Die Kriminalität der Wirtschaft

Prävention durch Frauen und Compliance

 

Von Prof. Dr. jur. Kai-D. Bussmann, Halle1

 

1 Die Gier


In den vierziger Jahren wurde von Edwin Sutherland bereits der Begriff der „White-Collar Crime“ geprägt, um auch statushohe Tätergruppen in den Fokus der Kriminologie und Strafverfolgung zu rücken.2

Mittlerweile setzte sich eine Unterscheidung durch, die zwischen Occupational Crime (eigennützige Berufskriminalität) und Corporate Crime (zugunsten des Unternehmens) differenziert, um auch die Kriminalität von Unternehmen in den Blick zu nehmen.3 Wir haben uns durch die Medienberichte und – nicht erst seit „Dieselgate“ – daran gewöhnt, dass Unternehmen ihre Kunden und die Gesellschaft durch Wirtschaftsdelikte wie Betrug, Korruption oder Kartelldelikte und Datendiebstahl schädigen. Es gibt jedoch auch eine dunkle Seite in der Wirtschaft, die es seltener schafft in die Medien zu gelangen: Kriminalität gegen Unternehmen. Befragt man Unternehmen nach der Herkunft der Täter, so stammt etwa Hälfte die Täter aus dem eigenen Unternehmen.4



Abb. 1: Beziehung der Täter zum geschädigten Unternehmen5


Hinsichtlich der Merkmale von Occupational und Corporate Criminals ist bemerkenswert, dass sie in der Regel vor ihrer Tat weder gesellschaftlich noch strafrechtlich in Erscheinung getreten sind. Auch lassen sich ihre Straftaten nicht durch wirtschaftliche, soziale oder psychische Defizite erklären, worauf die „Straßenkriminalität“ zumeist zurückgeführt werden kann.6

Zwar handelt es sich, anders als der ursprüngliche „White-Collar Crime“ Begriff suggeriert, keinesfalls um feingekleidete Eliten, sondern ein großer Teil der Occupational Criminals stammt aus unteren und mittleren Berufsrängen (Abb. 2). Nur bei Corporate Criminals handelt es sich aufgrund ihrer Entscheidungskompetenz überwiegend um Führungskräfte (49%), sie begehen die „Raubzüge“ gegen andere Unternehmen und/oder ihre Kunden.

Angesichts der überdurchschnittlichen Gehälter und Bonusvergütungen im Senior- und Topmanagement verblüfft, dass es sich bei Straftaten gegen das eigene Unternehmen in 25% der Fälle um eine Person aus der obersten Führungsebene gehandelt hat. Sicherlich sind mit höheren Positionen attraktivere und leichtere Begehungsmöglichkeiten verbunden, aber wohl auch bloße Gier.7



Abb. 2: Position des internen und externen Haupttäters8

 

2 Einige sind gleicher als gleich: Strafanzeigen


Wir wissen aus Unternehmensbefragungen, dass mit steigendem Status der internen Täter die Wahrscheinlichkeit einer Strafanzeige oder zivil- bzw. arbeitsrechtlichen Reaktion sinkt. So wurden gegenüber Tätern aus dem eigenen Topmanagement seltener eine Strafanzeige gestellt (33%) als aus dem mittleren Management (49%) und anderen Beschäftigten (54%). Auch wurden gegenüber Topmanagern häufiger überhaupt keine Konsequenzen gezogen (20%; mittleres Management: 0%; andere Beschäftigte: 7%).9 Zur Strafanzeige kommen leichter kleinere Fälle, während die großen Wirtschaftsdelikte von Führungskräften überwiegend intern geregelt werden.

Überhaupt sind Strafanzeigen trotz durchaus hoher Schadenssummen keinesfalls die Regel. Zwar trennt man sich nach den Angaben der geschädigten Unternehmen in aller Regel von den Beschäftigten (Kündigung 87%), aber eine Strafanzeige erfolgte selbst bei gravierenden Wirtschaftsdelikten nur in etwa zwei Drittel der Fälle (Abb. 3). Immerhin häufiger als vor sechs Jahren, denn lange Zeit kam allenfalls jedes zweite gravierende Wirtschaftsdelikt zur Anzeige. Mit anderen Worten, die polizeiliche Ermittlung wird großenteils außerhalb der Werkstore gehalten. Allerdings lässt sich insofern ein Vergleich zur Kriminalität in Familien ziehen – auch einem relativ abgeschlossenen System. Auch hier wissen wir, das Meiste, vor allem der familialen Gewalt- und Sexualkriminalität, bleibt vor der Öffentlichkeit verborgen.10



Abb. 3: Konsequenzen gegenüber internen Haupttätern 2011-201711


Übrigens werden die Gründe für das Nichterstatten einer Strafanzeige nicht mit unzureichenden fachlichen Kompetenzen der staatlichen Ermittler (2%) oder zu geringen betriebswirtschaftlichen Kompetenzen begründet (4%). Der Verlust der Kontrolle über die eigene Ermittlungstätigkeit spielt sicherlich eine Rolle (15%), aber am häufigsten wurden schnellere Aufklärung durch interne Untersuchungen mittels eigener oder externer Ermittler (37%) genannt, zu hohe Publizitätsrisiken aufgrund mangelnder Vertraulichkeit (32%) und Vermeidung von Unruhe im Unternehmen (27%).12 Polizeiliche Ermittlungen stören vielfach, wen wundert’s?

3 Die Moral verdampft in der Sonne des Profits


Wir wollen nicht weit ausholen, aber die Zivilisationsgeschichte der Menschheit lehrt uns, dass es keine Phase ohne Kriminalität gegeben hat. Spätestens seit Emile Durkheim (1895) verstehen wir die Gründe für die Normalität von Kriminalität:13 Die Normalitätsthese wird damit begründet, dass eine Gesellschaft ohne Kriminalität unmöglich ist. Erhellend das Gedankenexperiment von Durkheim, wonach es selbst in einem Kloster unter den Mönchen zu Abweichungen von ihren sich selbst gesetzten Normen kommt.14 Wie recht er hatte, wissen wir heute angesichts der Missbrauchsfälle in kirchlichen Einrichtungen. Man kann Kriminalität zwar zurückdrängen, aber verschwinden wird sie nicht: nicht alle Bürger verfügen über ein gleich ausgeprägtes moralisches Bewusstsein. Auch in unseren Städten und Gemeinden können wir keine kriminalitätsfreie Zone erwarten. Warum dann in Unternehmen?

So gedeiht in vielen Unternehmen ebenfalls ein kriminelles Umfeld, wie wir gesehen haben, das man als kriminelle Subkultur betrachten kann. Überzogene Bonuszahlungen fördern zudem die Gier in der Wirtschaftswelt, die kaum Scham kennt. Selbst nach spektakulären Verlusten wie in der Weltfinanzkrise oder nach kapitalen Wirtschaftsdelikten forderten gleichwohl die Verantwortlichen astronomische Vergütungen ein. Wir lernen, die Spitzen der Wirtschaft sind nur für Gewinne verantwortlich, nicht für Verluste und Rechtsbrüche. Manches scheint sich in Managementverträgen zu ändern, aber es gab und gibt wohl heute noch zu viele falsche Vorbilder.

Aber es gibt auch systemische Ursachen, die in der Marktwirtschaft selbst liegen. Schon Adam Smith (1776),15 der erste Begründer einer Theorie der freien Marktwirtschaft, konnte sich den Markt mit seinem Handel nicht ohne Illusionen und Betrug vorstellen. Mit einem Bild illustriert: man muss bei einem Versicherungsmakler oder Autoverkäufer manches befürchten, wie Täuschung mit unübersichtlichen Vertragsklauseln oder über Kraftstoffverbrauch und Emissionen, aber Angst vor Diebstahl oder Raub wäre vollkommen unberechtigt.

Wir haben zu konzedieren, der Markt ist vollkommen amoralisch.16 Bei Betrug, aber auch bei Korruption und anderen Wirtschaftsdelikten wie Datendiebstählen, Kartelldelikten, Industrie- und Wirtschaftsspionage handelt es sich um systemisch bedingte Delikte. Sie gehören zum System und somit zu einem normalen Risiko. Der marktwirtschaftliche Wettbewerb kennt nur ein Ziel, die Maximierung des Gewinns auf teilweise unerhört kreative Weise.

Die Führungskräfte sind eingebunden in ihrer beruflichen Rolle, der Gewinnmaximierung. Die Börse und der Aufsichtsrat verlangen es, die Hausjuristen und der sie umgebende Schwarm kreativer Anwälte der Law Firms fahndet permanent nach rechtlichen Schwachstellen und Regelungslücken, wie wir z.B. im Hinblick auf die stetige Suche nach Steuerschlupflöchern unlängst wissen, sog. Aggressive Tax Planning von Amazon, Google, Starbucks oder IKEA. Das Recht verfällt leicht zu einem bloßen Kostenposten, zur Profitbremse. In der beruflichen Rolle des Managements verdampft die Moral in der Sonne des Profits.

 

4 Hoffnung Frauen?


4.1 Niedrige Anteile weiblicher Täter

Wir haben somit von einem aktiven kriminellen Umfeld in der Wirtschaft und systemischen Ursachen auszugehen. Aber die kriminellen Subkulturen sind in bemerkenswerter Weise zuvörderst männlich. In Studien zu Occupational und Corporate Crime bewegen sich die Anteile von weiblichen Tätern deutlich unterhalb von 20%. (Tabelle 1)




Tabelle 1: Anteil der Kriminalität weiblicher Täter


Eine Erklärung für diese deliktsspezifischen Unterschiede ist, Frauen scheuen eher als Männer, trotz vorhandener Gelegenheiten, aufgrund ihrer Sozialisation Gewalt und auch den offensichtlichen Rechtsbruch wie bei einem Einbruch oder Raubüberfall. Zu nennen sind insbesondere ihre generell höhere moralische Orientierung und Risikoaversion. Frauen sind aufgrund ihrer Sozialisation weniger materiell und stattdessen stärker sozialintegrativer, verantwortungsbewusster und sozialaltruistischer orientiert als Männer, sodass auch aus diesem Grund Wirtschaftskriminalität mit gravierenden Schäden eher unterlassen wird. Frauen verfügen aufgrund ihrer Sozialisation im Allgemeinen nicht nur über eine bessere Selbstkontrolle als Männer, sondern auch über ein höheres soziales Commitment, sie gelten als „Hüter der Moral“. Diese sozialisatorische Prägung lässt Frauen gerade im beruflichen Kontext vorsichtiger, überlegter und verantwortungsbewusster handeln, während es Männern leichter fällt, den Erfolg über alles zu stellen.17


Corporate Crime:Den noch niedrigeren Anteil weiblicher Corporate Criminals kann man derzeit auch auf ihre geringere Vertretung in Führungspositionen zurückführen. Nicht nur, dass ihr Anteil auch bei schweren Straftaten von Unternehmen mit 9% außerordentlich gering ausfällt, sie befanden sich sogar überwiegend in unteren Positionen (62%) und folglich war ihr Tatbeitrag vornehmlich von untergeordneter Bedeutung (51%). Männliche Täter waren somit nicht nur rein quantitativ dominant, sondern auch qualitativ hinsichtlich ihrer Täterrolle.18

Auch gab es in dieser US-Studie keine weiblichen Alleintäter und keine reinen Frauentätergruppen. Frauen begingen die Straftaten ausschließlich in geschlechtlich gemischten Gruppen. Die Mehrheit der kriminellen Netzwerke bestand ausschließlich aus Männern, nur bei 41% handelte es sich um gemischte Gruppen.19 Das Fehlen rein weiblicher krimineller Netzwerke zeigte sich auch in einer norwegischen Studie, die primär Fälle von Occupational Crime untersuchte. 20


4.2 Prävention durch Karrierefrauen?

Werden Karrierefrauen, die in verantwortlichen Positionen aufsteigen, nun krimineller, den männlichen Managern insofern ähnlich? Immerhin wäre dies aufgrund des gewinnorientierten Drucks, der Rollenerwartungen und besseren Tatgelegenheiten anzunehmen. Die Emanzipationsthese erwies sich jedoch bereits für die gesamte Kriminalitätsentwicklung als unzutreffend. Der Anteil von Frauen an der Kriminalität führte im Zuge ihrer Gleichstellung allenfalls im unteren Kriminalitätsbereich,21 aber allgemein zu keinem signifikanten Anstieg.22

Es gibt immer wieder weibliche Einzelfälle als Gegenbeispiele, aber selbst in Ländern wie Norwegen, in denen im Vergleich zu Deutschland der Anteil von Frauen in Führungsfunktionen deutlich höher ist, verharrt der Anteil weiblicher Wirtschaftsstraftäter auf niedrigen 7%. Zum Zeitpunkt der Studie betrug der Anteil weiblicher Führungskräfte in norwegischen Aufsichtsräten 40% und in höheren Managementpositionen 35% in der Privatwirtschaft.23

Wir wissen auch aus anderen Ländern, Frauen sind allgemein deutlich weniger korruptions- und betrugsgefährdet. So werden in Entwicklungsländern wie Indien Mikrokredite in den Familien zum Aufbau einer beruflichen Existenz fast ausschließlich an die Mütter und nicht an die Väter vergeben, da die Patriarchen diese Chance im wahrsten Sinne des Wortes verspielen.24

Die präventiven Effekte einer weiblichen Sozialisation und nachfolgenden beruflichen Sozialisation sind offenkundig stärker als alle kriminalitätsfördernden Faktoren wie Gelegenheiten und Verführungen einer Konsum- und Wirtschaftsgesellschaft. Die Karriereförderung von Frauen durch die gläserne Decke in Unternehmen wäre nicht nur ein Beitrag zur Gleichheit, sondern eben auch zur Kriminalprävention. Wer hätte das gedacht? Obwohl dies seit langem auf der Hand lag, wenn man allein die Größe der Vollzugsanstalten für Frauen und Männer vergleicht.

5 Hoffnung Compliance-Programme?

 

5.1 Ihre Elemente

Neben einem höheren Anteil von Frauen insbesondere in Führungspositionen besitzen die relativ jungen Compliance-Management-Systeme (CMS) eine ebenso präventive Kraft. Sie sollen strafbare Rechtsverstöße verhindern, aufklären und auch sanktionieren (Prevention, Detection und Reaction). Zu den zentralen Elementen gehören neben Schulungen, die Einrichtung der Funktion eines Compliance Officers oder einer ganzen Compliance Abteilung, sowie systematische Risikoanalysen, zeitnahe Sanktionierung von Verstößen und eine Evaluation des CMS. Außerdem ist die Entwicklung einer integritätsförderlichen Unternehmenskultur besonders wichtig. Sie besteht aus den Elementen eines entsprechenden Tone from the Top der Führungsspitze, einem Ethical Leadership der jeweiligen Vorgesetzten und einer allgemeinen Kultur, die aus Werten wie offener Kommunikation, Transparenz, Kein-Einzelgängertum und Regelkonformität besteht.25 Vieles in den Unternehmen erfolgt nicht wirklich freiwillig, aber die Richtlinien des US-Foreign Corrupt Practices Acts26und UK-Bribery Acts27, der IDW Prüfstandard 980 der deutschen Wirtschaftsprüfer28und die Guidelines zum internationalen Standard für Compliance Management Systeme ISO 19600 fordern eine integritätsförderliche Unternehmenskultur. Eine unentbehrliche Maßnahme sind auch Hinweisgebersysteme, ihr Nutzen zur Aufdeckung insbesondere schwerer Compliance-Verstöße wird kaum noch bezweifelt. Über eine telefonische Hotline (57%), ein webbasiertes System (35%) oder eine Ombudsperson (29%) verfügen mittlerweile insgesamt 86% der Unternehmen mit einem Anti-Korruptions-Compliance-Programm. Aber nur wenige Hinweisgebersysteme sind auch Geschäftspartnern und Subunternehmen zugänglich (31%) oder gar der Öffentlichkeit (23%),29 obwohl Studien belegen, dass rund ein Fünftel der Hinweise von externen Tippgebern kommt.30

 

5.2 Die Entwicklung

Der mittlerweile erreichte Verbreitungsgrad von Compliance-Programmen ist beachtlich. Dreiviertel (75 %) der größeren Unternehmen (über 500 Mitarbeiter) verfügen über ein CMS, das zumindest die zentralen Elemente aufweist, Bei Großunternehmen mit mehr als 10.000 Mitarbeitern ist ein CMS mittlerweile die Regel (97%).31 Die Compliance-Programme fokussieren sich auf konkrete Deliktsfelder, die Korruption (83%), Kartellrechtsverletzungen (62%), Geldwäsche (65%) und Betrug sowie Datenschutzverletzungen (87%) zurückdrängen sollen. Viele Unternehmen statten mittlerweile ihre Compliance-Programme mit einem beachtlichen Budget aus. Mehr als jedes zweite Unternehmen hat sein Budget hierfür in den letzten zwei Jahren leicht (33%) oder gar deutlich aufgestockt (22%) und nur 2% berichteten über eine leichte Reduzierung.32 Die Karriere der Compliance-Programme ist bezeichnend für die Zeit davor. Denn eigentlich bestand schon immer eine Pflicht zur Einhaltung gesetzlicher Vorschriften. Auslöser für diese Entwicklung war vor allem der wachsende rechtliche Druck aus den USA. Strenge US-Regelungen wie der Foreign Corrupt Practices Act (FCPA) und die US Federal Sentencing Guidelines trieben die Anforderungen nicht nur für börsennotierte Unternehmen weiter nach oben, indem sie Präventionsmaßnahmen forderten.33 Gerade börsennotierte Unternehmen orientieren sich heute an weltweiten Standards, da sie einer intensiven Transparenz ausgesetzt sind: gegenüber Rating-Agenturen, Wirtschaftsprüfern, Medien, Regulierungs- und Aufsichtsbehörden. Allein die Anwaltskosten, insbesondere in den USA verschlingen Unsummen. Verblüffend, der Kapitalmarkt ist nicht Gegenspieler, sondern ein Verbündeter der Compliance-Programme, denn Investoren scheuen Corporate Crime als Risiko, das Talfahrten an der Börse auslöst und die Sessel der Führungskräfte kippt. Diese Entwicklung verfügt über eine Eigendynamik, da mittlerweile der Markt selbst Anreize setzt, indem Unternehmen über Vertragsklauseln Druck auf ihre Lieferkette ausüben.34 Die Entwicklung verläuft zudem global top-down, von den zumeist börsennotierten international operierenden Großunternehmen auf die mittelständische Wirtschaft. Die Globalisierung erhöht den Handlungsdruck auf internationale Unternehmen Compliance-Standards einzuführen, um nicht (zumeist) erneut ins Rampenlicht der Justiz und Medien zu geraten.


5.3 Compliance im Wettbewerb

Nur 9% der befragten Unternehmen berichteten 2018 über Wettbewerbsnachteile im deutschen Markt, davon nur ein Prozent über einen klaren Wettbewerbsnachteil. Hingegen beurteilt über ein Drittel (36%) das eigene Compliance-Programm im Wettbewerb überwiegend als vorteilhaft und ein Viertel (24%) erkennt hierin sogar einen klaren Vorteil. Bemerkenswerterweise erkennen international operierende Unternehmen auch auf ausländischen Märkten überwiegende Wettbewerbsvorteile, wenn sie über ein CMS verfügen. In vielen Ländern ist das Interesse bei Ausschreibungen in der Privatwirtschat und insbesondere im öffentlichen Sektor an saubere Geschäfte gestiegen. Auch internationale Märkte belohnen zunehmend Compliance, das heißt jedoch nicht, Korruption, Betrug und Kartelldelikte wären nahezu verschwunden. Es vollzieht sich ein Wandel, der sich über Generationen hinzieht. Nur die Entwicklungsgeschwindigkeiten sind unterschiedlich, die wirtschaftlich erfolgreicheren Staaten sind schneller und effektiver in der Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität. Denn eine erfolgreiche Bekämpfung kostet, aber bringt erhebliche wirtschaftliche Vorteile wie wir heute am Beispiel der Korruption sehen. Ein Blick auf die Landkarte zeigt: Die Länder, die eine geringe Korruptionsquote aufweisen, gehören zu den wohlhabenderen Ländern wie Skandinavien im Vergleich zum Süden Europas oder Nordamerika im Vergleich zu Mittel- und Südeuropa. Wem dabei auffällt, dass es einen gewissen Zusammenhang mit der jeweils dominierenden Religion geben könnte, irrt nicht. Protestantische und allgemein reformchristlich geprägte Länder weisen die niedrigste Korruptionsquote auf. Die Gründe liegen in der Geschichte der Reformation, die sich insbesondere gegen jeglichen Ablasshandel wehrte.35

 

5.4 Compliance und Sinken der Korruptionsrisiken

Für Deutschland lassen sich die Auswirkungen von Compliance-Programmen abschätzen. Die über Jahre erhobenen Kennwerte sprechen für eine sinkende Korruptionsbelastung der deutschen Wirtschaft. Dies muss sich noch nicht im Hellfeld der registrierten Korruptionsfälle in der PKS widerspiegeln. Im Dunkelfeld zeigt sich seit 2005 eine Abnahme der von Korruption betroffenen Unternehmen auf nunmehr 6%, auch sank die Zahl der Verdachtsfälle von 26% auf 11%. Ebenso ist der Anteil der Unternehmen rückläufig (9%), die Geschäftsmöglichkeiten vermutlich infolge von Korruption verloren haben und auch die Quote der Unternehmen, die angaben, sich mindestens einmal in einer Korruptionssituation befunden zu haben (8%).36 Im gleichen Zeitraum wurden sowohl in der Privatwirtschaft als auch in der öffentlichen Verwaltung korruptionsrechtliche Compliance-Programme flächendeckend eingeführt und weiter optimiert. Auch dürfte das wachsende Problembewusstsein in den Medien und der Öffentlichkeit dazu beigetragen haben. Nicht vergessen sei die Verschärfung der Strafbarkeit von Bestechung und Bestechlichkeit in der Privatwirtschaft nach § 299 StGB.



Abb. 4: Entwicklung der Korruptionsrisiken 2005-201737

6 Fazit


Occupational und Corporate Crime sind relativ weit verbreitet. Die Gründe sind vielfältig, zentrale Ursachen sind kriminelle Subkulturen, überzogene Bonuszahlungen, die Fehlverhalten fördern, systemische Gründe der Marktwirtschaft und eine unzureichende Unternehmenskultur. Wirksame Compliance-Programme (CMS) sind hingegen ein probates Gegenmittel. Der mittlerweile erreichte Verbreitungsgrad von Compliance-Programmen ist beachtlich, vor allem in Großunternehmen sind sie selbstverständlich geworden. Verdächtig sind daher heute alle Unternehmen, die noch kein CMS eingeführt haben. Wirtschaftskriminalität ist männlich. Der sehr geringe Anteil von weiblichen Tätern auch im Management ist bemerkenswert und auf die andere Sozialisation von Frauen auch heute noch zurückzuführen. Frauen bleiben selbst nach einer Karriere rechtstreuer. Kurzum, zu einer guten Kriminalprävention gehört zwingend die Erhöhung des Frauenanteils in verantwortlichen Positionen in Wirtschaft und Verwaltung, diese Mischung bringt den Präventionseffekt.

 

Anmerkungen

 

  1. Prof. Dr. Bussmann ist Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht und Kriminologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Forschungsschwerpunkte: Wirtschaftskriminalität – speziell: Occupational an Corporate Crime.
  2. Sutherland, Edwin (1940): White-Collar Criminality, American Sociological Review. 5(1), S. 1-12.
  3. Ausführlich Bussmann, Kai-D. (2016): Wirtschaftskriminologie, Band I, Rn. 18ff.
  4. PwC/Bussmann (2018): Wirtschaftskriminalität - Mehrwert von Compliance – Forensische Erfahrungen, S. 60.
  5. PwC/Bussmann (2018): Wirtschaftskriminalität - Mehrwert von Compliance – Forensische Erfahrungen, S. 60.
  6. Bussmann, Kai-D. (2016): Wirtschaftskriminologie, Band I, Rn. 704ff.
  7. Zur Gier: Bussmann, Kai-D. (2016): Wirtschaftskriminologie, Band I, Rn. 787ff.
  8. PwC/Bussmann (2018): Wirtschaftskriminalität - Mehrwert von Compliance – Forensische Erfahrungen, S. 60.
  9. PwC/Bussmann (2009): Wirtschaftskriminalität - zur Sicherheitslage in deutschen Großunternehmen, S. 52f.
  10. Bussmann, Kai-D. (2007): Gewalt in der Familie, in: Handbuch der Familie, Hrsg. Jutta Ecarius, 1. Aufl., S. 637-652.
  11. PwC/Bussmann (2018): Wirtschaftskriminalität - Mehrwert von Compliance – Forensische Erfahrungen, S. 61.
  12. PwC/Bussmann (2018): Wirtschaftskriminalität - Mehrwert von Compliance – Forensische Erfahrungen, S. 69.
  13. 1 Durkheim, Die Regeln der soziologischen Methode, 1984 (Original 1895), S. 156-162.
  14. 2 Bussmann, Kai-D. (2016): Wirtschaftskriminologie, Band I, Rn. 740 ff.
  15. 3 Smith, Adam (1776): The Wealth of Nations. 8. Edition (1978), Wordsworth, London.
  16. Bussmann, Kai-D. (2016): Wirtschaftskriminologie, Band I, Rn. 1049ff.
  17. Bussmann, Kai-D. (2016): Wirtschaftskriminologie, Band I, Rn. 985 ff.
  18. Steffensmeier, Darrell/Schwartz, Jennifer/Roche, Michael (2013), Gender and Twenty-First-Century Corporate Crime: Female Involvement and the Gender Gap in Enron-Era Corporate Frauds, American Sociological Review 78 (3), S. 449.
  19. Steffensmeier, Darrell/Schwartz, Jennifer/Roche, Michael (2013), Gender and Twenty-First-Century Corporate Crime: Female Involvement and the Gender Gap in Enron-Era Corporate Frauds, American Sociological Review 78 (3), S. 461.
  20. Benson, Michael/Gottschalk, Petter (2015), Gender and white-collar crime in Norway: An empirical study of media reports, International Journal of Law Crime and Justice 43, S. 548 f.
  21. Klenowski, Paul/Dodson, Kimberly (2016), Who commits White-Collar Crime, and what do we know about them?, Oxford Handbook of White-Collar Crime, S. 109.
  22. Oberwittler, Dietrich (2012), Kriminalität und Delinquenz als soziales Problem, in: Handbuch Soziale Probleme, Günter, Albrecht/Groenemeyer, Axel (Hrsg.), S. 782; Benson, Michael/Gottschalk, Petter (2015), Gender and white-collar crime in Norway: An empirical study of media reports, International Journal of Law Crime and Justice 43, S. 536ff.
  23. Reimann, Anna (2012), A Laboratory for the Advacement of Women: www.spiegel.de/international/europe/how-norway-led-the-way-in-gender-quota-success-a-835738.html (abgerufen 26.06.2019).
  24. Bakhtiari, Sadegh (2006), Microfinance and poverty reduction: some international evidence, International Business and Economics Research Journal 12/2006, S. 65. Wichterich, Christa (2012), Mikrokredite und die Entdeckung der Frauen, Zeitschrift Luxemburg 4/2012, www.zeitschrift-luxemburg.de/mikrokredite-und-die-entdeckung-der-frauen/ (abgerufen 26.06.2019).
  25. Einzelheiten: Bussmann, Kai-D./Niemeczek, Anja/Vockrodt Marcel (2016): Compliance und Unternehmenskultur, Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform, Heft 3, S. 1-19; Bussmann, Kai-D. (2016): Integrität durch nachhaltiges Compliance Management. Über Risiken, Werte und Unternehmenskultur, in: CCZ (2), S. 50-57.
  26. Richtlinie zum FCPA, S. 57, online abrufbar: www.justice.gov/sites/default/files/criminal-fraud/legacy/2015/01/16/guide.pdf.
  27. Richtlinie zum UK Bribery Act 2010, S. 23, online abrufbar: www.justice.gov.uk/downloads/legislation/bribery-act-2010-guidance.pdf.
  28. Überblick: Withus, Karl-Heinz (2014), Betriebswirtschaftliche Grundsätze für Compliance-Management-Systeme.
  29. PwC/Bussmann (2018): Wirtschaftskriminalität – Mehrwert von Compliance – Forensische Erfahrungen, S. 44.
  30. PwC/Bussmann (2013): Wirtschaftskriminalität und Unternehmenskultur, S. 83.
  31. PwC/Bussmann (2018): Wirtschaftskriminalität - Mehrwert von Compliance – Forensische Erfahrungen, S. 24.
  32. PwC/Bussmann (2018): Wirtschaftskriminalität - Mehrwert von Compliance – Forensische Erfahrungen, S. 40.
  33. Bussmann, Kai-D. /Matschke, Sebastian (2008): Der Einfluss nationalen Rechts auf Kontroll- und Präventionsmaßnahmen in Unternehmen, Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 3/2008, S. 88-95.
  34. Bussmann, Kai-D./Salvenmoser, Steffen/Jeker, Marc (2016): Compliance ist im Markt, aber noch nicht im Recht, CCZ (5), S. 236-240.
  35. Zu Ursachen und Schäden der Korruption: Bussmann, Kai-D. (2016): Wirtschaftskriminologie, Band I, Rn. 597ff. und 617ff. zur Religion: Rn. 640ff.
  36. PwC/Bussmann (2018): Wirtschaftskriminalität - Mehrwert von Compliance – Forensische Erfahrungen, S. 40.
  37. PwC/Bussmann (2018): Wirtschaftskriminalität - Mehrwert von Compliance – Forensische Erfahrungen, S. 40.