Auf dem Weg zu einem Sicherheitsdienstleistungsgesetz (SDLG)

Von Dr. Harald Olschok, Bad Homburg/Berlin

 

1 Vorbemerkungen


 

Im Jahr 1901 wurde das erste deutsche Sicherheitsunternehmen in Hannover gegründet. Nur drei Jahre später kam es in Köln zur Gründung des Vorläuferverbandes des BDSW. Zu seinen ersten Forderungen gehörte die Einführung einer Gewerbeerlaubnis. Mit der Einführung des § 34a im Jahr 1927 in die Gewerbeordnung wurde dieses Ziel nach 23 Jahren erreicht. Fast 70 Jahre später, am 8. Dezember 1995, beantragte die SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag, ein Aufgaben- und Befugnisgesetz für die privaten Sicherheitsdienste zu verabschieden. Initiatoren waren die gelernten Polizisten und GdP-Mitglieder Hans-Peter Kemper und Günter Graf. Wir haben uns erfolgreich dagegen gewandt. Ein Aufgabengesetz kann nur den Status quo festschreiben. Es kann nicht Veränderungen in der Nachfrage nach Sicherheitsdienstleistungen in einer Marktwirtschaft bei sich ändernden Gefahrenlagen ausreichend berücksichtigen. Ein Befugnisgesetz hielten und halten wir für nicht notwendig. Die bestehenden rechtlichen Grundlagen auf Basis der Jedermanns- und Hausrechte sind für die weit überwiegenden Tätigkeiten ausreichend. Kommt es zu Aufgaben wie dem Schutz militärischer Liegenschaften oder kerntechnischer Anlagen bzw. Aufgaben im Bereich der Luftsicherheit so sind Befugnisse spezialgesetzlich zu regeln. In den letzten 25 Jahren hat unsere Branche zahlreiche neue Aufgaben übernommen, für die die gewerberechtlichen Grundlagen nicht mehr ausreichen. Deshalb fordern wir seit einigen Jahren die Verabschiedung eines Sicherheitsdienstleistungsgesetzes (SDLG). Dieses Vorhaben wurde bereits von der Großen Koalition aufgegriffen, aber zu keinem Abschluss gebracht. Die neue Bundesregierung hat die Neuregelung in ihre Koalitionsvereinbarung aufgenommen. Wir gehen davon aus, dass in der laufenden Legislaturperiode das SDLG verabschiedet wird. Das wäre ein Meilenstein in der 120-jährigen Geschichte des Sicherheitsgewerbes

 

 

2 Alte und neue Aufgaben der Sicherheitswirtschaft in Zeiten von Corona


Deutschland ist eines der sichersten Länder der Welt. Dazu tragen auch die privaten Sicherheitsunternehmen mit ihren vielfältigen Dienstleistungen und ihren rund 260.000 Mitarbeiter*innen bei. Die Sicherheitswirtschaft stellt eine unverzichtbare Säule in der Sicherheitsarchitektur dar. Sie trägt zur Gefahrenabwehr und Kriminalitätsprävention bei und leistet einen wichtigen Beitrag zur Inneren Sicherheit in Deutschland. Dies wurde erstmalig in der Geschichte der Bundesrepublik in der Koalitionsvereinbarung vom 12. März 2018 für die 19. Legislaturperiode ausdrücklich festgestellt.

Seit rund drei Jahrzehnten wird das Wirken der Sicherheitswirtschaft zunehmend in der Öffentlichkeit und damit auch für die Bürger*innen erkennbar. Der Schutz von Krankenhäusern, der Schutz von Alten- und Pflegeheimen, der Schutz von Veranstaltungen, der Einsatz als „City-Streifen” im privaten oder kommunalen Auftrag, die Begleitung des öffentlichen Personenverkehrs (ÖPV), Fluggastkontrollen an Verkehrsflughäfen, der Schutz von Flüchtlingsunterkünften, der Schutz von Universitätsgeländen und Schulen, Friedhöfen, Schwimmbädern, Weihnachtsmärkten tragen dazu bei.

Mit Beginn der Coronapandemie im März 2020 kam die Kontrolle auf Einhaltung der Abstandsgebote und Überwachung von Hygienekonzepten in Supermärkten, Alten- und Pflegeheimen sowie Krankenhäusern dazu. Zum Jahreswechsel 2020/2021 folgte der Schutz von über 400 Impfzentren durch bis zu 17.000 private Sicherheitskräfte. Die Überprüfung der 2G- oder 3G-Regeln bei Fußballspielen und anderen Veranstaltungen, im ÖPV, beim Besuch von Weihnachtsmärkten und in Kaufhäusern bzw. Einkaufszentren sind weitere neue Aufgaben der letzten Monate. Diese Beispiele haben nicht nur zu einer verstärkten öffentlichen Wahrnehmung, sondern auch zu einer Stärkung der Akzeptanz in Bevölkerung und Politik geführt.

Die Sicherheitsbehörden sind in einer freiheitlichen Gesellschaft nicht in der Lage, die Sicherheit jedes Einzelnen und seines Eigentums überall und flächendeckend zu gewährleisten. Eigenvorsorge und Eigenverantwortung von öffentlichen und privaten Einrichtungen bzw. Unternehmen sind heute stärker denn je gefordert.

 

3 Die Sicherheitswirtschaft im Fokus der Politik


Die Unternehmen der Sicherheitswirtschaft benötigen aufgrund ihrer gewachsenen Bedeutung und ihres erweiterten Einsatzspektrums eine eigenständige rechtliche Grundlage in der Ressortzuständigkeit des Bundesinnenministeriums. Folgerichtig wurde in der Koalitionsvereinbarung der letzten Bundesregierung vom 12. März 2018 ausgeführt: „Private Sicherheitsbetriebe leisten einen wichtigen Beitrag zur Sicherheit. Durch die Neuordnung der Regelungen für das private Sicherheitsgewerbe in einem eigenständigen Gesetz werden wir die Sicherheitsstandards in diesem Gewerbezweig verbessern und so für noch mehr Sicherheit und Verlässlichkeit sorgen.“ Leider wurde dieses vereinbarte Vorhaben nicht mehr abgeschlossen, obwohl das Bundesinnenministerium intensiv an einem Referentenentwurf gearbeitet hat. Ein Quantensprung war der zum 1. Juli 2020 durchgeführte Zuständigkeitswechsel vom Bundeswirtschaftsministerium zum Bundesinnenministerium.

Der BDSW begrüßt es ausdrücklich, dass die neue Bundesregierung das unvollendete Projekt ihrer Vorgängerin erneut aufgegriffen hat. Im Koalitionsvertrag haben sich SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP darauf verständigt, „verbindliche Standards für private Sicherheitsdienste in einem eigenen Gesetz zu regulieren“. Die Koalitionspartner werden damit ihrer Verantwortung für die Weiterentwicklung einer zukunftsweisenden Sicherheitsarchitektur und der Sicherheitswirtschaft gerecht.

 

4 SDLG: Deutschland (noch) sicherer und resilienter machen2


In einem eigenständigen SDLG sind für einige Tätigkeiten der privaten Sicherheitsdienste spezifische Rechtsgrundlagen zu schaffen (4.1). Eine Basis-Schulung für alle neu in die Branche eintretenden Beschäftigten soll das Unterrichtungsverfahren ersetzen und kann auch durch zertifizierte Sicherheitsfachschulen angeboten werden (4.2). Schnelle und umfassende Zuverlässigkeitsüberprüfungen für alle Beschäftigten sind für die privaten Sicherheitsdienste von großer Bedeutung. Durch ein „Kaskadenmodell“ werden Mehrfachüberprüfungen überflüssig und die Effizienz kann gesteigert werden (4.3). Das Bewacherregister (BWR), in dem alle Beschäftigte unserer Branche erfasst werden sollten, ist nach fast drei Jahren immer noch nicht vollumfänglich funktionsfähig. Durch den schnellen Übergang vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) auf das Statistische Bundesamt ist die volle und nachhaltige Funktionsfähigkeit baldmöglichst herzustellen (4.4). Für betriebseigene Sicherheitskräfte sind verbindliche Sicherheits- und Qualitätsstandards einzuführen (4.5). Immer mehr private Sicherheitskräfte sind in „konfliktgeneigten“ Tätigkeiten eingesetzt und werden dadurch auch immer häufiger Opfer von Übergriffen. Zum Schutz der Mitarbeiter*innen sind Rechtsgrundlagen für den Einsatz von Bodycams in bestimmten Aufgabengebieten zu schaffen (4.6). Vor rund zehn Jahren kam es weltweit zu einer dramatischen Steigerung von Piratenangriffen auf die Handelsflotte. Nicht nur in Deutschland wurde der Einsatz von privaten Sicherheitskräften zum Schutz vor Piraten gesetzlich geregelt. Ein neuer § 31 wurde in das Gewerberecht eingeführt. Leider fand eine Überregulierung statt. Derzeit ist nur noch ein deutsches Sicherheitsunternehmen vom BAFA lizenziert. Um die Sicherung der Seehandelswege zumindest für deutschflaggige Schiffe zu sichern, muss die Regelung überarbeitet werden (4.7). Kommunale Sicherheits- und Ordnungsaufgaben werden immer wichtiger. Bei der Fülle ihrer Aufgaben greifen immer mehr Kommunen – zumindest partiell - auf private Sicherheitsdienste zurück. Für eine effiziente Unterstützung, und damit auch Entlastung der Polizei, sind geeignete Rechtsgrundlagen zu schaffen (4.8). Der Wirtschaftsschutz, insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen (KMU), wird immer wichtiger. Viele KMU können sich keine eigenen Sicherheitsabteilungen leisten. Ein Beauftragter der Bunderegierung für Wirtschaftsschutz soll dem Rechnung tragen und die vielfältigen Aktivitäten bündeln (4.9). Ein besonderes Ärgernis für private Sicherheitsdienste ist in vielen Fällen die öffentliche Vergabepraxis. Eine Billigstvergabe muss durch die verbindliche Einführung von Standards beendet werden (4.10).

4.1 Spezifische Rechtsgrundlagen für bestimmte Aufgabenbereiche


Die Sicherheitswirtschaft trägt mit ihrem stetig gewachsenen Dienstleistungsspektrum wesentlich zur Gefahrenminimierung für Staat, Wirtschaft und Gesellschaft bei. Für die nachfolgenden Einsatzbereiche, in denen ein besonders hohes Maß an Sicherheit geboten ist, regen wir an, im Rahmen des Sicherheitsdienstleistungsgesetzes verbindliche Anforderungen an Qualifikation, Schulung und Weiterbildung aller Sicherheitsmitarbeiter*innen und Führungskräfte der Sicherheitsdienstleister zu stellen:

  • Sicherheitsdienstleistungen zum Schutz von Objekten kritischer Infrastrukturen,
  • Sicherheitsdienstleistungen im öffentlichen Personenverkehr (ÖPV),
  • Sicherheitsdienstleistungen zum Schutz von Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften für Asylbewerber oder Flüchtlinge,
  • Sicherheitsdienstleistungen für kommunale Sicherheit und Ordnung,
  • Sicherheitsdienstleistungen für kommunale Verkehrssicherheit,
  • Sicherheitsdienstleistungen zum Schutz von Veranstaltungen mit besonderem Gefährdungspotenzial,
  • Sicherheitsdienstleistungen auf Seeschiffen und
  • Sicherheitsdienstleistungen im Bereich Geld- und Wertdienste.

4.2 Basis-Schulung durch zertifizierte Sicherheitsfachschulen


Seit 1996 müssen alle neu in die Sicherheitswirtschaft eintretenden Beschäftigten bei einer Industrie- und Handelskammer (IHK) ein 40-stündiges Unterrichtungsverfahren durchlaufen. Das ist keine Ausbildung. Durch dieses IHK-Monopol entstehen für die Unternehmen und ihre künftigen Mitarbeiter*innen immer wieder unnötige Wartezeiten. Wir sind der Auffassung, dass auch zertifizierte Sicherheitsfachschulen diese Aufgabe durchführen könnten. Ein Wettbewerb zwischen den von den IHKs angebotenen Basis-Schulungen und dem Angebot von zertifizierten Bildungsträgern würde zu einer Beschleunigung und auch zu einer deutlichen Qualitätsverbesserung führen. Die Inhalte müssen nach 25 Jahren dringend überarbeitet und zu einer Basis-Schulung entwickelt werden. Neue und besondere Einsatzbereiche müssen besser berücksichtigt werden. Dazu gehört vor allem der Schutz von Veranstaltungen. Über die technischen Einsatzmittel in der Branche muss in Zeiten der Digitalisierung besser informiert werden.

 

4.3 Neuregelung der Zuverlässigkeitsüberprüfungen: „Kaskadenmodell“


Zur Stärkung der Zuverlässigkeit und Seriosität in der Sicherheitswirtschaft wurde in den letzten Jahren die Prüfungstiefe bei Zuverlässigkeitsüberprüfungen ausgeweitet. Für spezielle Einsatzbereiche, wie den Schutz militärischer oder kerntechnischer Anlagen und den Aufgaben nach dem Luftsicherheitsgesetz, wurden weitergehende Zuverlässigkeitsüberprüfungen für das Personal vorgesehen. Wechselt eine Person von einem dieser Tätigkeitsbereiche in einen anderen, ist nach derzeitiger Rechtslage eine erneute Überprüfung notwendig. Des Weiteren sind nach derzeitigem Recht bis zu vier unterschiedliche Überprüfungsverfahren für ein und denselben Mitarbeitenden zur Ausübung nur einer Funktion erforderlich. Dies führt zu einer wenig sinnvollen Belastung der Behörden. Dies kann dazu führen, dass Überprüfungen erst nach vielen Wochen oder gar Monaten abgeschlossen werden. Es kommt hierdurch zu Sicherheitslücken beim Schutz sensibler Bereiche in Deutschland. Um die Einsatzfähigkeit von Mitarbeiter*innen der Sicherheitswirtschaft zu optimieren und keine Sicherheitslücken für sensible Schutzbereiche entstehen zu lassen, müssen Regelungen geschaffen werden, nach denen eine zusätzliche gewerberechtliche Zuverlässigkeitsprüfung dann nicht erforderlich ist, wenn bereits eine Zuverlässigkeitsüberprüfung nach einer anderen Rechtsgrundlage – mindestens in gleicher Überprüfungstiefe – innerhalb der letzten fünf Jahre erfolgt ist („Kaskadenmodell“).

4.4 Bewacherregister (BWR): Volle und nachhaltige Funktionsfähigkeit herstellen


Bereits am 1. Juni 2019 ging das BWR als digitales Vorzeigeprojekt des Bundeswirtschaftsministeriums beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) an den Start. Im BWR werden alle Sicherheitsunternehmen und deren Mitarbeiter*innen registriert und durch die kommunalen Ordnungsbehörden auf Zuverlässigkeit überprüft und verwaltet. Durch die Digitalisierung der Verwaltungsprozesse sollten das Erlaubnisverfahren für die Sicherheitsunternehmen vereinfacht und die Zuverlässigkeitsüberprüfungen der Mitarbeiter*innen deutlich beschleunigt werden. Nach zweieinhalb Jahren Betrieb sind immer noch große Lücken vorhanden. Inzwischen sind die meisten der 6.000 Sicherheitsunternehmen registriert, Große Defizite gibt es aber nach wie vor bei den rund 260.000 Sicherheitskräften. Wir gehen davon aus, dass derzeit nur rund 70% im BWR freigeschaltet sind. Es gibt immer wieder Probleme mit der Programmsteuerung und der Benutzeroberfläche des BWR für Unternehmen und Ordnungsbehörden. Hinzu kommt die vielfach anzutreffende mangelnde personelle, technische und fachliche Ausstattung der kommunalen Verwaltungen. Das gilt vor allem für kleinere Gemeinden. So kommt es gerade dort nach wie vor zu einem massiven Bearbeitungsstau. 75% unserer Mitglieder warten momentan länger als vier Wochen auf die Freigabe von neuen Mitarbeiter*innen für einen Einsatz beim Kunden. Im Durchschnitt hat sich die Dauer der Zuverlässigkeitsüberprüfungen trotz BWR verdoppelt. Dies ist ein unhaltbarer Zustand und beeinträchtigt die Leistungsfähigkeit der Sicherheitswirtschaft. Das BWR hat im Ergebnis bisher nicht zu weniger, sondern zu mehr Bürokratie für die Sicherheitswirtschaft geführt. Es bleibt damit leider auch weiterhin eine Dauerbaustelle.

Als Folge des zum 1. Juli 2020 erfolgten Ressortwechsels zum Bundesinnenministerium (BMI) wird das BWR im Jahr 2022 vom Statistischen Bundesamt (Destatis) als registerführende Stelle übernommen. Der BDSW fordert von der Bundesregierung bzw. vom BMI, dass die Verwaltungsdigitalisierung auf diesem Gebiet erfolgreich abgeschlossen und die Dauerbaustelle BWR beendet wird. Das setzt aber auch voraus, dass die Bundesländer ihre Vollzugsbehörden personell und technisch im Interesse der Sicherheitswirtschaft und Sicherheitsarchitektur Deutschlands besser ausstatten.

4.5 Sicherheitsstandards für betriebseigene Sicherheitskräfte


Die derzeitigen gewerberechtlichen Regelungen bei der Durchführung von Sicherungstätigkeiten gemäß § 34a der Gewerbeordnung (Zuverlässigkeitsüberprüfung und Unterrichtungsverfahren bzw. Sachkundeprüfung) gelten nicht für betriebseigene Sicherheitskräfte (sog. Inhouse-Security). Dies kann im Bereich des Schutzes kritischer Infrastrukturen, des Schutzes des ÖPV, des Schutzes von Flüchtlingsunterkünften bzw. des Schutzes von Veranstaltungen mit besonderem Gefährdungspotenzial zu gravierenden Sicherheitslücken führen. An die Mitarbeiter*innen der Inhouse-Security sind dieselben Anforderungen im Bereich Qualifikation, Schulung und Weiterbildung zu stellen, wie an diejenigen der Sicherheitsdienstleister. Nur so kann vermieden werden, dass durch – auf Kostenerwägungen beruhenden – Ausweichbewegungen der Bedarfsträger (Umsetzung mit eigenen Mitarbeiter*innen) die angestrebte Erhöhung des Sicherheitsstandards verhindert wird. Diese Lücke ist im SDLG zu schließen.

4.6 Rechtsgrundlagen für Bodycams


Immer mehr private Sicherheitskräfte werden in „konfliktgeneigten“ Tätigkeiten eingesetzt. Dazu gehört der Schutz von Flüchtlingsunterkünfte, des ÖPV, von Veranstaltungen, von Einkaufszentren oder auch von Diskotheken. Während die Gewalttaten gegenüber den Einsatzkräften von Polizei, Feuerwehr und Rettungskräften von Politik und Medien regelmäßig aufgegriffen und öffentlich zu Recht kritisiert werden, gilt dies nicht gegenüber den Attacken der Beschäftigten in der von mir vertretenen Branche. Die für die Sicherheitswirtschaft zuständige gesetzliche Unfallversicherung, die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft, hat vor einigen Jahren einen Securityreport herausgegeben. Dieser ist nur Insidern bekannt.3


Die daraus zu ziehenden Konsequenzen sind vielschichtig. Dazu gehört aber auch, dass zum Schutz der Mitarbeiter*innen Rechtsgrundlagen für den Einsatz von Bodycams zu schaffen sind. Feldversuche mit dem Einsatz von Bodycams zeigen, dass deren Einsatz in Konfliktsituationen signifikant deeskalierend bzw. Gefahren mindernd wirkt. Das trägt maßgeblich zum Schutz des Sicherheitspersonals bei. Dabei legt der BDSW Wert darauf, nur datenschutzkonforme Anwendungsformen zum Einsatz zu bringen. Insofern sollten für den Einsatz von Bodycams durch private Sicherheitskräfte zum Eigenschutz bzw. bei konfliktgeneigten Einsätzen rechtliche Grundlagen auf Bundes- und Landesebenen geschaffen werden. Nur so kann ein effektiver Eigenschutz der Sicherheitsmitarbeiter*innen sowie eine Verbesserung der öffentlichen Sicherheit in Deutschland erreicht werden.

4.7 Regelungen zum Schutz vor Piraten überprüfen


Deutschland ist als große Export- und Importnation wie kaum eine andere führende Industrienation vom Seehandel abhängig. Der Schutz der internationalen Handelsrouten liegt damit im deutschen Interesse. Er ist Grundvoraussetzung für die globalen Wertschöpfungsprozesse, für den Wohlstand und die Sicherheit der Arbeitsplätze. Piraterie gefährdet die freie Fahrt auf allen Meeren. Ende 2013 wurde ein neuer § 31 in das Gewerberecht eingeführt, wonach nur vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle zugelassene Sicherheitsunternehmen den Schutz von Seeschiffen unter deutscher Flagge ausüben dürfen. Der BDSW hat sich im Gesetzgebungs- und Evaluierungsprozess für qualitätsorientierte, praktikable und nicht den internationalen Wettbewerb behindernde Regelungen stark gemacht. Durch das starre Festhalten an überzogenen Regelungen, beispielsweise an einer 4-Personen-Teamstärke, greifen deutsche Reeder kaum auf deutsche Sicherheitsunternehmen zurück. Diese sind gegenüber ausländischen Mitbewerbern nicht konkurrenzfähig. Dieser Zustand muss im Interesse der deutschen Sicherheitswirtschaft neu überdacht werden.

4.8 Kommunale Sicherheit


In den letzten 20 Jahren hat sich die Polizei teilweise aus der Fläche zurückgezogen und vor allem früher wahrgenommenen Ordnungsaufgaben wieder an die Kommunen übertragen. Das hat in zahlreichen Gemeinden und Städten zum Aufbau kommunaler Ordnungs- und Sicherheitsdienste geführt. In Hessen wurde die Stadtpolizei gegründet. Seit der Coronapandemie sind die kommunalen Ordnungsdienste zusätzlich besonders stark gefordert. Sie kontrollieren die vielfältigen und komplexen Regelungen der Coronaschutzverordnungen und sanktionieren Verstöße. Zu Beginn der Coronapandemie ging es um die Überwachung der Maskenpflicht im öffentlichen Personennahverkehr oder die Einhaltung von Schließungsanordnungen im Einzelhandel und der Gastronomie. Inzwischen werden die 2G- oder 3G-Auflagen kontrolliert.

Zur Bewältigung dieser Herausforderungen kommen die Kommunen immer wieder an personelle Grenzen. Sie können häufig weder kurz- noch mittelfristig auf eigene personelle Ressourcen zurückgreifen. Sie beauftragen deshalb private Sicherheitsdienste mit der Durchführung von Ordnungsaufgaben. Hierzu gehört z. B. eine Streifentätigkeit im öffentlichen Raum, besonders zum Schutz von Bahnhofsvorplätzen und Fußgängerzonen. Bei diesen Aufgaben beobachten die Mitarbeiter*innen privater Sicherheitsdienste häufig Ordnungswidrigkeiten, dokumentieren diese und melden diese an die jeweiligen Auftraggeber bzw. an die Polizei. Die privaten Einsatzkräfte haben jedoch keinerlei hoheitliche Befugnisse auf einer rechtssicheren Ermächtigungsgrundlage. In Problemlagen muss die Polizei hinzugezogen werden. Dies ist ein unbefriedigender Zustand, auf den auch der Deutsche Städte- und Gemeindebund seit Längerem hinweist. Um die Polizei bzw. die kommunalen Ordnungsdienste wirksam zu entlasten, ist die gesetzliche Einführung von Minimalbefugnissen für private Sicherheitsdienstleister zu diskutieren. Das sind Regelungen über Befugnisse zur Überprüfung der Personalien und zur Aussprache eines Platzverweises. Voraussetzung hierfür wären landesrechtliche Ermächtigungsgrundlagen für die Beleihung von privaten Sicherheitsdiensten für kommunale Ordnungsdienste. Bundesregierung und Bundesländer sollten mit den kommunalen Spitzenverbänden in Gespräche über einen „Pakt für kommunale Sicherheits- und Ordnungsdienste“ einsteigen.

4.9 Beauftragter/Beauftragte für den Wirtschaftsschutz


Der wirtschaftliche Erfolg Deutschlands basiert im Wesentlichen auf Ideenreichtum, Innovation und Wissensvorsprung. Es gilt die deutschen Unternehmen, insbesondere die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) besser zu schützen. Sie werden täglich durch Spionage, Sabotage, Cyberangriffe und Kriminalität bedroht. Der jährliche Schaden für die deutsche Volkswirtschaft beläuft sich nach Studien auf 220 Mrd. Euro. Die Mitgliedsunternehmen des BDSW bieten hochwertige integrierte Sicherheitsdienstleistungen für Industrie, Einrichtungen der kritischen Infrastrukturensowie für KMU an. Auf dem Gebiet des Wirtschaftsschutzes bilden wir die Brücke zum deutschen Mittelstand mit seinen „Hidden Champions“ und zu den Sicherheitsbehörden. Wir sind Mitinitiator der „Initiative Wirtschaftsschutz“ und bringen uns durch die Kooperation mit den Sicherheitsbehörden aktiv in die Weiterentwicklung der nationalen Sicherheitsarchitektur auf Bundes- bzw. Landesebene ein.

Dem Wirtschaftsschutz muss eine größere sicherheitspolitische Bedeutung beigemessen werden. Die Sicherheit der Wirtschaft ist eine Querschnittsaufgabe, sie berührt die Zuständigkeit verschiedener Ministerien. Es sind derzeit zu viele Abstimmungsprozesse innerhalb der Bundesregierung erforderlich, um kurzfristige und mittelfristig wichtige Maßnahmen zum Schutz der Wirtschaft zu ergreifen. Deshalb fordert der BDSW eine/n Beauftragte/n der Bundesregierung für den Wirtschaftsschutz. Auch in anderen wichtigen Themenfeldern hat sich die Benennung von Beauftragten durch die Bundesregierung bewährt, wie zum Beispiel für Luft- und Raumfahrt und für die Maritime Wirtschaft.

4.10 Reform der öffentliche Auftragsvergabe


Der Anteil öffentlicher Aufträge am gesamten Umsatz der privaten Sicherheitswirtschaft liegt bundesweit bei rund einem Drittel, das sind rund 3 Mrd. Euro jährlich. Dazu gehören u.a. die Aufgaben nach dem Luftsicherheitsgesetz, die Bewachung von militärischen und sonstigen öffentlichen Liegenschaften, der Schutz von Flüchtlingsunterkünften, des ÖPV und zahlreicher öffentlicher Einrichtungen und Ministerien. Sehr häufig werden bei der öffentlichen Auftragsvergabe, selbst in sensiblen Bereichen, anerkannte Qualitätskriterien nicht in der Ausschreibung gefordert. Öffentliche Auftraggeber stellen häufig auf das preiswerteste, billigste Angebot als vermeintlich wirtschaftlichstes Angebot ab. Dies hat Folgen für die Qualität der Sicherheitsdienstleistung. Die Mitarbeiter*innen der „Billiganbieter“ sind nicht ausreichend qualifiziert. Das schadet nicht nur dem Auftraggeber, sondern schadet letztlich dem Image der gesamten Sicherheitswirtschaft. Bereits auf der 2. Europäischen Sicherheitskonferenz der Europäischen Sozialpartner CoESS und UNI Europa im Jahre 1999 in Berlin wurde, mit Unterstützung der Europäischen Kommission, das sog. „Bestbieterkonzept“ für die Sicherheitswirtschaft vorgestellt. Eine gründliche Überarbeitung fand vor zehn Jahren statt. Das Handbuch „Auftragsvergabe für qualitätsvolle private Sicherheitsdienstleistungen“4 fordert für die Beurteilung des „wirtschaftlichsten“ Angebots, Qualität und Preis in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen. Die Qualität muss deutlich mehr Gewicht als der Preis haben, denkbar ist ein Verhältnis 60 zu 40%. Gemeinsam mit Verbänden von privaten Auftraggebern sowie nationalen und internationalen Normeninstitutionen hat die Sicherheitswirtschaft zahlreiche weitere Qualitätsnormen, Handbücher und Leitfäden entwickelt. Dies muss sich deutlich stärker in der Vergabepraxis/Ausschreibungspraxis öffentlicher Auftraggeber widerspiegeln.

 

5 Fazit und Ausblick


Die Sicherheitswirtschaft und der sie vertretende BDSW haben in den letzten 20 Jahren an einer beispiellosen Qualitätsoffensive für die Branche aktiv mitgearbeitet. Wir haben zwei Ausbildungsberufe und mehrere Fortbildungsregelungen initiiert, an mehreren Studiengängen „Sicherheitsmanagement“ an Polizeihochschulen mitgewirkt, zahlreiche nationale und europäische Normungsvorhaben begleitet und konstruktiv an Veränderungen im Gewerberecht mitgearbeitet. Wir haben in elf Bundesländern Kooperationsvereinbarungen mit den Landespolizeibehörden unter dem Motto „beobachten, erkennen, melden“ unterzeichnet. Mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz haben wir im Mai 2015 in München eine Vereinbarung zum Wirtschaftsschutz unterzeichnet. Gemeinsam mit drei anderen Verbänden wurde unter Federführung des BMI die „Initiative Wirtschaftsschutz“ gegründet. Diese Anstrengungen für höhere Qualität und Seriosität der Sicherheitsdienstleistungen werden nur dann nachhaltig sein, wenn der Staat seiner politischen und gesetzgeberischen Verantwortung gerecht wird. Die Rahmenbedingungen für die privaten Sicherheitsdienste müssen in dieser Legislaturperiode auf eine neue, zeitgemäße Rechtsgrundlage gestellt werden. Die Zeit für die Verabschiedung eines Sicherheitsdienstleistungsgesetzes ist gekommen!

 

Anmerkungen

 

  1. Der Autor ist Hauptgeschäftsführer und geschäftsführendes Präsidiumsmitglied des BDSW Bundesverband der Sicherheitswirtschaft und Hauptgeschäftsführer der BDGW Bundesvereinigung Deutscher Geld- und Wertdienste.
  2. Die folgenden Ausführungen basieren in großen Teilen auf dem Positionspapier des BDSW zur Bundestagswahl 2021 DEUTSCHLAND (NOCH) SICHERER MACHEN: Sicherheitswirtschaft stärken – Sicherheitsdienstleistungsgesetz (SDLG) verabschieden
  3. VBG-Securityreport 2018.
  4. https://www.bdsw.de/images/broschueren/Auftragsvergabe-EU-2014.pdf