Zeugenermittlung am Tatort; Dokumentation der Tatortarbeit

Von Prof. Dr. Holger Roll, Güstrow1

1 Ermittlungen im Wahrnehmbarkeitsbereich

Die Ermittlungen im Wahrnehmbarkeitsbereich als Bestandteil der Tatortarbeit haben zum Ziel, Hinweise auf den subjektiven Tatortbefund zu geben. Dieser wird bestimmt durch

  • Personen, die sich bei Eintreffen der Ermittlungsbeamten in unmittelbarer Tatortnähe aufhalten (z.B. Auffindezeugen, Rettungskräfte, tatortberechtigte Personen) und
  • Personen, die in einem gewissen Umfeld (Wahrnehmbarkeitsbereich) um den Tatort herum Wahrnehmungen zum zu untersuchenden Ereignis gemacht haben können.

Der Wahrnehmbarkeitsbereich ist ein territorialer Bereich um den Ereignisort, in dem Personen die Möglichkeit hatten, optische, akustische, odorologische oder andere Wahrnehmungen zum kriminalistisch relevanten Sachverhalt zu machen. Er ist meist größer als der eigentliche Tatort. Zum Wahrnehmbarkeitsbereich zählen auch die Zu- und Abgangsweg

Darüber hinaus können auch Zeugen in einem territorialen Umfeld ermittelt werden, in dem der Täter Vorbereitungshandlungen (z.B. Beschaffen von Tatwerkzeugen und Tatmitteln; Auskundschaften des Ereignisortes; Planung der Tat; Absprachen mit Mittätern usw.) durchführte (Vortatphase). Ebenso sind Zeugen zu ermitteln, die nach der Tat, Tatverdächtige an Orten (z.B. Versteckorte von Diebesgut, Abstellorte von Fluchtfahrzeugen) beobachteten (Nachtatphase).

Nicht immer sind diese Orte bereits im Rahmen des Ersten Angriffs bekannt, sondern werden auch durch die weitere Ermittlungsführung festgestellt.

Die Festlegung der Grenzen des Wahrnehmbarkeitsbereiches im Rahmen der Tatortarbeit ist abhängig von den konkreten Umständen des Ereignisses, wie z.B.:

  • der Art des Delikts,
  • der Anzahl der handelnden Täter,
  • der Wahrnehmungsart,
  • der konkreten Begehungsweise (z.B. intensives oder unauffälliges Einwirken des Täters),
  • dem Ort der Handlungen (z.B. Öffentlichkeit oder Nichtöffentlichkeit),
  • dem krimineller Charakter der Handlung (War die Handlung für Zeugen als kriminelle Verhaltensweise erkennbar oder nicht?),
  • der Dauer der Handlung.

Es ist davon auszugehen, dass die Grenzen des Wahrnehmbarkeitsbereiches nur Wahrscheinlichkeitscharakter tragen und somit auch nicht als endgültig zu betrachten sind. Dies ergibt sich daraus, dass Wahrnehmungen immer personengebunden sind und dass die Wahrnehmung des kriminalistisch relevanten Ereignisses ohne Kenntnis der subjektiven Voraussetzungen unterstellt wird. Neben dem Feststellen von Zeugen im Wahrnehmbarkeitsbereich werden weitere Ziele verfolgt:

  • Feststellung von Verdächtigen,
  • Feststellen von Tatortberechtigten,
  • Feststellen von weiteren Tatbeteiligten,
  • Auffinden von weiteren Spuren, Gegenständen, Verstecken, Tatwerkzeugen, Tatmitteln,
  • Feststellen von Transportmitteln,
  • Feststellen möglicher Überwachungseinrichtungen, die Aufzeichnungen im Zusammenhang mit der Tat (z.B. Täter, Tathergang, weitere Zeugen) gespeichert haben könnten.

Die Festlegung des Wahrnehmbarkeitsbereiches erfolgt auf der Grundlage der Analyse der Begehungsweise. Als mögliche Ermittlungshandlungen für das Feststellen von Zeugen im Wahrnehmbarkeitsbereich gelten die informatorische Befragung/Vernehmung vor Ort, die Absuche des unmittelbaren Umfelds des Tatortes nach möglichen Zeugen, die Öffentlichkeitsarbeit, die Beobachtung an nächstfolgenden Tagen zur Tatzeit (Berufsverkehr, Pendler). Der Wahrnehmbarkeitsbereich kann personal, funktional und territorial2 bestimmt werden. Methodisch3 unterliegt die Zeugenermittlung im Wahrnehmbarkeitsbereich den Erfordernissen der operativen Ermittlungsführung. Operativität und Zeugenermittlung bedeuten das sofortige und sichere Reagieren auf sich plötzlich einstellende Veränderungen oder Wendungen der Ermittlungssituationen. Im Rahmen der Tatortarbeit wären beispielsweise folgende Situationen denkbar:

Eine Veränderung der Richtung des Vorgehens aufgrund aktueller Ermittlungsergebnisse (z.B. neue Erkenntnisse zur Fluchtrichtung des Täters).

Beim Feststellen von Personen im Wahrnehmbarkeitsbereich und deren Vernehmung wäre zum anderen auch eine Veränderung der Vernehmungstaktik erforderlich und zwar dann, wenn ursprünglich angenommen wurde, dass es sich bei der Person um einen Zeugen handelt, im Laufe der Vernehmung jedoch der Verdacht entsteht, dass es sich um einen Tatverdächtigen handeln könnte. In solchen Fällen ist die Zeugenvernehmung abzubrechen, eine Belehrung des Beschuldigten durchzuführen und die Beschuldigtenvernehmung zu beginnen. U.U. ist es auch denkbar, dass in derartigen Situationen andere operative Maßnahmen (z.B. vorläufige Festnahme oder Verhaftung) erfolgen müssen.

Das Prinzip der operativen Ermittlungsführung spielt auch dann eine Rolle, wenn festgestellt wird, dass die Zeugenaussage für das Vorgehen zur Spurensuche und -sicherung bedeutsam ist.

Folgende Einzelschritte sind bei Festlegen des und Ermittlungen im Wahrnehmbarkeitsbereich zu berücksichtigen:

1.1 Analyse der Begehungsweise

Grundlegende Erkenntnisse gewinnt der Ermittlungsbeamte aus der gedanklichen Rekonstruktion des Ereignisses und der Tatortuntersuchung. Die hier erhobenen Fakten und die darauf basierenden Versionen bilden die Grundlage für die Ableitung des Wahrnehmbarkeitsbereiches.

1.2 Festlegen der Ermittlungsbereiche

In Abhängigkeit von der territorialen Ausdehnung des Wahrnehmbarkeitsbereiches, kann ist es notwendig werden, bestimmte Ermittlungsbereiche festzulegen, insbesondere dann, wenn es sich um einen relativ großen und unübersichtlichen Wahrnehmbarkeitsbereich handelt. Diese Ermittlungsbereiche können

  • funktional,
  • personell oder
  • territorial (z.B. nach baulichen Besonderheiten) festgelegt werden.

Sind die Bereiche bestimmt, erfolgt die Festlegung, welche Einsatzkräfte die Ermittlungen im Wahrnehmbarkeitsbereich führen.

1.3 Ermittlung und Befragung von Personen

Wird festgestellt, dass es sich bei der ermittelten Person tatsächlich um einen Zeugen handelt, erfolgt die weitere Vorgehensweise (Belehrung, Protokollierung usw.) nach den Grundsätzen der Vernehmungsführung.

Methodisch ist so vorzugehen, dass zuallererst alle Personen erfasst werden, die sich im Wahrnehmbarkeitsbereich aufhalten und danach ist die Befragung zu realisieren. Sollte es eine Vielzahl Personen geben (z.B. bei großen Schadensereignissen oder terroristischen Anschlägen), so sollten Vorrangigkeitskriterien (z.B. unmittelbare Nähe zum Tatort) für die Reihenfolge der durchzuführenden Vernehmungen gebildet werden.

Inhaltliche Schwerpunkte der Vernehmungen sind jeweils abhängig vom konkreten Delikt festzulegen. Wichtig ist aufzuklären, ob zwischen dem Zeugen und dem Ereignis eine Beziehung festgestellt wird, die sein Aussageverhalten beeinflussen kann. Darüber hinaus gilt es in der Vernehmungsdurchführung Täter- und Tatwissen4 sowie unbeeinflusste Aussagen von potenziellen Zeugen zu schützen. Zeugen sind deshalb zu trennen und sollten auch keine Möglichkeit bekommen, anderen Vernehmungen zuhören zu können. Darüber hinaus sind Personen zu erfassen, die sich z.B. im Rahmen ihrer Tätigkeit am Tatort aufhalten, wie z.B.:

  • Notarzt,
  • Rettungssanitäter,
  • Einsatzkräfte der Feuerwehr,
  • Einsatzkräfte von Hilfsorganisationen (z.B. THW),
  • Sicherungskräfte der Polizei,
  • Private Wachschutzkräfte,
  • Geschädigte,
  • Objektverantwortliche,
  • Eigentümer.

Eine besondere Aufmerksamkeit sollte derjenige erfahren, der das Ereignis gemeldet hat.

Es empfiehlt sich, auch im Zuge der weiteren Ermittlungen alle Personen festzustellen, die sekundär mit dem Ereignis zu tun haben (z.B. durch Auswertung der Einsatzberichte). Insbesondere bei Brandstiftungen kann das für die Ermittlungen entscheidende Konsequenzen haben.

Darüber hinaus sollte im Zuge der Ermittlungen auch geprüft werden, inwieweit erste Bilder und Filme vom Ereignis bereits in sozialen Medien bzw. Medien überhaupt verbreitet worden sind (z.B. durch Privatpersonen oder Medienvertreter). Noch während des Ersten Angriffs könnten sich daraus Ermittlungsansätze ableiten. D.h. während der Tatortarbeit sollten soziale Medien und Medien verfolgt werden (z.B. durch die Einsatzleitstelle), um konkrete für die Tatortarbeit ermittlungsrelevante Hinweise abzuleiten. Für die spätere Beweisführung empfiehlt es sich, die Veröffentlichungen aufzuzeichnen und zu dokumentieren.

1.4 Die Wertung der Aussage

Die Wertung der Aussage beschreibt die Relevanz für die weitere Ermittlungsführung. Als Ergebnisse lassen sich feststellen:

  • Eine Person ist mit Sicherheit kein Zeuge. Die Person und die Aussage sind für das weitere Verfahren nicht relevant.
  • Eine Person (oder mehrere Personen) werden durch die Befragung tatverdächtig. Dieser Verdacht ist zu prüfen. Bei Bestätigung des Verdachts erfolgt ggf. die Beschuldigtenvernehmung; bei Nichtbestätigung des Verdachts erfolgt ggf. eine Zeugenvernehmung.
  • Eine Person hat relevante Wahrnehmungen gemacht und ist somit Zeuge. Mit ihr wird eine Zeugenvernehmung durchgeführt.
  • In der Zeugenaussage, geht es darüber hinaus auch darum festzustellen, um welche Art von Zeugen es sich handelt (z.B. direkte, indirekte, unmittelbare, mittelbare Zeugen).
  • Angaben eines direkten Zeugen werden immer dann benötigt, wenn man die eigentliche Handlung des Täters am Tatort klären will.
  • Der indirekte Zeuge kann unter Umständen zu Vorbereitungs- und Nachbereitungshandlungen der Tat aussagen, zum eigentlichen Ereignis selbst, hat er keine Wahrnehmungen gemacht. Für die Tatortarbeit ist seine Aussage von Bedeutung, wenn sie Hinweise zum Annäherungs- und Fluchtweg des Täters enthält. Diese Angaben können schon während der Tatortuntersuchung berücksichtigt werden, um weitere spurentragende Bereiche zu erschließen und dort nach spezifischen Spuren zu suchen.
  • Unmittelbare Zeugen sind Personen, die in einem nicht gegen sie selbst gerichteten Strafverfahren über eigene Wahrnehmungen aussagen. Diese Wahrnehmungen können sich sowohl auf die Vor-, Haupt- und Nachtatphase beziehen und haben somit für die Tatortuntersuchung ihre Relevanz, da durch die Aussage die Orte des Täterhandelns (und damit die spurentragenden Bereiche) bekannt werden.
  • Mittelbare Zeugen sind Personen, die in einem nicht gegen sie selbst gerichteten Strafverfahren über Wahrnehmungen von unmittelbaren Zeugen aussagen (sog. „Zeuge vom Hörensagen“). Der mittelbare Zeuge hat das kriminalistisch relevante Ereignis nicht in seiner Vor-, Haupt- oder Nachttatphase wahrgenommen, besitzt jedoch Kenntnis über diesen Sachverhalt (z.B. aufgrund eines Gesprächs mit einem unmittelbaren Zeugen; durch Aufzeichnungen). Diese Art von Zeugen ist immer dann festzustellen, wenn z.B. in einem Wohngebiet die Anwohner über das Ereignis sprechen bzw. in sozialen Netzwerken zum Ereignis ein Austausch erfolgt.

1.5 Dokumentation

Die Dokumentation zu den Ermittlungen im Wahrnehmbarkeitsbereich kann in unterschiedlicher Art und Weise realisiert werden. In den Fällen, in denen Zeugen ermittelt und vernommen wurden, richtet sich die Fixierung des Inhaltes der Aussage nach den rechtlich vorgeschriebenen Grundsätzen. Es ist möglich, insbesondere dann, wenn keine weiteren Zeugen festgestellt wurden, die Ermittlungsergebnisse in den Tatortbefundbericht zu integrieren. Weitere Formen der Dokumentation können sein:

  • Ermittlungsbericht: Er spiegelt die sachlichen, inhaltlichen, territorialen und zeitlichen Umstände der Ermittlungen im Wahrnehmbarkeitsbereich wider.
  • Ermittlungsfilm: In ihm wird die Kontinuität, Systematik und Folgerichtigkeit umfangreicher Ermittlungen im Wahrnehmbarkeitsbereich deutlich.
  • Ermittlungsprotokoll: Dieses ist chronologisch oder nach sachlichen Komplexen geordnet und spiegelt die durchgeführten Ermittlungshandlugen im Wahrnehmbarkeitsbereich wider.

Handelt es sich um einen räumlich sehr ausgedehnten Tatort und sind dabei relativ viele Zeugen anwesend, so sind deren Personalien festzustellen und diese in einem Protokoll zu dokumentieren, um sie ggf. später vernehmen zu können.

2 Ergebnisbewertung

Noch am Tatort erfolgt eine Auswertung der im objektiven und subjektiven Tatbefund festgestellten Informationen. Dies trägt den Charakter einer Zwischenauswertung. In dieser Phase erfolgt eine Bewertung aller im Zusammenhang mit dem zu untersuchenden Sachverhalt erhobenen Informationen und gefertigten Dokumente (z.B. erste Fahndungsberichte, Protokolle zur Anzeigenaufnahme, Tatortbefundbericht, Bericht über den Einsatz eines Fährtenhundes).

Ziele dieser Auswertung sind:

  • Erschließung des Tatgeschehens: Es ist festzustellen, welche Zu- und Abgangswege der Täter nutzte, welche Handlungen, die tatrelevant oder irrelevant waren, durch den Täter realisiert wurden, welche Handlungen das Opfer durchführte. Dadurch sind Rückschlüsse zum Tatgeschehen möglich und u.U. werden neue Ansatzpunkte für die Spurensuche erkannt. Es erfolgt eine Prüfung der Widerspruchsfreiheit der vorliegenden Beweismittel (subjektiver und objektiver Tatbefund).
  • Zusammenfassung der Informationen zum Täter: Vorhandene Spuren zur Identifizierung des Täters sind festzustellen. Für Fahndungszwecke erfolgt die Analyse von Merkmalen des Äußeren der Person des Täters und der genutzten Tatmittel und Tatwerkzeuge. Die Fluchtrichtung ist zu bestimmen. Darüber hinaus können Erkenntnisse erfasst werden, die Hinweise auf die Motivation, Fähigkeiten und Fertigkeiten des Täters geben. Ziel ist es, Informationen zur Fahndung oder zur schnellen Täterermittlung zu erheben, die in unmittelbaren Folgemaßnahmen umgesetzt werden können. Dazu sind die bezeichneten Tätermerkmale abzuleiten.
  • Beurteilung der Spurenlage: Es gilt festzustellen, ob die gesicherten Spuren tatrelevant oder -irrelevant sind. Des Weiteren erfolgen eine Klassifizierung und eine Zuordnung der Spuren als
    • Tatspur,
    • Täterspur,
    • Anwesenheitsspur,
    • Objekte, Gegenstände,
    • Situationsspur.

Die vorhandenen Spuren sind einzeln und komplex hinsichtlich ihres Beweiswertes (z.B. direkter Personenbezug oder indirekter Personenbezug) und der Schlüssigkeit der zugrunde gelegten Versionen zur Begehungsweise einzuschätzen. Fingierte Spuren und Situationsfehler sollten spätestens in dieser Phase erkannt werden.

  • Erschließung und Präzisierung weiterer Ermittlungsrichtungen: Die Auswertung des objektiven und subjektiven Tatbefundes kann verschiedene Hinweise erbringen, die eine sofortige operative Nutzung ermöglichen, z.B.:
    • Erkenntnisse zum sozialen Umfeld des Täters oder/und des Opfers,
    • fahndungsrelevante Informationen in Bezug auf den Täter, auf verwendete Tatwerkzeuge und Tatmittel oder auf das Diebesgut,
    • Informationen, die auf eine Vortäuschung der Straftat hindeuten,
    • Erkenntnisse, die eine unmittelbare Nutzung vorhandener polizeilicher Datenspeicher ermöglichen (z.B. ViCLAS),
    • Erkenntnisse, die den Wahrheitsgehalt von Aussagen näher bestimmen,
    • Informationen zum Tatmotiv, die den Tatverdächtigenkreis eingrenzen.

Diese vorhandenen Ergebnisse sind wiederum der Ausgangspunkt für das Einleiten erster vom Tatort ausgehender Ermittlungshandlugen. Gibt es keine Ansatzpunkte für derartige Ermittlungshandlungen, so erfolgt im Anschluss an diese Phase der Tatortarbeit die Dokumentation der Ergebnisse.

3 Einleitung erster vom Tatort ausgehender Maßnahmen

Diese Maßnahmen können während der gesamten Tatortarbeit vollzogen werden. Voraussetzung ist, dass ein entsprechendes Informationspotenzial zur Durchführung dieser vorhanden ist. Ziel der Ermittlungshandlungen ist es, auf der Grundlage der bei der Tatortarbeit gewonnenen Informationen unverzüglich den Täter festzustellen bzw. zu ergreifen.

Als mögliche Maßnahmen kommen dafür in Betracht:

  • Fahndung,
  • Verfolgung des Täters (Nacheile),
  • Vorläufige Festnahme/Verhaftung,
  • Einsatz eines Fährtenhundes/Mantrailers.

Diese Maßnahmen werden in der Regel auch nach Beendigung der Tatortarbeit fortgesetzt.

4 Dokumentation

Die Dokumentation5 der Tatortarbeit erfolgt in den meisten Sachverhalten mittels Tatortbefundbericht. Dieser wird durch Anlagen ergänzt, wie z.B.

  • Fotodokumentation (Bildanlagenkarte zum Tatort),
  • Videodokumentation,
  • Zeichnungen und Skizzen,
  • Spurensicherungsbericht (falls dieser nicht bereits in den Tatortbefundbericht integriert ist),
  • Protokolle zur Abnahme von Vergleichsmaterialien,
  • Anträge auf kriminaltechnische Untersuchung,
  • Bericht und Protokolle über Einsatz- oder Suchmaßnahmen am Tatort (z.B. Protokolle zu Ermittlungen im Wahrnehmbarkeitsbereich, Vernehmungsprotokolle, Protokoll über den Einsatz eines Fährtenhundes).

Die Dokumentation über die Tatortarbeit dient dazu:

  • Beweismitteln, die die Situation am Ereignisort bei Eintreffen der Polizei widerspiegeln, zu schaffen
  • Voraussetzungen für gutachterliche Untersuchungen zu legen,
  • Ermittlungsrichtungen und -handlungen festzulegen,
  • Mittel der Kommunikation zwischen Verfahrensbeteiligten (z.B. zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft oder Gericht) zu sein,
  • den objektiven und subjektiven Tatortbefund zu beschreiben.

Methodisch sind bei der Erstellung des Tatortbefundberichtes nachfolgende Aspekte zu beachten:

  • Er ist schriftlich abzufassen und kann durch Skizzen, Zeichnungen und Fotografien ergänzt und illustriert werden.
  • Er soll in Gegenwartsform formuliert werden, da er sich auf die Widerspiegelung der Tatortsituation zum Zeitpunkt der Tatortuntersuchung bezieht.
  • Er sollte unmittelbar nach Beendigung der Maßnahmen am Tatort gefertigt werden.
  • Inhaltlich sind folgende Aspekte6 zu berücksichtigen:
    • Einsatzmaßnahmen im Ersten Angriff: Die Darstellung im Tatortbefundbericht beschreibt den Beginn des Ersten Angriffs mit dem Eingang der Ereignismeldung und endet mit der Dokumentation der vom Tatort aus einzuleitenden Ermittlungshandlungen.
    • Ablauf der Tatortbefundaufnahme: Einzelne Handlungsphasen und ihre Reihenfolge werden beschrieben.
    • Ergebnisse der Tatortbefundaufnahme: Es werden der objektive und der subjektive Tatbefund dargestellt. Die beweisrelevanten Tatsachen sind hervorzuheben. Ergänzt wird diese Darstellung durch Skizzen, Zeichnungen, Bildanlagenkarten und/oder Videoaufzeichnungen.
    • Schlussfolgerungen aus dem Tatbefund: Diese sind mit Vorsicht zu ziehen und sollten sich mehr auf Fakten als auf Versionen stützen. Die Ergebnisse werden nach verschiedenen Gesichtspunkten analysiert (z.B. Informationen zum Tatgeschehen, zum Täter, einschließlich der Spurenlage und einzuleitender Ermittlungshandlungen). Sind die Schlussfolgerungen nicht eindeutig, so gilt es mehrere Versionen (Hypothesen) aufzustellen. Diese sollten sichtbar als Version gekennzeichnet sein.
  • Als formale Gliederung ist zu empfehlen:
    • allgemeine Angaben zum Einsatzgeschehen,
    • objektiver Tatbefund,
    • subjektiver Tatbefund,
    • Schlussfolgerungen,
    • abschließende Maßnahmen.

Ein Antrag auf kriminaltechnische Untersuchung wird dann gestellt, wenn bestimmte Spuren gutachterlich ausgewertet werden sollen. Inhalt des Untersuchungsantrages7 sind:

  • die Schilderung des Sachverhalts,
  • Bezeichnung des Tatortes/Fundortes (einschließlich Skizzen und Bilder/Fotos, Zeichnungen),
  • Tatzeit und Zeitpunkt der Sicherstellung des Objekts,
  • eindeutige und vollständige Bezeichnung der Untersuchungsobjekte,     
  • Klare Formulierung des Untersuchungszieles (einschließlich der Formulierung der konkreten Untersuchungsfragen),
  • Mitteilung aller möglichen Veränderungen, die auf das Untersuchungsobjekt eingewirkt haben könnten,
  • Mitteilung über Angaben des Tatverdächtigen über angebliche Entstehungsursache bzw. Herkunft der Spuren an Untersuchungsobjekten, die beim Verdächtigen sichergestellt wurden,
  • Mitteilung über Umstände, die eine ordnungsgemäße Sicherung und Verpackung verhinderten,
  • Mitteilung, ob Untersuchungsobjekte teilweise bzw. völlig zerstört werden dürfen,
  • Mitteilung, ob Gegenstände nach Abschluss der Untersuchung vernichtet werden können oder ob sie als Beweismittel weiterhin von Bedeutung sind,
  • Hinweis auf besondere Dringlichkeit (z.B. Verjährung),
  • Name der Dienststelle und des spurensichernden Beamten sowie deren Erreichbarkeit.

Methodisch wäre das Erstellen eines Untersuchungsantrages wie folgt zu gliedern:

  • Sachverhalt: Dieser sollte so kurz wie möglich und so detailliert wie nötig dargestellt werden.
  • Zeitpunkt und Umstände der Spurensicherung, Aufbewahrung, Verpackung: Von besonderer Bedeutung sind hier Veränderungen, die das Spurenmaterial beeinflusst haben können.
  • Asservate aus dem Besitz Tatverdächtiger: Diese sollten so beschrieben werden, dass sie Angaben über den Grad der Verbindung zu Tatorten, Leichenfundorten, Opfern, Wohngemeinschaften, Verwandtschaften, Bekanntschaften und Kontakten (Wohn- und Aufenthaltsorte) enthalten.
  • Auftrag: Dieser sollte nicht global formuliert werden, sondern die Fragen sind bezogen auf das Untersuchungsmaterial, die Umstände der Sicherung und den Zweck der Untersuchung in Abhängigkeit vom konkreten Sachverhalt zu stellen
  • Verhältnismäßigkeit: In Abhängigkeit von dem zu untersuchenden Ereignis, zu erwartenden Kosten- und Zeitaufwand und prognostizierten Ergebnis (Individualidentifizierung, Gruppenidentifizierung) ist der Auftrag zu stellen.

 

Anmerkungen

  1. Prof. Dr. Holger Roll lehrt im Fachbereich Polizei der FHöVPR des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Der vorliegende Beitrag baut auf den Fachaufsätzen „Grundlagen der kriminalistischen Tatortarbeit“ in der Ausgabe 4/2017, „Methodische Grundlagen der Tatortarbeit in der Ausgabe 1/2018 und „Die Tatortuntersuchung“ in der Ausgabe 2/2018 der „Kriminalpolizei“ auf und schließt diese zugleich ab.
  2. Vgl. (Leonhardt, Zur Feststellung von Wahrnehmbarkeitsbereichen im Rahmen der Zeugenermittlung, 1984).
  3. Vgl. (Leonhardt, Roll, & Schurich, Kriminalistische Tatortarbeit, 1995), S. 110.
  4. Vgl. (Leonhardt, Roll, & Schurich, Kriminalistische Tatortarbeit, 1995), S. 117.
  5. Vgl. (Roll, 2013), S. 118 ff.
  6. Vgl. (Ackermann, Clages, & Roll, Handbuch der Kriminalistik, 4. Auflage, 2011).
  7. Vgl. (Ackermann, Clages, & Roll, Handbuch der Kriminalistik, 4. Auflage, 2011), S. 136.

Quellen- und Literaturverzeichnis zu den Beiträgen von Prof. Dr. Holger Roll in der „Kriminalpolizei“ 4/2017 und 1-3/2018


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