Strafrechtliche Rechtsprechungsübersicht

§ 177 Abs. 2 Nr. 3 StGB – Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung; hier: Ausnutzen eines Überraschungsmoments. § 177 Abs. 2 Nr. 5 StGB – Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung; hier: Drohung mit einem empfindlichen Übel. § 242 Abs. 1 StGB – Diebstahl; hier: Diebstahl von Pfandlehrgut, Zueignungsabsicht. (...)


Von Dirk Weingarten, Polizeihauptkommissar & Ass. jur., Polizeiakademie Hessen

Wir bieten Ihnen einen Überblick über strafrechtliche Entscheidungen, welche überwiegend – jedoch nicht ausschließlich – für die kriminalpolizeiliche Arbeit von Bedeutung sind. Im Anschluss an eine Kurzdarstellung ist das Aktenzeichen zitiert, so dass eine Recherche beispielsweise über Juris möglich ist.

I Materielles Strafrecht

§ 177 Abs. 2 Nr. 3 StGB – Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung; hier: Ausnutzen eines Überraschungsmoments. Der angeklagte Taxifahrer (A) bremste abrupt ab, fuhr halb auf den Bürgersteig und entschloss sich spätestens jetzt die Zeugin sexuell zu bedrängen. Er beugte sich über die auf dem Beifahrersitz angeschnallte Zeugin, so dass er „praktisch auf ihr lag“, und gab ihr einen Zungenkuss. Die Zeugin, die damit nicht gerechnet hatte, drehte sich nach rechts weg und sagte, er solle das lassen. Mit ihrer linken Hand stieß sie ihn weg. Dies nutzte A, der zwischenzeitlich von ihr unbemerkt seine Hose geöffnet hatte, um ihre Hand zu packen und an sein nacktes, erigiertes Glied zu führen. Der Zeugin gelang es nach einer kurzen Berührung des Gliedes, ihre Hand wegzuziehen. Bei einem erneuten Versuch, sie zu küssen, biss sie ihm in die Lippe. A fasste der Zeugin mit einer Hand in den bekleideten Schritt und mit der anderen Hand an die bekleidete Brust, wobei es zu einem Gerangel kam.

Der Täter macht sich gerade das Überraschungsmoment im Sinnes des § 177 Abs. 2 Nr. 3 StGB zunutze, wenn er die tatsächlichen Voraussetzungen der Überraschung des Opfers wahrnimmt, aus denen sich ergibt, dass sich das Opfer keines sexuellen Angriffs auf seinen Körper versieht und wegen der Schnelligkeit der Abläufe zur Bildung oder Kundgabe eines ablehnenden Willens außer Stande ist. Ferner muss der Täter das Überraschungsmoment als Bedingung für das Erreichen seiner sexuellen Handlung dergestalt erfassen, dass er zumindest für möglich hält, dass das Opfer in die sexuelle Handlung nicht einwilligt und dessen Überraschung den Sexualkontakt ermöglicht oder zumindest erleichtert. (BGH, Urt. v. 13.2.2019 – 2 StR 301/18)

§ 177 Abs. 2 Nr. 5 StGB – Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung; hier: Drohung mit einem empfindlichen Übel. Der Angeschuldigte (A) nahm über Facebook unter Verwendung unzutreffender persönlicher Angaben Kontakt zu einem damals 17 Jahre alten Mädchen auf, das sich in der Folge in die vermeintlich hinter dem Kontaktprofil stehende Person verliebte. Bei zwei Treffen mit dem Mädchen brachte der A dieses jeweils mit der Drohung, der vermeintliche Partner werde sonst die Beziehung beenden, dazu, mit ihm anal und oral zu verkehren.

Wird für den Fall einer Weigerung der Durchführung sexueller Handlungen (hier: Anal- und Oralverkehr) die Beendigung einer Beziehung angekündigt, kann dies eine Drohung mit einem empfindlichen Übel im Sinne des § 177 Abs. 2 Nr. 5 StGB darstellen. Zur Beurteilung ist ein individuell-objektiver Maßstab heranzuziehen. (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 17.1.2019 – 2 Ws 341/18)

§ 242 Abs. 1 StGB – Diebstahl; hier: Diebstahl von Pfandlehrgut, Zueignungsabsicht. Der A gelangte durch ein Loch in einem Zaun auf das Gelände eines Getränkehandels. Dort entwendete er unter Mitwirkung eines gesondert verfolgten Bekannten zahlreiche, zumeist nach Abgabe durch die Verbraucher bereits zusammengepresste Plastikpfandflaschen sowie einen Kasten mit Glaspfandflaschen; der Pfandwert betrug insgesamt 325 Euro. Beide beabsichtigten, die gepressten Plastikpfandflaschen auszubeulen und das gesamte Pfandleergut nochmals abzugeben, um dafür Pfand zu erhalten.

Das entwendete Pfandleergut war für den A fremd. Für die Eigentumsverhältnisse an der jeweiligen Pfandflasche (nicht an ihrem Inhalt) auf den verschiedenen Vertriebsstufen des Pfandsystems bis hin zum Endverbraucher ist deren konkrete Beschaffenheit maßgeblich. Ist die Flasche mit einer besonderen, dauerhaften Kennzeichnung versehen, die sie als Eigentum eines bestimmten Herstellers/Abfüllers ausweist (sog. Individualflasche), verbleibt das Eigentum an ihr, unabhängig vom Eigentumsübergang an dem veräußerten Getränk, beim Hersteller/Abfüller. Mangels zivilrechtlicher Einigung findet deshalb ein Eigentumsübergang an den jeweiligen Flaschen auf den einzelnen Handelsstufen nicht statt. Weist die Flasche solche individuellen Merkmale nicht auf, wird sie vielmehr von unbestimmt vielen Herstellern verwendet (sog. Einheitsflasche), geht nicht nur das Eigentum am Inhalt, sondern auch dasjenige an der Flasche selbst auf allen Vertriebsstufen auf den jeweils nächsten Erwerber über. Geht der Täter – dies dürfte den Regelfall darstellen – indes davon aus, dass das Eigentum auch bei Individualflaschen im Vertriebsweg auf den jeweiligen Erwerber der Getränke übergeht, handelt er – wie bei der Wegnahme von Einheitsflaschen – mit der für einen Diebstahl erforderlichen Zueignungsabsicht. Nach seiner Vorstellung will er auch in diesem Fall den (vermeintlichen) Eigentümer enteignen und beabsichtigt, durch Rückgabe in das Pfandsystem sich selbst an die Stelle des wahren Eigentümers zu setzen. Damit sind sämtliche Tatbestandsvoraussetzungen des Diebstahls erfüllt. (BGH, Beschl. v. 10.10.2018 – 4 StR 591/17)

§ 306a Abs. 1 Nr. 1, § 306e Abs. 1 – Schwere Brandstiftung, tätige Reue; hier: Erheblichkeit des entstandenen Schadens. Der durch eine schwere Brandstiftung entstandene Sachschaden an einem Wohngebäude ist dann erheblich im Sinne des § 306e Abs. 1 StGB, wenn – bezogen auf das Tatobjekt – mindestens 2.500 Euro zur Schadensbeseitigung erforderlich sind. (BGH, Beschl. v. 23.5.2018 – 2 StR 169/18)

§ 1 Abs.1 Nr. 4 GewSchG – Gerichtliche Maßnahmen zum Schutz vor Gewalt und Nachstellungen; hier: Kontaktverbot; WhatsApp-Profil-Bild. B war es nach dem GewSchG u.a. verboten, die Antragstellerin (A) zu bedrohen und mit dieser – auch unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln – Verbindung aufzunehmen. Nach Zustellung hat er das volle Rubrum des Beschlusses und einen Teil des Tenors als sein Profilbild in den Messengerdienst WhatsApp aufgenommen, so dass Namen und Adresse der Antragstellerin zu lesen waren. Zusätzlich hat er in seinem „Status“ vermerkt: „Computer sagt, ich kriege dich, du verdammt kranke Frau“ und ein Mittelfinger-Emoji hinzugefügt. Zwei Tage später hat er sein Profilbild gewechselt und diesmal eine Montage mit einem Foto des Kopfes der A auf einem Frauenkörper eingestellt.

Das Gericht sah in diesem geschmacklosen Verhalten keine Kontaktaufnahme, da jeder selbst aktiv werden müsse, um dies zu sehen und dazu auf den Account des B klicken müsse. Zudem sei mit der einstweiligen Anordnung nach dem GewSchG ein solches Verhalten nicht ausdrücklich untersagt worden. Das bedeute allerdings nicht, dass dem B dies ohne weiteres erlaubt wäre. Soweit er damit u.a. gegen das Persönlichkeitsrecht der A, das Recht am eigenen Bild oder den Datenschutz verstoßen haben sollte, wären evtl. Ansprüche indes vor einer Zivilabteilung des Gerichts zu verfolgen. (AG Bergheim, Beschl. v. 1.10.2018 – 61 F 219/18)



II Prozessuales Strafrecht


§ 81b 2. Alt StPO – Erkennungsdienstliche Behandlung; hier: Grenzen der Anwendung bei Straftaten im familiären Bereich. Der Kläger (K) schüttelte im Juli 2016 seinen knapp zwei Monate alten Sohn aus Verärgerung über ein fortwährendes Schreien oder aus Überforderung so lange und intensiv, dass das Kind eine Gehirnblutung und hiermit einhergehende lebensbedrohliche Verletzungen erlitt. Nachdem K zunächst selbst Rettungsbemühungen in Form einer Mund-zu-Mund-Beatmung eingeleitet und anschließend den Notarzt verständigt hatte, musste der Säugling im Krankenhaus intensivmedizinisch behandelt werden. K wurde wegen gefährlicher Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB verurteilt. Mit ausführlich begründetem Bescheid von April 2017 ordnete die Polizei nach Anhörung des K wegen dieses Vorfalls die erkennungsdienstliche Behandlung K´s an.

Im Hinblick auf mögliche und gegebenenfalls im Wahrscheinlichkeitsbereich liegende Straftaten im familiären Bereich, also im rein privaten Raum außerhalb der Öffentlichkeit, ist die Geeignetheit erkennungsdienstlicher Unterlagen zur Förderung zukünftiger Ermittlungen nicht feststellbar, wenn der Betroffene auch ohne diese Unterlagen ohne Weiteres als potentieller Täter in Betracht gezogen wird, wenn es also um die Frage, wer überhaupt der Täter gewesen sein könnte, nicht (mehr) geht. Sobald sich der Anfangsverdacht bereits auf den Betroffenen fokussiert hat, ist die weitere Sachverhaltsaufklärung gegebenenfalls im Rahmen einer dann in dem konkreten Ermittlungsverfahren zu veranlassenden erkennungsdienstlichen Behandlung nach § 81b Alt. 1 StPO durchzuführen. Im Falle eines gewaltsamen Schüttelns eines Säuglings lässt sich anhand der Art der Tat alleine und für sich genommen keine besondere Neigung herleiten, welche die hierauf gestützte Annahme eines zukünftig möglicherweise eintretenden Kontrollverlustes in der Öffentlichkeit als sachgerecht und vertretbar erscheinen lassen könnte. (OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 24.9.2018 – 7 A 10084/18)

§ 81b 2. Alt StPO – Erkennungsdienstliche Behandlung; hier: Wegfall der Beschuldigteneigenschaft bei Anordnung der ED-Behandlung. Seit dem Jahr 2000 ist A mehrfach unter anderem wegen Unterschlagung, Betrugs, Fahrens ohne Fahrerlaubnis, Körperverletzung sowie illegalen Waffenbesitzes strafrechtlich verurteilt worden. Nach Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wegen Nötigung forderte ihn die Polizei mit Bescheid vom 29.9.2011 auf, sich zur Anfertigung eines Detail-, Dreiseiten- und Ganzkörperbilds, einer Personenbeschreibung sowie Zehnfinger- und Handflächenabdrucks einzufinden. Der dagegen erhobene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 13.9.2012 zurückgewiesen. Der A war zuvor am 13.3.2012 vom AG wegen Nötigung zu einer Geldstrafe verurteilt worden; das Urteil ist seit 21.3.2012 rechtskräftig.

Eine auf § 81b Alt. 2 StPO gestützte Anordnung erkennungsdienstlicher Maßnahmen wird nicht allein dadurch rechtswidrig, dass die Beschuldigteneigenschaft des Adressaten vor Erlass des Widerspruchsbescheids wegfällt. Die Gründe für den Wegfall der Beschuldigteneigenschaft hat jedoch die Widerspruchsbehörde bei Prüfung der Notwendigkeit und der ihr obliegenden Ermessensentscheidung zu berücksichtigen. (BVerwG, Urt. v. 27.4.2018 – 6 C 39/16)

§ 100a StPO – Telekommunikationsüberwachung; hier: Verwertbarkeit von Raumgesprächen. Bei durch § 100a StPO gerechtfertigter Aufzeichnung eines Telefongesprächs darf das gesamte während des Telefonats aufgezeichnete Gespräch einschließlich der Hintergrundgeräusche und -gespräche verwertet werden. Das gilt jedenfalls dann, wenn es sich um Gespräche handelt, bei denen einer der Teilnehmer der aufgrund gerichtlicher Anordnungsbeschlüsse überwachten Telefongesprächen eine dritte Person in die Kommunikation mit dem telefonischen Gesprächspartner einbezieht. Denn bei einer solchen Fallgestaltung sind die fraglichen Inhalte des Hintergrund- bzw. Raumgesprächs selbst Gegenstand der Telekommunikation. (BGH, Beschl. v. 10.1.2018 – 1 StR 571/17)

§§ 100a, 100g StPO – Telekommunikationsüberwachung, Erhebung von Verkehrsdaten; hier: Übermittlung von IP-Adressen. Der Anbieter eines E-Mail-Dienstes ist im Rahmen einer ordnungsgemäß angeordneten Telekommunikationsüberwachung verpflichtet, den Ermittlungsbehörden die Internetprotokolladressen (IP-Adressen) der auf ihren Account zugreifenden Kunden auch dann zu übermitteln, wenn er seinen Dienst aus Datenschutzgründen so organisiert hat, dass er diese nicht protokolliert.

Dynamische oder statische IP-Adressen, mit denen die Kunden eines Anbieters von E-Mail-Diensten mit ihren internetfähigen Endgeräten auf ihren E-Mail-Account zugreifen wollen, unterfallen daher grundsätzlich dem Anwendungsbereich des § 100a StPO.

§ 100g Abs.1 StPO verdrängt, soweit die (Echtzeit-)Überwachung künftiger Telekommunikation betroffen ist, die Vorschrift des § 100a StPO nicht; die Vorschriften sind vielmehr nebeneinander anwendbar. (BVerfG, Beschl. v. 20.12.2018 – 2 BvR 2377/16)

§ 100i Abs. 1 Nr. 2 – IMSI-Catcher; hier: „Stille SMS“ Rechtsgrundlage für das Versenden sog. „Stiller SMS“ durch die Ermittlungsbehörden ist §100i Abs. 1 Nr. 2 StPO. (BGH, Beschl. v. 8.2.2018 – 3 StR 400/17)