternative, die Eingriffe in das Wohnungsgrundrecht zur Verhütung einer dringenden Gefahr und damit bereits vor dem Eintritt einer konkreten Gefahr zulässt, muss allerdings, soweit darauf heimliche Eingriffe in Wohnungen gestützt werden sollen, nach Bewertung des Senates aus Gründen der Verhältnismäßigkeit und der Schrankensystematik des Art. 13 GG eng ausgelegt werden. Für das heimliche Wohnungsbetretungsrecht genüge allerdings das Vorliegen einer konkretisierten Gefahr, da der Grundrechtseingriff hinter schwereren Eingriffen, wie die Wohnraumüberwachung, zurückbleibt.31 An diese Bewertung schließt sich die Forderung nach einem Richtervorbehalt für das heimliche Betreten und Durchsuchen einer Wohnung an. Zwar fordert Art. 13 Abs. 7 GG keinen Richtervorbehalt, allerdings dürfen die Voraussetzungen für eine heimliche Maßnahme nicht hinter denen für eine offene Wohnungsdurchsuchung nach Art. 13 Abs. 2 GG zurückbleiben. Nach Auffassung des Senates fordert bereits die Verhältnismäßigkeit einen Richtervorbehalt, weil bei schwerwiegenden heimlichen Maßnahmen eine vorbeugende Kontrolle durch eine unabhängige Instanz verfassungsrechtlich geboten ist.32 Einen solchen Richtervorbehalt enthält § 33c Abs. 6 SOG MV, so dass die Norm in dieser Hinsicht der verfassungskonformen Auslegung standhält.33


Der Senat rügt allerdings, dass § 33c Abs. 5 SOG MV nicht hinreichend deutlich macht, dass die Voraussetzungen der Online-Durchsuchung nach § 33c Abs. 1 SOG MV bereits für das im Einzelfall erforderliche Betreten und Durchsuchen im Vorfeld der eigentlichen Maßnahme vorliegen müssen. Tatsächlich fehlt diese ausdrückliche Verknüpfung zu den Tatbestandsmerkmalen des Grundtatbestandes aus § 33 Abs. 1 SOG MV, denn nach dem Wortlaut des § 33 Abs. 5 SOG MV muss das Betreten und Durchsuchen nur erforderlich sein. Auch wenn sich die Verbindung zwischen § 33c Abs. 1 und Abs. 5 SOG MV möglicherweise hineinlesen lässt, weist der Senat zu Recht darauf hin, dass der Gesetzgeber eine solche Verknüpfung für den vorbereitenden Einsatz technischer Mittel nach § 33 Abs. 4 SOG MV aufgenommen hat, so dass die Systematik der Norm eher darauf schließen lässt, dass der Grundtatbestand im Einzelfall nicht vorliegen muss. Da gerade heimliche Maßnahmen besonders strenge Anforderungen an den Bestimmtheitsgrundsatz stellen, bewertet der Senat die Regelung in dieser Form als verfassungswidrig.

 

5 Gesetzgebungskompetenz für vorbeugende Bekämpfung von Straftaten


Der Senat rügt die Befugnis zur Ausschreibung zur polizeilichen Beobachtung sowohl hinsichtlich der Gesetzgebungskompetenz für die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten als auch in Bezug auf die materielle Reglung in § 35 Abs. 1 Satz 1 SOG MV.


Das BVerfG stellte bereits in seiner Entscheidung zur präventiven TKÜ in Niedersachsen34 fest, dass die Länder nicht befugt sind, „die Polizei zur Telekommunikationsüberwachung zum Zwecke der Vorsorge für die Verfolgung von Straftaten zu ermächtigen“. Landesregelungen müssen sich daher auf die Gefahrenabwehr und auf die Verhütung von Straftaten beschränken.35 Der Senat stellt in seinem Beschluss fest, dass dem Landesgesetzgeber für § 35 Abs. 1 Satz 1 SOG MV die Gesetzgebungskompetenz fehlt, soweit die Alternative 2 in Verbindung mit § 7 Abs. 1 Nr. 4 SOG MV auch die Vorsorge für die Verfolgung künftiger Straftaten umfasst, denn diese gehört zum gerichtlichen Verfahren und damit in die Gesetzgebungskompetenz des Bundes. Das BVerfG geht davon aus, dass der Bundesgesetzgeber von seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz mit der Einführung des § 163e StPO (Ausschreibung zur Beobachtung bei polizeilichen Kontrollen) abschließend Gebrauch gemacht hat.36 Darüber hinaus enthält die Norm keine ausreichende Eingriffsschwelle, so dass die Regelung bereits aus diesem Grund verfassungswidrig ist.

 

6 Zum Abschluss


Mit dem Beschluss vom 9.12.2022 zum SOG MV hat der Erste Senat das BVerfG seine Rechtsprechung zur Ausgestaltung der Gefahrenabwehrgesetze in Bund und Ländern weiter konkretisiert und fortentwickelt. So wurde die mit der Entscheidung zum BKA-Gesetz37 entwickelte konkretisierte Gefahr näher beschrieben. Der Senat macht deutlich, dass im Zusammenhang mit verdeckten Datenerhebungen eine konkretisierte Gefahr nur dann ausreichend ist, wenn mit der Verwirklichung der zu verhütenden Straftat auch das durch die Norm geschützte, hinreichend gewichtige Rechtsgut verletzt wird. Die Verhütung von Vorfeldstraftaten reicht in der Regel nicht aus. Hiervon sind einige Gesetzgeber allerdings ausgegangen, als sie die entsprechenden Passagen der damaligen Entscheidung wortgetreu in ihren Gesetzen übernommen haben. Konkretisiert wurden auch die Auslegung zum Kernbereich privater Lebensgestaltung bei Einsätzen von Vertrauenspersonen und Verdeckten Ermittlern sowie die verfassungskonforme Interpretation der Grundrechtsschranke aus Art. 13 Abs. 7 GG.


Die in dem Beschluss enthaltenen Auslegungshinweise sind ausdrücklich zu begrüßen, legen sie doch die äußeren Grenzen dessen fest, was die Gesetzgeber in Bund und Ländern bei der Überarbeitung ihrer Polizeigesetze regeln dürfen. Nicht zuletzt nach dem Scheitern der Bemühungen um einen Musterentwurf für ein einheitliches Polizeigesetz sind die Gefahrenabwehrgesetze im Bund und in den Ländern sehr uneinheitlich, lückenhaft und kaum geeignet, ein einheitliches Sicherheitsniveau in Deutschland zu gewährleisten. Nicht nur der Landesgesetzgeber in Mecklenburg-Vorpommern steht vor einer weiteren Überarbeitung seines Polizeigesetzes, auch die übrigen Länder und der Bund sind durch diese Entscheidung aufgefordert, die eigenen Regelungen zu überarbeiten.


Die sicherheitspolitische Diskussion beim Bund und in den Ländern muss regionale Herausforderungen und gesellschaftliche Entwicklungen in der zunehmend digitalen Welt ebenso einbeziehen wie neue Kriminalitätsformen und die Bedrohung unserer Freiheitswerte beispielsweise durch den islamistischen Terrorismus. Die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit ist unter Berücksichtigung dieser und weiterer Aspekte fein auszutarieren, um einerseits die freiheitlichen Grundwerte nicht zu stark einzuschränken und andererseits den Sicherheitsbehörden diejenigen Instrumente an die Hand zu geben, um eben diese Freiheitswerte zu verteidigen.38

Anmerkungen

 

  1. Dirk Staack ist Leitender Polizeidirektor und Abteilungsleiter im LPA Schleswig-Holstein. Er ist Herausgeber und Autor zahlreicher Fachpublikationen sowie Lehrbeauftragter im Masterstudiengang „Public Administration – Police Management“. Lasse Stock-Dähling ist Kriminaloberkommissar und in der Abteilung 3 (Staatsschutz) des Landeskriminalamtes Schleswig-Holstein sowie nebenamtlich für die Fachgruppe Rechtswissenschaften im Fachbereich der Polizei an der FHVD Schleswig-Holstein tätig.
  2. BVerfG v. 9.12.2022, Az. 1 BvR 1345/21.
  3. SOG MV i.d.F.v. 27.4.2020, GVOBl. MV, S. 3349; in Kraft seit 5.6.2020.
  4. Vgl. Staack, 2018, Die Kriminalpolizei, Heft 3, S. 9.
  5. LT-Drs. MV 7/3694, S. 3.
  6. BVerfG zum BKAG v. 20.4.2016, Az. 1 BvR 966/09.
  7. So z.B. für die Telekommunikationsüberwachung, siehe BVerfG v. 16.7.2016, Az. 2 BvR 1454/13; v. 12.10.2011, Az. 2 BvR 236/08.
  8. Zum „Kernbereich privater Lebensgestaltung“ vgl. nur BVerfG v. 16.1.1957, Az. 1 BvR 253/56; v. 26.6.2008, Az. 2 BvR 219/08; v. 20.4.2016, Az. 1 BvR 966/09; Dreier, in: Dreier, 2013, Grundgesetz-Kommentar, 3. Auflage, Band 1, Art. 2 Abs. 1, Rn. 92 f.
  9. BVerfG v. 27.2.2008, Az. 1 BvR 370/07, Rn. 310.
  10. Graulich, in: Bäcker/Denninger/Graulich, 2021, Handbuch des Polizeirecht, 7. Auflage, Teil E, Rn. 750.
  11. Zum Kernbereichsschutz bei Informationseingriffen siehe Brenneisen/Wilksen/Staack/Martins/Sievers, in: 60 Jahre Grundgesetz, 2010, S. 73.
  12. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, 2022, Grundgesetz-Kommentar, 99. Auflage, Band 1, Art. 2 Abs. 1, Rn. 157 ff.; vgl. auch Dähling, 2022, Die Kriminalpolizei, Heft 4, S. 17.
  13. So schon das BVerfG in seiner Entscheidung zur repressiven Wohnraumüberwachung v. 3.3.2004, Az. 1 BvR 2378/98.
  14. Landtag MV, Drucksache LT-Drs. MV 7/3694, S. 156 ff.
  15. Hauptsächlich übernimmt der Gesetzgeber hier Begründungen aus dem Urteil des BVerfG zum BKAG v. 20.4.2016, Az. 1 BvR 966/09.
  16. BVerfG zum BKAG v. 20.4.2016, Az. 1 BvR 966/09.
  17. § 67a SOG MV.
  18. Graulich, in: Bäcker/Denninger/Graulich, 2021, a.a.O., Teil E, Rn. 131 ff.
  19. Zur Unterscheidung zwischen „echten“ und „unechten“ Staatsschutzdelikten vgl. Bundeskriminalamt, Definitionssystem Politisch motivierte Kriminalität, Stand 21.9.2021, S. 5 ff.
  20. BGH v. 8.5.2014, Az. 3 StR 243/13.
  21. Schäfer, in: Erb/Schäfer, 2021, Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, 4. Auflage, Band 3, § 129a, Rn. 1 ff.
  22. Schäfer, in: Erb/Schäfer, 2021, a.a.O., § 89a, Rn. 1 ff.; Heger, in: Heger, 2023, Strafgesetzbuch-Kommentar, 30. Auflage, § 89a, Rn. 1 ff.
  23. BVerfG v. 20.4.2016, Az. 1 BvR 966/09, Rn. 112; Staack, 2018, Die Kriminalpolizei, Heft 3, S. 9.
  24. BVerfG v. 20.4.2016, Az. 1 BvR 966/09, Rn. 112.
  25. LT-Drs. MV 7/1320, S. 18.
  26. Vgl. z.B. § 67a Abs. 1 SOG MV.
  27. Bei der Auswahl der Straftaten orientierte sich der Gesetzgeber am Katalog des § 129a StGB, vgl. LT-Drs. MV 7/1320, S. 35.
  28. BVerfG v. 2.3.2006, Az. 2 BvR 2099/04, m.w.N.
  29. Vgl. BVerfG v. 9.12.2020, Az. 1 BvR 1345/21, Rn. 130.
  30. BVerfG v. 9.12.2022, Az. 1 BvR 1345/21, Rn. 139, m.w.N.
  31. BVerfG v. 9.12.2022, Az. 1 BvR 1345/21, Rn. 147.
  32. Vgl. BVerfG v. 9.12.2020, Az. 1 BvR 1345/21, Rn. 149.
  33. So bereits LT-Drs MV 7/3694, S. 182.
  34. BVerfG v. 27.7.2005, Az. 1 BvR 668/04.
  35. Vgl. Staack, 2008, Polizeirechtsreform in Schleswig-Holstein, S. 206; zum Aufgabenfeld der Vorbeugenden Kriminalitätsbekämpfung vgl. Brenneisen/Staack, 2015, Polizeiinfo.report, Heft 3, S. 34; Kniesel, 2017, Die Polizei, S. 189.
  36. Vgl. BVerfG v. 9.12.2020, Az. 1 BvR 1345/21, Rn. 163.
  37. BVerfG v. 20.4.2016, Az. 1 BvR 966/09.
  38. Vgl. Ziercke, in: Kischewski/Brenneisen/Staack, 2015, Zwischen Wissenschaft und Praxis, S. 41.