Die Strafbarkeit von Mitgliedern der „Letzten Generation“

Von Prof. Dr. Dennis Bock und Benjamin Mischke, Kiel

 

1 Einleitung

 

In den letzten Monaten ist insbesondere durch Protestaktionen der „Letzten Generation“ (LG) das Thema Klimaaktivismus in den Fokus der politischen Debatte gerückt und hat – neben aktuellen weltpolitischen Themen – die Berichterstattung der Medien geprägt.2 Der Protest besteht meist in Straßenblockaden, bei denen die Mitglieder der LG ihre Hände mit Sekundenkleber auf der Fahrbahn fixieren und erhebliche Staus auslösen. Ebenfalls kam es vor, dass die Aktivisten in das Gelände eines Flughafens eingedrungen sind, um dort zu demonstrieren.3 Bei den verschiedenen Protestaktionen kommt es häufig zu Beschädigungen von Gegenständen, oft zu einer Beeinträchtigung der Fahrbahn. Hinter den Protestaktionen steht eine zentrale Organisationsstruktur, die sich über Spenden der Mitglieder, vorwiegend aber externer Befürworter der Protestaktionen finanziert. Der nachfolgende Beitrag beschäftigt sich zunächst mit der Strafbarkeit der Mitglieder der LG, die sich an den Protestaktionen beteiligen. In einem weiteren Schritt wird die Strafbarkeit der bloßen Mitgliedschaft erörtert und ferner überprüft, inwieweit eine Strafbarkeit von Unterstützern der LG, insbesondere Spendern, gegeben ist.

 

 

2 Strafbarkeit des Verhaltens

 

2.1 Strafbarkeit der Protesthandlungen

 

2.1.1 Nötigung gem. § 240 StGB


In Frage kommt für die Straßenblockaden eine Strafbarkeit wegen Nötigung nach § 240 I StGB. Danach macht sich strafbar, wer einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt.


2.1.1.1 Nötigungserfolg: Handlung, Duldung oder Unterlassung


Nach § 240 I StGB muss der Nötigungserfolg in einer Handlung, Duldung oder Unterlassung liegen. In Betracht kommen vorliegend sowohl die Handlung eines jeden Fahrers, dass Kfz zum Stehen zu bringen als auch das Unterlassen des Weiterfahrens. Somit ist ein hinreichender Nötigungserfolg gegeben.


2.1.1.2 Nötigungshandlung


Der Tatbestand der Nötigung beinhaltet zwei Verhaltensalternativen: Gewalt und Drohung mit einem empfindlichen Übel. Letzteres kommt im Falle der Straßenblockaden durch Teilnehmer der LG nicht in Betracht.


In Frage kommt jedoch die Anwendung von Gewalt. Unter Gewalt versteht man jede körperliche Tätigkeit, durch die körperlich wirkender Zwang ausgeübt wird, um geleisteten oder erwarteten Widerstand zu überwinden.4 Fraglich ist, ob durch das Blockieren einer befahrenen Straße durch Menschen für die Autofahrer eine physische Zwangswirkung überhaupt entfalten kann.


Jedenfalls gegenüber den Fahrzeugen, die in erster Reihe stehen, ist eine physische Zwangswirkung zu verneinen. Ein Mensch kann allein mit seinem Körper – ob an der Fahrbahn fixiert oder nicht – ein motorbetriebenes Kfz nicht aufhalten und entfaltet daher allenfalls für den Fahrer des Kfz eine psychische Zwangswirkung,5 die allerdings nicht dem heutigen Verständnis des Gewaltbegriffs des § 240 StGB6 entspricht. Eine Nötigung der Kfz-Führer in der ersten Reihe scheidet demnach mangels ihnen gegenüber ausgeübter Gewalt aus.


Allerdings kommt eine Gewaltausübung in mittelbarer Täterschaft gem. § 25 I 2 StGB gegenüber den Autofahrern ab der zweiten Reihe in Betracht.7 Denn diese können im wahrsten Sinne des Wortes „weder vor noch zurück“, da ihnen gegenüber physische Hindernisse in Gestalt der anderen Kfz bereitet werden. Die für die Gewalt erforderliche Körperkraft wird durch die in erster Reihe stehenden Kfz-Führer als sog. gerechtfertigt handelnde Werkzeuge8 ausgeübt, da sie den Verkehr gem. § 12 StVO zwar blockieren, allerdings um die Vermeidung eines Unfalls willen gem. § 34 StGB, § 16 OWiG gerechtfertigt handeln.9 Die in der ersten Reihe stehenden Autofahrer werden von den Demonstranten bewusst zu diesem Verhalten veranlasst, um den Verkehr zum Stehen zu bringen, sodass auch von einem „planvoll lenkendem Handeln“10 gesprochen werden kann.


2.1.1.3 Zusammenhang zwischen Nötigungshandlung und Nötigungserfolg


Ohne die Gewalt der Demonstranten würden die hinter dem ersten Fahrzeug stehenden Autos nicht blockiert. Somit ist Kausalität i.S.d. condicio-sine-qua-non-Formel11 gegeben. Da sich in diesem Erfolg auch die typische Gefahr der Blockade verwirklicht, ist der Nötigungserfolg dem Verhalten der Demonstranten auch objektiv zurechenbar.12


2.1.1.4 Vorsatz und Nötigungsabsicht


Vom Vorliegen des gem. § 15 StGB erforderlichen Vorsatzes der Protestierenden ist auszugehen. Eine Nötigungsabsicht13 ist bereits darin zu sehen, dass es den Demonstranten als notwendiges Zwischenziel14 darauf ankommt, dass der Verkehr an der blockierten Stelle zum Erliegen kommt.

 

 



2.1.1.5 Rechtswidrigkeit


2.1.1.5.1 Allgemeine Rechtfertigungsgründe


2.1.1.5.1.1 § 32 StGB – Notwehr


Eine Notwehr gem. § 32 StGB kommt nicht in Betracht, da es sich beim normalen Straßenverkehr um kein rechtswidriges Verhalten15 handelt, das durch die Erfüllung eines Straftatbestands unterbunden werden dürfte.


2.1.1.5.1.2 § 34 StGB – Rechtfertigender Notstand


Möglicherweise ist das Handeln der Demonstranten allerdings nach § 34 StGB gerechtfertigt. Dies ist der Fall, wenn eine Tat begangen wird, um eine gegenwärtige Gefahr für Rechtsgüter einer Person oder für Kollektivrechtsgüter16 abzuwenden. Darüber hinaus muss die Tat zur Gefahrabwendung geeignet, erforderlich und angemessen sein und das geschützte Interesse muss das beeinträchtigte wesentlich überwiegen.


Als bedrohtes Rechtsgut kommt das menschengerechte Klima als Bestandteil der natürlichen Lebensgrundlagen i.S.d. Art. 20a GG in Betracht, mit dessen Beeinträchtigung auch langfristig die Verletzung von Individualrechtsgütern wie z.B. Leben, körperliche Unversehrtheit und Eigentum einhergeht.17 Ein notstandsfähiges Rechtsgut ist daher gegeben. Dass eine Gefahr für dieses besteht, ist durch zahlreiche Klimastudien und -forschungen hinreichend erwähnt und bedarf keiner weiteren Klärung. Fraglich ist lediglich die Gegenwärtigkeit der Gefahr. Unter Gegenwärtigkeit gem. § 34 StGB versteht man eine weitergehende Zeitspanne als dies bei § 32 StGB der Fall ist.18 Es reicht aus, dass der Schadenseintritt zwar noch weit entfernt liegt, aber nur durch zeitnahes Handeln verhindert werden kann.19 Ein solch zeitnahes Handeln kann ausweislich des derzeitigen Forschungsstands eine solche Rechtsgutsbeeinträchtigung verhindern oder zumindest mildern, insofern ist von einer Gegenwärtigkeit der Gefahr – und damit von einer vorhandenen Notstandslage – auszugehen.


Die Blockade muss als den Anforderungen an die Notstandshandlung genügen, mithin geeignet und erforderlich sein, die Gefahr abzuwenden, der Interessenabwägung standhalten sowie ein angemessenes Mittel sein.


Geeignetheit setzt voraus, dass bei Ausführung der Notstandstat eine Abwendung des drohenden Schadens nicht ganz unwahrscheinlich ist.20 Zwar ist die einzelne Blockade für mehr unmittelbar wirkenden Klimaschutz grundsätzlich wirkungslos,21 jedoch kommt eine mittelbare Einflussnahme auf die entscheidungstragenden Personen durch jede einzelne Blockade in Betracht, sodass die theoretische Möglichkeit besteht, diese zum Handeln zu bewegen; eine Geeignetheit zur Erreichung von mehr Klimaschutz in der Politik ist daher anzunehmen.22


Erforderlichkeit setzt voraus, dass kein milderes, gleich effektives Mittel zur Verfügung steht, um die Gefahr abzuwenden.23 In Betracht kommen als mildere Mittel vorliegend Demonstrationen, die nicht mit einer Straftatbestandsverwirklichung einhergehen. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass solche Formen der Demonstration in der Vergangenheit nicht zu einer stärkeren Klimapolitik der Bundesregierung geführt haben. Insofern erscheint auch die Erforderlichkeit gegeben zu sein.24 Das geschützte Interesse muss das beeinträchtigte wesentlich überwiegen. Dabei ist zunächst eine abstrakte Abwägung vorzunehmen.25 Deren Ergebnis ist, dass der Klimaschutz – und damit mittelbar Lebensschutz, Schutz der körperlichen Unversehrtheit, Eigentum etc. – der Beeinträchtigung der Willensfreiheit um ein Vielfaches überwiegt. Bei der nach § 34 StGB konkreten Betrachtung kommt man zu keinem anderen Ergebnis: Die zwar feststehende, aber nur kurzzeitige Beeinträchtigung der Willensbetätigung steht in keinerlei Verhältnis zu den durch die Protestaktion zwar kaum gemilderten Gefahren durch eine drohende Klimakrise.


Eine Rechtfertigung nach § 34 StGB scheitert schließlich an der fehlenden Angemessenheit der Notstandshandlung. In der Angemessenheit wird u.a. geprüft, ob für die Abwendung der bestehenden Gefahr rechtlich geordnete Verfahren existieren.26 Um politische Ziele zu erreichen, gibt es andere Wege der politischen Einflussnahme als die Begehung von Straftaten. Beispielsweise kommt ein Engagement in einer politischen Partei in Betracht, die sich dann am demokratischen Willensbildungsprozess beteiligt und die Politik in ihrem Interesse gestaltet.


Eine Rechtfertigung der Straßenblockade nach § 34 StGB kommt damit mangels Angemessenheit nicht in Betracht.


2.1.1.5.2 Verwerflichkeit


Nach § 240 II StGB ist die Tat rechtswidrig, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist. Auch wenn der Wortlaut der Norm lediglich eine Verwerflichkeitsprüfung hinsichtlich der Zweck-Mittel-Relation nahelegt, hat sich eine dreistufige Prüfung durchgesetzt, die die Verwerflichkeit des Zwecks und des Mittels einzeln betrachtet voranstellt.27


Die Verwerflichkeit des Mittels allein lässt sich zwar nicht aus der bloßen Tatbestandsverwirklichung entnehmen.28 Dass allerdings durch die angewandte Gewalt erhebliche Staus zustande kommen, die u.a. zu Verdienstausfällen der im Stau stehenden Kfz-Führer führen, spricht für eine Verwerflichkeit des Mittels. Darüber hinaus kann es ebenso zu Gefährdungen von Personen (ggf. an ganz anderer Stelle) kommen, da ihnen zur Hilfe eilende Personen durch die Blockade am schnellen Erreichen des Einsatzortes gehindert werden können. Eine Verwerflichkeit des Mittels ist daher gegeben.


Ausweislich der Erwähnung des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen in Art. 20a GG und des Klimabeschlusses des BVerfG29 kann der Zweck, diese Lebensgrundlagen zur Vermeidung von massenhaften Individualrechtsgüterschäden schützen zu wollen, keinesfalls als verwerflich angesehen werden.30 Problematisch dabei ist jedoch, dass derartige Fernziele vom BGH31 keine Berücksichtigung in der Beurteilung der Verwerflichkeit des Zwecks finden, sondern mit Zweck allein der Nötigungszweck gemeint ist, vorliegend also das Ziel, den Verkehr an der blockierten Stelle zum Erliegen zu bringen. Nach dieser – für die Praxis maßgeblichen32 – Rechtsprechung liegt eine Verwerflichkeit des Zwecks vor, da eine Straßenblockade zur Behinderung anderer keinen positiven ethischen Gehalt aufweist.33


Da sowohl das Nötigungsmittel als auch der Nötigungszweck als verwerflich anzusehen sind, kann für die Zweck-Mittel-Relation nichts anderes gelten: Auch diese ist als verwerflich einzustufen.


2.1.1.6 Zwischenergebnis


Eine Strafbarkeit wegen Nötigung gem. § 240 StGB ist daher gegeben.


2.1.2 Sachbeschädigung gem. § 303 StGB


Sollten es nur durch Herausschneiden von Straßenteilen möglich sein, die mit Sekundenkleber fixierten Aktivisten von der Fahrbahn zu entfernen, liegt eine Sachbeschädigung gem. § 303 I StGB vor. Ebenso ist die Qualifizierung gem. § 305 I StGB erfüllt, da es sich bei der Fahrbahn um eine gebaute, also von Menschen künstlich errichtete,34 Straße handelt. Dass die Aktivisten die Straße nicht selbst beschädigen, ist für ihre Strafbarkeit unerheblich: Es liegt eine mittelbare Täterschaft gem. § 25 I Var. 2 StGB vor, bei der die Person, die die Aktivisten entfernt, als gerechtfertigt handelndes Werkzeug35 fungiert.

 


Sprühaktionen der „Letzten Generation“ im Juni 2023 auf der Insel Sylt


2.1.3 Hausfriedensbruch gem. § 123 StGB


Sofern bei den Protestaktionen ohne Einverständnis des Berechtigten fremde Grundstücke betreten werden,36 liegt ein Hausfriedensbruch gem. § 123 StGB vor. Da an den Protestaktionen mehrere Mitglieder beteiligt sind, ist regelmäßig ein mittäterschaftliches Handeln gem. § 25 II StGB gegeben. Ein schwerer Hausfriedensbruch gem. § 124 StGB kommt hingegen nicht in Betracht, da es sich bei den Aktivisten um keine Menschenmenge handelt, die sich öffentlich zusammengerottet hat.37


2.1.4 Behinderung von Rettungskräften gem. § 323c II StGB


Des Weiteren kommt eine Strafbarkeit nach § 323c II StGB in Betracht, wenn es durch eine Straßenblockade zu einer Behinderung von hilfeleistenden Personen, meist Rettungswagen oder Einsatzfahrzeugen der Feuerwehr und der Polizei, kommt. Häufig dürfte in einem solchen Fall aber der Vorsatz der Aktivisten fehlen, sodass eine Strafbarkeit nach § 323c II StGB nicht in Betracht kommt.


2.1.5 Strafbarkeit nach §§ 229, 222 StGB


Eine mögliche Fahrlässigkeitsstrafbarkeit gem. § 229 bzw. § 222 StGB besteht, wenn es zu einem Körperverletzungs- oder Todeserfolg kommt, der auf die Blockade einer hilfswilligen Person durch die Aktivisten kausal und objektiv zurechenbar zurückzuführen ist.


2.2 Strafbarkeit der Mitgliedschaft nach § 129 I 1 StGB


Nach § 129 I 1 StGB macht sich strafbar, wer eine Vereinigung, deren Zweck oder Tätigkeit auf die Begehung von Straftaten gewisser Schwere gerichtet ist, gründet oder sich an ihr als Mitglied beteiligt.


2.2.1 Vereinigung


Nach der Legaldefinition des § 129 II StGB38 ist eine Vereinigung ein auf längere Dauer angelegter, von einer Festlegung von Rollen der Mitglieder, der Kontinuität der Mitgliedschaft und der Ausprägung der Struktur unabhängiger organisierter Zusammenschluss von mehr als zwei Personen zur Verfolgung eines übergeordneten gemeinsamen Interesses.


Bei der LG handelt es sich um einen Zusammenschluss von deutlich mehr als der benötigten zwei Personen. Das übergeordnete gemeinsame Interesse besteht darin, mehr Klimaschutz durch die deutsche Politik zu erreichen. Um dieses Ziel zu verwirklichen, bedarf es einer fortdauernden Tätigkeit,39 sodass von einem nur vorübergehenden Bestehen keine Rede sein kann – es handelt sich um einen auf Dauer angelegten Zusammenschluss. Ausweislich der erheblichen Online-Präsenz und des strukturierten Ablaufs der Protestaktionen ist auch von einer Organisation des Zusammenschlusses auszugehen. Mithin bildet die LG eine Vereinigung i.S.d. § 129 StGB.


2.2.2 Gründen oder als Mitglied beteiligen


Eine kriminelle Vereinigung gründet, wer eine solche neu bildet oder eine bereits bestehende legale Vereinigung in eine kriminelle umwandelt.40 Unklar ist, ob eine Neubildung oder eine Umwandlung erfolgt ist. Wer allerdings an diesen konstituierenden Sitzungen mitgewirkt hat, ist Gründer der Vereinigung.


Eine mitgliedschaftliche Beteiligung erfordert nach Ansicht des BGH41 eine gewisse formale Eingliederung in die Organisation sowie eine Förderung der kriminellen Aktivitäten aus der Organisation heraus. Ferner muss der Täter eine Stellung einnehmen, die seine Zugehörigkeit zur Organisation erkennen lässt. Schließlich darf die mitgliedschaftliche Betätigung nur mit Zustimmung der Vereinigung erfolgen.


Es ist davon auszugehen, dass es zwar keine regelhaften Aufnahmeabläufe gibt, mit denen man Mitglied der LG werden kann, jedoch ist mit der Einbindung in die Planung der Protestaktionen von einer hinreichenden Eingliederung auszugehen, was ebenfalls eine Förderung der Aktivität von innen darstellt; spätestens dann, wenn eine Beteiligung am Protest erfolgt. Zu letztgenanntem Zeitpunkt wird auch die Zugehörigkeit zur Gruppe nach außen hin erkennbar. Von einer Beteiligung von Personen ohne Zustimmung der Vereinigung ist mitunter nicht auszugehen.


2.2.3 Zweck oder Tätigkeit auf die Begehung von Straftaten gerichtet


Die Straftaten, deren Begehung die Tätigkeit oder den Zweck einer kriminellen Vereinigung darstellen, müssen solche sein, die im Höchstmaß mit einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren oder mehr bedroht sind. Das sind bis auf einige Ausnahmen nahezu alle Straftatbestände, so auch § 240 StGB, dessen Höchststrafe bei drei Jahren liegt. Hingegen scheidet eine Vereinigung, die lediglich Hausfriedensbrüche begeht, aus § 129 StGB aus, da § 123 StGB eine Höchststrafe von einem Jahr ausweist. Ebenso verhält es sich mit § 323c II StGB.


Fraglich ist, ob der Zweck der LG in der Begehung von Straftaten liegt. Dies ist dann der Fall, wenn die Organisation nach dem Willen der für ihre Willensbildung maßgeblichen Personen das Ziel verfolgt, strafbare Handlungen zu begehen und wenn sie deshalb auch ihrer inneren Struktur nach zweckrational daraufhin angelegt sind.42 Es muss das verbindlich festgelegte gemeinsame Ziel der Vereinigung sein, Straftaten zu begehen.43


Zweifelsohne kommt es durch die Mitglieder der LG zur Begehung diverser Straftaten. Diese stellen allerdings nicht das Endziel dar, da es sich bei der LG um eine Vereinigung handelt, die mit ihren Protestaktionen auf die drohende Klimakrise aufmerksam machen und die Politik zum Handeln auffordern will. Die Begehung von Straftaten stellt daher lediglich einen – aus Sicht der Mitglieder – notwendigen Zwischenschritt dar, um besagten politischen Zweck zu erreichen. Die Vereinigung besteht daher nicht um der Straftaten willen, sondern um des Klimaschutzes willen. Von einer Straftatbegehung als finale Zwecksetzung kann daher keine Rede sein.


Von einer entsprechenden Zwecksetzung ließe sich also nur sprechen, wenn man den Begriff „Zweck“ so versteht, dass auch die Mittel, die zur Erreichung des Zwecks eingesetzt werden, unter diesen Begriff gefasst werden. Dies entspricht allerdings nicht dem allgemeinen Sprachgebrauch, der stets zwischen „Zweck“ und „Mittel zum Zweck“ differenziert. Ein Zweck ist nach dem allgemeinen Sprachgebrauch nur als Endziel zu verstehen.


Nach Ansicht des BGH44 verhält es sich allerdings anders: Es genügt, wenn die Straftaten der Erreichung des weitergehenden Zwecks – hier des Klimaschutzes – dienen. Dies ist hier der Fall. Allerdings ist insbesondere mit Rücksicht auf den Schutzzweck des § 129 StGB festgestellt werden muss, dass der Tatbestand nicht das Bestehen weltanschaulich-ideologischer Gruppierungen verhindern möchte, sondern nur solche Vereinigungen, die von vornherein Straftaten begehen möchten, da nur so die erhöhte Gefährlichkeit von der Vereinigung ausgeht, die eine Strafbarkeit des bloßen Gründens bzw. der Mitgliedschaft in einer solchen Gruppe rechtfertigt.45 In diesem Kontext ist auch darauf hinzuweisen, dass die Begehung von Straftaten zur Erreichung eines erweiterten Klimaschutzes keine unmittelbare Vorbereitungshandlung darstellen kann. Es ist daher davon auszugehen, dass der Zweck der Vereinigung LG nicht auf die Begehung von Straftaten gerichtet ist.


Auf das Merkmal der Tätigkeit lassen sich die zum Zweck getätigten Aussagen wiederholen. Die Tätigkeit ist nicht auf die Begehung von Straftaten gerichtet, sondern darauf, auf die drohende Klimakrise aufmerksam zu machen.


2.2.4 Zwischenergebnis


Der Tatbestand des § 129 I 1 StGB ist nicht erfüllt. Die Mitglieder der LG machen sich nicht gem. § 129 StGB strafbar, da es sich zwar um eine Vereinigung, allerdings um keine kriminelle Vereinigung handelt.

2.3 Strafbarkeit der Unterstützung durch Spenden gem. § 129 I 2 Var. 1 StGB

Sofern man annimmt, dass eine Strafbarkeit nach § 129 I 1 Var. 2 StGB vorliegt, stellt das Unterstützen der LG mittels Spenden eine Unterstützung gem. § 129 I 2 Var. 1 StGB dar46 und ist strafbar. Sollte man gegenteiliger Auffassung sein, besteht eine solche Strafbarkeit mangels Existenz einer kriminellen Vereinigung hingegen nicht.

3 Fazit


Die Beteiligten der Straßenblockaden machen sich gem. § 240 StGB strafbar. Unter Umständen kommt auch eine Strafbarkeit gem. §§ 303 I, 305 I StGB in Betracht. Bei unbefugtem Betreten fremder Grundstücke liegt ein Hausfriedensbruch gem. § 123 I StGB vor. Eine Strafbarkeit nach § 323c II StGB ist möglich, wird aber regelmäßig mangels Vorsatzes nicht vorliegen. Ebenso kann es zu einer Strafbarkeit wegen fahrlässiger Körperverletzung oder fahrlässiger Tötung gem. §§ 229, 222 StGB kommen.


Ob die LG tatsächlich eine kriminelle Vereinigung ist, ist unklar und ggf. gerichtlich festzustellen. Nach hier vertretener Auffassung liegt eine Strafbarkeit nach § 129 I 1 StGB nicht vor, sodass auch die Spender sich nicht nach § 129 I 2 Var. 1 StGB strafbar machen.


Eine Berücksichtigung der Ziele der LG findet auf Rechtswidrigkeitsebene nicht statt, wird aber auf Ebene der Strafzumessung relevant.47 Bei dieser ist außerdem das geringe Maß der Gewalt strafmildernd zu berücksichtigen. Zu einer Straflosigkeit führen diese Ziele jedoch nicht.


Bildrechte: LG.

 

Anmerkungen

 

  1. Prof. Dr. Dennis Bock ist Inhaber des Lehrstuhls für Deutsches und Internationales Strafrecht, Strafprozessrecht und Wirtschaftsstrafrecht an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und Direktor des dortigen Instituts für Kriminalwissenschaften. Benjamin MIschke ist studentischer Mitarbeiter am Lehrstuhl von Prof. Dr. Bock.
  2. Jüngst die ausführliche Dokumentation von Spiegel-TV: www.youtube.com/watch (Teil 1) und www.youtube.com/watch (Teil 2) zuletzt abgerufen am 14.7.2023.
  3. Zur Flughafenblockade www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Klima-Aktivisten-blockieren-Hamburger-Flughafen-fuer-mehrere-Stunden,flughafen2780.html, zuletzt abgerufen am 14.7.2023.
  4. Fischer § 240 StGB Rn. 8; Joecks/Jäger § 240 StGB Rn. 12.
  5. Zur lediglich psychischen Zwangswirkung und dem sog. „vergeistigtem Gewaltbegriff“ s. Wessels/Hettinger/Engländer Rn. 359.
  6. Zur Entwicklung des Gewaltbegriffs s. Fischer § 240 Rn. 11 ff.; zur Sitzblockadenentscheidung des BVerfG s. BVerfGE 92, 1 = NJW 1995, 1141.
  7. S. dazu die sog. „Zweite-Reihe-Rechtsprechung“ des BGH: BGHSt 41, 182; BGH NJW 1995, 2862; BGH NStZ-RR 2002, 236.
  8. Allgemein zu dieser Rechtsfigur s. Rengier AT § 43 Rn. 23 ff.
  9. Zimmermann/Griesar JuS 2023, 401 (403).
  10. Rengier AT § 43 Rn. 3.
  11. Zur Kausalität nach dieser Formel s. Rengier AT § 13 Rn. 3 ff.
  12. Grundlegend zur objektiven Zurechnung Roxin/Greco AT I § 11 Rn. 1 ff.
  13. Diese wird von der h.M. bzgl. des Nötigungserfolgs gefordert: s. BGHSt 4, 210; BGHSt 5, 245; MüKo-StGB/Sinn § 240 Rn. 105; Bock BT I S. 215.
  14. Vgl. Rengier AT § 14 Rn. 8.
  15. So auch Zimmermann/Griesar JuS 2023, 401 (404).
  16. OLG Naumburg NJW 2018, 2064; Kindhäuser/Zimmermann AT § 17 Rn. 17.
  17. Zimmermann/Griesar JuS 2023, 401 (404) mit Verweis auf den sog. „Klimabeschluss des BVerfG“, s. BVerfGE 157, 30 = NJW 2021, 1723 Rn. 198.
  18. Zum Gegenwärtigkeitsbegriff des § 32 StGB s. Fischer § 32 StGB Rn. 16 ff.
  19. BGHSt 48, 255 (258 f.); BGH NJW 1979, 2053 (2054).
  20. OLG Naumburg NStZ 2013, 718 (720).
  21. Zieschang JR 2023, 141 (144 f.).
  22. So im Ergebnis auch Zimmermann/Griesar JuS 2023, 401 (404 f.).
  23. Joecks/Jäger § 240 StGB Rn. 21.
  24. Zimmermann/Griesar JuS 2023, 401 (404).
  25. AG Flensburg JR 2023, 136.
  26. S. dazu Bock AT Kapitel 6 Rn. 78 ff.
  27. Vgl. Bock BT I S. 216 ff.
  28. Bock BT I S. 217.
  29. S. bereits Fn. 16.
  30. So auch Zimmermann/Griesar JuS 2023, 401 (405).
  31. BGHSt 35, 270 (276 ff.).
  32. Darstellung einiger vom BGH abweichenden Auffassungen bei Zimmermann/Griesar JuS 2023, 401 (407).
  33. So auch AG Tiergarten NStZ 2023, 242 Rn. 9 ff.
  34. Fischer § 305 StGB Rn. 3.
  35. S. bereits Fn. 7.
  36. S. bereits Fn. 2.
  37. Zum Begriff s. Lackner/Kühl/Heger § 121 StGB Rn. 3.
  38. Vgl. BT-Drucks. 18/11275, 11.
  39. Fischer § 129 StGB Rn. 10.
  40. BGHSt 27, 325.
  41. BGH NStZ-RR 2018, 369.
  42. BGHSt 7, 225; vgl. Sch/Sch/Sternberg-Lieben/Schittenhelm § 129 StGB Rn. 7.
  43. BGHSt 31, 204 (206).
  44. BGHSt 15, 260; BGHSt 41, 56; Fischer § 129 Rn. 17.
  45. So auch Fischer § 129 StGB Rn. 14.
  46. MüKo-StGB/Schäfer/Anstötz § 129 Rn. 112.
  47. BGHSt 35, 270 (276 ff.).