Professionelle polizeiliche Arbeit am Ereignisort

Eine Frage der Berufsehre


Von KHK a.D. Rolf Strehler, Aschersleben1

Der Erfolg des „Ersten Angriffs“2 und somit auch der Tatortarbeit bei der Suche nach Wahrheit und Beweisen hängt in einem nicht zu unterschätzenden Maße vom persönlichen Engagement der eingesetzten Kräfte ab. Bei zahlreichen Lebenssachverhalten der polizeilichen Alltagspraxis ist es unverzichtbar, sich an den Ereignisort3 zu begeben, diesen zu untersuchen und einen Befund zu erheben. Ziel dieses Beitrages ist es, die polizeiliche Arbeitsweise am Ereignisort/Tatort selbstkritisch zu hinterfragen.

1 Die Bedeutung der Prävalenz des Sachbeweises – ein Quantensprung


Unaufschiebbar notwendige polizeiliche Aktivitäten zur Gefahrenabwehr oder/und Strafverfolgung lösen in aller Regel den „Ersten Angriff“ aus. Es handelt sich um Sofortmaßnahmen, deren Kern oftmals in der Spuren- und Beweismittelsuche am Ereignis-/Tatort und in dessen Wahrnehmbarkeitsbereich besteht. Dabei haben die Qualität der durchgeführten Maßnahmen und deren Dokumentation wesentlichen Einfluss auf den Verlauf der sich anschließenden polizeilichen Sachbearbeitung. Die grundsätzliche Bedeutung des Ereignis-/Tatortes im juristischen und auch im kriminalistischen Sinne ist allgemein bekannt4. Der zu untersuchende Geschehensablauf hat dort offen wahrnehmbare aber auch latente Veränderungen verursacht. Bei der Suche nach den Geheimnissen des Tatortes wurden in der Kriminalistik schon immer neueste wissenschaftliche Erkenntnisse gezielt angewendet und weiterentwickelt. Der rasant verlaufende innovative Fortschritt in den letzten Jahrzehnten ist beindruckend. Als Beispiel soll hier die ursprüngliche Daktyloskopie5 und die damit gewonnene Möglichkeit, Personen beweiskräftig und zweifelsfrei zu identifizieren, genannt werden. Der Autor hatte vor ca. 18 Jahren wiederholt Gelegenheit, voller Hochachtung einem Sachverständigen für Daktyloskopie bei seiner mühseligen – damals noch ausschließlich analogen – Arbeit am Lesegerät über die Schulter zu schauen. Inzwischen ist mit der Digitalisierung der Daktyloskopie
ein Quantensprung erreicht worden. Erinnert sei hier auch an die früher begrenzten Möglichkeiten zur Auswertung einer Blutspur. Man konnte, anhand der ermittelten Blutgruppe, Personen als Spurenverursacher ausschließen bzw. als Mitglied einer Gruppe mit gleicher Blutgruppe weiter verdächtigen. Eine direkte Individualidentifizierung war jedoch nicht möglich. Das ist jetzt mittels DNA-Analyse revolutioniert worden und es können auch andere biologische Spuren entsprechende Antworten liefern. Denken wir an scheinbar ewig rätselhafte Kapitalverbrechen, die plötzlich mit modernsten DNA-Verfahren quasi wie im Flug aufgeklärt werden. Methoden, die vor Jahren noch undenkbar gewesen waren, haben in die Kriminalistik Einzug gehalten und beeindruckende Aufklärungspotentiale eröffnet. Die Konsequenz aus diesen Entwicklungen ist die Prävalenz des Sachbeweises. Das gilt gleichermaßen für die Untersuchung von Verkehrsunfällen, an denen Fahrzeuge und/oder Personen zu Schaden gekommen sind. Die Staatsanwaltschaften der Länder stellen in jedem Fall hohe Anforderungen an die Beweissicherung. Dies kommt auch in der PDV 100 zum Ausdruck, wenn in Ziffer 2.2.1 die Rede davon ist, dass „der Polizei Aufgaben und Befugnisse zu Ermittlungen im Strafverfahren6(Legalitätsprinzip) und im Ordnungswidrigkeitenverfahren (Opportunitätsprinzip) übertragen sind“. Qualität am Ereignis-/Tatort war schon immer unabdingbar, das gilt natürlich auch noch uneingeschränkt in der Gegenwart, z.B. beim Einsatz der klassischen Spurensicherungsmethoden. Die Nachrichten über plötzliche, spektakuläre Klärungen lange zurückliegender, ungelöster Fälle, sind beeindruckend, haben jedoch nichts mit Zauberei zu tun. Die ausgewerteten Spuren muss damals jemand professionell gesucht, gefunden, interpretiert, gesichert, verpackt, transportiert, dokumentiert und asserviert haben. Der nunmehr gelungene „Superspurentreffer“ muss aber Teil eines stimmigen Gesamtbildes im Gleichklang mit der gesamten Aktenlage sein. Was früher geleistet oder unterlassen wurde, muss gleichwohl ausreichen. Niemand kann später etwas nachjustieren, abgesehen von der Neubewertung der alten Spuren. Was für eine Genugtuung für die Kollegen, die den betreffenden Sachverhalt vielleicht vor vielen Jahren im „Ersten Angriff“ bearbeitet und schon alle Hoffnung auf Klärung aufgegeben hatten. Die kompetente Suche, die fachgerechte Sicherung, der schonende Transport von Spuren und Beweisgegenständen sind also Arbeitsschritte, bei denen es darauf ankommt, eine möglichst fehlerfreie, kompetente kriminalpolizeiliche Arbeit zu leisten. Die modernen Auswertemethoden sind zwar sehr erfolgversprechend, aber eben auch sensibler und anfälliger für Fehler. Exaktheit, Ordnung, handwerkliche Sicherheit, aber auch der unbedingte Aufklärungswille zählen zu den Tugenden, die – stärker denn je – unbedingt notwendig sind. Qualität ist zunehmend die Voraussetzung für gerichtsfähige Antworten auf jene Fragen, die der Tatort der polizeilichen Arbeit vorgibt. Nicht die Menge der Spuren und sonstiger Beweismittel ist entscheidend, sondern ihre individuelle Beweiskraft und deren folgerichtiges, überzeugendes Zusammenspiel.

2 Die Bedeutung des „Ersten Angriffs“ am Ereignis-/Tatort

Wie es den eingesetzten Kräften im „Ersten Angriff“ gelungen ist, dieses Zusammenspiel im konkreten Sachverhalt zu durchschauen und zu interpretieren, sollen sie später im Tatortbefundbericht beschreiben. Wesentliche inhaltliche Bestandteile sind die erhobenen objektiven und subjektiven Befunde. Im direkten Anschluss daran soll beschrieben werden welche Versionen zum Täter, Tatverlauf und weiteren kriminalistisch erforderlichen Fragen erarbeitet worden sind, welche mutmaßlichen Beweise die Tatortteams deshalb am Tatort gesichert haben, kurzum, was sie sich von ihnen erhoffen. Die spätere Vorgangsbearbeitung kann sich dann auf diese Ergebnisse stützen. Die Inaugenscheinnahme, Untersuchung, beweiskräftige Auswertung und Interpretation der gesicherten potentiellen Beweise hängen von dieser Basisarbeit ab. So können klare Entscheidungen ermöglicht werden. Je besser die Zuarbeit für den Gutachter, umso treffsicherer und unantastbarer kann er sein Ergebnis präsentieren. Der „Erste Angriff“ beschränkt sich aber nicht nur auf die kriminaltechnische Tatortarbeit. Er ist ein Komplex von Standardschritten. Die Suche nach Zeugen, Fahndung nach Tatverdächtigen, Anordnung erforderlicher und unaufschiebbarer körperlicher Untersuchungen sind weitere Kernaufgaben. Was dort übersehen, falsch beurteilt oder unterlassen worden ist, kann sich als schweres Ermittlungsdefizit durch die gesamte Sachbearbeitung ziehen. Der „Erste Angriff“ wird in den Sicherungsangriff und in den Auswertungsangriff unterteilt.7 Den Tatort zu sichern und erste wesentliche Feststellungen über den Tathergang zu treffen, ist für den sog. Sicherungsangriff kennzeichnend. Den gründlichen, „offiziellen“ Tatbefund zu erheben, zählt hingegen zum Auswertungsangriff. Im Grunde geht es also darum, zunächst den Ereignisort in seiner Beschaffenheit vor Veränderungen zu schützen.8 Das bedeutet auch, alle sich bietenden Chancen zur Aufhellung bzw. Aufklärung des Sachverhalts zu erkennen und zu nutzen, bevor sie unwiederbringlich verloren sind. Deshalb soll schon bei der Anfahrt auf tatbezogene Umstände geachtet werden. Eine wirksame Absperrung setzt voraus, dass bereits in dieser Phase ein relativ klares Bild davon besteht, was zum unmittelbaren Tat-/Ereignisort gehört und wie er umrissen ist. Bei Straftaten gehört auch der Weg, den die Täter wahrscheinlich genutzt haben, zum Tatort „im weiteren Sinne“. Darum sollten Beamte der Schutzpolizei sich nicht nur mit der Absperrung des wichtigsten Zugangsweges begnügen und auf die Kriminalpolizei warten, sondern sich möglichst sofort einen Überblick darüber verschaffen, wie der Täter den Tatort – zu Fuß oder gar motorisiert – erreicht und später wieder verlassen haben könnte. In der Folge sind Aktivitäten von unberechtigten Personen im abgesperrten Bereich zu unterbinden. Das Querstellen eines Einsatzfahrzeuges ist manchmal effektiv, in anderen Fällen kann es für eine Sperrung völlig ungeeignet sein. Die Absperrung ist also keine Alibimaßnahme, sondern ein unverzichtbarer Baustein für die Folgemaßnahmen. Über Notwendigkeit, Aufwand, Dauer, Umfang der Absperrung sollten die eingesetzten Beamten der Schutz- und Kriminalpolizei von Anfang an bewusst nachdenken und diesbezüglich eine klare Entscheidung treffen. Sie sollten den Tatort nur mit höchster Sensibilität betreten oder befahren. Intern wird gern über das „Spurenvernichtungskommando“ geflachst. Aufgabe der Absperrung ist es eben im besonderen Maße zu verhindern, dass unberechtigte, aber auch berechtigte Personen, den Tatort in schädlicher Weise verändern. Es ist z.B. wenig förderlich, wenn Einsatzfahrzeuge die Absperrung nicht eindeutig wahrnehmen und beim Eintreffen ahnungslos auf der Reifeneindruckspur des Tatfahrzeuges manövrieren. Kurz gesagt, der vorgefundene Zustand des Ereignisortes ist mit seinem Informationspotential für den Auswertungsangriff vor Veränderungen zu schützen und zu sichern. Das gilt für den Schutz von Spuren und Beweismitteln, aber auch für die Feststellung und Identifizierung von Zeugen einschließlich deren Erstbefragung. In dieser Phase können bereits die Fahndung nach den Tätern, Gefahrenabwehr- und Erste Hilfe-Maßnahmen für Verletzte auf Hochtouren laufen, was die Aufgabe nicht einfacher macht.

3 Störende Einflüsse


Wie schnell ein Sicherungsangriff erschwert werden kann, zeigen zahlreiche bekannte Fälle vorsätzlicher Störungen bis hin zu gewalttätigen Angriffen gegen die eingesetzten Beamten. Eine neue Dimension erhält dieses Problem gegenwärtig durch „Gaffer“ und Störer bei Verkehrsunfällen und ähnlichen Ereignissen mit Öffentlichkeitswirkung. Orte, an denen sich Verkehrsunfälle mit Personen- oder größerem Sachschaden ereignet haben, sind wie Tatorte zu behandeln und entsprechend bestmöglich zu schützen. Dabei sollte die Kommunikation mit der eigenen Einsatzleitstelle zu keinem Zeitpunkt abreißen. Die Polizei muss stets Herr der Lage im Einsatzraum bleiben und den Überblick behalten. Diese Feststellung kann als Leitlinie für den Einsatz gelten.9 Die Tatortarbeit lebt gewissermaßen davon, wie standhaft die Sicherungskräfte den Tatort/Ereignisort gegen alle schädlichen Einflüsse von außen „verteidigt“ haben. Das ist nicht immer so leicht, wie es erscheinen mag, aber nur so kann der Ereignisort ohne Qualitäts- und Informationsverluste an die Kräfte des Auswertungsangriffs übergeben werden. Insbesondere über die eigenen Aktivitäten, unvermeidbare Veränderungen/Beschädigungen, verursachte Spuren, eigene Feststellungen und aufgestellte Versionen sollte die Auskunftsfähigkeit gesichert sein. Der Auswertungsangriff und damit die eigentliche Tatortarbeit greift wie ein Zahnrad in den Sicherungsangriff und transportiert die gewonnenen Erkenntnisse weiter. Dieser Beitrag soll unterstreichen, wie wichtig das professionelle und engagierte Vorgehen aller handelnden Polizeibeamten am Ort des relevanten Geschehens ist. Dabei kommt es oftmals nicht darauf an, wer als erster an der benannten Stelle eintrifft oder durch einen beeindruckenden Auftritt u.U. unter Einsatz von Sonder- und Wegerechten auffällt. Vielmehr sollte sich jeder handelnde Beamte bewusst machen, dass er durch sein Verhalten wesentlich zum Erfolg oder Misserfolg der Ermittlungen im konkreten Fall beiträgt. Wer gut ausgebildet ist, sollte keine Angst vor eigenen Fehlern haben. Selbstbewusst und entschlossen an die Arbeit gehen, dabei aber die eigenen Grenzen kennen, sind richtungsweisende Kautelen des Einsatzes. Wenn man befürchtet bzw. bei konkreten Handlungen feststellt, dass die eigene Kompetenz vor Ort nicht ausreichend ist, sollte man sich das eingestehen, jedoch nicht die Beweismittelsuche am Ereignisort kurzer Hand abbrechen oder gar gefährden. Auch das gehört zur Berufsehre.

4 Ereignisort und dessen polizeiliche Bedeutung


Mit dem Begriff „Ereignisort“ wird allgemein der Bereich benannt und eingegrenzt, an dem sich mutmaßlich das bekannt gewordene Vorkommnis ereignet hat. Je nach Art und Weise des Geschehens erhält der Ereignisort bei polizeilicher Zuständigkeit eine spezifische Bezeichnung, z.B. Tatort, (Verkehrs-)Unfallort, Leichenfundort, Explosionsort, Brandort, Aufenthaltsort. Unabhängig davon, wie wir ihn bezeichnen, gelten im Wesentlichen die gleichen Verhaltensgrundsätze10. D.h. die PDV 100 gibt uns detailliert und verbindlich die Standardschritte für das korrekte Verhalten am Ereignisort vor.11 Diese festgelegten Handlungsabläufe sind inhaltlich nichts anderes, als ein Kompendium von Erfahrungen aus vielen Generationen gelebter Polizeiarbeit. Zahlreiche Fachbücher und Veröffentlichungen beschäftigen sich mit diesem Thema. Aus Sicht des Autors ist der theoretische Erklärungsbedarf nahezu ausgeschöpft. Die Regeln sind also bekannt, die Ziele klar umrissen. Leider kommt es dennoch viel zu oft vor, dass am Ereignisort – bewusst oder auch unbewusst – gebotenes Handeln unterlassen oder fehlerhaft umgesetzt wird. Das Spektrum reicht von einer kleinen Unachtsamkeit, die sich später im Verlaufe der weiteren Bearbeitung des konkreten Vorganges als folgenschwerer Fehler erweist, bis hin zu schwerwiegenden „Tatortsünden“. Die Ursachen können sehr vielfältig sein. Die größte Fehlerquelle am Tatort jedoch ist das konkrete Verhalten der handelnden Beamten „vor Ort“. Es reicht eben z.B. nicht aus, schnell einige „Fotos zu schießen“ bzw. Bildaufzeichnungen anzufertigen. Die Aufnahmen sind grundsätzlich nach den Standardvorgaben für polizeiliche Tatortfotografie herzustellen, sonst können sie im schlimmsten Fall als Beweis ungeeignet sein. Genaugenommen beginnt die qualifizierte Arbeit am Ereignisort bereits in dem Moment, in welchem ein polizeilich relevanter Sachverhalt bei der Polizei bekannt wird. Eine professionelle Erstaufnahme des Sachverhaltes ist die Grundlage für einen qualitativ hochwertigen und erfolgreichen Einsatz am Ereignisort. Alle erkennbar relevanten Daten sollen deshalb bereits an dieser Stelle erfragt und möglichst fehlerfrei protokolliert werden. Diese hohe Zielvorgabe lässt sich in der Praxis leider nicht immer umsetzen. Selbstverständlich muss hier berücksichtigt werden, dass die Aufnahme von Sachverhalten, insbesondere bei Sofortlagen, häufig unter hohem Zeitdruck und im Gemenge mit anderen aktuellen Einsatzerfordernissen erfolgt. Der geschilderte Geschehensablauf ist dann oftmals noch unklar und erfordert konkretes Hinterfragen der offensichtlichen Informationslücken. Zu klären ist aber auch, ob es sich z.B. um tatsächliche, zureichende Anhaltspunkte handelt, die den Anfangsverdacht einer Straftat begründen.12 In solchen Fällen ist das zeitnahe Aufsuchen des Ereignisortes eine nahe liegende und Erfolg versprechende Ermittlungshandlung. Die eingesetzten Polizeikräfte müssen sich stets darüber im Klaren sein, dass die Chance, den unverfälschten Ereignisort zu erfassen, ganz überwiegend in ihren Händen liegt. Die Basis für eine erfolgreiche Beweisführung liegt also direkt „vor“ den Einsatzbeamten. Gerade bei den Spezialisten der Verkehrsunfallbearbeitung ist durch Einführung modernster Technik in den letzten Jahren gewährleistet worden, dass der Unfallort beweissicher für das spätere Straf- bzw. Ordnungswidrigkeitenverfahren ausgemessen, für das Gericht und den urteilenden Amtsrichter visuell optimal dargestellt werden kann. Dieser Qualitätssprung unterstützt in hervorragender Weise die freie richterliche Beweiswürdigung und tatrichterliche Überzeugung im jeweiligen Einzelfall durch technische Spurensicherung. Auf zeitaufwändige Handskizzen kann somit – mehr oder weniger – verzichtet werden.

5 Voraussetzungen einer professionellen Polizeiarbeit am Ereignisort


Die Verantwortung, den Ereignisort konkret in seiner Komplexität zu erfassen, genau zu lokalisieren und zu umgrenzen, vor allem in Hinblick darauf, was aus kriminalistischer Sicht zum Ereignisort gehört, kann den eingesetzten Polizeibeamten niemand abnehmen. Deshalb ist es entscheidend, dass die mitgeführten Ausrüstungsgegenstände vollständig und uneingeschränkt funktionsfähig sind. Es reicht nicht, voller Tatendrang und Adrenalin in den Streifenwagen zu springen. Man sollte rechtzeitig vor Dienstaufnahme auf Vollständigkeit und Gebrauchsfähigkeit der Einsatzmittel an Bord und der eigenen Einsatztasche achten. Sind Verpackungsmittel im Fahrzeug? Sind die Einsatzkoffer vollständig bestückt? Ist das Siegelband noch voll klebefähig? Werden ausreichend Absperrband und ähnliche Materialien mitgeführt? Sind wichtige Vordrucke vorhanden? Ist die Digitalkamera einsatzfähig (Speichercard vorhanden, Akku aufgeladen, Ersatz Akku, ggf. Stativ)? Hinzu kommt, dass man sich auf gefahrenabwehrendes Handeln einstellen muss. Von Anfang an und im weiteren Einsatzverlauf ist auf die eigene Sicherheit zu achten. Das erfordert ständige Aufmerksamkeit und die Mitführung dem Anlass entsprechender Schutzausrüstungsgegenstände. Diese sind dann auch vor Ort – soweit erforderlich – konsequent einzusetzen, um die eigene Gesundheit nicht zu gefährden. Die anlassbezogene Gefahrenabwehr am Ereignisort sowie die erforderliche medizinische Ersthilfe für verletzte Personen können selbstverständlich nur wirkungsvoll funktionieren, wenn die handelnden Polizeibeamten nicht selbst Opfer noch vorhandener Gefahrenquellen werden, man denke beispielsweise an brennende Fahrzeuge oder Gebäude. Beim Eintreffen vor Ort, im Zuge des „Ersten Angriffs“, müssen sich die Beamten einen gründlichen Überblick verschaffen. Das gilt nicht nur für das Erscheinungsbild des Ereignis-/Tatortes. Insbesondere nach Vorsatzstraftaten muss auch ausgeschlossen werden, dass die Täter sich unbemerkt noch in einem Versteck befinden und die Tatortarbeit beobachten. Denkbare Szenarien können vielfältig sein. Berichte von Angriffen gegen Einsatzkräfte13 oder permanenten Störungen von Amtshandlungen bei größeren Einsätzen gibt es leider genügend. Aber auch tätliche Angriffe gegen Beamte am Tatort sind nicht auszuschließen.

Dazu ein Beispiel: Bei einem Einbruch in einen Drogeriemarkt wurde ein sog. „stiller Alarm“ ausgelöst. Die Einsatzkräfte näherten sich ohne Wegerechtssignale und gedeckt. Der Tatort wurde durch die Schutzpolizei gesichert und anschließend an die Kriminalpolizei übergeben. Es sah nach ganz normaler Routinearbeit aus. Die Eingangstür war aufgebrochen worden, augenscheinlich fehlte nichts, die Täter waren verschwunden. Die kriminaltechnische Spurensuche wurde lediglich durch eine „Kriminaltechnische Angestellte“ (also keine Beamtin, damit unbewaffnet!) allein realisiert. Es gab keine Probleme bei der Tatortarbeit. Die jugendlichen Täter wurden später ermittelt (Spurentreffer). Während ihrer Beschuldigtenvernehmung stellte sich heraus, dass sie gefährliche Gegenstände bei sich geführt hatten. Des Weiteren räumten sie ein, dass die eintreffende Polizei sie am Tatort überrascht hätte. Zeit für eine Flucht hätten sie deshalb nicht mehr gehabt und sich daher im Inneren der Geschäftsräume versteckt und gewartet, „bis die Luft wieder rein war…, dann, als die Frau endlich weg war“, hätten sie die Flucht ergriffen. Es bleibt ein mehr als nur ungutes Gefühl zurück.
Von Anfang an sollte bewusst darauf geachtet werden, dass die unvermeidlich entstehenden eigenen Spuren auf ein Mindestmaß beschränkt bleiben und möglichst nicht die vorhandenen Beweise überlagern, verfälschen oder gänzlich zerstören. Ein kurzes, konzentriertes Innehalten hilft, die Situation in ihrer Komplexität auf sich einwirken zu lassen. Jetzt gilt es, alle Sinne auf die Wahrnehmung der vorhandenen, offen erkennbaren oder für den Moment noch latenten Tatortmerkmale zu richten, gewissermaßen den Ort zu scannen. Dabei ist es unerheblich, ob man ausschließlich mit dem Sicherungs- oder mit dem Auswertungsangriff beauftragt ist. Jeder Tatort schreibt sein eigenes Szenario und gibt den handelnden Polizeibeamten unterschiedliche Reihenfolgen der Standardschritte vor. Dabei muss unbedingt vermieden werden, dass eigene Spuren irrtümlich als Täterspuren behandelt und „gesichert“ werden. Das bedeutet, dass der Ereignisort grundsätzlich nur soweit betreten bzw. befahren werden darf, wie es unbedingt notwendig und unvermeidbar ist. Bei der Spurensuche und -sicherung ist sauber und normgerecht vorzugehen, um die jeweilige Spur selbst und ihren Beweiswert nicht zu gefährden. In jüngerer Vergangenheit wurden sogar Beispiele diskutiert, wonach kriminaltechnische Gerätschaften mit Spurenrückständen alter Tatorte verunreinigt gewesen und unbewusst an völlig anderen Tatorten eingesetzt worden sein könnten – mit der Folge möglicher unkontrollierter Kontaminationen. Solche Erscheinungen wird es vermutlich schon immer unbemerkt gegeben haben, jedoch die modernen wissenschaftlichen Methoden sind nunmehr in der Lage, solche Fehler aufzudecken. Das wiederum bedeutet, dass die „Superspur“ (z.B. DNA) zwar den Verursacher identifizieren kann, jedoch bleibt zu beweisen (das war im Übrigen schon immer so), wie die Spur an den Tatort gekommen ist und ob sie im Kanon mit allen gesicherten Beweisen steht. Man stelle sich vor, die eigene DNA würde durch ein Versehen am Tatort eines Kapitalverbrechens auftauchen. Auch eine achtlos weggeworfene eigene Zigarettenkippe oder ein benutztes Taschentuch können die Ermittlungen in die falsche Richtung lenken. Deshalb war das Rauchen am Tatort schon zu Zeiten verboten, als man seine Zigarette noch im Dienstzimmer und nahezu überall rauchen durfte und gehört zu den absoluten Unterlassungssünden am Ereignisort/Tatort.

6 Wichtige Begleit-/Folgemaßnahmen


Zu Beginn polizeilicher Handlungen am Tatort, insbesondere dann, wenn man sich eine erste Übersicht verschafft hat, könnte die Lage Maßnahmen der Ersten Hilfe und Gefahrenabwehr als höchste Priorität erfordern.14 Aber auch Zeugen könnten den Tatort verlassen wollen und dauerhaft für die Beweisführung verloren sein, wenn sie nicht sofort identifiziert und hinsichtlich ihrer Rolle befragt werden. Zu beachten ist, dass darunter auch der Täter sein könnte. Spuren können durch Witterungseinflüsse, Brandeinwirkung, Schaulustige u.ä. Bedingungen unwiederbringlich beschädigt oder gänzlich zerstört werden, wenn man sie nicht unverzüglich auf geeignete Weise schützt. Das kann man z.B. durch Abdecken mit einer Plane, einem wetterfesten Gefäß oder durch geeignete Absperrung erreichen. Aber auch die gegenständliche Sicherung, verbale Beschreibung, Skizzen und Fotoaufnahmen sind geeignete Mittel, möglichst viele Informationen aus der Spur zu bewahren. Unter Umständen bleibt eine sofortige Notsicherung (z.B. fotografisch) die einzige Alternative, um den Totalverlust der Spur zu verhindern.15 Diese Notwendigkeit zu erkennen und dann entschlossen zu handeln, wenn man sich des potentiellen Beweiswertes der Spur bewusst ist, zeugt von einer professionellen Einstellung. Deshalb sollten sich die am Ereignisort handelnden Polizeibeamten als wichtiges Rädchen im Getriebe des gesamten „Ersten Angriffs“ begreifen. Dabei – wiederum als Leitlinie des Handelns zu verstehen – haben alle Einsatzkräfte miteinander zu kommunizieren und sich gegenseitig zu unterstützen. Der Sicherungsangriff wird deshalb mit einer detaillierten persönlichen Übergabe an die nachfolgenden Kräfte des Auswertungsangriffs abgeschlossen. In einem Protokoll sind die bisherigen Erkenntnisse zu fixieren. Insofern sind alle Standardhandlungen und Ablaufphasen des „Ersten Angriffs“ miteinander verzahnt und bedingen einander. Natürlich gibt es zahlreiche Fälle des täglichen Einsatzgeschehens, die schnell und einfach aufzunehmen sind, jedoch das konkret gebotene Verhalten zu erkennen, ist entscheidend für Dauer, Aufwand, Ergebnis, Beweiswert. Mit Hilfe der eigenen Fachkenntnisse, aber auch mit Fantasie, gesundem Menschenverstand, Einfühlungsvermögen und dem logischen kriminalistischen Denken16, kann dann ein Bild von dem zu untersuchenden Ereignis entstehen, welches zu einer erfolgreichen polizeilichen Ermittlungstätigkeit führt. Es wird oftmals noch unscharf sein, doch dieser Versuch der geistigen Rekonstruktion ist der Schlüssel zu den zielführenden Beweisen. Erst überlegen, dann handeln.17 Die aufgestellten Hypothesen über das vorangegangene Geschehen, das Ergebnis der gedanklichen Rekonstruktion, werden oftmals die Spurensuche wesentlich beeinflussen. Das heißt, man wird Spuren und Beweisgegenstände nur dort suchen, wo man sie erwartet (Heuristische Methode18). Das ist effektiv, zeitsparend und Erfolg versprechend zugleich. Bei unklarer Situation, schweren Straftaten und unübersichtlichen Ereignisorten wird die Polizei anders vorgehen. Man wird systematisch und gründlich nach sichtbaren und unsichtbaren (latenten) Spuren sowie nach Beweismitteln suchen (Systematische Methode). Das ist aufwändiger sowie zeitintensiver und hängt, wie bereits erwähnt, davon ab, welchen Aufwand die Untersuchung des Ereignisses erfordert bzw. rechtfertigt. In jedem Fall ist es jedoch ratsam, vorher die vorgefundene Situation fotografisch zu sichern. Die eigentliche Spurensuche und -sicherung sollte dann mit der gebotenen Sorgfalt und Vorsicht erfolgen (z.B. Handschuhe tragen, nichts unnötig anfassen). Wenn die Spurenlage unerklärlich von der aufgestellten Hypothese abweicht, sind zwingend neue Überlegungen notwendig. Es könnte sich um Spuren handeln, die nicht im Zusammenhang mit dem Ereignis stehen (Trugspuren19) oder bewusst als falsche Fährte gelegt worden sind, um die Polizei über den wahren Geschehensablauf zu täuschen (sog. Fingierte Spuren20). Keine Spuren zu finden, bedeutet nicht automatisch, dass der Ereignisort spurenlos ist. In diesem Falle sollte man die Prozedere der Spurensuche auf den Prüfstand stellen. Spätestens bei den beschriebenen Erscheinungen müssen Spezialisten (Kriminaltechniker) hinzugezogen werden. Das gilt auch, wenn man sich hinsichtlich geeigneter Methoden der jeweiligen Spurensicherung, über die fachgerechte, spurenschonende Verpackung über die Beschaffung von Vergleichsmaterial nicht sicher ist.21

Dazu ein weiteres Beispiel: Nach einer vorsätzlichen Brandstiftung an einem gestohlenen PKW war der Täter über ein Feld geflüchtet. Man konnte der Spur folgen und im weiteren Verlauf die nassen Winterschuhe des mutmaßlichen Täters sicherstellen. Sie waren mit dicken Anhaftungen feuchter Erde verunreinigt. Sie wurden in einer Plastiktüte verpackt. Auf den Gedanken, Papiertüten zu benutzen und, was noch viel wichtiger gewesen wäre, die Schuhe zu trocknen, war niemand gekommen. Vergleichsmaterial (Erde) vom Brandort wurde ebenfalls feucht verpackt und zudem in unzureichender Menge entnommen. Das ganze Desaster fand seine Vollendung, indem schlicht vergessen wurde, das Spurenaufkommen an die Kollegen der Kriminaltechnik zu übergeben. So gelangten die inzwischen verrotteten Sachen erst nach Wochen auf den Tisch des Sachverständigen und es war nicht mehr viel zu retten. Eine umfassende Erläuterung würde hier den Rahmen sprengen. Als Fazit sei aber gesagt: Je wichtiger die Spur, desto wichtiger ist ihre professionelle Behandlung! Da nicht immer professionelle Kriminaltechniker zur Verfügung stehen, ist es oftmals unumgänglich, selbst vor Ort die Beweise zu sichern. In beschriebenen Fall sind einige Grundregeln nicht beachtet worden. Nasse Spurenträger sind grundsätzlich zu trocknen. Zum Transport sollte man möglichst unverschlossene, geeignete Papierbehältnisse verwenden. Dabei ist darauf zu achten, dass die Spuren von Täter und Opfer streng voneinander getrennt werden. Brandspuren sind in Aluminiumtüten (Brandschutztüten) zu transportieren. Die geschilderten Fehler waren alle vermeidbar.

Die gründliche Tatortarbeit und eine folgerichtige Versionsbildung sind von entscheidender Bedeutung für den Erfolg der kriminalpolizeilichen Ermittlungen.


Bild 1: Gesicherte Eindruckspuren im Schnee.

Dies soll mit einem dritten Beispiel belegt werden: In einer Stadt in Sachsen-Anhalt sowie in benachbarten Ortschaften kam es im Winter 2011/2012 zu einigen Brandstiftungen in Kleingartenanlagen. Zunächst dauerte es eine Zeit, bis die Version, dass es sich um eine Häufung oder Serie von vorsätzlichen Brandstiftungen handeln könnte, immer mehr in den Vordergrund rückte. Gründliche Tatortarbeit hatte Gemeinsamkeiten herausgestellt, die man auf den ersten Blick nicht gleich erkennen konnte. Auffällig war, dass die angegriffenen Gartenlauben hinsichtlich der Fassaden, Bausubstanz und Einrichtung relativ wertintensiv waren. In jedem Fall fehlten nach den Bränden hochwertige Gegenstände von den Brandorten. Konnte es möglich sein, dass es die Täter nicht vordergründig auf das Legen von Feuer, sondern vielmehr auf Diebstahl von Wertgegenständen abgesehen haben könnten? Die Brände könnten mit dem Ziel der Spurenvernichtung gelegt worden sein. Suchten wir also nach Feuerteufeln und müssten eigentlich nach Einbrechern fahnden? Weitere Ermittlungen rückten dann tatsächlich zwei der Polizei bekannte Einbrecher in den Focus der Überlegungen. Inzwischen war der Winter eingebrochen und zeigte sich mit Temperaturen um -20 °C und einer geschlossenen Schneedecke von seiner stärksten Seite. In einer sehr kalten Nacht ging ein Firmengebäude in Flammen auf. Es handelte sich um eine Produktionsstätte für Elektro-Schaltanlagen. Der Schaden wurde damals auf 1.000.000 Euro beziffert. Die Feuerwehr hatte große Mühe, das Löschwasser noch im flüssigen Zustand zum Brandort zu pumpen. Nachdem der Brand gelöscht und der Brandort genügend erkaltet war, um erste Untersuchungen zu beginnen, begaben sich Kriminaltechniker an den Ereignis-/Tatort. Hier war hinsichtlich der eigenen Sicherheit besonders zu beachten, dass der gesamte Brandort äußerlich an vielen Stellen durch vereistes Löschwasser wie mit Zuckerguss überzogen war. Die Beamten stellten sehr schnell fest, dass ein Materiallager für Kupferprofile über ein eingeschlagenes Fenster angegriffen worden war. Schwere, meterlange Kupferschienen waren entwendet worden. Das Gesamtspurenbild wies relativ sicher auf zwei Täter hin. In der Folge hatten diese die schweren Schienen durch den Schnee, einige 100 Meter über einen angrenzenden Acker bis zu einem kleinen Bauernhaus gezogen. Dort endete die Spur. Das entstandene Spurenbild (durchgehende parallele Eindruckspuren im Schnee, mit mittig verlaufenden Schuheindruckspuren einer Person), wurde zunächst für eine Schlittenspur gehalten. Die einzigen Bewohner des Hauses waren die beiden Einbrecher, die bereits im Verdacht gestanden hatten, die Laubenbrände verursacht zu haben. Bei der folgerichtig veranlassten Durchsuchung nach §§ 102 ff. StPO auf dem Grundstück der beiden Tatverdächtigen wurden Kupferschienen mit frischen Schneeanhaftungen als Passstücke für unsere „Schlittenspur“ und passende Schuhe als zweifelsfreie Spurenverursacher zu den Schuheindruckspuren sichergestellt. Weitere aufgefundene Gegenstände konnten den Gartenlaubeneinbrüchen/-bränden zugeordnet werden. In ihren Vernehmungen ließen sich die beiden Beschuldigten umfassend geständig ein. Sie gaben an, in allen Fällen die Brände gelegt zu haben, um nach der Tat die eigenen Einbruchspuren zu vernichten. Die Idee war ihnen aus einem Film gekommen. Nach dem Großeinsatz der Feuerwehr war mit einem riesigen Durcheinander von Schuheindruckspuren im Schnee zu rechnen. Zum Glück befand sich die „Schlittenspur“ etwas abseits. Mit Beginn der Spurensuche an wurde eine Trasse festgelegt, auf der sich die Polizeibeamten bewegten. So wurden Polizeispuren von Täterspuren eindeutig getrennt. Wenn auch der Schnee als idealer Spurenträger die Aufklärung erleichtert hat, so war doch für die gesamte Beweisführung entscheidend, dass nicht nur nach Brandbeschleunigern u.ä., sondern auch nach Einbruchspuren gesucht worden war.

Bild 2: Von den Tätern abgelegte Kupferschienen.

7 Fazit


Im alltäglichen Einsatzgeschehen passiert es regelmäßig, dass Eigentumsdelikte, Körperverletzungen, Sachbeschädigungen, Verkehrsunfälle und weitere Ereignisse sich ablösen oder sogar zeitgleich bekannt werden. Die Einsätze häufen sich und es steht nur ein kleines Zeitfenster für den „Ersten Angriff“ zur Verfügung. Es kommt vor, dass die Kräfte des Sicherungsangriffs zugleich große Teile des Auswertungsangriffs realisieren müssen. Plötzlich will man eine deutlich sichtbare daktyloskopische Spur an einem Kühlschrank aus Edelstahl sichern. Die Mitnahme des Spurenträgers scheidet wegen seiner Größe aus. Es muss also ein so genannter Hilfsspurenträger her, d.h. die Spur muss mittels einer Folie gesichert werden. Welches Adhäsionsmittel ist das geeignete? Da hilft ein simpler Trick. Man produziert eine eigene Spur an einer Stelle, wo mit Sicherheit keine Täterspuren zu erwarten sind, und probiert es einfach aus. Bei kleineren Spurenträgern (Flaschen, Schachteln, Verpackungen, Handwerkzeug usw.) kommt eine Mitnahme in Betracht. Keinesfalls sollten die eingesetzten Polizeibeamten vergessen, die Tatortsituation fotografisch zu dokumentieren. Dabei sind die Spuren eindeutig zu nummerieren und die Aufnahmen nach den Regeln der Tatortfotografie zu fertigen. Die Spurennummer darf nicht mehr geändert werden. Der sachkundige Ermittler sollte sich im Klaren darüber sein, welche Fragen er der jeweiligen Spur widmet und an den Gutachter stellt. Bei Tatorten von Kapitalverbrechen oder Unfallorten mit schwer verletzten Personen stellt dies ein besonderes Erfordernis dar. Dazu ist das „Protokoll über kriminaltechnische Tatortarbeit“22 zu fertigen. Es wird die Spur wie ein Beipackzettel begleiten. Nur so weiß der Gutachter, was er mit der Spur anstellen soll. Hier lässt man sich am besten von erfahrenen Kriminaltechnikern helfen. Aus eigener Erfahrung vor Gericht wird in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf die Bedeutung der Lichtbildanlage als sichtbare Erinnerung an das vorgefundene Erscheinungsbild des Ereignisortes verwiesen. Vorgesetzte, Gutachter, Staatsanwälte und Richter können sich so leichter in die Lage versetzten und das Geschehen richtig zu beurteilen. Unterstrichen wird die Dokumentation durch den Tatortbefundbericht (TOB).23 Die Dokumentation des Sicherungsangriffs und der TOB nach abgeschlossenem „Ersten Angriff“ sind nicht nur unverzichtbar, sie sind auch Pflichtdokumente. Das wiederum bedeutet, sich von Anfang an auf diese Aufgabe einzustellen und die notwendigen Informationen zu ermitteln. Wichtiger Bestandteil ist dabei der sog. subjektive Befund, also die Darstellung der eigenen Schlüsse aus den Ermittlungsergebnissen. Man kann hier z.B. schildern, in welcher chronologischen Reihenfolge Spuren entstanden sein könnten, was wiederum Rückschlüsse auf die Bewegungsrichtung des Täters zulässt. Man kann auch Fragen aufwerfen und begründete Hypothesen zu Alter, Geschlecht, Körpergröße, Fähigkeiten, Motivation des Täters u.a. aufstellen. Es geht dabei immer um die Beschreibung des möglichen Tatgeschehens und was die Spuren darüber verraten. Offene Fragen, die den weiteren Gang der Ermittlungen beeinflussen dürften, sind hier zu platzieren. Aber auch die strafrechtlichen Fragen zu möglicherweise verletzten Tatbeständen und zur Tatbestandsmäßigkeit und Täterschaft können hier aus eigener Sicht aufgeworfen werden. Wichtig ist indes, dass objektive und subjektive Befundung eindeutig und zweifelsfrei getrennt werden!24 Es ist ein großer Unterschied, ob „die Spurenlage auf einen ca. 1,85 m großen männlichen Täter hindeutet“ oder „der Täter männlich und 1,85 m groß ist“. Der TOB sollte zeitnah und von den Beamten erstellt werden, die den Befund erhoben haben. Auf „Bandwurmsätze“ ist zu verzichten, sondern es sollten vielmehr kurze, klare Sätze in Gegenwartsform formuliert werden.


Bild 3: Abgebranntes Kupferlager.


Weiter sei darauf hingewiesen, dass die digitale Fotografie einzusetzen ist, um im Nachhinein das Foto zur „frischen“ Erinnerung nutzen zu können. Die Polizei, der professionelle Ermittler, ist dann eben in der Lage, Dinge zu beschreiben, die vor Ort schlicht vergessen werden können (z.B. die Stellung von Schaltern, Schlossriegeln und Fenstern). Es sollte im Zuge des „Ersten Angriffs“ nie vergessen werden, dass man es selbst in der Hand hat, die wichtigen Kleinigkeiten am Tatort oder den entscheidenden Zeugen im Wahrnehmbarkeitsbereich zu suchen und zu finden. Dies ist zu einem beträchtlichen Anteil eine Frage der Berufsehre und gilt grundsätzlich nicht nur für spektakuläre Ereignisse, sondern auch für die Bandbreite der täglichen Routineeinsätze. Was wir heute richtig machen, kann zur Basis für die spätere Klärung werden. Andererseits können unheilbare Fehler am Ereignis-/Tatort zum Ende aller Bemühungen führen. Die Konsequenzen können vielfältig und schwerwiegend sein. Ungeklärte Mordfälle, die über 20 Jahre zurückliegen und plötzlich zur spektakulären Verurteilung des Täters führen, zeugen von fachlicher Kompetenz und dem unbedingten Aufklärungswillen der damaligen Ermittlergeneration. Manchen Spuren konnten mit den damaligen Möglichkeiten eben nur Teile ihrer Geheimnisse entlockt werden. Aber sie wurden gesichert und so konserviert, dass sie über Jahre ihren auswertefähigen Zustand behalten haben. Natürlich darf nicht unerwähnt bleiben, dass bei solchen Sachverhalten häufig die besten Spezialisten und ausreichend Personal in temporär errichteten Ermittlungsgruppen zur Verfügung standen. Diese besondere Ausgangslage darf nicht mit dem polizeilichen Alltagsgeschehen verglichen werden, das von einer ständig wechselnden Einsatzlage geprägt ist und von vielen Faktoren beeinflusst wird. Dennoch zeigen spektakulären Ermittlungserfolge, was für ein Potential im „Ersten Angriff“ steckt. Insofern sind sie schon als motivierende Beispiele geeignet.
Abschließend noch eine Anmerkung: Dieser Beitrag erhebt keinen Anspruch auf fachlich-inhaltliche Vollständigkeit, weder zum „Ersten Angriff“ im Allgemeinen noch zu den vielen Besonderheiten bei bestimmten Standardereignissen im Besonderen.

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Anmerkungen

  1. KHK a.D. Rolf Strehler war über 20 Jahre in verschiedenen Bereichen der Kriminalpolizei tätig, zuletzt als Leiter Kriminaldienst in einem Revierkommissariat, wobei „Erster Angriff/Tatortarbeit“ zu den dienstlichen Tätigkeiten gehörte. Zuletzt gab er sein Wissen und seine spezifischen Erfahrungen als Fachlehrer für Kriminalistik an der Fachhochschule Polizei des Landes Sachsen-Anhalt in Aschersleben in Aus- und Fortbildung weiter. Daneben war er viele Jahre Vorsitzender des FA Kriminalpolizei beim Geschäftsführenden Landesbezirksvorstand der GdP Sachsen-Anhalt und zugleich Mitglied des BFA Kriminalpolizei der GdP. Aus einer tiefen Überzeugung von der herausragenden Bedeutung des „Ersten Angriffs“ in der polizeilichen Praxis entstand dieser Beitrag.
  2. Zum Begriff vgl. Clages, in: Ackermann/ Clages/Roll, Handbuch der Kriminalistik, 5. Auflage 2019, S. 109; Weihmann/de Vries, Kriminalistik, 13. Auflage 2014, S. 244; zur Bedeutung siehe auch PDV 100, 2.2.3.
  3. Zur Vereinfachung wird in diesem Beitrag hauptsächlich dieser Begriff verwendet (vgl. EN 10).
  4. Zu beachten ist aber, dass die Rolle des Ereignisortes in Abhängigkeit vom Ausgangssachverhalt mehr oder weniger von Bedeutung sein wird. Zeitpunkt, Notwendigkeit und Umfang seiner Besichtigung hängen also vom Sachverhalt und von weiteren Umständen ab.
  5. Daktylus = Finger; Daktyloskopie = (vereinfacht ausgedrückt) die Lehre vom Fingerabdruck.
  6. Dazu gehören auch Delikte die im Straßenverkehr begangen werden.
  7. Clages, in: Ackermann/ Clages/Roll, a.a.O., S. 119.
  8. Clages, in: Ackermann/ Clages/Roll, a.a.O., S. 125.
  9. Zum Begriff der Leitlinien vgl. PDV 100, Anlage 20; dazu auch PDV 100, 1.2.
  10. Der Autor verwendet für diesen Beitrag vornehmlich den Oberbegriff „Ereignisort“, weil alle Polizeikräfte, die mit dem Ersten Angriff beauftragt sind, angesprochen werden sollen.
  11. Vgl. PDV 100, 2.2.3 („Erster Angriff“) und 2.2.12 („Verkehrsunfallaufnahme und Verkehrsunfallbearbeitung“).
  12. Anfangsverdacht gem. § 152 Abs. 2 StPO für eine konkret begangene verfolgbare Straftat mit personalen und/oder sachverhaltsbezogenen Anhaltspunkten.
  13. z.B. Täter einer extremistischen Szene rotten sich zusammen und begehen erneut Straftaten, so dass die eingesetzten Beamten der Kriminalpolizei nicht störungsfrei ihre Maßnahmen des „Ersten Angriffs“ durchführen können.
  14. Zur Bedeutung sog. „Gemengelagen“ vgl. Clages, in: Ackermann/ Clages/Roll, a.a.O., S. 128; Weihmann/de Vries, Kriminalistik, 13. Auflage 2014, S. 249.
  15. Clages, in: Ackermann/ Clages/Roll, a.a.O., S. 125.
  16. Dazu Ackermann, in: Ackermann/ Clages/Roll, a.a.O., S. 170; Weihmann/de Vries, a.a.O., S. 60, 119.
  17. Zur „Aufklärung am Tatort“ siehe Weihmann/de Vries, a.a.O., S. 249.
  18. Weihmann/de Vries, a.a.O., S. 119.
  19. Dazu Weihmann/de Vries, a.a.O., S. 149.
  20. Dazu Weihmann/de Vries, a.a.O., S. 149.
  21. Auf detaillierte Ausführungen zur Spurenlehre wird an dieser Stelle verzichtet.
  22. Bezeichnung des Spurensicherungsberichtes in Sachsen-Anhalt.
  23. Clages, in: Ackermann/ Clages/Roll, a.a.O., S. 152; Weihmann/de Vries, a.a.O., S. 255.
  24. Vgl. Clages, in: Ackermann/Clages/Roll, a.a.O., S. 124.