Strafrechtliche Rechtsprechungsübersicht

§ 176 Abs. 1 StGB – Sexueller Missbrauch von Kindern; hier: Ausziehen als sexuelle Handlung an einem Kind. §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB – Gefährliche Körperverletzung; hier: beschuhter Fuß. § 261 StGB – Geldwäsche; hier: Verwahrung. § 261 StGB – Geldwäsche; hier: Vortatfeststellung. (...)

Von Dirk Weingarten, Polizeihauptkommissar & Ass. jur., Polizeiakademie Hessen

Wir bieten Ihnen einen Überblick über strafrechtliche Entscheidungen, welche überwiegend – jedoch nicht ausschließlich – für die kriminalpolizeiliche Arbeit von Bedeutung sind. Im Anschluss an eine Kurzdarstellung ist das Aktenzeichen zitiert, so dass eine Recherche beispielsweise über Juris möglich ist.

I Materielles Strafrecht

§ 176 Abs. 1 StGB – Sexueller Missbrauch von Kindern; hier: Ausziehen als sexuelle Handlung an einem Kind. Das Ausziehen eines Kindes stellt sich regelmäßig nicht als sexuelle Handlung „an“ dessen Körper dar, wenn nicht das Entblößen seinerseits mit einer sexuellen Handlung am Körper verbunden ist. Denn das bloße Entfernen der Kleidung stellt nicht den körperlichen Kontakt her, der für eine sexuelle Handlung im Sinne des § 176 Abs. 1 StGB erforderlich ist. Ob insoweit etwas anderes gilt, wenn der Täter sich schon mit dem Ausziehen selbst sexuell erregen will, kann hier dahinstehen. Denn nicht sämtliche sexualbezogenen Handlungen, die auf Sinnenlust beruhen oder ihr dienen sollen, sind tatbestandsmäßig im Sinne des § 176 Abs. 1 StGB. Auszuscheiden sind vielmehr kurze oder aus anderen Gründen unbedeutende Berührungen. (BGH, Beschl. v. 14.6.2016 – 3 StR 72/16)

§§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB – Gefährliche Körperverletzung; hier: beschuhter Fuß. Zwischen dem Tatopfer und einer unbekannt gebliebenen Person kam es zu einer Auseinandersetzung im Bahnhofsviertel, in deren Verlauf der unbekannte Täter mit einem großen ummantelten Fahrradschloss auf den Kopf des Geschädigten einschlug und diesen mit dem Metallverschluss an der Schläfe traf. Das Tatopfer ging zu Boden, erlitt dabei eine große Platzwunde am Kopf und verlor kurzfristig das Bewusstsein. Nachdem der Täter von dem Opfer abgelassen hatte, lief der Angeklagte zu dem Geschädigten hin und trat ohne erkennbaren Anlass zweimal hintereinander wuchtig von oben mit seinem mit einem Turnschuh beschuhten Fuß senkrecht auf den auf dem Straßenasphalt liegenden Kopf des Geschädigten ein. Die Anwendung des Qualifikationstatbestandes nach § 224 Abs.1 Nr. 2 StGB kommt nur dann in Betracht, wenn der Einsatz des Tatmittels nach der konkreten Tatausführung geeignet war, nicht unerhebliche Verletzungen des Opfers herbeizuführen. Davon kann bei Tritten mit einem „beschuhten“ Fuß nur dann ausgegangen werden, wenn der Täter entweder schweres Schuhwerk trägt oder aber „normale“ Schuhe konkret gefährlich einsetzt. Dazu muss der Tatrichter im Urteil nähere Feststellungen treffen. (BGH, Beschl. v. 26.10.2016 – 2 StR 253/16)

§ 261 StGB – Geldwäsche; hier: Verwahrung. Die Angeklagte erklärte sich als Angehörige einer aus mehreren Personen bestehenden Zigarettenhändlergruppierung bereit, gewerbsmäßig Gewinne aus dem Handel mit unversteuerten Zigaretten über Bankkonten in den legalen Geldkreislauf einzuschleusen; insgesamt 379.638,35 Euro, auf ihre Girokonten und Sparkonten bei der Sparkasse und der Postbank. Zudem betrieb sie als Einzelunternehmerin eine Imbissgaststätte. „Verwahren“ im Sinne von § 261 Abs. 2 Nr. 2 StGB bedeutet, einen geldwäschetauglichen Gegenstand in Gewahrsam zu nehmen oder zu halten, um ihn für einen Dritten oder für eigene spätere Verwendung zu erhalten. Darunter ist bei Sachen die bewusste Ausübung der tatsächlichen Sachherrschaft zu verstehen. Taugliche Tatobjekte der Geldwäsche sind aber nicht nur Sachen, sondern alle Vermögensgegenstände, also auch Forderungen und sonstige Rechte. Für das Verwahren von Forderungen (Buchgeld) kommt es dabei darauf an, ob der Täter eine der unmittelbaren Sachherrschaft entsprechende tatsächliche Verfügungsgewalt über die Forderung hat. Bei Konten genügt hierfür das alleinige Recht des Kontoinhabers, über das Geld zu verfügen. Nach der Rechtsprechung des BGH wird die Geldwäschetauglichkeit eines Gegenstandes nicht dadurch aufgehoben, dass er mit legalen Finanzmitteln vermengt oder vermischt wird. Die Nutzung der eigenen Konten für die aus Katalogtaten stammenden Geldbeträge sowie die vorgenommenen Abhebungen und Überweisungen kommen als Tathandlungen einer Geldwäsche in Betracht. Denn wer einen Gegenstand, der aus einer Katalogtat im Sinne von § 261 Abs. 1 Nr. 2 StGB herrührt, mindestens vorübergehend auf seinem Konto belässt, „verwahrt“ ihn im Sinne von § 261 Abs. 2 Nr. 2 StGB. Bei Auszahlungen setzt sich das Verwahren an dem abgehobenen Geldbetrag, an dem der Kontoinhaber Sachherrschaft hat, fort. Vorgenommene Überweisungen können die Tatbestandsvariante des „Verwendens“ erfüllen. (BGH, Urt. v. 12.7.2016 – 1 StR 595/15)

§ 261 StGB – Geldwäsche; hier: Vortatfeststellung. Für eine Verurteilung wegen Geldwäsche reicht es aus, wenn sich aus den festgestellten Umständen in groben Zügen bei rechtlich richtiger Bewertung eine Katalogtat des Geldwäschetatbestandes als Vortat ergibt. Zwar muss die Tat keinem bestimmten Katalogtatbestand zugeordnet werden; es muss aber nicht nur ohne vernünftigen Zweifel ausgeschlossen werden können, dass das Geld legal erlangt wurde, sondern auch, dass es aus einer Nichtkatalogtat stammt, die keine taugliche Vortat der Geldwäsche darstellt. Täter und Teilnehmer der Vortat müssen hingegen nicht bekannt sein, ebenso wenig Tatort oder Tatmodalität. Für die Tatmodalität der Gefährdung der Ermittlung der Herkunft und des Auffindens reicht jede Aktivität aus, die den Zugriff der Strafverfolgungsbehörden auf den Gegenstand zu verhindern trachtet, namentlich auch der Transport von Bargeld. (BGH, Urt. v. 21.1.2016 – 4 StR 384/15)

II Prozessuales Strafrecht

§§ 102, 105 StPO – Durchsuchung bei Beschuldigten; hier: selbst herbeigeführte Gefahr im Verzug. Polizisten wollten einen Durchsuchungsbeschluss in einem Mehrfamilienhaus vollstrecken; brachen diesen Versuch jedoch ab. Dabei fiel ihnen im Haus ein leichter und auch nicht näher lokalisierbarer Geruch von Marihuana auf. Einige Tage später versuchten sie erneut erfolglos den Durchsuchungsbeschluss zu vollstrecken. Zur Unterstützung waren weitere sechs Polizeibeamte dabei. Diesmal nahmen sie bereits auf dem Gehweg vor dem Haus einen intensiven Marihuanageruch wahr, der einer Wohnung im dritten Obergeschoss zuzuordnen war und der im Keller befindliche Stromzähler für die Wohnung drehte auffällig schnell; Verdacht: Marihuanaanbau. Sie verteilten sich vor und im Haus. Problematisch war jedoch ein nicht einzusehender Bereich nach hinten. Währenddessen versuchte der Gruppenleiter über einen Zeitraum von 10 bis 15 Minuten mehrfach – mindestens dreimal – erfolglos, den Eildienst der StA telefonisch zu erreichen, um diesen zu veranlassen, einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss zu erwirken. Andere Hausbewohner wurden langsam aufmerksam und fragten nach. Man entschloss sich, an der betreffenden Wohnungstür zu klopfen und gab sich zu erkennen. Geräusche waren zu hören und die Türe wurde von innen verschlossen. Aufgrund drohenden Beweismittelverlustes sah die Polizei Gefahr im Verzug und beschloss die Tür gewaltsam zu öffnen. Nach mehreren Versuchen wurde die Tür von innen geöffnet. Die Polizeibeamten betraten daraufhin die Wohnung und fanden zahlreiche Marihuanapflanzen mit insgesamt 1.242,55 Gramm Marihuana mit einer Wirkstoffmenge von 97,6?g THC vor. Nach Belehrung gab der Angeklagte an, dass er an ADHS erkrankt sei, ohne „Gras“ nicht klar komme und deshalb „ohne Ende kiffe“. Er würde täglich 5 Gramm Marihuana benötigen. Handel treiben würde er nicht, wohl aber „Kollegen“ mitrauchen lassen.

Der Begriff „Gefahr im Verzuge“ im Sinne des Art. 13 Abs. 2 GG ist eng auszulegen. Dieser ist nur anzunehmen, wenn die richterliche Anordnung nicht mehr eingeholt werden kann, ohne dass der Zweck der Maßnahme (regelmäßig die Sicherstellung von Beweismitteln) gefährdet wird. Kann hingegen der Richter mit dem Durchsuchungsbegehren befasst werden und über dieses entscheiden, ohne dass damit ein Risiko des Verlusts von Beweismitteln verbunden ist, ist für einen Rückgriff auf die Eilkompetenz der Strafverfolgungsbehörden kein Raum. Ob ein angemessener Zeitraum zur Verfügung steht, innerhalb dessen eine Entscheidung des zuständigen Richters erwartet werden kann, haben die Ermittlungsbehörden nach der Konzeption des Art. 13 Abs. 2 GG zunächst selbst zu prüfen. Dabei haben sie die von der Verfassung vorgesehene „Verteilung der Gewichte“, nämlich die Regelzuständigkeit des Richters, zu beachten. Der Ausnahmecharakter der nichtrichterlichen Eilanordnung nach § 105 Abs. 1 StPO schließt es aus, mit dem Antrag auf Erlass einer Durchsuchungsanordnung zu warten, bis die Gefahr eines Beweismittelverlusts eingetreten ist. Selbst herbeigeführte tatsächliche Voraussetzungen können die Eilkompetenz der Staatsanwaltschaft und ihrer Ermittlungspersonen nicht begründen. Dem Strafverfahrensrecht ist ein allgemein geltender Grundsatz, dass jeder Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften ein strafprozessuales Verwertungsverbot nach sich zieht, fremd. Die Annahme eines Beweisverwertungsverbots ist von Verfassungs wegen nur bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstößen, bei denen die grundrechtlichen Sicherungen planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen werden, geboten. Dies war hier der Fall. Bei gröblicher Missachtung des in § 105 Abs. 1 StPO normierten Richtervorbehalts können Erwägungen zu einem hypothetisch rechtmäßigen Alternativverhalten der Ermittlungsbehörden die Annahme eines Beweisverwertungsverbots nicht hindern. (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 23.6.2016 – III-3 RVs 46/16)

§§ 102, 105 StPO – Durchsuchung bei Beschuldigten; hier: Angaben zum Tatzeitraum im Durchsuchungsbeschluss. Ein gerichtlicher Durchsuchungsbeschluss muss Angaben zum Tatzeitraum bezüglich aller Beschuldigter enthalten, um den verfassungsrechtlichen Anforderungen und insbesondere der Begrenzungsfunktion zu genügen. Beim Tatvorwurf der Beihilfe zur Steuerhinterziehung genügt der Hinweis „über Jahre hinweg“ diesen Anforderungen ebenso wenig wie die isolierte Angabe, wann einer der Beschuldigten frühestens strafbar gehandelt hat. (BVerfG, Beschl. v. 4.4.2017 – 2 BvR 2551/12)

§§ 103, 95 StPO – Durchsuchung bei anderen Personen; hier: Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, Aufforderung zur freiwilligen Herausgabe. Auf Antrag des Finanzamtes für Fahndung und Strafsachen Braunschweig vom 30.11.2015 wurde durch Beschluss des AG Braunschweig vom 11.12.2015 unter anderem die Durchsuchung der Geschäftsräume der unbeteiligten S. zum Zwecke des Auffindens von Beweismitteln (Buchführungsunterlagen, Aufzeichnungen über Einnahmen oder Ausgaben, Kontoauszüge, Bankbelege, Schriftwechsel sowie sämtliche Unterlagen, aus denen die Entstehung oder die Verwendung von Einkünften oder Vermögenswerten des Beschuldigten ersichtlich sind) angeordnet. Zu einer Vollstreckung des Durchsuchungsbeschlusses am 14.12.2015 kam es nicht, nachdem die vom Durchsuchungsbeschluss umfassten Beweismittel durch die S. freiwillig herausgegeben wurden.

Eine Durchsuchung nach § 103 StPO darf nur ergehen, wenn nach dem Prinzip des geringsten möglichen Eingriffs eine den Beschwerdeführer weniger belastende Maßnahme im gleichen Umfang nicht erfolgversprechend ist. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit erfordert in aller Regel, dass der unbeteiligte Dritte zunächst zu einer freiwilligen Herausgabe der gesuchten Beweismittel aufgefordert wird. Dem Herausgabeverlangen gemäß § 95 Abs. 1 StPO wird auch nicht dadurch Genüge getan, dass die Aufforderung unmittelbar vor der bevorstehenden Vollstreckung der Durchsuchungsanordnung erfolgt, da in diesen Fällen die Einwilligung unter dem Eindruck der bevorstehenden Durchsuchung steht und nicht frei von Zwang abgegeben wird. (LG Braunschweig, Beschl. v. 11.07.2016 – 16 Qs 135/16)

§ 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO – Verlesung der Erklärungen von Behörden und Sachverständigen; hier: erweiterter Urkundenbeweis; Verlesung polizeilicher Observationsberichte. Polizeiliche Observationsberichte können grundsätzlich gem. § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO verlesen werden. Aus dem Wortlaut des § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO ergibt sich weder, dass Observationsberichte im Speziellen von einer Verlesung ausgenommen sein sollen, noch dass Ermittlungshandlungen im Sinne der Vorschrift ausschließlich „Routinemaßnahmen“ betreffen. Den Gesetzesmaterialien (BT-Drs. 15/1508, 26?f.) ist eine dahingehende Einschränkung gleichfalls nicht zu entnehmen. Ziel der Einführung der Vorschrift war es, zu einer „Entlastung der Strafverfolgungsbehörden und der Hauptverhandlung“ beizutragen. (BGH, Beschl. v. 8.3.2016 – 3 StR 484/15)

Anmerkung: Urkunden dürfen zu Beweiszwecken nach § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO auch dann verlesen werden, wenn sie nicht für das anhängige, sondern für ein anderes Strafverfahren erstellt worden sind. (BGH, Beschl. v. 13.4.2015 ? 5 StR 110/15)