Strafrechtliche Rechtsprechungsübersicht

§§ 73, 73a StGB – Einziehung von Taterträgen bei Tätern und Teilnehmern; § 74 Abs. 1 Var. 2 StGB – Einziehung von Tatprodukten, Tatmitteln und Tatobjekten bei Tätern und Teilnehmern; § 263 StGB – Betrug; hier: Vorübergehende Entziehung des Besitzes; § 315d Abs. 1 Nr. 1, 2 u. 3 StGB – Verbotene Kraftfahrzeugrennen; hier: Polizeiflucht. (...)


Von Dirk Weingarten, Polizeihauptkommissar & Ass. jur., Polizeiakademie Hessen

Wir bieten Ihnen einen Überblick über strafrechtliche Entscheidungen, welche überwiegend – jedoch nicht ausschließlich – für die kriminalpolizeiliche Arbeit von Bedeutung sind. Im Anschluss an eine Kurzdarstellung ist das Aktenzeichen zitiert, so dass eine Recherche beispielsweise über Juris möglich ist.

I Materielles Strafrecht

§§ 73, 73a StGB – Einziehung von Taterträgen bei Tätern und Teilnehmern; Erweiterte Einziehung von Taterträgen bei Tätern und Teilnehmern; hier: Kein Ausschluss, dass Geld Drittem gehört. Ein beim Angeklagten (A) aufgefundener Geldbetrag darf nur dann nach §§ 73, 73a StGB eingezogen werden, wenn feststeht, dass er ihm gehört oder zusteht, das heißt ihm ein dingliches Herrschaftsrecht an diesem zukommt. Das trifft nicht zu, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass der A das Geld lediglich für einen Dritten verwahrt.

Hier stammte das Geld – ohne dass eine konkrete Zuordnung möglich war – aus einer oder mehreren bislang unbekannt gebliebenen Straftaten. Das bedeute aber nicht zwingend, dass der A das Geld als selbständiger Drogenhändler „verdient“ habe; es käme insoweit auch die Aufbewahrung für einen oder mehrere andere Personen in Betracht. (BGH, Beschl. v. 23.10.2018 ? 1 StR 503/18)

§ 74 Abs. 1 Var. 2 StGB– Einziehung von Tatprodukten, Tatmitteln und Tatobjekten bei Tätern und Teilnehmern; hier: Nur gelegentliche Benutzung. DerAngeklagte (A) wurde wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Zudem wurde die Einziehung von zwei näher bezeichneten Mobiltelefonen einschließlich SIM- und SD-Karten angeordnet. Nach den zugrundeliegenden Feststellungen führte der A die beiden fraglichen Mobiltelefone bei der Einfuhr des verfahrensgegenständlichen Marihuanas mit sich, um Kontakt mit dritten Personen im Hinblick auf das eingeführte Rauschgift zu halten. Es wurden jedoch keine näheren Feststellungen getroffen, wann und von wem der A damit beauftragt wurde, das Marihuana in das Inland zu verbringen und an wen, wann und wo er es in Deutschland übergeben sollte. Somit fehlt es an konkreten, über eine eventuell vorhandene kriminalistische Erfahrung hinausgehenden Anhaltspunkten für eine erfolgte oder wenigstens angestrebte Nutzung zur Tatförderung.

Die nur gelegentliche Benutzung eines Gegenstandes im Zusammenhang mit der Tat reicht nicht aus. Erforderlich ist darüber hinaus, dass sein Gebrauch gezielt die Verwirklichung des deliktischen Vorhabens fördert bzw. nach der Planung des Täters fördern soll. (BGH, Beschl. v. 3.7.2018 – 1 StR 264/18)

§ 263 StGB – Betrug; hier: Vorübergehende Entziehung des Besitzes; und: Nichtgeltendmachung zustehender Forderung als Vermögensschaden. Die vorübergehende Entziehung des Besitzes für sich gesehen ist nur dann vermögensschädigend, wenn die betroffene Sache einen wirtschaftlichen Wert hat und entweder – teilweise – abgenutzt oder verbraucht werden soll oder wenn die konkrete Besitzübertragung im Geschäftsverkehr gewöhnlich an ein Entgelt geknüpft ist (etwa Hotelzimmer) und ein solches nicht erbracht wird. (BGH, Beschl. v. 6.3.2018 ? 3 StR 552/17)

Ein Vermögensschaden kann auch darin liegen, dass der Gläubiger durch Täuschung dazu veranlasst wird, eine ihm zustehende Forderung nicht oder nicht alsbald geltend zu machen. Dies gilt auch, wenn der Gläubiger durch eine ins Leere gehende Aufrechnung von der alsbaldigen Beitreibung seiner Forderung absieht, weil er vom Bestehen der wegen Unmöglichkeit erloschenen (§§ 326 Abs. 1, 275 Abs. 1 BGB) Gegenforderung ausgeht. Erforderlich ist jedoch, dass sein Anspruch rechtlichen Bestand hatte und die Forderung bei sofortiger Geltendmachung realisierbar gewesen wäre. (BGH, Beschl. v. 6.4.2018 – 1 StR 13/18)

§ 315d Abs. 1 Nr. 1, 2 u. 3 StGB – Verbotene Kraftfahrzeugrennen; hier: Polizeiflucht. Der Angeklagte (A) flüchtete gegen vier Uhr mit seinem Pkw vor einer Streifenwagenbesatzung der Polizei, welche ihn einer Verkehrskontrolle unterziehen wollte und ihm deshalb Haltesignal anzeigte. Nach Erkennen des Streifenwagens und des Haltesignals beschleunigte er sein Fahrzeug, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen und dadurch die ihn nun mit Blaulicht, Martinshorn und dem Haltesignal „Stopp Polizei“ verfolgenden Polizeibeamten „abzuhängen“. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit erheblich überschreitend und unter Missachtung der Sicherheitsinteressen anderer Verkehrsteilnehmer fuhr er mit weit überhöhter Geschwindigkeit durch den Ort, nutzte die Gegenfahrbahn, fuhr über eine „Rot“ anzeigende Ampel und setzte seine Fahrt bei erlaubten 50 km/h mit mindestens 145 km/h fort. Dieses Verhalten erstreckte sich über einige Kilometer.

Der A handelte in der Absicht, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen, dies war sein Ziel. Ihm waren allein um des schnelleren Fortkommens willen die Belange anderer Verkehrsteilnehmer gleichgültig. Die Polizeiflucht sei von einem spezifischen Renncharakter geprägt, in dem sich gerade die in der Gesetzesbegründung genannten besonderen Risiken wiederfinden, auch wenn das Ziel des Wettbewerbs hier nicht im bloßen Sieg, sondern in der gelungenen Flucht liege. Die risikobezogene Vergleichbarkeit mit den sportlichen Wettbewerben liege auf der Hand. (OLG Stuttgart, Beschl. v. 4.7.2019 – 4 Rv 28 Ss 103/19)



II Prozessuales Strafrecht


§§ 102, 105 StPO – Durchsuchung beim Beschuldigten; hier: Mündlichkeit der Anordnung. Zeuge G zeigte per E-Mail einen Diebstahl bei der Firma L & M an. Er teilte mit, dass anhand einer Videoaufzeichnung der Verdacht bestehe, dass der bei L & M beschäftigte Beschuldigte (B) eine Retoursendung für X geöffnet und einen Silberring entnommen habe. Die StA ersuchte48 Stunden nach Anzeigeerstattung den Ermittlungsrichter fernmündlich um Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses bezüglich des B und seiner Wohnung. Dieser ordnete die Durchsuchung ausweislich des Vermerks des Dezernenten der StA um 11:30 Uhr an. Ferner heißt es in dem Formular: „Zum Zwecke der Auffindung folgender Beweismittel: silberner Damenring“. Eine eigene Dokumentation durch den Ermittlungsrichter ist nicht erfolgt. Somit auch weder, warum nur eine mündliche Anordnung erfolgte, noch die Dokumentation der Gründe für die Eilbedürftigkeit. Der Durchsuchungsbeschluss wurde sodann vollstreckt.

Eine mündliche Anordnung einer Wohnungsdurchsuchung durch den Richter kommt grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn aufgrund der zeitlichen Verzögerung, welche mit einer schriftlichen Anordnung einherginge, der Durchsuchungserfolg gefährdet würde. Im Falle mündlicher Anordnung sind die Gründe für die angenommene Eilbedürftigkeit zu dokumentieren. (LG Fulda, Beschl. v. 15.2.2018 ? 2 Qs 26/18)

§§ 102, 105 StPO – Durchsuchung beim Beschuldigten; hier: Durchsuchung zur Nachtzeit wegen Gefahr im Verzug. Der Beschwerdeführer (B) wurde an einem frühen Samstagmorgen von Rettungskräften aufgefunden, die vermuteten, dass er Betäubungsmittel zu sich genommen hatte. Herbeigerufene Polizeibeamte betraten zum Zweck der Suche nach Personaldokumenten und Hinweisen auf die Art der konsumierten Mittel dessen mit einem Mitbewohner geteilte Wohnung, während der B ins Krankenhaus verbracht wurde. Im Zimmer des B fanden die Polizeibeamten unter anderem Cannabisprodukte. Daher sahen die Polizeibeamten einen Verdacht gegen den B wegen eines Betäubungsmitteldelikts begründet. Sie hielten deshalb telefonisch Rücksprache mit der zuständigen Bereitschaftsstaatsanwältin, die um 4.44 Uhr die Durchsuchung der Wohnung zur Beschlagnahme von Beweismitteln anordnete. Dass sie zuvor versucht hatte, den zuständigen Ermittlungsrichter zu erreichen, lässt sich der Ermittlungsakte nicht entnehmen. Bei der im Anschluss vollzogenen Durchsuchung des Zimmers des B und der Gemeinschaftsräume wurde Beweismaterial beschlagnahmt.

Hinsichtlich der durch die StA angeordneten Durchsuchung hatte die Verfassungsbeschwerde Erfolg. Die Annahme von Gefahr im Verzug durfte deshalb nicht mit dem bloßen Hinweis auf die fehlende Erreichbarkeit eines Ermittlungsrichters gerechtfertigt werden. Aus Art. 13 GG ergibt sich die Verpflichtung der staatlichen Organe, dafür Sorge zu tragen, dass die effektive Durchsetzung des grundrechtssichernden Richtervorbehalts gewährleistet ist. Damit korrespondiert die verfassungsrechtliche Verpflichtung der Gerichte, die Erreichbarkeit eines Ermittlungsrichters, auch durch die Einrichtung eines Bereitschaftsdienstes, zu sichern. Zu den Anforderungen an einen dem Gebot der praktischen Wirksamkeit des Richtervorbehalts entsprechenden richterlichen Bereitschaftsdienst gehört die uneingeschränkte Erreichbarkeit eines Ermittlungsrichters bei Tage, auch außerhalb der üblichen Dienststunden. Die Tageszeit umfasst dabei ganzjährig (!) die Zeit zwischen 6 (!) Uhr und 21 Uhr (vs. § 104 Abs. 3 StPO). Während der Nachtzeit ist ein ermittlungsrichterlicher Bereitschaftsdienst jedenfalls bei einem Bedarf einzurichten, der über den Ausnahmefall hinausgeht. Ob und inwieweit ein über den Ausnahmefall hinausgehender Bedarf an nächtlichen Durchsuchungsanordnungen die Einrichtung eines ermittlungsrichterlichen Bereitschaftsdienstes zur Nachtzeit erfordert, haben die Gerichtspräsidien nach pflichtgemäßem Ermessen in eigener Verantwortung zu entscheiden. (BVerfG, Beschl. v. 12.3.2019 – 2 BvR 675/14)

§§ 102, 105 StPO; § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG – Durchsuchung beim Beschuldigten; hier: Annahme von Gefahr im Verzug; überholende Kausalität beim Vernehmen der Toilettenspülung. Zunächst telefonierte die Polizei mit dem zuständigen Staatsanwalt. Diesem schilderte sie, dass sie einen anonymen Hinweis erhalten habe, wonach der Angeklagte (A) aus seiner Wohnung heraus mit Betäubungsmitteln handele. Ferner hätte die Polizei kurzfristig die Wohnung des A observiert und festgestellt, dass eine Person aus der Wohnung heraus Betäubungsmittel erworben habe; diese wurde abseits kontrolliert, eine Konsumeinheit Heroin gefunden und dabei wurde die Polizei jedoch durch zur Betäubungsmittelszene zugehörige Personen beobachtet. Der Staatsanwalt hatte daraufhin den Antrag auf Wohnungsdurchsuchung gestellt. Diesen Antrag hat die Polizei sodann nebst Schilderung des genannten Sachverhaltes dem Eildienstrichter übermittelt, welcher jedoch erwiderte, erst nach einem schriftlichen Vorgang entscheiden zu wollen. Daraufhin hat die Polizei erneut den Staatsanwalt angerufen, welcher nunmehr Gefahr im Verzuge bejahte und die Wohnungsdurchsuchung anordnete. Dies insbesondere, weil die Polizei mitteilte, dass sie bei der Kontrolle beobachtet worden seien und nach allgemeiner Lebenserfahrung damit zu rechnen gewesen sei, der A würde gewarnt und Beweismittel beiseiteschaffen. Sodann fand aufgrund des darauf beruhenden Verdachtes des unerlaubten Handel Treibens mit Betäubungsmitteln bei dem A direkt eine Hausdurchsuchung statt. In deren Verlauf konnte die Polizei beobachten, wie der A einen etwa Tennisball großen Folienbeutel in der Toilette herunterspülte. Bei der anschließenden Durchsuchung wurde nur Marihuana gefunden. Die sichergestellten 168,06 Gramm Marihuana unterliegen einem Beweisverwertungsverbot.

Bereits mit dem Anruf bei dem Eildienstrichter war ebendieser mit der Angelegenheit „befasst“. Die Annahme von Gefahr im Verzuge war vorliegend fehlerhaft, da sie im Zeitpunkt der Telefonate bereits den vorbeilaufenden, der Betäubungsmittelszene zugehörigen Personen aufgefallen waren. Aus dem bloßen Betätigen einer Toilettenspülung als solcher lässt sich letztlich auch kein hinzutretender/überholender Umstand herleiten, der die Annahme von Gefahr im Verzug rechtfertigen könnte. (AG Dortmund, Urt. v. 14.6.2016 – 763 Ls-803 Js 933/15-8/16)

§ 160a StPO – Maßnahmen bei zeugnisverweigerungsberechtigten Berufsgeheimnisträgern; hier: Vorrang des § 97 StPO. § 160a StPO findet wegen Abs. 5 keine Anwendung auf die Beschlagnahme und auf Durchsuchungsmaßnahmen zum Zwecke der Beschlagnahme, weil § 97 StPO Vorrang genießt. § 160a StPO soll deshalb nur zur Anwendung kommen, wenn die auf in Abs. 5 verwiesenen Vorschriften keine Regelungen enthalten, beispielsweise zur Verwertbarkeit rechtswidrig erhobener Beweismittel. Eine Unzulässigkeit der Beschlagnahme steht der vorläufigen Sicherstellung von Papieren zum Zwecke der Durchsicht i.S.d. § 110 StPO nur dann entgegen, wenn sie offensichtlich ist. (LG Stuttgart, Beschl. v. 26.3.2018 – 6 Qs 1/18)

III Literaturhinweis zum prozessualen Strafrecht


Einen lesenswerten Beitrag zum Thema „Differenzierte Einwilligung“ (Einverständnis) des Opfers im Bereich des § 177 StGB nach dem Strafrechtsänderungsgesetz 2016 von LOStA a.D. Thomas Michael Hoffmann finden Sie in der NStZ 01/19, S. 16-18.