Zum Verzicht auf die öffentliche Ordnung im VersFG BE und im VersG NRW

Von Prof. Michael Knape und Prof./LRD a.D. Hartmut Brenneisen, Berlin/Preetz


Sowohl im VersFG BE als auch im VersG NRW ist auf das Schutzgut der öffentlichen Ordnung verzichtet worden.2 Aufgrund der Vielfalt von Lagen bei oder im Zusammenhang mit Versammlungen stellt sich die Frage, ob dies ein kluger Schachzug des jeweiligen Gesetzgebers war.

 

1 Bedeutung der öffentlichen Ordnung

 

Auf den ersten Blick mag diese Frage wegen mangelnder Bestimmtheit dieses klassischen Schutzgutes des allgemeinen wie besonderen Polizei- und Ordnungsrechts, damit zugleich auch kraft fehlender Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, bejaht werden können.3 Denn unter „öffentlicher Ordnung“ wird die von der Verkehrssitte geprägte Gemeinschaftsordnung, die allgemeine Verkehrssitte oder der Zustand des von der Verkehrssitte geregelten Zusammenlebens der Menschen in der staatlichen Gemeinschaft verstanden.4 Wenn daher von der Gesamtheit der „ungeschriebenen Normen“ die Rede ist, handelt es sich trotz § 118 I OWiG5 nicht um Rechtsnormen im förmlichen Sinne. Nur so lässt sich nämlich die öffentliche Ordnung trennscharf von der öffentlichen Sicherheit abgrenzen, zu der u.a. die gesamte Rechtsordnung gehört.6

Schutzwürdig ist seit jeher eine „ungeschriebene Regel“ daher nur, wenn sie nicht geltenden Rechtsnormen widerspricht und auch nur dann, wenn sie das Verhalten des einzelnen in der Öffentlichkeit betrifft, nicht dagegen wenn sie sich auf seine Privatsphäre bezieht.7 Dieser Aspekt steht keinesfalls im Widerspruch zu § 2 III VersFG BE, wonach „dieses Gesetz sowohl für öffentliche als auch für nichtöffentliche Versammlungen gilt“. In diesem Zusammenhang wird vor allem auf die Frage des zugelassenen Personenkreises in der jeweiligen Versammlung und deren Ausstrahlung nach außen in die Öffentlichkeit – trotz eines möglicherweise geschlossenen Teilnehmerkreises bei nichtöffentlichen Versammlungen – und nicht etwa auf die Privatsphäre des einzelnen Teilnehmers abgestellt.8

Kommen z.B. am 20. April mehrere Personen der rechten Szene in einer Wohnung zusammen, um Hitlers Geburtstag zu gedenken, handelt es sich um eine nichtöffentliche Versammlung in geschlossenen Räumen, insoweit also um eine sog. „geschlossene“ Versammlung. Hier liegt die Gefahr – soweit durch diese Personenzusammenkunft überhaupt öffentliche Interessen berührt werden – ausschließlich im Bereich der öffentlichen Ordnung; geltende Rechtsnormen werden durch die Versammlung nicht verletzt.9

Zu beachten ist jedoch, dass gerade das BVerfG in einer Vielzahl von Entscheidungen des Versammlungsrechts10 dieses Schutzgut heranzog; es brachte die öffentliche Ordnung bei Versammlungen unter freiem Himmel abgestuft in Ansatz. Das Gericht bestätigte zwar ausdrücklich den Grundsatz für Versammlungsverbote, die ebenso wie Auflösungen im Wesentlichen nur zum Schutz elementarer Rechtsgüter der öffentlichen Sicherheit in Betracht zu ziehen sind, so dass insoweit eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung im Allgemeinen nicht genügte.11 Gleichwohl relativierte es diese Auffassung aber insbesondere für Beschränkungen in zeitlicher und räumlicher Hinsicht sowie zum Verlauf der Veranstaltung.

 

2 Praktische Anwendungsfälle

 

Die öffentliche Ordnung schied demnach als Schutzgut unterhalb der Schwelle eines Versammlungsverbots nicht aus.12 Dies galt z.B. für das Mitführen von Reichskriegsflaggen des Kaiserreichs, soweit sich die Gefahr für dieses Rechtsgut aus der Art und Weise der Versammlungsdurchführung ergibt,13 aber auch für rechtsextremistische Demonstrationen am Holocaust-Gedenktag,14 wobei die Verlegung auf einen anderen Tag als zeitliche Beschränkung einzuordnen ist.15 Das BVerfG ließ somit beschränkende Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Ordnung immer dann zu, wenn diese sich nicht auf die Verhinderung bestimmter Inhalte der kollektiven Meinungskundgabe erstreckten, sondern auf die Art der Zusammenkunft und kollektiven Meinungskundgabe, etwa wenn durch provokatives oder aggressives Auftreten ein Einschüchterungseffekt oder ein Klima der Gewaltbereitschaft erzeugt wurde.16 So stellt z.B. das Auftreten des sog. „Schwarzen Blocks“ der militanten Autonomen, soweit nicht nach wohl heute allgemeiner Auffassung vorrangig ein Verstoß gegen das Uniformverbot gem. §§ 9 II, 27 I Nr. 6 VersFG BE17 (Bußgeldtatbestand) bzw. gegen das Gewalt- und Einschüchterungsverbot (sog. „Militanzverbot“) gem. §§ 18 I Nr. 1, 27 VIII Nr. 1 VersG NRW (Straftatbestand) einschlägig ist,18 auch eine Gefahr für die öffentliche Ordnung dar,19 weil von diesem ein bedrohlicher Gesamteindruck ausgeht, der einem geordneten menschlichen Zusammenleben widerspricht.20

 

3 Pro-russische Versammlungen


Vom Regelungsbereich beider Gesetze nicht erfasst ist z.B. die Motorradfahrt der pro-russisch-nationalistischen Rockergruppierung „Nachtwölfe“, die jedes Jahr am 9. Mai das russische Ehrendenkmal in Berlin-Treptow ansteuert.21 Diese demonstrative Aktion stellt zweifelsohne nur eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Ordnung dar. Die Fahrt in typischer Rockerstaffelung als „paramilitärisches Auftreten“ i.S.d. § 18 I Nr. 2 VersG NRW zu klassifizieren, kommt nicht in Betracht.22 Daran ändert bei bestehender Rechtslage auch die Tatsache nichts, dass sich diese Rockergruppierung mit den politischen sowie militärischen Zielen des russischen Präsidenten Putin ohne „Wenn und Aber“ identifiziert, dessen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine gutheißt und sie ihre Anwesenheit gerade an diesem Tag in Berlin als Machtdemonstration der russischen Föderation in Deutschland verstanden wissen will.

Des Weiteren sind bei friedlichen pro-russischen Protesten keine gerichtsfesten Beschränkungen der zuständigen Versammlungsbehörden23 möglich, soweit Teilnehmer beabsichtigen, Flaggen der russischen Föderation in geringer Anzahl mitzuführen.24 Dass die Mehrheit der in Deutschland lebenden Bevölkerung dies unter Beachtung der jeweils herrschenden ethischen und sozialen Anschauungen ablehnt, liegt auf der Hand, besitzt dem Grunde nach aber keine rechtliche Relevanz.25

Falls solche Versammlungen jedoch auf das Billigen des von Russland gegen die Ukraine geführten Angriffskriegs sowie auf Verhaltensweisen abzielen, die dazu bestimmt und geeignet sind, Gewaltbereitschaft zu vermitteln und damit den „öffentlichen Frieden zu stören“, sind Beschränkungen nach dem VersFG BE und VersG NRW zulässig,26 wenn z.B. das massenweise Zeigen russischer Flaggen geplant ist, obwohl diese für sich genommen keinem Verbotstatbestand unterfallen.27 Entscheidend ist also stets der Eindruck, der mit der Demonstration vermittelt werden soll.

Weist in Berlin die Senatsverwaltung für Inneres, Digitalisierung und Sport darauf hin, bei derartigen Versammlungen sei „eine Verstärkung der Traumatisierung oder gar erst ein Hervorrufen eines Traumas“ von Geflüchteten aus der Ukraine zu berücksichtigen, wird insoweit auf das Schutzgut der öffentlichen Ordnung abgestellt.28 Deshalb kann von der Versammlungsbehörde keine beschränkende Verfügung nach § 14 I VersFG BE – abgesehen von Fällen gem. § 14 I i.V.m. § 14 II Nr. 1 VersFG BE29 – wirksam erlassen werden; nichts anderes gilt im Land NRW.

Anders stellt sich die Rechtslage dar, soweit Teilnehmende beabsichtigen, z.B. an ihren Fahrzeugen zusätzlich das weiße „Z“-Symbol anzubringen. Dies kann durch beschränkende Verfügung verboten werden, weil ein Straftatbestand erfüllt ist.30 Bei Fahrzeugen mit wenigen Flaggen der russischen Föderation ohne „Z“-Symbol bleibt der Polizei/Versammlungsbehörde nur Raum zu deeskalierenden Kooperationsgesprächen im Rahmen des Konfliktmanagements vor und während des Versammlungseinsatzes, um drohende oder bestehende Konfrontation zielgruppenorientiert zu verhindern (§§ 3 IV, 4 I VersFG BE; § 3 VersG NRW).31

 

4 Gesetze auf dem Prüfstand


Die CDU bereitet im Land Berlin einen Änderungsantrag des VersFG BE vor; das Tatbestandsmerkmal „öffentliche Ordnung“ soll im Gesetz wieder aufgenommen werden.32 Zudem ist aus der Koalition heraus eine spätere Evaluation auf der Grundlage praktischer Erfahrungen und dann vorliegender Rechtsprechung angekündigt worden.33 Damit dürfte auch der Verzicht auf die öffentliche Ordnung auf den Prüfstand gestellt werden. Vergleichbares gilt für das Land Nordrhein-Westfalen. In der aktuellen Koalitionsvereinbarung ist für Ende 2023 im Zuge der Berichtspflicht nach § 34 VersG NRW eine „unabhängig(e) und wissenschaftlich(e)“ Evaluierung ausdrücklich festgeschrieben worden.34

 

 

Anmerkungen

 

  1. Professor Michael Knape ist Direktor beim Polizeipräsidenten a.D.; Hartmut Brenneisen ist Professor, Ltd. Regierungsdirektor und Polizeidirektor a.D.; beide Autoren sind heute als Redakteure, Gutachter, Lehrbeauftragte sowie Herausgeber und Autoren von Fachpublikationen tätig.
  2. Vgl. § 14 I VersFG BE sowie § 13 I u. II VersG NRW; vergleichbar auch § 13 I VersFG SH u. § 13 I u. IV VersammlG LSA; zur Thematik siehe Knape/Brenneisen, Versammlungsfreiheitsgesetz Berlin (VersFG BE), 2021, Rn. 17 zu § 3, Rn. 13 zu § 10, Rn. 3, 13, 35 u. 36 zu § 14, Rn. 12 zu § 16 mit Hinw. auf § 9 MEVersG u. weiteren Erläuterungen; ferner Brenneisen, DEUTSCHE POLIZEI 4/2022, 30 (31); ders., DIE KRIMINALPOLIZEI, 2/2022, 23 (24 [Fn. 19]).
  3. Vgl. Knape/Schönrock, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht für Berlin, 11. Aufl. (2016), Rn. 137 zu § 25 ASOG Bln; dies. ausführlich zum Schutzgut der öffentlichen Ordnung, Rn. 24 ff. zu § 1 ASOG Bln.
  4. Vgl. Gürtler/Thoma, in: Göhler/Gürtler/Seitz/Bauer/Thoma, OWiG, 18. Aufl. (2021), Rn. 10 zu § 118 mit weiteren Nachw.; dazu Knape/Schönrock, a.a.O., Rn. 24 zu § 1 ASOG Bln.
  5. In § 118 I OWiG ist die „öffentliche Ordnung“ zwar Tatbestandsmerkmal, erfährt dadurch jedoch keine formal-gesetzliche Konturierung i.S.d. öffentlichen Sicherheit, unabhängig davon, dass bei Verletzung der Bußgeldnorm als geschriebenes Recht der Verstoß im Bereich der öffentlichen Sicherheit liegt; normativ vergleichbarer Aufbau mit Tatbestandsmerkmalen der öffentlichen Ordnung in der Befugnisnorm des § 14 II VersFG BE , so dass die Gefahr im Bereich der öffentlichen Sicherheit liegt; keine korrespondierende Vorschrift dazu mit Tatbestandsmerkmalen der öffentlichen Ordnung im VersG NRW.
  6. Vgl. schon Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, 9. Aufl. (1986), § 16, S. 245; dazu auch PrOVGE 91, 139 (140); ferner Knape/Schönrock, a.a.O., Rn. 17 zu § 1 ASOG Bln mit Hinw. auf BVerwGE 64, 55 (58 f.) und BVerwGE 82, 34 (40).
  7. Vgl. schon Drews/Wacke/Vogel/Martens, a.a.O.; ergänzend dazu Schumann, Grundriss des Polizei- und Ordnungsrechts, (1978), S. 23.
  8. Vgl. dazu Knape/Brenneisen, a.a.O., Rn. 23 ff. zu § 2 VersFG BE.
  9. Betreten und Durchsuchung von Wohnungen ist zwar entspr. § 19 MEPolG 1977 in allen 16 Polizeigesetzen der Länder geregelt, kommt aber bei Versammlungen in geschlossenen Räumen nur unter strenger Beachtung der sog. Transformationsklausel z.B. des § 10 II VersFG BE, § 9 II VersFG SH bzw. § 9 II VersG NRW als Ausdruck der verfassungssystematischen Schranken aus Art. 8 I GG und zugleich unter strenger Beachtung des verfassungsmäßigen Übermaßverbots in Betracht; insoweit sind also unter versammlungsgesetzlichen Kautelen nur jene Befugnisnormen des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts der Länder tatbestandsmäßig, die mit § 19 I Nr. 3 MEPolG korrespondieren.
  10. Basierend auf § 15 I BVersG, der die öffentliche Sicherheit und die öffentliche Ordnung als Schutzgüter normiert.
  11. Vgl. Knape/Schönrock, a.a.O., Rn. 29 mit Hinw. auf BVerfGE 69, 315 (353).
  12. Vgl. Knape/Schönrock, a.a.O., mit weiteren Hinw. auf die Rspr. des BVerfG; dies ist für jene Länder wichtig, in denen heute noch das BVersG – z.B. in Brandenburg, Hamburg oder M-V – gilt; Voraussetzung ist jedoch stets, dass der jeweilige Sachverhalt nicht bereits in den Schutzbereich der öffentlichen Sicherheit fällt.
  13. BVerfG v. 19.12.2007 – 1 BvR 2793/04; OVG Lüneburg v. 13.11.2020 – 11 ME 293/20; OVG Bremen v. 23.10.2020 – 1 B 331/20; v. 16.10.2020 –1 B 323/20; vorg. VG Bremen v. 15.10.2020 – 5 V 2212/20.
  14. Keine rechtsextremen Aufzüge am Holocaust-Gedenktag: vgl. BVerfG v. 26.1.2001 – 1 BvQ 9/01, NJW 2001, 1409; dazu schon Pewestorf, Polizei- und Ordnungsrecht, 2. Aufl. (2017), Rn. 53 zu § 1 ASOG Bln; ferner Knape/Brenneisen, a.a.O., Rn. 30 ff. zu § 14 VersFG BE, hier kraft gesetzlicher Regelung nunmehr unter dem Regime einer Gefährdung für die öffentlichen Sicherheit.
  15. Vgl. Knape/Schönrock, a.a.O., Rn. 29 ff. (31) zu § 1 ASOG Bln mit umfangreichem Rspr.-Nachw.; Aufmärsche, die nunmehr gem. § 14 II Satz 1 Nr. 3 sowie dessen Anl. In § 14 II Nr. 1 VersFG BE bzw. § 19 I Satz 1 Nr. 1 u. Satz 3 VersG NRW der deutlich engeren, d.h. normenklareren öffentliche Sicherheit unterliegen.
  16. Vgl. Knape/Schönrock, a.a.O., Rn. 29 zu § 1 ASOG Bln.
  17. Vgl. Knape/Brenneisen, a.a.O., Rn. 25 zu § 9 VersFG BE (Fn. 53) u.a. mit Hinw. auf Kniesel, in: Kniesel/Braun/Keller, Versammlungsgesetze, 18. Aufl. (2019), Teil II, Rn. 17 zu § 3 BVersG.
  18. Dem folgend liegt der Verstoß im Bereich der öffentlichen Sicherheit.
  19. Man denke z.B. an den G8-Gipfel v. 6.-8.6.2007 in M-V (Heiligendamm) oder an den G20-Gipfel am 7./8.7.2017 in Hamburg, Länder, in denen noch heute das BVersG gilt.
  20. Vgl. Knape/Schönrock, a.a.O., Rn. 31 zu § 1 ASOG Bln. Uneinigkeit besteht in Teilen von Lehre und Schrifttum darüber, ob der sog. „Schwarze Block“ der militanten Autonomen unter die o.a. Vorschriften des BVersG, VersFG BE u. VersG NRW fällt, damit dem Regime der öffentlichen Sicherheit zuzuordnen ist, weil die Bestimmungen des VersFG BE und VersG NRW explizit auf den einschränkend interpretierten Regelungszweck des bundesrechtlichen „Uniformverbots“ nach § 3 I BVersG abstellen; dieser Zweck rechtfertigt trotz potenzieller Unfriedlichkeit politisch motivierter Aufmachung kein undifferenziertes generelles Verbot, zumal die verfassungsrechtlich verbürgte Gestaltungsfreiheit auch für Bekleidung anerkannt sei; dazu Enders, in: Dürig-Friedl/Enders, Versammlungsrecht, 2. Aufl. (2022), Rn. 14 zu Art. 7 BayVersG; Kniesel, a.a.O., Teil II, Rn. 1 zu § 3 BVersG (widersprüchlich Kniesel, a.a.O., oben Fn. 17); dazu Drs. BE 18/2764, S. 33, in welcher der Gesetzgeber trotz weit gefassten, klaren Wortlauts des § 9 II VersFG BE nur auf das Uniformverbot i.S.d. § 3 I BVersG abstellt; ein darüber hinaus gehendes „Einschüchterungsverbot“ sei durch die Norm nicht statuiert; dann aber läge die Gefahr, soweit nicht zugleich auch elementare Rechtsgüter der öffentlichen Sicherheit unmittelbar gefährdet sind, bei sog. „Schwarzen Blöcken“ als Kombination von gleichartiger Bekleidung und militant-aggressiver Wirkung im Bereich der öffentlichen Ordnung.
  21. Für die Tage des 8./9.5.2022 erließ die Polizei Berlin am 4.5.2022 als zuständige Versammlungsbehörde für insgesamt 15 Orte, gestützt auf § 17 I ASOG Bln u. § 14 I i.V.m. II Nr. 1 VersFG BE, eine unter mehreren Aspekten rechtlich problematische Allgemeinverfügung (§ 35 Satz 2 VwVfG i.V.m. § 1 I VwVfG Bln) mit zahlreichen Verboten. So wurde v. 8.5., 06.00 Uhr, bis zum 9.5., 22.00 Uhr, die Versammlungsfreiheit u.a. insofern beschränkt, als das Zeigen sowjetischer, russischer u. ukrainischer Flaggen untersagt war. Ob das Zeigen ukrainischer Flaggen verboten werden kann, darf bezweifelt werden; vgl. dazu Tölle, in: DER TAGESSPIEGEL v. 9.5.2022, S. 7, mit Hinw. darauf, dass „es überhaupt nicht sichtbar sei, wie sie die öffentliche Sicherheit oder Ordnung stören können“. Ein Kläger bekam am 9.5. im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nach § 80 V Satz 1 Alt. 2 VwGO mit Beschl. des VG Berlin – 1 L 172/22, openJur 2022, 9520, 2. lit. b „grünes Licht“, sich zusammen mit zwei anderen am Abend des 9.5. v. 21.30 bis 22.00 Uhr vor dem Deutsch-Russischen Museum in Karlshorst mit ukrainischen Flaggen unter Abspielen und Singen ukrainischer Militärlieder aufzuhalten; die Richter der Kammer erkannten hierin keine Gefahr/Verletzung der partiell im Lichte der Rspr. des BVerfG normierten öffentlichen Ordnung, insoweit einer nunmehr dem Regime der öffentlichen Sicherheit gem. § 14 II Satz 2 Nr. 1 VersFG BE zuzuordnenden Fallvariante; vgl. Knape/Brenneisen, a.a.O., Rn. 35 (mit Fn. 104) und 36 zu § 14 VersFG BE; eine tatbestandsmäßig korrespondierende Vorschrift im VersG NRW existiert nicht, so dass dessen Mittel-Generalklausel gem. § 13 I Satz 1 u. 2, anders als § 14 II VersFG BE ausschließlich fußend auf die unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit ohne weitere Tatbestandsmerkmale in Hinblick auf die öffentliche Ordnung in Ansatz gebracht werden muss; das OVG Berlin-Brandenburg änderte mit Beschl. v. 9.5. – 1 S 35/22 die Entscheidung des VG Berlin i.S.d. Regelungen der Allgemeinverfügung; welche Rolle § 17 I ASOG Bln, eine Befugnisnorm des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts, im Rahmen der Verfügung im Verhältnis zu den dort genannten Normen des spezielleren VersFG BE spielte, bleibt unklar.
  22. Sofern diese militante Rockertruppe z.B. auch das Land NRW durchqueren würde.
  23. Im Land Berlin die Polizei Berlin; vgl. dazu Knape/Brenneisen, a.a.O., Rn. 14 zu § 3 u. § 31 VersFG BE.
  24. Z.B. unter dem Demonstrationsthema: „Gegen Diskriminierung russischer Bürger in Deutschland“, wobei wenige Flaggen an mitgeführten Fahrzeugen befestigt werden sollen; weder eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit (§ 14 I VersFG BE = § 13 I Satz 1 u. 2 Vers NRW) noch die Gefahr der Störung des öffentlichen Friedens (§ 14 II Satz 1 Nr. 1 VersFG BE) oder eine Gewaltbereitschaft vermittelnde Durchführung (§ 14 II Satz 2 Nr. 1 VersFG BE) kommen insoweit in Betracht.
  25. Ein Bußgeldverfahren wegen Verstoßes gem. § 118 I OWiG kommt ebenfalls nicht zum Tragen, da nicht tatbestandsmäßig.
  26. Betroffen ist hierbei der Verlauf einer Versammlung, vgl. dazu § 13 I Satz 2 Var. 2 VersG NRW.
  27. Vgl. VG Berlin v. 23.4.2022 – 94 L 1/22 (1 L 158/22), S. 3 ff.: zahlenmäßige Beschränkung russischer Flaggen – ein Exemplar pro 25 Teilnehmenden bei ca. 500 Personen – gem. § 14 I i.V.m. § 14 II Satz 1 Nr. 1 VersFG BE: Eine massenweise Verwendung solcher Flaggen kann je nach der konkreten Gestaltung der Versammlung zu einem suggestiv-militanten Erscheinungsbild der Versammlung führen und dadurch die „Billigung eines Angriffskriegs“ (unten Fn. 30) – Siegeszug –, mithin die „Störung des öffentlichen Friedens“ hervorrufen; zum Begriff „öffentlicher Friede“ vgl. Knape/Brenneisen, a.a.O., Rn. 27 zu § 14 VersFG BE; im VersG NRW kann einer solchen Gefahr mit einem suggestiv-militanten Erscheinungsbild der Versammlung durch beschränkende Verfügung der Versammlungsbehörde aufgrund der Mittel-Generalklausel gem. § 13 I Satz 1 u. 2 begegnet werden.
  28. Zu prüfen ist jedoch, ob die genannten Effekte womöglich den (objektiven) Tatbestand der Körperverletzung erfüllen (§§ 223 f. StGB); dann läge die Gefahr im Bereich der öffentlichen Sicherheit. In solchen Fällen sollte auf die unreflektierte Erwähnung der öffentlichen Ordnung verzichtet werden: Drews/ Wacke/Vogel/Martens, a.a.O., S. 246.
  29. Vgl. VG Berlin, a.a.O. (oben Fn. 27).
  30. Das „Z“, ein russisches Militärzeichen, steht für „Sieg“. Es verkörpert zugleich die „Billigung eines Angriffskriegs“, insoweit des Kriegs Russlands gegen die Ukraine. Dieses Zeichen, öffentlich zur Schau gestellt, erfüllt den Straftatbestand gem. §§ 140 I Nr. 2 i.V.m. 138 I Nr. 5 letzte Alt. StGB und kann von der zuständigen Versammlungsbehörde verboten werden; dazu zählen auch Verbrechen der Aggression nach dem Völkerstrafgesetzbuch; vgl. OVG Magdeburg v. 27.4.2022 – 3 M 45/22, LS 2 u. S. 5 f. S. 5 f. (= DVBl 2022, 740 ff., LS 2 u. S. 742) zum Tragen der mit weißem Aufdruck „mmmhhh Z-itronenlimonade“ beschriebenen T-Shirts bei einer Versammlung, das den objektiven Tatbestand der o.a. Strafvorschriften erfüllt, so dass die abzuwehrende Gefahr in Gestalt der Unverletzlichkeit der Rechtsordnung im Bereich der öffentlichen Sicherheit liegt.
  31. Zur Abgrenzung zwischen dem „Z“-Symbol und den „Sankt-Georgs-Band“ vgl. auch OVG Münster v. 6.5.2022 – 15 B 584/22; vorg. VG Köln v. 6.5.2022 – 20 L 771/22.
  32. Vgl. Siebert, in: BERLINER MORGENPOST v. 12.4.2022, S. 13.
  33. PlPr BE 18/72, S. 8589 – Schlüsselburg.
  34. Koalitionsvereinbarung von CDU und GRÜNEN 2022 – 2027, S. 84.