Lebensmittelstrafrecht

Ein nicht alltägliches Sanktionssystem


Von Staatsanwalt Dr. Peter Karfeld, Bad Kreuznach1

1 Lebensmittelstrafrecht – erste Annäherung!

Das Wirtschaftsstrafrecht ist nicht unbedingt Anwalts Liebling. Dies gilt insbesondere für solche Bereiche, die über die klassischen Straftatbestände wie Untreue, Betrug, Bankrott, Steuerhinterziehung usw. hinausgehen. Konfrontiert mit dem Nebenstrafrecht wie z.B. den Strafnormen des Lebensmittelrechts mit seinen zahlreichen Annexbestimmungen wie das Öko-Landbaugesetz (ÖLG), den Vorschriften zu Spielwaren, Kosmetika oder aber dem Weingesetz, neigt man dazu, es wieder beiseitezulegen und sich eher dem Regelungsgegenstand – z.B. einem saftigem Steak oder einem frischen Pils – zu widmen. Grund hierfür ist seine – auf den ersten Blick kaum zu erfassende – Komplexität und Unübersichtlichkeit. Nähert sich man jedoch unbefangen diesem Themenkomplex, wird man feststellen, dass es sich hierbei um ein hochinteressantes Spezialgebiet handelt. Seine Grundlage ist das Europäische Recht; nicht zuletzt deshalb unterliegt es häufigem Wandel. Ursächlich hierfür ist die Neigung des Europäischen Normgebers zu schritt- und fallweisen Lösungen, jeweils abhängig von der Kompromissbereitschaft der Mitgliedstaaten, die ihre eigenen klimatischen, landschaftlichen und volkswirtschaftlichen Bedingungen in die Waagschale der Entscheidung werfen. Dies führt zwangsläufig dazu, dass dieses Rechtsgebiet ein wenig überschaubares und vielschichtiges Regelungswerk darstellt. Da diese Erzeugnisse bzw. Produkte zudem leicht zum Gegenstand von Manipulationen und Betrügereien gemacht werden können, ist es notwendig, sie von seiner Entstehung bis hin zur Abgabe an den Verbraucher aufmerksam und kritisch prüfend zu begleiten. In Folge dessen hat sich eine umfangreiche europäische Gesetzgebung entwickelt. Das Gemeinschaftsrecht dringt dabei nicht nur – wie bereits seit geraumer Zeit z.B. im Strafprozessrecht (Art. 6 EMRK!) – in die Ausfüllung und Auslegung auch materieller Normen ein, sondern ist regelrecht in das Lebensmittelrecht integriert. Das Lebensmittelrecht ist in diesen Fällen primäres, nicht lediglich sekundäres Gemeinschaftsrecht. Das Nebeneinander von nationalem und europäischem Recht sowie deren ausgeprägtes Ineinandergreifen stellen nicht nur den Rechtsunterworfenen und seine Berater, sondern teilweise auch Verwaltung, Gerichte und Strafverfolgungsbehörden vor gewisse Verständnisprobleme. Hinzu kommt, dass das Lebensmittelrecht auch ausgeprägte Schnittstellen beispielsweise zum Arzneimittel- und Chemikalienrecht sowie zum Recht des unlauteren Wettbewerbs aufweist. Intensives Selbststudium ist daher unabdingbar, auch wenn der Fachkriminalist sich die notwendigen Kenntnisse kaum allein durch theoretisches Studium aneignen kann, sondern erst in Verbindung mit jahrelanger Praxis.

2 Lebensmittelskandale – eine unendliche Geschichte


Komplexität hin, Unübersichtlichkeit her: Dieser Rechtsmaterie können sich Sachbearbeiter in der Justiz, bei der Polizei oder Anwaltschaft angesichts wiederholt auftretender Lebensmittelskandale nicht verschließen; Stichwort: Gammelfleisch, BSE, Glykol in Wein, Kängurufleisch, Nikotinrückstände in Eiern oder aber Dioxin in Futtermittel. Werden nämlich in der Öffentlichkeit Verstöße gegen lebensmittelrechtliche Bestimmungen bekannt, hat dies auch immer Auswirkungen auf das Konsumverhalten der Menschen. Wenngleich Reaktionen wie eine Kaufenthaltung oft nicht lange anhalten, reichen doch schon kurze Zeiträume aus, um wirtschaftliche Existenzen bei Industrie und Handel zumindest zu gefährden. Zudem sind Verbraucher zu Recht hinsichtlich möglicher gesundheitlicher Folgeschäden besorgt. Und ein Ermittlungs- und Strafverfahren ist auch immer noch etwas belastend. Daher werden – wie bisher – betroffene Hersteller und Vertreiber weiter zusammen mit ihren Anwälten in Strafverfahren gegen entsprechende Vorwürfe „kämpfen“, mitunter auch „mit harten Bandagen“. So werden Dienstaufsichtsbeschwerden und Schadenersatzklagen angedroht, wenn die Gefahr der Publizität droht, z.B. wenn in einem Ermittlungsverfahren ein Betrugsverdacht im Raum steht und die Staatsanwaltschaft beabsichtigt an Kunden heranzutreten.

3 Spezialisierung der Justiz


DasJustizministerium in Rheinland-Pfalz ist die einzige Justizverwaltung in Deutschland, die eine Zentralstelle für die Bearbeitung von Strafverfahren auf dem Gebiet des Wein- und Lebensmittelrechtes eingerichtet hat, die im Juni 2019 auf eine 50-jährige erfolgreiche Tätigkeit zurückblicken kann. Anlass für die Gründung waren ursprünglich die zahlreichen Weinstrafsachen in dem an Weinbaubetrieben reichen Bundesland. Im Laufe der Jahrzehnte kamen zunehmend Lebensmittelstrafsachen hinzu, die eine Auslastung der Landeszentralstelle garantieren. Schließlich hat auch auf der Seite der Strafverteidiger vor allem in den letzten Jahren eine starke Spezialisierung stattgefunden, wobei zumindest in größeren Verfahren immer wieder dieselben Kanzleien tätig sind. Mit Einführung einer spezialisierten Staatsanwaltschaft wurden im Übrigen auch auf Seiten der Gerichtsbarkeit Schwerpunktgerichte eingeführt, so in Bad Kreuznach eine auf Lebensmittel- und Weinstrafrecht spezialisierte Strafkammer.

Anzumerken bleibt noch, dass eine weitere Zentralstelle für Lebensmittelrecht bei der Staatsanwaltschaft in Oldenburg (Landwirtschaftskriminalität) eingerichtet ist und diese ebenfalls seit vielen Jahren erfolgreich Straftaten im Zusammenhang mit der Landwirtschaft bearbeitet.

4 Verbraucherschutz durch Strafverfolgung – eine europäische Lösung


Um sich den Zugang zum Lebensmittelstrafrecht zu erschließen, muss man sich zunächst vor Augen halten, dass das Lebensmittelrecht durch zwei Grundprinzipien geprägt ist, die seit Jahrhunderten bis heute fortwirken und für das Verständnis des geltenden Rechts von Bedeutung sind:

  • Schutz der menschlichen Gesundheit
  • Schutz des Verbrauchers vor Täuschung und Übervorteilung
  • In den Mittelpunkt rückt zunehmend auch eine weitere Schutzrichtung des Lebensmittelrechts, nämlich:
  • Unterrichtung aller Wirtschaftsbeteiligter einschl. des Verbrauchers.

Von zentraler Bedeutung ist die im Januar 2002 in Kraft getretene VO (EG) Nr. 178/2002. Den geneigten Leser möchte ich im Folgenden nicht mit einer Vielzahl von EG-Verordnungen belasten. Wer aber einen Einblick in das Lebensmittelstrafrecht gewinnen will, kommt an dieser EG-Verordnung nicht vorbei, die im Übrigen auch „Basisverordnung“ genannt wird. Sie regelt nicht nur allgemeine Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts und die Einrichtung einer europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit, sondern auch z.B. das Verfahren zur Lebensmittelsicherheit (Ablauf von Rückrufaktionen etc.). Daneben ist auf nationaler Ebene das Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB) geschaffen worden. Es enthält zahlreiche Vorschriften zum Verkehr mit Lebensmitteln, Futtermitteln, Kosmetika und sonstigen Bedarfsgegenständen wie z.B. Spielwaren, Scherzartikeln, Bettwäsche oder aber Haarteilen; detaillierte Vorgaben finden sich zudem in den einschlägigen nationalen Verordnungen wie z.B. der BierVO. Sofern keine bzw. unzureichende gesetzliche Regelungen existieren, muss auf sonstige „Hilfsmittel“ wie die „Leitsätze des Deutschen Lebensmittelbuches“ oder Handelsbräuche zurückgegriffen werden.

Neben weiteren – teils weniger sinnigen – Vorschriften wie z.B. den § 2 Abs. 2 LFGB („Lebensmittel sind Lebensmittel i.S.d. Art. 2 der VO (EG) Nr.178/2002“) lassen sich im 10. Abschnitt neben der Bußgeldnorm in § 60 LFGB auch Strafvorschriften in §§ 58, 59 LFGB entdecken. Hier integriert das LFGB einzelne Verstöße gegen unmittelbar wirkendes Gemeinschaftsrecht in den entsprechenden Reglungszusammenhang, vgl. z.B. § 58 Abs. 2 und § 59 Abs. 2 LFGB: Dort wird bestraft, „wer gegen die Verordnung (EG) Nr. 178/2002“ durch bestimmte, im Einzelnen numerisch genannte Handlungen verstößt.

So lautet z.B. § 58 Abs. 2 Nr. 1 wie folgt:

(Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer…)
Ebenso wird bestraft, wer gegen die Verordnung ..., indem er
(Nr. 1)
entgegen Art. 14 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 Buchstabe a ein Lebensmittel in den Verkehr bringt,…

Vergleichen wir diese Vorschriften mit den altbekannten Straftatbeständen aus dem StGB, z.B. § 242 Abs. 1 StGB (Diebstahl). § 58 Abs. 1, 2 Nr. 1 LFGB lässt demgegenüber gar nicht erkennen, welches konkrete Verhalten strafbewehrt ist. Dafür muss man sich regelrecht auf die Suche nach der entsprechenden Verordnung begeben:

In Art. 14 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 a) der VO (EG) Nr. 178/2002 findet sich folgender Hinweis:

Lebensmittel, die nicht sicher sind, dürften nicht in Verkehr gebracht werden.
Lebensmittel gelten als nicht sicher, wenn davon auszugehen ist, dass sie
(a)
gesundheitsschädlich sind, …
Wann gilt ein Lebensmittel überhaupt als „gesundheitsschädlich“? Art. 14 Abs. 4 gibt folgendes vor:
Bei der Entscheidung der Frage, ob ein Lebensmittel gesundheitsschädlich ist, sind zu berücksichtigen:
a) die wahrscheinlichen sofortigen und/oder kurzfristigen und/oder langfristigen Auswirkungen des Lebensmittels nicht nur auf die Gesundheit des Verbrauchers, sondern auch auf nachfolgende Generation,
b) die wahrscheinlichen kumulativen toxischen Auswirkungen,
c) die besondere gesundheitliche Empfindlichkeit einer bestimmten Verbrauchergruppe, falls das Lebensmittel für die Gruppe von Verbrauchern bestimmt ist.

Weshalb nun diese Verweisungstechnik? Der Vorteil liegt – jedenfalls aus Sicht des Normgebers – auf der Hand: Schnelles Reagieren auf Entwicklungen im schnelllebigen Lebensmittelsektor ohne aufwändiges Gesetzgebungsverfahren sowie detaillierte, produkt- bzw. gefahrenbezogene Regelungen, welche üblicherweise in den jeweiligen Anlagen zu den EU-Verordnungen festgehalten sind (z.B. Allergien-Listen in Anhang II der VO (EU) Nr. 1169/2011 (sog. Lebensmittelinformationsverordnung). Der Nachteil ist, dass dieses Nebeneinander von nationalem und EU-Recht komplex und teils auch unübersichtlich ist; wenn z.B. § 58 Abs. 3 LFGB oder aber § 48 Nr. 4 WeinG keinerlei Hinweise auf einen Tatbestand enthalten, sondern wie folgt formulieren:

wer

einer unmittelbar gelten Vorschrift in Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft oder der Europäischen Union zuwiderhandelt, die inhaltlich einer Regelung entspricht, zu der die in Nummer 2 genannten Vorschriften ermächtigen, soweit eine Rechtsverordnung nach § 51 für einen bestimmten Tatbestand auf diese Strafvorschrift verweist.

Damit diese, (noch) als verfassungsgemäß angesehenen Blankett-Strafvorschriften mit (tatbestandlichem) Leben gefüllt werden können, mussten nationale Durchsetzungsverordnungen – quasi als Brücke zwischen der nationalen Blankettstrafnorm und den Tatbeständen des jeweiligen, nach Art. 249 EG-Vertrag für die Mitgliedsstaaten zumeist bindenden Europarechts – geschaffen werden, z.B. die lebensmittelrechtliche Straf- und Bußgeldverordnung v. 19.9.2006.

 

5 Anwendbarkeit des allgemeinen Strafrechts


Es versteht sich von selbst, dass neben den §§ 58, 59 LFGB auch weiterhin die Vorschriften des allgemeinen Strafrechts anwendbar sind, so z.B. typische Begleitdelikte wie Betrug (§ 263 StGB), Urkundsdelikte (§§ 267 ff. StGB) oder aber die Tatbestände der Körperverletzung (§§ 223 ff. StGB).

5.1 Irrtum leichtgemacht?

Besondere Bedeutung kommt angesichts der gelegentlich endlos erscheinenden Vorschriftenkette der Irrtumsproblematik, insbes. dem Verbotsirrtum (§ 17 StGB) zu. Die Beschuldigten geben gelegentlich vor, keine Kenntnis von der Gesetzeswidrigkeit ihrer Tat gehabt zu haben; in der Hoffnung, mangels Schuldvorwurf straffrei auszugehen. Zugleich bringen sie vor, dass die lebensmittelgesetzlichen Vorschriften, EU- oder nationale Vorschriften, selbst Sachkennern nicht unbedingt geläufig seien.

Diese Bemühungen sind in der Praxis regelmäßig von wenig Erfolg gekrönt. Das Unrechtsbewusstsein setzt nicht die exakte Kenntnis der Strafvorschrift bzw. Strafbarkeit des Verhaltens voraus. Inhalt des Unrechtsbewusstseins ist lediglich die Einsicht des Täters, dass sein Verhalten rechtlich verboten ist. Die h.M. lässt ein potentielles Unrechtsbewusstsein genügen. Der Täter muss bei dem ihm zumutbaren Einsatz seiner Erkenntniskräfte und Wertvorstellungen die Einsicht in das Unrecht der Tat gewinnen können.

Hersteller und Händler haben also laufend dafür zu sorgen, dass sie von Änderungen bestehender Bestimmungen rechtzeitig Kenntnis erlangen. Es sind alle denkbaren Mittel, um zu einer Kenntnis der einschlägigen Vorschriften zu gelangen, erschöpfend anzuwenden. Als Erkenntniskräfte stehen dem Verantwortlichen Lebensmittelkontrolleure und Veterinärärzte als anerkannte und im Regelfall gesetzeskundige Kontrollpersonen zur Verfügung, ebenso z.B. die Landwirtschaftskammer oder ein mit Lebensmittelrecht betrauter Rechtsanwalt. Sowohl das regelmäßige Lesen einer Fachzeitschrift als auch der Besuch von Versammlungen der Innung bzw. Verbänden, ggfs. auch der Einblick in Gesetzblätter (Suchmaschinen helfen ebenfalls!) werden als zumutbar angesehen.

In Zweifelsfällen darf sich ein Händler oder Hersteller nicht auf sein eigenes Urteil verlassen; er muss vielmehr die erforderlichen Auskünfte einholen (BGHSt 4, 1, 5; 344, 352). Ansonsten handelt er schuldhaft. Wer z.B. mit Kosmetika handelt, muss sich versichern, dass er die für diese geltenden gesetzlichen Vorschriften beachtet (vgl. §§ 26 - 29 LFGB, KosmetikVO).

Von dem Verbotsirrtum streng zu unterscheiden ist der Tatbestandsirrtum (§ 16 StGB). Während es sich bei einem Verbotsirrtum um eine fehlerhafte Bewertung des zutreffend erkannten Sachverhalts handelt (Frage des Unrechtsbewusstseins auf der Schuldebene), liegt ein Tatbestandsirrtum – grob ausgedrückt – bei einem Irrtum über den Sachverhalt und damit die Tatbestandsebene vor.

  • Beispiel: Wer irrigerweise den überhöhten Fettgehalt bei Wurstwaren nicht kennt (aus denen sich dann eine Wertminderung i.S.d. § 11 Abs. 2 Nr. 2 b LFBG ergibt)
  • Gegenbeispiel: Wer irrigerweise meint, die Wurstware trotz des von ihm festgestellten überhöhten Fettgehalts bei Preisminderung ohne weitere Kenntlichmachung in den Verkehr bringen zu dürfen.

Schwierig wird es dann, wenn es um normative Tatbestandsmerkmale geht. Solche sind auch aus dem StGB bekannt – man denke an „fremd“ (§ 242 StGB), welches auf die Eigentumserwerbsvorschriften z.B. der §§ 929 ff BGB Bezug nimmt. Entscheidend für die Vorsatzfrage ist hier nach der Rspr. die „Parallelwertung in der Laiensphäre“. Solche sog. normativen – d.h. nur mit Hilfe einer Wertung zu gewinnenden – Tatbestandsmerkmale gibt es im Lebensmittelrecht allerdings zuhauf. Zum Beispiel „Lebensmittel“, „Zusatzstoff“, „irreführend“ oder „Schmelzkäse“ erfordern ein spezielles Fachwissen, welches nicht in die Strafnorm integriert ist, sondern sich in anderen Vorschriften (siehe z.B. die Begriffsbestimmungen in §§ 2, 3 LFGB), z.T. auch in Regelungswerken außerhalb des LFGB findet (z.B. KäseVO) und zu denen die Rspr. bereits vielfach Stellung genommen hat.

5.2 Wer ist denn nun strafrechtlich verantwortlich?

Im Lebensmittelstrafrecht wird eine Tat häufig nicht nur von einer, sondern von mehreren Personen begangen; sei es, dass mehrere voneinander unabhängige Personen handeln (z.B. einzelne Mitglieder des Vorstands); sei es, dass mehrere Personen auf unterschiedlichen Hierarchiestufen eines Unternehmens zusammenwirken (z.B. bei einer Bäckereifiliale: Inhaber, QM-Beauftragter, Zweigstellenleitung, vertikale Ebene).

Im Ordnungswidrigkeitenrecht ist es einfach: Beteiligen sich mehrere an einer Tat, so handelt jeder von ihnen ordnungswidrig, ohne dass zwischen Täterschaft oder Teilnahme unterschieden wird (§ 14 Abs. 1 OWiG). Im Strafrecht erscheint es komplexer, wenngleich die Frage der Täterschaft schon vielfach Gegenstand der Rechtsprechung war. Diese greift hier den Aspekt des Verantwortungsbereiches heraus und hinterfragt, wer innerhalb einer Firma bzw. eines Betriebes für welchen Bereich konkret verantwortlich ist. So wurde in der Lederspray-Entscheidung ein Geschäftsführer freigesprochen, da ihm auf Grund seines beschränkten Funktions- und Verantwortungsbereichs keine Rechtspflicht traf, die übrigen Geschäftsführer zu einer Rückrufaktion anzuhalten (BGHSt 37, 106).



Halten wir fest: Der Chef ist nicht für alles verantwortlich! Er kann bestimmte Bereiche auf nachgeordnete Mitarbeiter delegieren. So kann der Restaurantinhaber seinem Koch nicht nur das eigentliche Kochen überlassen, sondern auch den Einkauf der Zutaten sowie das Lagern der Lebensmittel und ggfs. sogar das Putzen der Küche. Entscheidend ist daher das Maß der Selbstständigkeit. Deshalb verwundert es nicht, dass Ermittler nicht selten von dem eigentlichen Inhaber der Firma die Auskunft erhalten, sie hätten damit nichts zu tun, dies sei Aufgabe des Mitarbeiters. Hierzu ein Tipp: Diese erhöhte Verantwortung des Mitarbeiters sollte sich allerdings auch im Gehalt (Arbeitsvertrag!) niederschlagen.

Zudem: Wer Verantwortungsbereiche auf nachgeordnete Mitarbeiter delegiert, kommt nicht an der Pflicht vorbei, diese in regelmäßigen Abständen zu überwachen. Dies geschieht durch ein betriebsinternes Eigenkontrollsystem, z.B. durch Stichproben, Personalgespräche, Arbeitsanweisungen („Hier spricht der Chef“). Man spricht hier vom Prinzip der Gesamtverantwortung. Eine Strafbarkeit bzw. Ahndung erfolgt dann unter dem Gesichtspunkt eines Organisationsverschuldens.

Eine Abgrenzung von Täterschaft und Beihilfe bestimmt sich auch im Lebensmittelstrafrecht nach allgemeinen Grundsätzen: Entscheidend ist die innere Haltung zu Tat und Taterfolg, maßgeblich sind z.B. das finanzielle Eigeninteresse, Tatherrschaft und Umfang des eigenen Tatbeitrags. Als Täter kommen in erster Linie in Betracht: Betriebsinhaber, Gesellschaftsorgane, leitende Angestellte. Täter sind auch solche Angestellte, die unter Überschreitung ihrer Befugnisse einen Straftatbestand erfüllen, z.B. das (nicht mehr taufrische) Beispiel eines Milchausfahrers, der den Kannen eigenmächtig Milch entnimmt und dafür Wasser hinzugießt; oder der Angestellte, der seinem Meister Ärger bereiten will und Mäusekot in das Brot einbackt.

6 Justiz, Polizei und Lebensmittelüberwachung


6.1 Enge Zusammenarbeit als Regelfall

Die Bearbeitung von Lebensmittelstrafsachen setzt eine enge Zusammenarbeit zwischen Justiz, Polizei und den zur Lebensmittelüberwachung berufenen Behörden voraus. Es gibt nicht viele Gebiete, auf denen sich die Strafverfolgungsbehörden so häufig der Feststellungen und vor allem des Sachverstandes von Angehörigen von Überwachungs- und Kontrollbehörden bedienen, wie im Lebensmittelbereich. Dies bringt schon die Natur der Sache mit sich. Der Sachverhalt, der einem Diebstahl oder einer Sachbeschädigung zugrunde liegt, lässt sich notfalls auch mit – hoffentlich – bei allen Beteiligten vorhandenem gesunden Menschenverstand, Allgemeinwissen und Lebenserfahrung bei der Prüfung eines möglichen Gesetzesverstoßes nachvollziehen.

Demgegenüber bedarf es im Bereich der Lebensmittel oft schon bei den tatsächlichen Feststellungen vor Ort besonderen Sachverstandes und entsprechender Erfahrung, und erst recht bei deren Auswertung und Beurteilung, z.B. der Frage, auf Grund welcher Umstände die angetroffenen Hygienemängel (zumeist bloße Owi) als ekelerregend (i.S.d. § 11 Abs. 2 Nr. 1 LFGB; Straftat bei Vorsatz) zu bewerten sind. Dabei müssen die Ermittlungsbehörden nachvollziehen können, was seitens der Lebensmittelkontrolle festgestellt wurde und (hinsichtlich der Plan- oder Verdachtsproben) sachverständig ausgeführt wird und sich vor allem darauf verlassen können, dass all das, was für ihre Entscheidung notwendig ist, vollständig und richtig erfasst wurde und vorgetragen wird.


6.2 Behördliche Betriebskontrolle als „Tatortarbeit“

Die Verwaltungsbehörde legt z.B. einen lebensmittelrechtlichen Vorgang – sei es als Strafanzeige, sei es als Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid – der Staatsanwaltschaft vor. Weitere Berührungspunkte ergeben sich dann während möglicherweise weiterer zu führenden Ermittlungen sowie bei der Frage einer möglichen Einstellung und im Rahmen einer Gerichtsverhandlung. Sachverständige hingegen werden bei gerichtlichen Straf- und Bußgeldverfahren dadurch beteiligt, dass sie entweder bereits gutachterliche Ausführungen zu einer Plan- bzw. Verdachtsprobe gefertigt haben (z.B. bei Vermarktung von Schlankheitsmittel mit gesundheitsbezogenen Angaben) und der Gutachter von der Staatsanwaltschaft dem Gericht als Beweismittel benannt wird. Oder es ergeht seitens des Gerichts oder der Staatsanwaltschaft ein Gutachtenauftrag.

Doch setzt die aus Sicht der Justiz relevante Tätigkeit tatsächlich schon viel früher an, nämlich bei der Kontroll-, Überwachungs- und Beanstandungstätigkeit vor Ort und bei den dabei festgehaltenen Ergebnissen. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft handelt es sich selbst bei einer nach §§ 42 - 44 LFGB „verdachtslos“ vorgenommenen Betriebskontrolle mit Blick auf ein mögliches späteres Lebensmittelstrafverfahren schlichtweg um Tatortarbeit („Erster Angriff“). Wenn in diesem frühen Stadium der Kontrolle lückenhafte Feststellungen getroffen oder sonstige Fehler gemacht werden, nützen anschließend die besten wissenschaftlichen Ausführungen nichts, weil diesen dann relativ einfach von der Verteidigung in der Hauptverhandlung vor Gericht die tatsächlichen Grundlagen entzogen werden können, z.B. Ergebnis der Bestandszählung von Sportlernahrung (nur im Regal oder auch im Lager?).

Der Anlass der Überprüfung und die an Ort und Stelle angetroffenen tatsächlichen Verhältnisse bestimmen naturgemäß wesentlich Art und Umfang der zu treffenden Feststellungen und den weiteren Verfahrensfortgang. Verhältnismäßigkeit, Zumutbarkeit und Angemessenheitsind Gradmesser für die Intensität des Handelns. Ein Großbetrieb rechtfertigt und erfordert ein anderes Vorgehen als ein kleines Ladengeschäft. Da angesichts des überall bestehenden Missverhältnisses zwischen der (geringen) Zahl der Kontrolleure und Sachverständigen einerseits und der eigentlich notwendigen Kontrolldichte andererseits diese Intensität der Kontrolle in der Regel überhaupt nicht möglich ist, muss jeweils bei dem Einzelfall vor Ort entschieden werden, wie vorzugehen ist. Wenn sich bei der Auswertung und/oder im Labor Beanstandungen ergeben oder verfestigt haben, muss gegebenenfalls eine weitere Kontrolle durchgeführt werden. Oder die Lebensmittelkontrolle wendet sich direkt an die Polizei oder Staatsanwaltschaft, um z.B. mögliche Verdunklungshandlungen zu verhindern. Dann spielt natürlich auch der Zeitfaktor eine Rolle und welche Hinweise dem Betroffenen vor Ort gegeben werden. Gelegentlich scheitern Durchsuchungsanträge beim Ermittlungsrichter in „kleineren“ Lebensmittelstrafsachen am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dabei wird oft übersehen, dass gerade Kleinbetriebe ihr gewerbliches Handeln auch unter Einbeziehung von Privaträumlichkeiten vornehmen; umso mehr in Zeiten zunehmenden Online-Handels.

6.3 Beteiligung der Überwachungsbehörden bei der weiteren Strafverfolgung

Üblicherweise wird die zuständige Überwachungsbehörde an den weiteren Ermittlungen beteiligt, sei es bei den polizeilichen Vernehmungen quasi als sachverständiger Beistand, sei es bei den Durchsuchungen. Der Vorteil liegt auf der Hand: Mögliche Schutzbehauptungen können eher widerlegt werden; die zuständige Kontrollpersonen kennen die räumlichen und personellen Strukturen „ihres“ Betriebs besser als die Ermittlungsbehörden.

Bei staatsanwaltschaftlichen und polizeilichen Durchsuchungen wird im Übrigen immer wieder festgestellt, dass von den bei der ursprünglichen Kontrolle vorhandenen Produkten nichts oder weniger als bei der vorherigen Betriebskontrolle vorhanden ist. Die Einlassung dazu lautet dann regelmäßig, dass man nach der Kontrolle einige Zeit gewartet, aber nichts mehr gehört und dann geglaubt habe, es sei alles in Ordnung und der Verkauf könne weitergehen. Dass dahinter natürlich oft eine gehörige Portion Schlitzohrigkeit steckt, ist klar.

Problematisch wird es, wenn tatsächlich einige Monate vergehen, ehe der Betroffene mit weiteren Maßnahmen konfrontiert wird bzw. ihm aufgrund fehlender konkreter Erkenntnisse oder fahrlässiger Unterlassung der bestehende Tatverdacht nicht deutlich genug mitgeteilt oder der Weiterkauf schriftlich untersagt wurde. Dann wird es für den Staatsanwalt schwer, einen in Kenntnis des Mangels erfolgten Weiterverkauf nachzuweisen. Wobei wir merkwürdigerweise die Erfahrung gemacht haben, dass auch in Betrieben, deren Verantwortliche eigentlich mit staatsanwaltschaftlichen Maßnahmen rechnen mussten, keine Unterlagen vernichtet oder sonst beiseitegeschafft worden waren. Und je größer der Betrieb, umso wahrscheinlicher ist es, dass noch alle beweisrelevanten Dokumente vorhanden sind, weil man sich dort eine Vernichtung von Unterlagen wegen des fortwährenden Betriebsablaufes und der Vorzeigepflicht gegenüber anderen Behörden überhaupt nicht leisten kann.

7 Art und Weise der Verfahrenserledigung


Die Zahl der Einstellungen nach § 170 Abs. 2 StPO – also mangels Tatnachweises – ist im Gegensatz zu Ermittlungen in allgemeinen Strafsachen sehr gering. Das Lebensmittelstrafrecht ist von dem objektiven Sachbeweis (Urkunden, Augenscheinsobjekte, Sachverständige) geprägt. Es handelt sich dabei um einige wenige Fälle pro Jahr und geht meist darauf zurück, dass in der von Wein- oder Lebensmittelkontrolle erstatteten Strafanzeige der falsche Verantwortliche genannt wurde. In diesen Fällen decken häufig erst die polizeilichen Vernehmungen den tatsächlich Verantwortlichen auf. Gegen diesen wird das Verfahren dann weitergeführt.

Einen breiten Raum nehmen Einstellungen nach § 153a Abs. 1 Nr. 2 StPO ein. Die Beschuldigten sind in der Mehrzahl nicht vorbestraft und hinsichtlich ihrer Verfehlung einsichtig. Das öffentliche Interesse an einer Strafverfolgung kann in der Regel durch die Auflage, einen bestimmten Geldbetrag zu zahlen, beseitigt werden.

Viele Verfahrensabschlüsse erfolgen auch im Wege des Strafbefehlsantrages. Eine beachtliche Rolle spielt dabei der Strafbefehl mit Freiheitsstrafe (§ 407 Abs. 2 StPO), der bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung festgesetzt werden kann, zum Teil kombiniert mit einer zusätzlichen Geldstrafe (§ 41 StGB). Nicht selten sind es die Beschuldigten und ihre Verteidiger, die einen solchen Verfahrensabschluss ausdrücklich anregen, weil sie die diskrete Verfahrensweise einer öffentlichen Hauptverhandlung vorziehen. Auch ist zu bedenken, dass in solchen Fällen der Polizei, der Staatsanwaltschaft und dem Gericht eine Hauptverhandlung erspart bleibt. Ein Umstand, der angesichts der eingeschränkten Ressourcen von Polizei und Justiz nicht zu vernachlässigen ist.

Letztlich erfolgt nur bei den schwereren Fällen die Anklageerhebung sowie bei Sachverhalten, bei denen Betroffene nicht mit schriftlich erteilten Sanktionen einverstanden waren. Allein dieser verbliebene Rest birgt aber oft schon ein gewisses „Konfliktpotential“, welchem durch sorgfältige Vorbereitung und sicheres Auftreten vor Gericht gut begegnet werden kann. Wobei hier noch kurz auf einen Aspekt einzugehen ist, der sowohl Staatsanwaltschaft als auch Verwaltungsbehörde gelegentlich Schwierigkeiten bereitet: Lebensmittelstrafsachen sind aufgrund ihrer Komplexität auch für Strafrichter aufwändig. Zudem treten Angeklagte oft mit Spezialanwälten und entsprechend konfrontativ auf. Will man vermeiden, dass der – meist ebenfalls überlastete – Strafrichter deren Argumentation folgt und das Verfahren einstellt, ist eine exzellente Vorarbeit und vor allem eine zwingende Teilnahme der Verwaltungsbehörde an der Hauptverhandlung angezeigt.

Zum Wirtschaftsschöffengericht oder gar zur Wirtschaftsstrafkammer gelangen Fälle eklatanter Herstellungsverstöße und/oder Betrügereien. Selbstverständlich prüfen wir auch, ob ein Berufsverbot (§§ 70 ff. StGB) und/oder Einziehungsmaßnahmen (§§ 73 ff. StGB) in Betracht kommen. Eine Anklage zum Landgericht ist auch dann zulässig, wenn es um die rasche Klärung einer grundsätzlichen, für eine Vielzahl gleichgelagerter Fälle bedeutsamen Rechtsfrage durch ein Obergericht geht (§§ 74 Abs. 1, 24 Abs. 1 Nr. 3 GVG). Gerade diese Konstellation verlangt jedoch eine sorgsame Berücksichtigung der betroffenen Bürgerrechte.

8 Fazit


Das Lebensmittelstrafrecht ist eines der spannendsten Rechtsgebiete überhaupt. Stark europäisch geprägt unterliegt es häufigem Wandel, was sich kaum mit dem Meistbegünstigungsprinzip des § 2 Abs. 3 StGB (u.U. Straflosigkeit durch Sanktionslücke) verträgt. Weiterhin ist es vom verwaltungsrechtlichen Überwachungsgedanken beeinflusst. Eine enge Zusammenarbeit mit der jeweiligen Überwachungsbehörde ist auch angesichts zunehmender Globalisierung in der Lebensmittelwirtschaft unabdingbar. Gute Ermittlungsarbeit ist nach den Erfahrungen der Landeszentralstelle nicht nur von Arbeitsbelastung, Erfahrung und Handhabung von Staatsanwaltschaften und Polizeidienststellen abhängig. Sie basiert in besonderem Maße auf der Tätigkeit der Überwachungsbehörden, die wiederum von ihrer personellen und finanziellen Ausstattung sowie der behördeninternen Priorität von Lebensmittelstrafsachen abhängt. Im letzten Stadium des Verfahrens sind dann die fachliche Kenntnis von Polizei, Staatsanwaltschaft, Verteidigung sowie Strafrichter ausschlaggebend, um zum Schutz der Verbraucher nicht nur eine engmaschige Kontrolle angebotener Produkte, sondern auch die strafrechtliche Sanktionierung von Verstößen vor dem Hintergrund der Generalprävention zu gewährleisten.

Anmerkungen


1
Der Autor ist als Dezernent bei der Landeszentralstelle für Wein- und Lebensmittelstrafsachen der Staatsanwaltschaft Bad Kreuznach tätig; der Beitrag gibt die persönliche Meinung des Autors wieder.