Der Themenbereich Todesermittlungen im BA-Studiengang Polizei in Nordrhein-Westfalen

Von KD Christoph Frings, Duisburg

 

1 Natürlicher und nicht natürlicher Tod


 

„Der Tod ist das irreversible Ende des Lebens von Individuen. Einen momentanen Übergang vom Leben zum Tod gibt es nicht. Vielmehr verläuft das Sterbegeschehen in mehreren, extrem variablen Phasen, die jeweils durch den Ausfall bestimmter Körperfunktionen gekennzeichnet sind“.2 Beim alters- oder krankheitsbedingten Ableben wird vom sog. „natürlichen Tod“ gesprochen. Hiervon abzugrenzen sind die „nicht natürlichen Todesfälle“. „Aus medizinisch-naturwissenschaftlicher Sicht liegt ein nicht natürlicher Tod vor, wenn der Tod durch ein von außen verursachtes, ausgelöstes oder beeinflusstes Geschehen bedingt ist.“3 Konkreter ausgedrückt: „Nicht natürlich ist der durch Suizid, Unfall, durch eine rechtswidrige Tat (d.h. eine solche, die den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht, § 11 I Nr. 5 StGB) oder sonst durch Einwirkung von außen herbeigeführte Tod.“4


„Die ärztliche Leichenschau durch einen Arzt dient vorrangig der Feststellung des Todes. Zugleich soll aber auch geklärt werden, ob ein natürlicher oder ein nicht natürlicher Tod vorliegt.“5 Der Tod eines Menschen ist in jedem Fall durch einen Arzt festzustellen. Die Regelungen für die Todesfeststellung und die vorhergehende ärztliche Leichenschau sind je nach Bundesland unterschiedlich landesrechtlich geregelt. In Nordrhein-Westfalen sind nach § 9 Abs. 1 Bestattungsgesetz NRW (BestG NRW) die Hinterbliebenen verpflichtet, unverzüglich die ärztliche Leichenschau zu veranlassen. Ärztinnen und Ärzte sind nach § 9 Abs. 3 zur unverzüglichen Durchführung der Leichenschau und anschließender Aushändigung des Totenscheins an die Angehörigen bzw. die Polizei verpflichtet. Dabei hat der Arzt die unbekleidete Leiche persönlich zu besichtigen und sorgfältig zu untersuchen. Ausgenommen von der Ausstellung des Totenscheins sind Notärzte während der Einsatzbereitschaft oder eines Einsatzes. Der Arzt kann im Totenschein als Todesart nur vermerken:

  • Natürlicher Tod
  • Nicht natürlicher Tod
  • Ungeklärt ob natürlicher oder nicht natürlicher Tod vorliegt.

 

2 Statistische Übersicht zu Todesfällen und Tötungsdelikten



Für das Jahr 2020 wurden bundesweit 985.572 Sterbefälle registriert. Hiervon waren 41.794 Fälle auf eine nicht natürliche Todesursache zurückzuführen, dass entspricht einem Anteil von 4,2%. Bei 9206 Fällen lag ein Suizid vor, etwa 75% der Suizidenten waren Männer.6 In der Polizeilichen Kriminalstatistik wurden für 2020 bundesweit 2401 Fälle von Mord, Totschlag und Tötung auf Verlangen registriert.7 D.h. bezogen auf die Gesamtzahl der nicht natürlichen Todesfälle wurde bei ca. 5,7% der Verdacht eines Tötungsdeliktes festgestellt.




Abb. 1: Zahlenverhältnis Sterbefälle, nichtnatürliche Todesfälle und Tötungsdelikte für NRW.


Für NRW wurden 214.313 Sterbefälle registriert. Davon wurden 206.686 Fälle mit natürlicher Todesursache und 7627 mit nicht natürlicher Todesursache registriert.8 Für das Jahr 2020 wurden in NRW in der Polizeilichen Kriminalstatistik 372 Fälle von Mord und Todschlag registriert, die Aufklärungsquote lag bei 93,8%, der Anteil der Versuche bei 73,8%.9 Bezogen auf die Gesamtzahl der Sterbefälle von 214.313 in NRW wurde bei 3,56% der Fälle ein nicht natürlicher Tod festgestellt. Bezogen auf die Gesamtzahl der nichtnatürlichen Todesfälle wurde bei ca. 4,9% der nicht natürlichen Todesfälle der Verdacht eines Tötungsdeliktes festgestellt. Bezogen auf die Gesamtzahl der registrierten Sterbefälle liegt bei etwa 0,17% der Verdacht eines Tötungsdeliktes vor.

Armin Mätzler wird das Zitat zugeschrieben: „Die Probleme liegen nicht dort, wo es darum geht einen Mord zu bearbeiten, sondern dort, wo es gilt, ihn zu erkennen!“10 Kritisch gesehen wird das sog. Dunkelfeld im Bereich der nicht erkannten „nicht natürlichen Todesfälle“ und der Tötungsdelikte. Das Dunkelfeld der nicht erkannten Tötungsdelikte lässt sich nur durch Forschung annähernd grob bestimmen. „Aufgrund einer multizentrischen Studie, an der sich 23 rechtsmedizinische Einrichtungen in Deutschland beteiligt hatten, ergab sich eine geschätzte Anzahl von jährlich wenigstens 1200 nicht erkannten Tötungsdelikten bzw. 11.000 nicht natürlichen Todesfällen, die offiziell als natürliche Todesfälle eingestuft wurden.“11 Bei 41.794 bundesweit registrierten ungeklärten Todesfällen würde dies ein Dunkelfeld von ca. 25% bei der Zahl der ungeklärten Todesfälle und bei 2401 registrierten Tötungsdelikten, würde dies ein Dunkelfeld von ca. 50% der registrierten Tötungsdelikte bedeuten. Bundesweit könnte man auf dieser Grundlage „hochgerechnet“ von über 50.000 nicht natürlichen Todesfällen und ca. 3600 Tötungsdelikten ausgehen. Überträgt man die Hochrechnung auf NRW, könnte man bei 7627 registrierten „nicht natürlichen Todesfällen“ von ca. 9500 nicht natürlichen Todesfällen sowie statt der 372 registrierten Mord- und Totschlagsdelikte von etwa 550 Mord- und Totschlagsdelikten ausgehen.

Der Arzt erfüllt bei der Ausstellung des Totenscheins für das weitere Todesermittlungsverfahren eine ausschlaggebende „Weichenstellung“. Nur wenn der Arzt einen „nicht natürlichen Tod“ attestiert oder die „Todesart ungeklärt“ vermerkt, wird die Polizei nach § 9 Abs. 3 BestG NRW informiert oder ggf. wenn der vor Ort befindliche Notarzt die Ausstellung eines Totenscheins einsatzbedingt ablehnt.

Eine der Ursachen für nicht erkannte Tötungsdelikte ist u.a. in einer nicht sachgerecht durchgeführten Leichenschau zu suchen. Häufig wird im Rahmen der ärztlichen Leichenschau der Leichnam nicht oder nicht vollständig entkleidet. Ein weiterer Fehler ist, dass die verstorbene Person durch den (häufig allein vor Ort befindlichen Arzt) nicht umgedreht wird oder die Untersuchung der Leiche, aus unterschiedlichen Gründen, nicht sorgfältig erfolgt. Bisweilen mangelt es auch an profunden ärztlichen Kenntnissen, um unauffälligere Verletzungsmerkmale oder Spurzeichnungen am Leichnam zu erkennen. So können nach den landesrechtlichen Regeln für NRW alle approbierten Ärztinnen und Ärzte die Leichenschau durchführen, eine spezielle fachliche Fortbildung ist nicht erforderlich. In den Fällen einer Erdbestattung erfolgt nach ärztlicher Leichenschau und Ausstellung der Todesbescheinigung keine weitere Inaugenscheinnahme der Leiche mehr. In den Fällen einer vorgesehenen Feuerbestattung ist eine zweite Leichenschau durch einen amtlich bestellten Arzt (§ 15 Abs. 1 BestG NRW) vorgesehen.

 

3 Polizeiausbildung in Nordrhein-Westfalen


Seit 2002 erfolgen Neueinstellungen in den Polizeivollzugsdienst nur noch in den gehobenen Dienst. Eine Begutachtung der polizeilichen Anforderung durch die Unternehmensberatung Kienbaum hatte zu dem Ergebnis führte, dass bereits die Aufgabenwahrnehmung im Wach- und Wechseldienst grundsätzlich dem gehobenen Polizeivollzugsdienst zuzurechnen ist.12 Dies hatte zur Folge, dass ein dreijähriges Fachhochschulstudium jetzt die grundlegende Ausbildung für Polizeibeamte ist. Wurden früher Polizeibeamte 2 ½ Jahre für den mittleren Dienst ausgebildet und studierten dann noch 3 Jahre an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW (FHöV NRW), jeweils getrennt für die Verwendung des gehobenen Dienstes bei der Schutz- oder Kriminalpolizei, so standen jetzt für das Studium nur noch 3 Jahre für die komplette Wissensvermittlung zur Verfügung. In NRW sind drei Ausbildungsträger arbeitsteilig unter Federführung der HSPV NRW für die Ausbildung verantwortlich. Die Vermittlung der Theorieinhalte erfolgt durch die HSPV NRW, die Trainings zu ausgewählten Inhalten werden beim LAFP NRW durchgeführt und die Praktika bei den Einstellungs- und Ausbildungsbehörden (EuA-Behörden) durchgeführt.

Der Bachelorstudiengang wurde im Jahr 2015/2016 grundlegend überarbeitet. Die Überarbeitung erfolgte, da der Studiengang mit ca. 1400 Studierende an seine Kapazitätsgrenze gestoßen war. Ertüchtigt werden sollte der Studiengang für 185013 Studierende unter folgenden Bindungen:

  • Beibehaltung der Qualität der Ausbildung
  • Optimaler Auslastung der Trainingskapazitäten beim Landesamt für Ausbildung, Fortbildung und Personal (LAFP)
  • Vermeidung von Investitionen in Neu- oder Umbauten.

Da das Land NRW keine getrennten Stellenkegel für die Schutz- und Kriminalpolizei hat, war eine einheitliche Ausbildung aller Studierenden beizubehalten. Weiter war zu prüfen, wie die Qualität der Ausbildung im Bereich der Kriminalitätsbekämpfung optimiert werden kann ohne jedoch Qualitätseinbußen in anderen Ausbildungsbereichen hinzunehmen. Der Stundenansatz in einer dreijährigen Ausbildung war bereits vorher ausgereizt und nicht beliebig „vermehrbar“.14

Das Land NRW trägt dem Umstand, dass u.a. für Verwendungen bei der Kriminalpolizei oder in Führungsfunktionen ergänzendes Wissen erforderlich ist, durch entsprechende Einführungsfortbildungen Rechnung, wenn Polizeibeamte später in diese Bereiche wechseln. Die entsprechenden Einführungsfortbildungen werden durch das LAFP NRW angeboten. Dies bietet den Vorteil, dass dann vermitteltes Wissen auch als berufsnotwendig wahrgenommen wird und auf dem dann jeweils aktuellen fachlichen Niveau vermittelt wird. Derzeit werden Studierende in NRW nach Beendigung Ihrer Ausbildung fast ausschließlich zuerst im Wach- und Wechseldienst verwendet, wenn sich auch früh für einzelne Studierende Verwendungsperspektiven auch in den Direktionen Kriminalität zeigen.

Zusätzlich werden für den Bereich der Todesermittlungen durch das LAFP zwei aufeinander aufbauende jeweils 14-tägige Fachlehrgänge ergänzend angeboten. Für MK-Leiter wird zudem ein ergänzender einwöchiger Zusatzlehrgang angeboten.

 

4 Relevanz des Todesermittlungsverfahrens für den BA-Studiengang Polizeivollzugsdienst


Grundlegend für die Kompetenzziele des Studiengangs und daraus resultierend für die Lehrinhalte, bei eng begrenzten Stundenbudgets und stets wachsender Komplexität des erforderlichen Wissens zur polizeilichen Aufgabenerledigung, war das gesetzlich normierte Ausbildungsziel. Nach § 1 Abs. 2 VAPPol II Bachelor „soll die Ausbildung die Studierenden in den Stand versetzen, Aufgaben des Wachdienstes zu erfüllen und Grundkenntnisse der allgemeinen Kriminalitätssachbearbeitung, der Verkehrssicherheitsarbeit sowie des Einsatzes aus besonderem Anlass anzuwenden.“ Es besteht somit nicht nur die Bindung daran, dass der Studiengang nur eine Qualifizierung für den Wachdienst ermöglichen muss und eventuell eine Beschränkung der kriminalistischen Inhalte auf die Kenntnisse für die reine Tatortabsicherung und die Anzeigenaufnahme ausreichend sein könnten. Nicht nur eine spätere mögliche Verwendung bei der Direktion Kriminalität sondern auch schon die sachgerechte Aufgabenerfüllung in den Direktionen Gefahrenabwehr/Einsatz (GE) und Verkehr (V) erfordert darüber hinausgehende Kenntnisse der Kriminalwissenschaften. Stets sind es die Kräfte des Wachdienstes die bei Straftaten zuerst am Tatort oder bei Todesfällen zuerst am Leichenfundort eintreffen. Fehler und Versäumnisse die durch ersteintreffende Kräfte des Wachdienstes am Leichenfundort oder am Tatort gemacht werden, lassen sich im späteren Verlauf in der Regel nicht wieder ausgleichen. Bei landesweit registrierten 7627 nicht natürlichen Todesfällen ist davon auszugehen, dass Beamtinnen und Beamte des Wachdienstes mehrfach jährlich mit diesem Einsatzanlass konfrontiert werden. Bei diesen Einsätzen geht es nicht nur um die sichere Abgrenzung zwischen Tötungsdelikt, Suizid, Unfall oder doch „nur“ einer zunächst unklaren Todesursache und der professionellen Veranlassung von Erstmaßnahmen des Sicherungsangriffs. Genauso wichtig ist der empathische und angemessene Umgang mit trauernden Angehörigen und Geduld bei der Erklärung polizeilicher Maßnahmen, die Angehörige nur als „Zumutung“ empfinden können, wie z.B. die Absperrung des Leichenfundortes oder die Unterbindung des Kontaktes zur Leiche sowie deren spätere Beschlagnahme. Daher waren auch die erforderliche Grundlagen für die Durchführung von Erstmaßnahmen bei „nicht natürlichen Todesfällen“ in den Studiengang zu integrieren. Dabei leiten sich die zu vermittelnden Lehrinhalte aus der wesentlichen Anschlussverwendung der Studierenden nach Beendigung des Studiums (= Wachdienst) sowie den dann für die Aufgabenwahrnehmung erforderlichen wesentlichen Kenntnissen ab.

 

5 Polizeiliche Aufgabenstellung im Todesermittlungsverfahren


Wesentliche Aufgabe der Polizei ist die Gefahrenabwehr und die Pflicht zur Strafverfolgung. Die Polizei NRW ist sachlich zur Gefahrenabwehr nach § 1 Abs. 1 PolG NRW zuständig. Zunächst einmal obliegt den eingesetzten Kräften die Prüfung ob die Person wirklich verstorben ist oder ggf. noch leben könnte. Besteht die Möglichkeit, dass die Person noch leben könnte, sind bis zur ärztlichen Feststellung des Todes unverzüglich persönlich Erste-Hilfe-Maßnahmen durchzuführen und RTW und NAW zu verständigen. Zur sicheren Feststellung bzw. Differenzierung ob eine Person bereits verstorben ist oder noch leben könnte, dienen die sog. sicheren und unsicheren Todeszeichen.



Abb. 2: Sichere und unsichere Todeszeichen.


Nach § 1 Abs. 4 PolG NRW ist die Polizei sachlich zuständig auch die Aufgaben zu übernehmen, die ihr durch andere Rechtsvorschriften übertragen worden sind. Eine solche andere Rechtsvorschrift stellt u.a. § 159 StPO dar. Sind Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass jemand eines nicht natürlichen Todes gestorben ist, oder wird der Leichnam eines Unbekannten gefunden, so sind die Polizei- und Gemeindebehörden nach § 159 Abs. 1 StPO zur sofortigen Anzeige an die Staatsanwaltschaft oder an das Amtsgericht verpflichtet.

Die Vorschrift wirkt etwas antiquiert formuliert, sie ist in dieser Formulierung schon mindestens seit 1925 so im Polizeihandbuch von Retzlaff abgedruckt.15 Die Rolle der Polizei hat sich inzwischen deutlich gewandelt und Polizeibeamte sind nicht mehr nur die Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft. Die Vorschrift verpflichtet heute nicht nur die Polizei zur reinen Information an die Staatsanwaltschaft über den nicht natürlichen Todesfall oder die Auffindung einer unbekannten Leiche. Die Vorschrift begründet für die Polizei vielmehr einen eigenständigen Aufklärungsauftrag mit dem Ziel, eine belastbare Informationsgrundlage für weitergehende Entscheidungen der Staatsanwaltschaft zu schaffen.

Ein Todesermittlungsverfahren nach § 159 StPO stellt noch kein Ermittlungsverfahren nach § 160 StPO dar, „die Vorschrift dient der Beweissicherung, indem sie die frühzeitige Information der Ermittlungsbehörden bei Todesfällen mit unnatürlicher Ursache und beim Auffinden eines unbekannten Toten sicherstellt. Hierdurch soll der Staatsanwaltschaft möglichst frühzeitig die Prüfung und Entscheidung ermöglicht werden, ob ein Ermittlungsverfahren wegen eines Tötungsdeliktes einzuleiten ist. Ferner soll auch sichergestellt werden, dass kein Beweismittelverlust eintritt.“16 Der Schutz menschlichen Lebens ist eine der vordringlichen staatlichen Aufgaben, Straftaten gegen das menschliche Leben beeinträchtigen zudem das subjektive Sicherheitsgefühl im Bereich der Tatortgemeine, oftmals aber auch darüber hinaus, erheblich. Die Leiche ist bei einem möglichen Tötungsdelikt, auch bei fahrlässiger Tötung (so z.B. durch ärztlichen Behandlungsfehler) „Hauptbeweismittel“. Je nach Tat- oder Geschehensablauf weist die Leiche entsprechende Spuren der Tat, des Täters oder des Geschehensablaufs auf. „Die StPO gestattet nur ausnahmsweise Maßnahmen im Vorfeld des zureichenden Verdachts, so bei der einstweiligen Inbeschlagnahme von Zufallsfunden (§ 108), der erkennungsdienstlichen Behandlung (§ 81b 2. Alt.), der Durchführung einer molekulargenetischen Untersuchung für zukünftige Strafverfahren (§ 81g), der Entgegennahme und Protokollierungspflicht für Strafanzeigen und Strafanträge (§ 158), der Anzeigeverpflichtung bei nicht-natürlichen und Leichenfunden Unbekannter (§ 159) und der Datenverarbeitung für künftige Strafverfahren (§ 484).“17

„Die Anhaltspunkte für einen nicht natürlichen Tod müssen konkret sein und wenigstens auf eine entfernte Möglichkeit einer Straftat hinweisen, z.B. Spuren die auf Gewaltanwendung hindeuten. Sie können sich aus dem Ort oder den näheren Umständen der Auffindung ergeben, ferner aus auffälligem Verhalten anwesender Personen, bei jüngeren Menschen aus dem Fehlen von Anhaltspunkten für einen natürlichen Tod.“18

Das Todesermittlungsverfahren ist kein Ermittlungsverfahren nach § 160 StPO, jedoch ergeben sich die Eingriffsbefugnisse zur Ermittlungsführung für Polizei und Staatsanwaltschaft aus der Strafprozessordnung. Auch wenn es sich bei dem Todesermittlungsverfahren noch nicht um ein Ermittlungsverfahren handelt, so ist es aus den o.g. Gründen jedoch diesem unmittelbar vorgelagert. Zielrichtung ist die Prüfung, ob nun tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer strafbaren Handlung bestehen, d.h. der Anfangsverdacht einer Straftat besteht oder eben keine Anhaltspunkte dafür zu finden sind.

Wesentlicher kriminaltaktischer Grundsatz ist es stets die Leiche und den Leichenfundort in Ruhe und kritisch in Augenschein zu nehmen. Hierbei gilt es nicht vordringlich nach Erklärungsansätzen zu suchen was für ein mögliches natürliches Ableben der Person spricht, sondern nach Hinweisen zu suchen, die gegen ein natürliches Ableben der Person sprechen. Dies bedeutet immer die Gratwanderung zwischen einem angemessen pietätsvollen Umgang mit dem Leichnam und einer professionellen und unvoreingenommenen Untersuchung der Leiche und des Leichenfundortes. Gleichfalls ist beim Umgang mit den Angehörigen des Opfers einerseits empathisch und pietätsvoll aufzutreten, andererseits sind erste Befragungen zur unverzüglichen Erhebung des subjektiven Befundes durchzuführen.

Wichtig zur sachgerechten Dimensionierung der Maßnahmen des Sicherungsangriffs ist, dass bereits durch die Kräfte des Wachdienstes eine sachgerechte Ersteinschätzung des Sachverhaltes erfolgt. Handelt es sich hier offenbar wohl „nur“ um einen nicht natürlichen Todesfall oder Suizid oder liegt hier eine fahrlässige Tötung oder gar ein vorsätzliches Tötungsdelikt vor. In jedem Fall ist der Fundort der Leiche unverzüglich abzusperren. Angehörige des Verstorbenen sollten bei der polizeilichen Inaugenscheinnahme der Leiche nicht anwesend sein. Liegt ein nicht natürlicher Tod vor oder ist augenfällig davon auszugehen, sind Veränderungen an der Leiche durch die Kräfte des Wachdienstes auf das unumgängliche Maß zu reduzieren. Sobald für den Arzt bei der ärztlichen Leichenschau klar ist, dass die Person verstorben ist und ein nicht natürlicher Todesfall vorliegt, sind keine weiteren Veränderungen mehr an der Leiche durchzuführen bzw. ist die ärztliche Leichenschau unverzüglich zu beenden (§ 9 Abs. 5 BestG NRW). Soweit möglich sind unmittelbar bei der Auffindung der Person durch die Kräfte des Wachdienstes Fotos der Person als auch des Auffindeortes zu fertigen. Zu den Feststellungen am Leichenfundort, den getroffenen und veranlassten Maßnahmen sowie den vorgenommenen Veränderungen ist ein ausführlicher Bericht zu fertigen. Es sind nicht nur die objektiven Befunde am Leichenfundort zu sichern und zu dokumentieren, erforderlich ist auch die Sicherung des subjektiven Befundes, so u.a. die Anhörung der vor Ort befindlichen Angehörigen und weiter Personen. In einem Todesermittlungsverfahren ist natürlich die Leiche selber das wichtigste Beweismittel und ist daher stets nach §§ 94, 98 StPO zu beschlagnahmen, wenn gleich im allgemeine polizeilichen Sprachgebrauch von einer „Sicherstellung der Leiche“ gesprochen wird. Dies bedeutet, dass den Angehörigen der Zugriff auf den Leichnam direkt zu verwehren ist, damit Veränderungen der Beweislage unterbleiben. Weiterhin ist der Fundort der Leiche abzusperren, Veränderungen sind konsequent zu unterbinden (wie z.B. das Entfernen von Gegenständen durch Angehörige). Für die weiteren Maßnahmen sind die Kräfte des KK 11 bzw. außerhalb der Bürodienstzeit die Kriminalwache anzufordern. Der Leichenauffindeort ist bis zum Eintreffen der Kräfte nicht zu verlassen. Bis zur Freigabe der Leiche durch die Staatsanwaltschaft haben die Angehörigen keinen Zugang zum Leichnam des Verstorbenen.

Durch die Kräfte der Fachdienststelle bzw. die Kriminalwache ist dann vor Ort der Auswertungsangriff durchzuführen.19 Über das Ergebnis der polizeilichen Leichenschau ist dann unverzüglich die zuständige Staatsanwaltschaft zu informieren. Sollten Restzweifel bestehen, dass am Todeseintritt Fremdverschulden ausgeschlossen werden kann, wird durch die Kriminalpolizei i.d.R. die Beantragung einer Obduktion durch die Staatsanwaltschaft angeregt.

 


Abb. 3: Polizeiliche Aufgabenstellungen im Todesermittlungsverfahren.

 

6 Identifizierung zu vermittelnder Lehrinhalte im Rahmen des BA-Studiengangs Polizeivollzugsdienst


Neben einschlägigen rechtlichen Grundkenntnissen zu Maßnahmen der polizeilichen Gefahrenabwehr benötigen die Studierenden wesentliche Grundkenntnisse der Ersten Hilfe. Diese Kenntnisse werden den Studierenden im Rahmen des Berufspraktischen Trainings beim LAFP NRW vermittelt.

Im zweiten Studienjahr werden den Studierenden im Rahmen des Hauptstudiums 2 die wesentliche Grundzüge des Todesermittlungsverfahrens erläutert (Lernzielstufe Stufe 2). Zudem sollen die Studierende zur sachgerechten Einordnung ob eine Person tatsächlich verstorben ist oder noch leben könnte, die sicheren und unsicheren Todeszeichen, die Todesarten und Todesursachen unterscheiden können (Lernzielstufe 2). Weiterhin sollen die Studierenden Konzeptionen für die Durchführung von Maßnahmen des Sicherungsangriffs in Todesermittlungsverfahren entwickeln können. Da die Durchführung des Sicherungsangriffs quasi „Kerngeschäft“ des Wachdienstes ist, ist hier die Lernzielstufe 4 vorgesehen.

Zur Erreichung dieser Lehr- und Lernziele sind u.a. folgende Lehrinhalte vorgesehen:

  • Die Abgrenzung zwischen natürlichem und nicht-natürlichem Tod
  • Unterscheidung zwischen sicheren und unsicheren Todeszeichen
  • Die Eingrenzung der Todeszeit
  • Die Abgrenzung zwischen Suizid, Fremdbeibringung und Unglückfall, insbesondere bei:
  • Tod durch scharfe Gewalt
  • Tod durch Ersticken
  • Tod durch stumpfe Gewalt
  • Tod durch Schusseinwirkung
  • Tod durch Ertrinken
  • Tod durch Elektrizität
  • Maßnahmen des Sicherungsangriffs bei To-des-ermittlungs-verfahren
  • Wesentliche Grundzüge des Todesermittlungsverfahrens (u.a. Vermittlung von wesentlichen Normen des Bestattungsgesetzes NRW, § 159 StPO)


Für die Vermittlung der Gesamtinhalte ist nur ein sehr knapper Ansatz von 14 Präsenzlehrveranstaltungsstunden im Fach Kriminalistik sowie 10 Stunden Selbststudium vorgesehen. Die Hälfte der Selbststudienstunden entfällt dabei auf das angeleitete Selbststudium das unter Anleitung durch die Lehrenden durchzuführen ist. Die grundsätzlichen Inhalte des Sicherungsangriffs an Tatorten werden den Studierenden bereits im Grundstudium (Modul GS 5) mit insgesamt 21 LVS und 18,5 Stunden im Selbststudium vermittelt. Somit sind im HS 2 nur noch die Besonderheiten des Sicherungsangriffs bei der Auffindung von Leichen zu behandeln.

Auf die Vermittlung des Auswertungsangriffs wurde verzichtet, da dieser durch die Kräfte des KK 11 bzw. der K-Wache erfolgt und es für diese spezialisierte Aufgabenwahrnehmung, die nur durch einen kleinen Teil der Ermittlungskräfte wahrgenommen wird, beim LAFP NRW angebotene Fortbildungsangebote gibt. Weiterhin wäre in den verfügbaren Stunden die Vermittlung des Auswertungsangriffs nicht sachgerecht möglich gewesen.

Begleitet wird das Kriminalistische Lehrangebot von Angeboten in den Fächern Ethik (Überbringung einer Todesnachricht/Empathischer Umgang mit Angehörigen), Psychologie und im Reflektionsmodul.

 


Abb.4: Identifizierung zu vermittelnder Lehrinhalte.

 

Literaturquellen


Statistisches Bundesamt (Hg.): Pressemitteilung Nr. 505 vom 4.11.2021 zur Todesursachenstatistik 2020.

Bundesministerium des Inneren (HG.): Polizeiliche Kriminalstatistik 2020 – Ausgewählte Zahlen im Überblick, Berlin 2021.

Graf: Kommentar zur Strafprozessordnung , 4. Aufl., München 2021.

Kramer: Strafverfahrensrecht, 9. Aufl., Stuttgart 2021.

Meyer-Goßner/Schmitt: Kommentar zur Strafprozessordnung, 65. Aufl., München 2022.

Mätzler/Wirth: Todesermittlung – Grundlagen und Fälle, 5. Aufl., Heidelberg 2016.

Retzlaff: Retzlaffs Polizeihandbuch, 31. Aufl. Lübeck 1925.

Wirth: Kriminalistik-Lexikon, 5. Aufl., Heidelberg 2021.

 

Anmerkungen

 

  1. Der Autor ist Kriminaldirektor und Dozent für Kriminalwissenschaften an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen (HSPV), Abteilung Duisburg.
  2. Wirth/Schmeling, S. 8.
  3. Wirth, S. 438.
  4. Meyer-Goßner/Schmitt, zu § 159, Rn. 2.
  5. Mätzler/Wirth, S. 12.
  6. www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2021/11/PD21_505_23211.html (zuletzt aufgerufen 31.5.2022).
  7. www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/themen/sicherheit/pks-2020.pdf=2 (zuletzt aufgerufen 31.5.2022).
  8. www.it.nrw/statistik/eckdaten/gestorbene-1298 (zuletzt aufgerufen am 31.5.2022).
  9. Landeskriminalamt NRW, S. 122.
  10. Mätzler/Wirth, Einleitung.
  11. Mätzler/Wirth, S. 435.
  12. Kienbaum Unternehmensberatung GmbH (Hrsg., 1991): Funktionsbewertung der Schutzpolizei. Studie im Auftrag des IM NRW. Düsseldorf.
  13. Derzeit werden jährlich über 2600 Studierende pro Einstellungsjahrgang in NRW eingestellt.
  14. Weiterführend dazu: Frings/Zeitner in: Die Kriminalpolizei 1/2019, S. 15.
  15. Retzlaff, S. 1050.
  16. Graf, § 159 StPO, Rn. 1.
  17. Kramer, S. 158, Rn. 172.
  18. Meyer-Goßner/Schmitt, § 159, Rn. 5.
  19. Weiterführend hierzu: Frings, Polizei-Studium-Praxis 1/2022, S. 12.