Erziehung auf Salafistisch

Von Dr. Britt Ziolkowski, Stuttgart1

Erst in jüngerer Zeit und in Folge von Erfahrungen aus der Praxis richtete sich der Blick auch auf Kinder und Jugendliche, die bereits in salafistischen Haushalten aufwachsen und die vor diesem Hintergrund eine neue Generation salafistisch Radikalisierter repräsentieren. Der vorliegende Beitrag möchte sich diesem Teilphänomen salafistischer Radikalisierung nähern. Es soll dargestellt werden, in welcher Form und mit welchen Inhalten salafistische Akteure nach Einfluss auf die Erziehung in salafistischen Haushalten streben. Hierzu sollen drei Fallbeispiele genauer beleuchtet werden. Erstens handelt es sich um ein Unterrichtsvideo des Predigers Hassan Dabbagh, zweitens soll ein salafistischer Erziehungsratgeber der Psychologin und Missionarin Aisha Utz analysiert werden und drittens stehen die Lehrvideos des Predigers Pierre Vogel zum Thema im Fokus.

1 Lehrvideo von Hassan Dabbagh

Hassan Dabbagh ist Imam der Al-Rahman-Moschee in Leipzig. Regelmäßig werden Mitschnitte von seinen Vorträgen und Predigten auf YouTube hochgeladen. Darunter finden sich auch Beiträge, in denen er sich mit der Kindererziehung auseinandersetzt. Ausführlich äußert er sich in einem Video mit dem Titel „Unsere Verantwortung in der Kindererziehung“.

Dabei skizziert er zunächst die Bedeutung der Kindererziehung: Nur wenn die Eltern ihre Kinder „gut erziehen“, und zwar „nach der richtigen Methode der Religion, dann werden auch die Kinder inshallah [so Gott will] gute Kinder werden. Und diese Kinder werden später auch ihre Kinder gut erziehen.“ Die Erziehung des Nachwuchses sei eine Herausforderung. Dabbagh konstatiert: Eine „gute“ Erziehung brauche „bestimmte“ Methoden. Dabei bleibt Dabbagh im gesamten Vortrag ziemlich abstrakt: Welche Methoden damit gemeint sind, führt er nicht detailliert aus. Er betont: „Diese Themen [gemeint sind Erziehungsthemen] sind keine Themen für eine Stunde.“ In einem einmaligen Vortrag könne sich also nur oberflächlich mit der Kindererziehung beschäftigt werden. Zu fragen bleibt an dieser Stelle, warum Dabbagh im Fortgang in der Tat sehr abstrakt bleibt. Eine Erklärung könnte sein, dass es ihm auf diese Weise möglich ist, ein sehr breites Publikum anzusprechen.

Ausführlich geht Dabbagh jedoch auf ein Recht der Eltern und die Instanzen der Kindererziehung ein. In Hinblick auf das Recht der Eltern bezieht sich der Prediger auf Sure 31 des Korans, in der sich Luqman, eine vorislamische Gestalt, mahnend an seinen Sohn richtet. Dabbagh argumentiert mit dieser Sure, dass die Eltern das Recht haben, gut von ihren Kindern behandelt zu werden. Das Recht der Eltern ist damit gleichzeitig eine Pflicht der Kinder. Der Prediger ermahnt die Kinder: „Du brauchst sie [die Eltern] am letzten Tag, aber sie dich nicht. Pass auf. […] Du brauchst am letzten Tag, dass sie mit dir zufrieden sind. Du brauchst am letzten Tag, dass dein Vater und deine Mutter dir den Segen geben. Aber sie brauchen das nicht von dir.“ Dabbagh führt ein Hadith (dabei handelt es sich um Überlieferungen zu Aussprüchen und Handlungen Mohammeds) an, wonach eine Person in die Hölle kommt, insofern sie ihre Eltern schlecht behandelt. Die Pflicht der Kinder ist somit mit Drohungen vor einer Bestrafung im Jenseits verbunden.

Dass die Kinder keine „falschen Bahnen“ nehmen, könne von vier Instanzen verhindert werden, den Instanzen, die laut Dabbagh, im Islam als „Institutionen“ der Erziehung gelten: die Gesellschaft, die Schule, die Moschee, die Familie. Jedoch versagen nach seinem Ermessen die ersten drei Instanzen in Deutschland. Ja, er beschreibt ihren Einsatz für die Kindererziehung sogar als kontraproduktiv für eine vermeintlich wahre islamische Erziehung.

In Hinblick auf die Gesellschaft hebt er die muslimischen Gesellschaften hervor, in denen die soziale Kontrolle groß sei: „Dein Nachbar, dein Onkel, deine Tante, Freund der Familie, sind alle beteiligt am Erziehungsprozess.“ Dies würde die Kinder von Grenzüberschreitungen abhalten. In Deutschland sei das anders: „Die Gesellschaft hier macht überhaupt nicht mit. Sondern die Gesellschaft hier macht die Erziehung schwerer.“

Auch in Hinblick auf die Schulen hebt er die muslimischen Gesellschaften als positives Beispiel hervor. Die Schule hätte dort einen positiven Einfluss auf die Erziehung der Kinder, Schulen seien dort ein „Betrieb“, in dem „richtige Männer“ gemacht werden. In Deutschland, so Dabbagh, werden die muslimischen Schüler hingegen zu „Revolutionären“ gegen ihre muslimischen Eltern und Werte erzogen. Er spricht von „satanischen Methoden“, wenn den Mädchen in den Schulen empfohlen wird, den Hidschab abzulegen.

Und auch die Moscheen würden in Deutschland ihrer Aufgabe nicht gerecht werden: Imame würden sich hier nicht um die Jugendlichen kümmern. Kinder würden in einigen Moscheen lernen, wie man raucht, Drogen nimmt oder „schlechte“ Wörter benutzt.

Vor diesem Hintergrund würde in Deutschland nur die Familie bleiben: Die Last der Verantwortung der Kindererziehung liege bei ihr. Dabei weist er darauf hin, wie wichtig es sei, dass in der Familie geliebt werde und Eltern – Dabbagh spricht hier vor allem die Väter an – Zeit mit ihren Kindern verbringen. Darüber hinaus betont er, dass es im Islam eine lange Tradition der Auseinandersetzung mit der Kindererziehung gebe. Bereits vor tausend Jahren hätten sich islamische Gelehrte mit Fragen zum Thema beschäftigt. Die wichtigsten Regeln zur Erziehung würden im Koran stehen, so der Prediger. Das wichtigste sei die Liebe zur Religion. Dem Kind müsse das Wissen vermittelt werden, dass es sich vor Gott verantworten muss. Darüber hinaus müsse den Kindern „Bescheidenheit“ und „Härte“ beigebracht werden. Das Kind solle nicht „verwöhnt“ werden, sondern befähigt sein, Situationen auszuhalten. Dabbagh kürzt seine Ausführungen mit dem Schluss ab: „Man kann nicht in der kurzen Zeit erklären, wie man das macht.“

Dass er an dieser Stelle hervorhebt, abstrakt bleiben zu müssen, passt zu seinen Ausführungen zur körperlichen Züchtigung als Erziehungsmethode. Denn seine Haltung dazu erscheint ambivalent. So ist zunächst zu hören: „Manchmal muss man den Kind auch Härte zeigen, damit es lernt, was es gemacht hat, ist falsch.“ Während er über Deutschland spricht, richtet er sich an die Eltern: „Und den größten Fehler, den du in diesem Land machst, ist, deine Kinder zu schlagen.“ Im Fortgang betont er, dass das Schlagen der Kinder nicht richtig sei und die Eltern ihr Kind nur im letzten Schritt „tadeln“ sollten. Anschließend gibt er an, dass das Schlagen, das sich sofort an das Fehlverhalten des Kindes anschließt, abzulehnen ist: Hierbei würde es sich um eine „Rache“-Handlung handeln. Die Aussagen Dabbaghs bleiben vage. Lehnt er Schlagen absolut ab? Oder sieht er es als letztes Mittel, wenn alle anderen Methoden nicht gefruchtet haben? Und warum betont er, dass das Schlagen der größte Fehler ist, der hier in Deutschland begangen werden kann? Dabbagh scheint körperliche Züchtigung als durchaus legitimes Mittel in der Erziehung anzusehen. Darauf deuten seine Ausführungen zur Gesellschaft als Erziehungs-Instanz hin. Hier berichtet er beispielhaft von einem alten Mann in einem nicht näher benannten islamisch geprägten Land, der den Kindern mit dem Stock droht, wenn sie Fehlverhalten an den Tag legen. Dabbagh führt aus: „Dann machst du das nicht.“ Der Mann mit dem Stock würde also dazu beitragen, dass die Kinder sich ordentlich benehmen. Körperliche Züchtigung wird von Dabbagh also mindestens als legitimes Droh-Werkzeug anerkannt.

Wenngleich das Video Dabbaghs in fünf Jahren nur 4.000 Mal angeschaut wurde, ist sein Einsatz in Hinblick auf die Erziehung nicht zu unterschätzen: 2014 versuchte er in Leipzig im Namen der Gesellschaft „Der Friede für Bildung und Migration“ einen Kindergarten zu gründen. Das Landesjugendamt verweigerte Dabbagh die Betriebserlaubnis, woraufhin die Gesellschaft zunächst vors Verwaltungsgericht und schließlich vor das Sächsische Oberverwaltungsgericht zog, das das Projekt im August 2017 endgültig ablehnte. Zentral für die Ablehnung war die Frage, ob das Wohl der Kinder in dieser Einrichtung gewährleistet wäre. Ein Blick auf den Träger und seinem Geschäftsführer Dabbagh zog massive Zweifel in dieser Hinsicht nach sich.

2 Erziehungsratgeber von Aisha Utz

Der Erziehungsratgeber von Aisha Utz mit dem Titel „Wie man den Glauben bei Kindern fördert“2 ist auf Deutsch erstmals 2011 erschienen. Utz ist US-Amerikanerin und studierte Psychologin. Seit einigen Jahren lebt sie in Saudi-Arabien und arbeitet dort an einer Klinik. Sie ist Autorin mehrerer Bücher, in denen die salafistische Ideologie vermittelt wird. In „Wie man den Glauben bei Kindern fördert“ geht sie zum Beispiel auf das Verbot von Musik ein, in denen Musikinstrumente zum Einsatz kommen oder Texte beinhalten, „die Verführung provozieren“. Aber auch das salafistische Konzept „al-Wala‘ wa-l-Bara‘“ (wortwörtlich etwa „Loyalität und Lossagung“) klingt an, wenn sie Eltern dazu aufruft, den Nachwuchs zu ermutigen, nur Freundschaften mit Kindern aus salafistischen Haushalten zu knüpfen.

Ihrem Erziehungsratgeber, der in Bibliotheken und auf Büchertischen salafistisch geprägter Moscheen in Deutschland zu finden ist, können wir zwei Grundsätze ihrer Erziehungsphilosophie entnehmen. Der erste Grundsatz betrifft die Methoden, die das Miteinander in der Familie regeln und unter dem Motto Liebe und Respekt stehen. So heißt es in ihrem Buch: „Eltern sollten ihren Kindern zeigen, wie sehr sie sie lieben und sich um sie sorgen. […] Der körperliche Kontakt ist wesentlich, inklusive solcher Dinge wie Umarmungen, Küssen, Streicheln und auf die Schultern klopfen.“ An anderer Stelle geht sie auf das Stillen ein und verweist darauf, dass die Eltern mit dem Tag der Geburt an der Beziehung zu ihren Kindern arbeiten sollen. Durch das Stillen würde das Baby Vertrauen zu seiner Umgebung aufnehmen, was die Erziehung erleichtere. Eng damit verknüpft ist auch ihr Aufruf zur Kommunikation zwischen Eltern und Kindern. Eltern sollten jeden Tag mit ihren Kindern sprechen, weil nur so eine tragfähige Beziehung entstehen könne und Eltern Möglichkeiten zum „Einfluss“ auf ihre Kinder hätten. Sie beschreibt darüber hinaus einen Erziehungsstil, der geprägt ist von „Lob und Güte“. Wenngleich Demütigung und Verspottung des Nachwuchses abgelehnt werden, propagiert Utz dennoch das Konzept von Gehorsam der Ehefrau gegenüber ihrem Ehemann und der Kinder gegenüber ihren Vater: „Den Kindern muss dieses Konzept von jungen Jahren an gelehrt werden.“

Der zweite Grundsatz erhebt den Islam als zentralen Bezugspunkt für die Erziehung. Das wird deutlich in Aussagen wie: „Den Kindern sollte gelehrt werden, dass der Islam bzw. ihre muslimische Identität vor allem anderen Vorrang hat.“ Oder: „Den Kindern sollte gelehrt werden, ihre Talente und Mittel in den Dienst Allahs zu stellen.“ Die Eltern werden darüber hinaus aufgefordert, die Kinder bei der Suche nach einem entsprechenden Freundeskreis zu unterstützen: „Freundschaften mit ehrlichen und rechtschaffenen muslimischen Gleichaltrigen“, mit Kindern, „die an die Prinzipien des Islams glauben, sich daran halten.“

Neben dieser grundsätzlichen Erziehungsphilosophie geht Utz auch auf verschiedene Bereiche des Erziehens ein. Dabei betont sie die Notwendigkeit, früh mit der Erziehung in diesen Bereichen zu beginnen, damit die Kinder bis zum Eintreten der Pubertät „über die notwendigen und grundlegenden Werkzeuge verfügen, um als verantwortungsbewusste Muslime zurechtzukommen, zu funktionieren und Entscheidungen treffen zu können.“ Weil Utz in einem Nebensatz darauf hinweist, dass der Eintritt in die Pubertät in Einzelfällen bereits mit neun Jahren erfolgt, wird deutlich, bis zu welchem Alter sie die Kinder vorbereitet haben möchte.

Entsprechend der absoluten Ausrichtung der Erziehung am Islam betont Utz den Vorrang von „religiösen Themen“ beim Lernen. Dabei verweist sie auf altersgerechte Methoden, wie das Erzählen von Geschichten als „eine brillante, genussvolle und effektive Methode, um Kindern den Glauben, Werte und Moral beizubringen.“ Sie bezeichnet das religiöse Wissen, das auf diese Weise aufgebaut wird als „solides Fundament“, das wiederum als Grundlage für „andere Arten von Wissen“ dient. Dabei sei es wichtig, dass das weltliche Wissen nicht im Widerspruch zum Islam und seinen Prinzipien stehe: „Es ist im Islam verboten, Philosophien und Glaubenslehren zu erlernen, die den Prinzipien des Islams widersprechen.“ Als Beispiel nennt sie hier die Anschauung, dass Religion nur einen Teil des Lebens abbilde und es Lebensbereiche gebe, die auch ohne Bezug zum Islam verstanden werden können. In diesem Zusammenhang äußert sich Utz auch ablehnend gegenüber „säkularen Schulen“: Dort bestehe die „ernsthafte Gefahr“, dass Kinder falschen Überzeugungen ausgesetzt sind und sie folglich negativ beeinflusst werden.

3 Pierre Vogel und seine Lehrvideos

Auch Pierre Vogel widmet sich in mehreren Videos dem Thema Erziehung.3 Die Klick-Zahlen seiner YouTube-Videos variieren zwischen knapp 100 und 12.000 (jeweils nach einem Jahr). Im Gegensatz zu dem Erziehungsratgeber von Utz finden wir in seinen Videos jedoch kaum Bezüge zur salafistischen Ideologie.

Der Prediger skizziert unter anderem die Bedeutung der Erziehung: Sie sei zum einen wichtig, weil das Kind „ein Kapital“ sei, „das für uns du’a [Bittgebet] macht, wenn wir gestorben sind, und das inshallah [so Gott will] unsere Rente ist.“ Zum anderen habe die Erziehung des einzelnen Kindes eine Bedeutung für die gesamte islamische Gemeinschaft. Denn eine „starke Gemeinschaft“ bedinge ein „starkes Individuum“, womit er eine Person meint, die „eine starke Erziehung genossen hat.“

Doch was meint Vogel mit einer „starken Erziehung“? Auch in seinen Videos finden wir hierzu zunächst Gedanken zu einer grundsätzlichen Erziehungsphilosophie. Ein zentraler Punkt sei hier die Liebe zum Kind. Er fordert dazu auf, dem Kind diese Liebe zu zeigen und so eine „Vertrauensbasis“ zu schaffen. Eltern sollen sich für ihre Kinder interessieren, mit ihnen reden und ihnen Zeit widmen. Besondere Bedeutung misst Vogel darüber hinaus der Kommunikation bei Fehlverhalten des Kindes und Verboten bei. Dabei plädiert er grundlegend für eine Form der Erziehung, in der das Erklären an erster Stelle steht. Gebote und Verbote sollen klar kommuniziert und erklärt werden: „Das ist verboten aus Grund A, B, C und D.“ Von Beleidigungen und Anschreien hält er hingegen nichts, denn durch diese Methoden, so Vogel, könne man niemanden motivieren. Und schließlich misst er der Erziehung eine aktionistische Bedeutung bei. Eltern, die unzufrieden seien mit den Angeboten in der Umgebung, sollen sich selbst aktiv einbringen, anstatt zu jammern: „dann mach selber eine Zeitung auf, dann mach selber einen Fernsehkanal auf, dann mach selber etwas für die Kinder bei dir zu Hause, lade sie aus dem Umfeld ein, oder was auch immer.“

Neben der grundsätzlichen Erziehungsphilosophie beschäftigt sich Vogel in seinen Lehrvideos mit verschiedenen Bereichen der Erziehung – er unterscheidet drei: Religion, Weltliches Lernen und „Akhlaq“. Der arabische Begriff „Akhlaq“ bedeutet in etwa Charakter oder gute Sitten. Vogel selbst erörtert welche Eigenschaften er konkret darunter subsumiert und die den Kindern folglich vermittelt werden sollen: Verantwortung, Geduld und Standhaftigkeit, Sanftmütigkeit, die Fähigkeiten mit unterschiedlichen Menschen umgehen zu können, ein bescheidenes Leben führen, Mut und Wachsamkeit. Ein besonderes Augenmerk hat er dabei auf das Verantwortungsbewusstsein, das in verschiedenen Videos thematisiert wird. Interessanterweise bezieht er sich in diesem Zusammenhang wiederholt auf Deutschland als positives Beispiel. Kinder würden hier Verantwortungsbewusstsein bereits im Kindergarten und an den Schulen, zum Beispiel durch Pausen- und Mülldienste, lernen: „Und das ist eine Sache, die hier in Deutschland sehr sehr positiv und sehr islamisch ist.“ Und nicht nur die Schulen und Kindergärten hebt Vogel hervor. Er äußert sich auch positiv über Freizeitangebote in Deutschland, die den Kindern Aktivitäten ermöglichen mit denen „Akhlaq“ trainiert werden kann. Er selbst wollte seinen Sohn gar einmal bei der Freiwilligen Feuerwehr anmelden. Denn es sei wichtig, dass Kinder selbst aktiv werden. Dass es in solchen Kreisen durchaus auch Feste gebe, auf denen Alkohol ausgeschenkt wird, sieht Vogel nicht als Ausschlusskriterium: Von solchen Feierlichkeiten könne der Muslim sich fernhalten.

In Hinblick auf die „pure Religion“ gehe es darum, so Vogel, den Kindern die explizit religiösen Regeln zu vermitteln, zum Beispiel in Hinblick auf das Gebet oder das religiöse Fasten. Vogel kritisiert in diesem Zusammenhang die Moscheen als wesentlichen Ort für diesen Bereich der Erziehung. In den hiesigen Moscheen würden Schläge und Strafen für die Kinder dominieren. Weil Kinder die Moschee mit dem Islam verbinden, würden sie aufgrund dieser Erfahrungen Angst vor der Religion bekommen. Vogel spricht sich stattdessen für eine altersgerechte und liebevolle Herangehensweise an die religiösen Inhalte aus, bei der das Lernen durch Spiele aufgelockert wird. Zentral sei dabei eine Vertrauensbasis zwischen den Kindern und denjenigen, die ihnen die Religion näherbringen, ohne Schläge und ohne Angst.

Den dritten Bereich, das weltliche Lernen, fasst Vogel mit einer einzigen Aufforderung zusammen: „Geht in die Schule und versucht Abitur zu machen!“Vogel argumentiert, dass der Islam „Spezialisten“, „Zukunftswissenschaftler“ und „Ingenieure“ brauche. Wenn ihn jemand um Rat zur Studienwahl bitten würde, wäre seine Antwort: „Erneuerbare Energien“. Dass er die deutschen Lehranstalten in dieser Hinsicht für einen guten Ort hält, spricht Vogel in einem anderen Video an. Die guten Aspekte der deutschen Einrichtungen, allen voran das Schulen des Verantwortungsbewusstseins und das weltliche Lernen, würden die negativen Aspekte dieser Orte (Vogel nennt hier „Aufruf zu anderen Religionen“ oder „Unzucht“) überlagern.

4 Salafistisches Einflussbegehren auf die Erziehung: Problemlage und Bewertung

Die drei Fallbeispiele zeigen, dass salafistische Akteure punktuell und in verschiedenen Formen versuchen, Einfluss auf die Erziehung von Kindern in salafistischen Haushalten auszuüben.

Was die Inhalte betrifft, so können wir verschiedene Gemeinsamkeiten in Hinblick auf die Erziehungslehre feststellen. Grundsätzlich und entsprechend ihrer Islam-Lesart sehen die Akteure Koran und Sunna als Grundlage der Erziehung an. Damit verbunden ist die Ansicht, dass Erziehung eine große Verantwortung für die Eltern darstellt. Darüber hinaus finden wir in allen Beispielen die Aufforderung an die Eltern, ihren Kindern Liebe zu geben und Zeit mit ihnen zu verbringen. Unterschiede sind vor allem in Hinblick auf den Erziehungsstil und die Haltung zu deutschen bzw. säkularen Institutionen deutlich geworden. Für den Erziehungsstil können wir feststellen, dass Utz und Dabbagh den Gehorsam der Kinder gegenüber ihren Eltern als wichtig erachten. Letzterer scheint zudem körperliche Züchtigung als Mittel zur Erziehung anzuerkennen. Vor allem Dabbagh steht daher für einen autoritären Erziehungsstil. Vogel propagiert in seinen Videos eher einen Erziehungsstil, der auf Geduld und Respekt aufbaut und stark auf Erklärungen und Kommunikation setzt. In Hinblick auf die deutschen bzw. säkularen Institutionen ist vor allem die Haltung zu den Schulen von Bedeutung: Diese werden von Utz und Dabbagh abgelehnt, während Vogel die positiven Aspekte dieser Orte hervorhebt. Insgesamt zeigen die drei Beispiele damit eine gewisse Bandbreite der von salafistischen Akteuren propagierten Erziehung.

Dabei sind vor allem die Ansichten von Utz und Vogel interessant, weil sie, anders als vielleicht zu erwarten wäre, keinen autoritären Erziehungsstil predigen. Vielmehr beschwören sie einen Erziehungsstil, der auf Liebe, Geduld und Respekt aufbaut. Und dies birgt ein gewisses Gefahrenpotential. Denn sie liefern eine besondere Grammatik, mit der den Kindern die salafistische Lebensweise vermittelt werden kann. Hierbei müssen wir uns vergegenwärtigen, dass die Eltern in Deutschland zwar ein Recht und eine Pflicht zur Erziehung ihrer Kinder haben. Verfassungsrechtlich ist jedoch kein konkretes Erziehungsziel vorgegeben. Vor diesem Hintergrund ist ein Intervenieren des Staates nur in bestimmten Fällen möglich, nämlich dann, wenn das Kindeswohl gefährdet ist – zum Beispiel durch körperliche Bestrafung oder seelische Verletzung. Da Utz und Vogel körperliche Züchtigung zum Beispiel ablehnen, erschwert ihr propagierter Erziehungsstil ein Eingreifen des Staates. In Anbetracht dessen fällt die Beantwortung der Frage, welcher der propagierten Erziehungsstile problematischer ist, nicht so eindeutig aus.

Die Gefahr besteht aber auch in Hinblick auf die Übergänge salafistischer Strömungen. Wenngleich es sich bei den hier vorgestellten Fallbeispielen um Exemplare aus dem Bereich des politischen Salafismus handelt, muss bedacht werden, dass der Übergang zum dschihadistischen Bereich fließend ist. Somit kann nicht ausgeschlossen werden, dass ein Kind, das in einem politisch-salafistischen Umfeld aufgewachsen ist, nicht doch irgendwann auch Gewalt einsetzt. Erinnert werden kann an dieser Stelle zum Beispiel an Safia S., die als Kind im Milieu von Pierre Vogel zu beobachten war – als 15-Jährige jedoch mit einem Messer auf einen Bundespolizisten einstach und engen Kontakt zu IS-Mitgliedern pflegte.

Der tatsächliche Einfluss der hier vorgestellten Initiativen und Aktivitäten ist aber auch zu relativieren. Zentral hierfür ist die Frage, wen die Salafisten mit ihren Anliegen erreichen. Wir haben gesehen, dass eine derart offenkundig dem salafistischen Umfeld angehörende Kindertagesstätte, wie die von Dabbagh angestrebte, in Deutschland kaum Möglichkeiten hat, die Betriebserlaubnis zu erhalten. Anders verhält es sich mit Medien wie Büchern oder Lehrvideos, die in Deutschland verbreitet werden können.

Gerade bei Büchern bleibt jedoch zu fragen, wie viele Personen diese wahrhaftig lesen. Und die Klick-Zahlen der YouTube-Videos ergeben ein heterogenes Bild, mit einer Bandbreite von Klick-Zahlen zwischen 100 und 12.000 bei Vogel, Dabbaghs Video wurde 4.000 Mal angeschaut. Darüber hinaus ist anzuzweifeln, dass die meisten der Salafisten die propagierte Erziehungsphilosophie, wie wir sie bei Utz und Vogel finden, umsetzen. Wir haben bislang keine genauen Einblicke in salafistische Familien und die Realität, die sich dort in Hinblick auf Erziehung abspielt. Wir wissen aber, dass Salafisten in der Regel aus problematischen Familienkontexten kommen. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass die Ratschläge von Utz und Vogel in Hinblick auf die Umsetzung an Grenzen stoßen werden. Nichts desto trotz sollte das Einflussbegehren salafistischer Akteure auf die Erziehung und Bildung der Kinder nicht unterschätzt werden. Und schließlich müssen wir uns intensiv mit den salafistischen Familien selbst und ihren praktischen Erziehungsmethoden auseinandersetzen, um dieses Teilphänomen salafistischer Radikalisierung zu verstehen.

Anmerkungen

  1. Dr.Britt Ziolkowski hat Islamwissenschaften, Politikwissenschaften und Iranistik studiert (Magister) und ist zurzeit in der Analysegruppe Internationaler Extremismus und Terrorismus im Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg tätig.
  2. Utz, Aisha 2011: Wie man den Glauben bei Kindern fördert. Riad.
  3. Berücksichtig werden an dieser Stelle folgende Videos: (1) Die Wichtigkeit der Kindererziehung (2) Welche Erziehung ist islamischer (3) Erziehung zu einer starken Persönlichkeit (4) Umgang mit Kindern im Islam (5) Die islamische Jugend braucht Erziehung.