Soldaten auf Schleuserjagd – Anmerkungen zu einem Irrweg deutscher Sicherheitspolitik

Von Bernd Walter, Präsident eines Grenzschutzpräsidiums a.D., Berlin

Der Paradigmenwechsel kam schleichend, aber unaufhaltsam. Wurde gestern noch von Vertretern der reinen Lehre das sogenannte und nirgendwo niedergelegte Trennungsgebot von Polizei und Militär wie eine Monstranz durch den ideologiegeschwängerten Pulverdampf des Grabenkampfes um eine Erweiterung der polizeilichen Befugnisse der Bundeswehr im Innern getragen, hat die normative Kraft des Faktischen bei Auslandseinsätzen des Militärs schon längst vollendete Tatsachen geschaffen. Das Prinzip wurde für Einsätze jenseits der deutschen Grenzen in Teilbereichen kurzerhand für nicht relevant erklärt.

Dies mag man begrüßen, wenn die Diplomaten im Tarndruck in failing oder failed states in Ermangelung besserer Alternativen die Rolle der fehlenden oder überforderten Polizei wahrnehmen. So im Kosovo oder in Afghanistan. Spätestens jedoch bei der Zuweisung von kriminalpolizeilichen Aufgaben an das Militär und überdies außerhalb von Krisenregionen stellt sich nicht nur die Frage nach der Glaubwürdigkeit der innerstaatlichen Trennungsdebatte, sondern auch nach der Sinnhaftigkeit des Unternehmens. Bereits bei der Bekämpfung der Seeräuberei am Horn von Afrika nahm die Bundeswehr strafverfolgende Maßnahmen vor, die eigentlich der Bundespolizei oblagen. Noch verwirrender ist jedoch – was Kosten und Erfolgsaussichten betrifft – der derzeitige Einsatz der Bundeswehr im Rahmen einer maritimen Militäroperation der EU im Mittelmeer, mit der die Menschenschmuggel- und Menschenhandelsnetze vor den südlichen Toren Europas unterbunden werden sollen. Kriminalstrategisch soll es sich wohl um den Versuch handeln, den Strom irregulärer Migranten zumindest in einem Teilbereich der Außengrenze der Schengen-Staaten zu begrenzen. Angesichts der über 900 deutschen Soldaten, die zu diesem Zwecke entsandt werden, und der stolzen Summe von über 40 Millionen € im laufenden Haushaltsjahr soll der Frage nachgegangen werden, warum die Lösung eines an sich kriminalpolitischen Phänomens ohne weitere Prüfung dem Militär im Rahmen eines robusten Mandats übertragen wurde, polizeiliche Expertise jedoch außen vor gelassen wurde.

Die Not ist groß


Die Migrationskrise, von manchen schon zur Existenzkrise der Europäischen Union erklärt, kam offensichtlich wie ein Naturereignis über die Verantwortlichen. Entsprechend waren die Reaktionen, die von erkennbarer Lähmung über hektischen Kommissionsaktionismus und Spielen auf Zeit bis hin zu den bekannten Beschwörungsritualen reichten, mit denen die Werte zu Markte getragen wurden, mit denen Europa einst zu neuen Ufern aufbrach. Im Mahlstrom der Ereignisse wurde die Suche nach einem probaten Mittel zur Unterbindung der irregulären Migrationsströme immer verzweifelter und gipfelte letztendlich in Absicht, das Militär und eine Flotte hochmoderner für den Seekrieg im 21. Jahrhundert vorgesehener Kriegsschiffe zur Schleuserjagd im zentralen Mittelmeer einzusetzen. Ein kühnes Unterfangen, gilt doch die Schleusungskriminalität als bedeutender Phänotyp der globalisierten grenzüberschreitenden Kriminalität, in den Schwierigkeiten der Täterermittlung und bei der Strukturaufdeckung allenfalls nur mit der Bekämpfung der Drogenkriminalität vergleichbar und daher selten von nachhaltigem Erfolg gekrönt. Das Unternehmen firmiert unter dem medienwirksamen Namen „Sophia“, benannt nach einem somalischen Mädchen, das an Bord einer deutschen Fregatte geboren wurde, nachdem die Mutter aus Seenot gerettet wurde. Dahinter verbirgt sich eine maritime Militäroperation der Europäischen Union im südlichen zentralen Mittelmeer unter der sperrigen Abkürzung EUNAVFOR MED für European Union Naval Force – Mediterranean.
Der Zwang zum Handel im Mittelraumraum war spätestens seit der Schiffskatastrophe vor Lampedusa Ende April 2015 offenkundig, bei der über 800 Menschen ums Leben kamen. Die Bekämpfung der ständig anwachsenden irregulären Migration auf dem Seeweg über das Mittelmeer stand fortan auf einem Premiumplatz der Migrationsagenda der EU, zumal die Internationale Organisation für Migration für 2015 rund 150.000 irreguläre Migranten registrierte, die den Weg über das zentrale Mittelmeer wählten. Seinen Stellenplatz als Route des Elends hat das zentrale Mittelmeer auch durch eine Teilverlagerung der Migrationsströme auf die Westbalkanroute nicht eingebüßt. Dabei stand die EU von vornherein beim Mittelmeerszenario vor dem Dilemma, den Spannungsbogen zwischen Seenotrettung und Unterbindung des Menschenschmuggels aufzulösen. Befeuert wurde die Diskussion durch das Auftauchen sogenannte Geisterschiffe, die mit Migranten vollgestopft und per Autopiloten den Meeresströmungen überlassen wurden. An sich wäre die Unterbindung der irregulären Migration auf dem Seeweg Aufgabe der europäischen Grenzschutzagentur Frontex gewesen, die aber offensichtlich auch aufgrund mangelnder Unterstützung durch die Mitgliedstaaten der EU mit dieser Aufgabe überfordert war, zumal Italien ebenfalls aufgrund ausbleibender EU-Hilfe seine diesbezüglichen Missionen eingestellt hatte. So wählte man einen ganz anderen Weg der Krisenreaktion. Am 18.5.2015 verständigte sich der Europäische Rat im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik mit Beschluss (GASP) 2015/778 auf eine robuste Militäroperation, die am 22.6.2015 eingeleitet wurde.

Polizeiaktion im militärischen Tarnkleid


Das für die Durchführung maßgebliche Krisenmanagementkonzept entwickelte die EU-Außenbeauftragte Mogherini auf Grundlage von Art. 42 Abs. 4 und 43 Abs. 3 des EU-Vertrages. Dieses konzipierte einen maritimen Einsatz mit dem Ziel „to disrupt human smuggling networks in the Southern Central Mediterranean“ – so der englische Originaltext. Das Geschäftsmodell der Schleusernetzwerke über See sollte aufgeklärt und soweit behindert und unterbunden werden, dass den kriminellen Hintermännern die Risiken so unkalkulierbar werden, dass sie zu einem Strategiewechsel gezwungen werden. Als Blaupause diente offensichtlich die Antipiratenoperation ATLANTA am Horn von Afrika. Warum diese Aktion nicht im Rahmen der näherliegenden polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen auf den Weg gebracht wurde, wurde nicht dargetan. Die Bunderegierung umschiffte mögliche Nachfragen durch eine unverfängliche Wortwahl und sprach im offiziellen Sprachgebrauch von einer Krisenbewältigungsoperation. Etwaigen Einwendungen, warum das Trennungsgebot übersteuert wurde, das eigentlich die Wahrnehmung polizeilicher Aufgaben durch die Bundeswehr außerhalb der eng umgrenzten Ausnahmen im Grundgesetz nicht zulässt, ist man bereits in der Vergangenheit mit der rabulistischen und nicht näher begründeten Rechtsauffassung entgegengetreten, dass dieser Vorbehalt nur innerstaatlich gelte. Das Operationsgebiet erstreckt sich nunmehr über das Meeresgebiet südlich Siziliens vor der Küste Libyens und Tunesien im mittleren und südlichen Mittelmeer und dem Luftraum außerhalb der Hoheitsgebiete der Anrainersaaten.
Der prätentiöse Auftrag umfasst nicht mehr und nicht weniger als die Unterbindung des Geschäftsmodells der Menschenschmuggel- und Menschenhandelsnetze im südlichen zentralen Mittelmeer und erstreckt sich über drei Phasen. In der zwischenzeitlich abgeschlossenen ersten Phase sollten neben Seenotrettung durch Patrouillen auf Hoher See Informationen zu „tactics and techniques“ der Migrationsnetzwerke gesammelt werden. Damit sollte neben der Lageverdichtung eine Lagefeststellung über Schleuseraktivitäten gewonnen werden.
Am 14.9.2015 erfolgte der Übergang zur zweiten zurzeit aktuellen Phase, in der aktiv gegen Schleuserboote vorgegangen wird. Als Maßnahmen werden Anhalten, Durchsuchung, Beschlagnahme und Umleiten nicht geflaggter Schiffe genannt. Maßnahmen gegen geflaggte Schiffe bedürfen zwar nach Art. 92 Abs. 1 Seerechtsübereinkommen der Zustimmung des jeweiligen Flaggenstaates. Allerdings hat der Sicherheitsrat durch Resolution 2240 (2015) v. 9.10.2015 die teilnehmenden Staaten für die Dauer eines Jahres von dieser Bestimmung dispensiert, wenn der Verdacht besteht, dass das Schiff zu Schleusungen benutzt wird. Voraussetzung für eine Resolution des Sicherheitsrates ist allerdings nach Art. 39 UN-Charta die Feststellung von Friedensbedrohung, Friedensbruchs oder Angriffshandlung, Faktoren, die bei der irregulären Migration und Schleusung im Mittelmeer aber offensichtlich nicht nicht gegeben sind.
In der dritten Phase sollen in den Hoheitsgewässern und an Land alle erforderlichen Maßnahmen bis hin zur Zerstörung und Unbrauchbarmachung der Tatmittel und zugehöriger Infrastruktur ergriffen werden. Dies setzt jedoch eine Resolution des UN-Sicherheitsrates nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen voraus, das Maßnahmen bei Bedrohungen oder Bruch des Friedens und bei Angriffshandlungen regelt, und erfordert überdies das Einvernehmen mit der hauptbetroffenen libyschen Regierung. Eine Resolution des Sicherheitsrates ist wegen der Haltung Russlands nicht zu erwarten, die etwaige Zustimmung des Küstenstaates ist im Falle Libyens wegen des Fehlens einer legitimierten Regierung nicht möglich.
Mit Datum vom 16.9.2015 erfolgte der Antrag der Bundesregierung zur Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-Mission, für die bis zu 950 Soldaten vorgesehen sind – mit einer der größten Auslandseinsätze der deutschen Streitkräfte überhaupt. Die Beteiligung Deutschlands erfolgte in der ersten Phase mit zwei Schiffen der Deutschen Marine aufgrund einer bilateralen Vereinbarung mit Italien, in der folgenden zur Zeit aktuellen zweiten Phase als Teil eines Systems gegenseitiges kollektiver Sicherheit nach Art. 24 Abs. 2 GG. Hierzu war nach §§ 1, 2 Abs. 1 Parlamentsbeteiligungsgesetz die Zustimmung des Bundestages erforderlich, da der bewaffnete Einsatz deutscher Streitkräfte im Ausland zu erwarten war. Unter dem Eindruck der sich zum Menetekel auswachsenden Flüchtlingskrise beschloss die Bundesregierung, ein Bundestagsmandat zur Ausweitung des Einsatzes zu erwirken, das durch das Auswärtige Amt und das Bundesverteidigungsministerium vorbereitet wurde1. Die Zustimmung des Parlaments erfolgte am 1.10.2015. Die Deutsche Marine beteiligt sich an dem Unternehmen zurzeit mit der Fregatte „Karlsruhe“ und dem Einsatzgruppenversorger „Frankfurt am Main“. Sie sind Teil einer maritimen Streitmacht, die aus 9 Kriegsschiffen und einem U-Boot besteht und durch den Einsatz von Satelliten, Aufklärungsdrohnen und Seeaufklärungsflugzeuge unterstützt wird. Insgesamt sind 22 Länder mit rund 1.300 Kräften beteiligt.

Die Rechtslage – der untaugliche Versuch, aus Soldaten Polizisten zu machen


Die Rechtslage ist – vorsichtig ausgedrückt – kapriziös. Nach Art. 7 des Missionsbeschlusses steht das Vorhaben ausdrücklich unter militärischer Leitung und wird von einem italienischen Admiral geleitet. Prima facie handelt es sich aber offensichtlich um keine kriegerische Auseinandersetzung, sondern um staatliches Vorgehen gegen strafbewehrtes Verhalten von Privatrechtssubjekten. Darauf deuten auch die im Beschluss beigezogenen Rechtsgrundlagen hin. Neben den völkerrechtlichen Seerechtsbestimmungen werden die Zusatzprotokolle gegen die Schleusung von Migranten auf dem Land-, See- und Luftweg von 2000 und zur Verhütung, Bekämpfung und Bestrafung des Menschenhandels, insbesondere des Frauen- und Kinderhandels sowie zum Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität genannt. Begünstigt wird diese militärisch-kriminalpolizeiliche Gemengelage durch einen bemerkenswerten Begriffswirrwarr, zumal die internationalen Vorschriften nicht kompatibel sind bzw. unterschiedlich übersetzt werden. So reicht die Terminologie im Missionsbeschluss von Schlepper und Schleuser über Menschenhandel und Menschschmuggel bis zur Migrantenschleusung. Bemerkenswert auch, dass auf die „Strategie der Europäischen Union für die maritime Sicherheit“2 überhaupt nicht Bezug genommen wird, obwohl diese das Zusammenwirken von zivilen und militärischen Akteuren u.a. zur Strafverfolgung und Grenzkontrolle mit dem Ziele eines wirksamen Grenzmanagements in Bezug auf die Seeaußengrenzen der Union fordert.
Im Rahmen der Mission werden persönliche Daten erhoben und erkennungsdienstliche Maßnahmen durchgeführt sowie Vereinbarungen mit Frontex, Europol, Eurojust, dem Europäischen Unterstützungsbüro für Asylfragen und den einschlägigen Missionen der Gemeinsamen Verteidigungs- und Sicherheitspolitik abgeschlossen. Bezüglich der Kompetenzen der Einsatzkräfte wird pauschal auf die Bestimmungen des allgemeinen Völkerrechtes verwiesen, aus denen sich jedoch beim besten Willen keine einschlägigen Eingriffs- und Zwangsanwendungsbefugnisse herauslesen lassen. Immerhin war zu erfahren, dass die Regeln des Bundesdatenschutzgesetzes analog anzuwenden sind und die Betroffenen datenerhebenden Stelle ein Auskunftsersuchen einreichen können.3
Unter dem Aspekt der immer als vorrangig apostrophierten Bekämpfung der Schleusungskriminalität und Aufdeckung der Migrationsnetzwerke stellt sich die Frage nach der Expertise und Professionalität der Einsatzkräfte. Mit nicht gelindem Erstaunen nimmt man zur Kenntnis, dass die Befragung der aus Seenot Geretteten in der ersten Phase auf freiwilliger Basis durch „vier deutsche Soldaten der Feldnachrichtentruppe“ erfolgte, wobei weitere deutsche Soldaten bei Bedarf hätten unterstützen können.4 Forensische Maßnahmen wie z.B. das Auslesen der Mobiltelefone wurden nicht getroffen. Dem Verfasser wurde auf Anfrage nach den Qualifikationen des Ermittlungspersonals vom Bundesverteidigungsministerium mitgeteilt, dass die eingesetzten Soldaten „durch Lehrgänge intensiv auf derartige Aufgaben vorbereitet werden und für den Einsatz an Bord spezifische Ausbildungsinhalte erhalten.“ Zusätzlich hat der Bundesnachrichtendienst ein Unterstützungselement Militärisches Nachrichtenwesen bereitgestellt.
Spätestens hier stellt sich die Frage, wie durch den Einsatz deutscher Militärschiffe, für die Kriegsführung im 21. Jahrhundert konzipiert, und mit Militärpersonal ohne die spezielle kriminalpolizeiliche Expertise für Schleuserkriminalität eigentlich verlässliche Informationen über das weitgehend unaufgeklärte Migrationsnetzwerk gewonnen werden können, zumal deren Struktur allenfalls im afrikanischen Hinterland, aber nicht auf Hoher See aufgeklärt werden kann. Schleusungskriminalität ist ein prototypischer Fall der globalen organisierten Kriminalität mit vielen Hierarchiestufen bis in die Regierungsebene der Herkunfts- und Transitländer hinein und erfordert wegen ihrer Vielschichtigkeit tiefgehende Strukturermittlungen, insbesondere bei den Geldströmen, durch hochspezialisierte Ermittlungsgruppen. Nicht nur der Fachmann fragt sich nachdenklich, warum die Befragungen nicht durch die Spezialisten der Bundes- oder Landespolizei oder des Bundeskriminalamtes mit ihrem reichen Erfahrungsfundus durchgeführt werden und was dazu geführt hat, dass die Bundeswehr jetzt nicht nur allgemeinpolizeiliche, sondern darüber hinaus die qualitativ anspruchsvollen kriminalpolizeilichen Aufgabenfelder wahrnimmt, für die sie nicht ausgebildet ist. Allein sinnvoll wäre ein Joint Venture zwischen Bundeswehr, die in diesem Fall allein über die erforderliche Logistik verfügt, und den spezialisierten Ermittlungsgruppen der Polizeien gewesen, das allein eine sinnvolle Aufklärung und Strafverfolgung ermöglicht hätte. So konstatieren wir folgendes bizarre Ergebnis: Polizeiliche Aufgaben darf die Bundeswehr im Ausland wahrnehmen, das Zusammenwirken mit deutschen Polizeiorganen bleibt ihr versagt. Unter diesen Vorzeichen degeneriert die nimmermüde flächendeckende Politformel nach mehr Vernetzung als Allheilmittel gegen Schnittstellenprobleme – siehe die Untersuchungsberichte zum NSU – zur ideologischen Leerformel. Offensichtlich hat die deutsche Sicherheitspolitik ihre Lektionen immer noch nicht gelernt. Bereits die Befreiung der Geisel des von somalischen Piraten gekaperten deutschen Frachters „Hansa Stavanger“ musste trotz Einstandskosten in Millionenhöhe ergebnislos abgebrochen werden, weil sich Auswärtiges Amt, Bundesverteidigungsministerium und Bundesinnenministerium wegen Ressorteitelkeiten und Rechtsbedenken nicht auf eine adäquate Lösung einigen konnten. Diese für polizeilich-militärische Gemengelagen typische Philosophie des Non-Decision gebiert immer aufs Neue kriminalpolitische Fehlentscheidungen, weil man sich aus politischem Opportunismus vor einer Entscheidung drückt, die nur darin bestehen kann, dass die Einzelfall erforderliche gemeinsame Einsatzbewältigung von Militär und Polizei auf eine zukunftsfähige Rechtsgrundlage gestellt werden muss. Mit Non-Decision bezeichnet der Historiker Paul Nolte eine Vermeidungsstrategie, bei der Entscheidungen so geführt werden, dass die mit hoher Wahrscheinlichkeit auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden.

Der Berg kreißte…


Die Bundeswehr konnte Ende Januar 2015 als humanitären Erfolg die Rettung von mehr als 10.000 Personen aus tatsächlicher oder provozierter Seenot vermelden. Was den eigentlichen Zweck der Mission betrifft, bewertet man die Tatsache, dass die Schleuser nicht mehr die libyschen Hoheitsgewässer verlassen und bis Ende Januar 2016 auf Hinweise aus dem maritimen Verband 46 Schleuserverdächtige durch die italienischen Behörden festgesetzt wurden, als Erfolg. Offiziell wird die eher dürftige Ausbeute bei der Schleuserbekämpfung damit begründet, dass man noch am Beginn der Aufklärungsmaßnahmen stehe. Nach Aussagen des Befehlshabers der Operation sei der erkennbare Rückgang der Flüchtlingszahlen auch darauf zurückzuführen, dass der Marineeinsatz abschreckende Wirkung entfalte. Eine derartige Aussage muss nicht von jedem geteilt werden, denn nach Ansicht von Fachleuten wird die völkerrechtliche Verpflichtung der Einsatzkräfte, in Seenot befindliche Personen aufzunehmen, eher noch als Pull-Faktor wirken. Bereits die Vergangenheit hat bewiesen, dass die verstärkten Seenotrettungseinsätze den Strom der Migrationswilligen noch haben anschwellen lassen, wächst doch die Hoffnung, von einem Schiff aufgenommen werden.
Die Politik sparte nicht mit starken Worten. Verteidigungsministerin von der Leyen interpretierte die Ankündigung der Schleuserjagd als Verhinderung einer „humanitären Katastrophe“ und Außenminister Steinmeier appellierte an Europa, das Mittelmeer nicht zum „Massengrab für Flüchtlinge“ werden zu lassen. Gleichwohl teilten nicht alle Abgeordneten die aufkommende Euphorie. Insbesondere der Grünen-Abgeordnete Trittin äußerte von Anbeginn Zweifel an der Sinnhaftigkeit des Unternehmens, zumal er bei einer Anfrage in Erfahrung brachte, dass in der ersten Phase nur ein Schleuser identifiziert werden konnte. Das parlamentarische Verfahren zur Zustimmung zum Einsatz lässt im Übrigen den Verdacht aufkommen, dass nicht unbedingt jeder Parlamentarier überhaupt wusste, worüber er eigentlich abstimmte. Aus einer Anfrage des ARD-Magazins Monitor und einem Antwortschreiben des Bundesverteidigungsministeriums zum Operationsplan EUNAVFOR MED ergibt sich, dass das BMVg zunächst „keine Übermittlungspflicht“ dieser wichtigen Entscheidungsgrundlage an den Deutschen Bundestag sah und dann das Dokument nach dem üblichen Verfahren hinterlegte. Einsichtsrecht hatten nur die Abgeordneten des Auswärtigen Ausschuss und des Verteidigungsausschusses. Das rund 700 Seiten umfassende Dokument war in Englisch gehalten, jedem der zugelassenen Abgeordneten standen 30 Minuten zur Einsichtnahme zur Verfügung. Die Einsatzregelungen (Rules of Engagement) wurden wohl gar nicht bekanntgegeben. Die Opposition reagiert besonders harsch und monierte eine Missachtung des Parlaments. Die Fraktion DIE LINKE reichte gar einen Entschließungsantrag ein, nach dem jede militärische Operation zur Schleuserbekämpfung durch die Bundeswehr im Mittelmeer unverzüglich einzustellen und schnellstmöglich eine europäische Seenotrettung zu initiieren ist. Nicht von der Hand zu weisen war ihr Einwand, dass der Einsatz der rechtstaatlichen Trennung von Militär und Polizei widerspricht. „Das Grundgesetz sieht eine Strafverfolgung durch das Militär nicht vor.“5 Dies kann man auch anders bewerten, aber die derzeitige Rechtslage gibt nichts anderes her.
Es blieb dem Militärausschuss der Europäischen Union, der aus den Generalstabschefs der Mitgliedsländer besteht und der sowohl die Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik als auch das Politische und Sicherheitspolitische Komitee berät, vorbehalten, auf die wesentliche Voraussetzung eines Erfolges des Unternehmens hinzuweisen: Eine fundierte Intelligencearbeit, die belastbare Aufklärungsergebnisse über Geschäfts- und Finanzierungsmodelle, Schmuggelrouten, Verladehäfen, Hinterlandstrukturen und Schmuggelrouten generiert. Dies kann aber wohl im derzeitigen Einsatzdesign gar nicht geleistet werden. Dies zeigt auch ein Vergleich mit dem Auftrag des Joint Operation Team (JOT) MARE. Dieses europäische Projekt steht unter der Leitung von Europol und vereinigt ein Team nationaler Experten der Mitgliedstaaten im Rahmen des EU Policy Cycle-Empact, einer Kooperationsplattform, die sich mit der Bedrohung durch die internationale schwere und organisierte Kriminalität beschäftigt. Ein Schwerpunkt ist die Erkenntnissammlung in Bezug auf kriminelle Organisationen, die für die Verbringung von Migranten auf dem Seeweg in die EU und die anschließende illegale Binnenmigration verantwortlich sind. Die enge Zusammenarbeit mit Frontex und Interpol ist Teil der Strategie.
Der häufig zu hörende Vergleich mit der Anti-Piraterie-Operation Atalanta am Horn von Afrika geht fehl, da es sich dort um ein gezieltes Vorgehen gegen identifizierte Seeräuber und um von einem UN-Mandat gedeckte Maßnahmen gegen Logistikeinrichtungen an Land unter Ausschluss des Einsatzes von Bodentruppen handelte. Im Mittelmeer hingegen handelt es sich um überladene Flüchtlingsboote und marode Seelenverkäufer, deren Abfahrt man allenfalls, wie vom italienischen Außenmister Gentiloni vorgeschlagen, durch eine Seeblockade verhindern könnte. Im Übrigen verbleiben die Hintermänner und Drahtzieher ohnehin an Land und damit im Dunkeln. In den Booten können allenfalls die Handlanger der untersten Ebene dingfest genommen werden, bei denen eine Klassifizierung als Schleuser schwerfällt.
Die Gründe für ein voraussichtliches Fehlschlagen des Unternehmens sind eher banal. In den aufgebrachten Booten befinden sich keine Schleuser, allenfalls kurz angelernte Mitfahrende, die gegen eine geringe Reduktion der Schleusungsgebühr die Steuerung des Bootes übernehmen. Die Zerstörung der Boote täuscht eine Austrocknung des Sumpfes vor. Tatsächlich handelt es sich aber bei den Transportmitteln um Verbrauchmaterial, das in vielen kleinen Werkstätten an der nordafrikanischen Küste in großer Zahl produziert wird. Zum Teil versenken die Migranten im Einzugsbereich eines hochseegehenden Schiffes ohnehin von sich aus die Boote, um die nach dem internationalen Seerecht vorgeschriebene Seenotrettung zu provozieren. Die Schleusungsorganisationen im Hintergrund sind noch nicht einmal gezwungen, ihre Verbringungsrouten zu ändern, garantiert doch das Seerecht ohnehin, dass die Besatzungen der aufgebrachten Boote bzw. Schiffe in Sicherheit gebracht werden. Dies führt dazu, dass die Schleuser keinen Wert auf hochseetüchtige Boote legen und diese lediglich mit einem Treibstoffvorrat ausstatten, der für das Verlassen der libyschen Hoheitsgewässer oder zum Erreichen der der Hauptschifffahrtlinien reicht. Dort werden die Boote, um die Seenotrettung zu provozieren, zum Teil von eigener Hand seeuntüchtig gemacht. Einmal an Bord der Kriegsschiffe befinden sie sich im Zuständigkeitsbereich der EU; eine Verbringung in das Ausgangsland ist wegen des Refoulementverbotes nicht zu lässig. Das Prinzip des non-refoulement ist ein völkerrechtlich geregelte Ausweisung- und Zurückweisungsverbot und ergibt sich aus Art. 33 der Genfer Flüchtlingsverbot in den Fällen, in denen einem Flüchtling im Land der Rückführung die in der Konvention genannten Nachteile erwachsen.

Fazit: Symbolpolitik und Drohgebärde statt echter Problemlösung


Alles in allem muss befürchtet werden, dass die vorgesehene Operation eher symbolischen Charakter hat und über kurz oder lang zur bloßen Drohgebärde verkommt, deren geringer sicherheitspolitischer Mehrwert die Schleuserorganisationen in ihrem Tun noch bestärken wird, zumal bereits 2013 eine Militäroperation diskutiert und verworfen wurde. Für diese Erkenntnisse wären die zurzeit angesetzten Kosten von über 40 Millionen Euro ein hoher Preis. Sollte das Unternehmen angesichts der von den Nachrichtendiensten vorausgesagten Hundertausenden von Fluchtwilligen in Nordafrika überhaupt noch einen kriminalpolitischen Mehrwert generieren, sollten baldmöglichst deutsche Ermittlungsspezialisten eingeschifft werden. Der einzige Preis der dafür gezahlt werden muss, ist die Aufgabe der unsinnigen Trennung der Arbeit von Polizei und Streitkräfte. Allerdings zeigt die aktuelle Entwicklung, dass das Einsehen von evidenten Fehlern nicht zu den Stärken der relevanten Entscheidungsträger steht. Im Gegenteil: Man hat die Bekämpfung der irregulären Migration zusätzlich militarisiert. Die katastrophale Situation im Seeraum zwischen der Türkei und Griechenland hat letztlich zu einem mit überraschender Schnelligkeit gefällten Beschluss geführt, die Nato zur Seeraumüberwachung in der Ägäis einzusetzen. Ein Marineverband der Nato unter deutscher Führung, ohnehin als „Standing Nato Maritime Group 2“ im Mittelmeer stationiert, soll nun als Notnagel als Ersatz für bisher fehlende Überwachungskapazitäten unter dem Rubrum „Schlepperbekämpfung“ den relevanten Seeraum zwischen der Türkei und Griechenland überwachen und seine Erkenntnisse den türkischen und griechischen Sicherheitsorganisationen und der Grenzschutzagentur Frontex übermitteln. Die zwischenzeitlich bekannten gewordenen Operationsziele lauten Aufklärung, Überwachung und Beobachtung. Letztlich dient auch dieser kostenintensive Einsatz letztendlich nur der Verbesserung der Kommunikation zwischen den zerstrittenen Nato-Partnern Griechenland und Türkei, die sich bisher nicht auf ein gemeinsames Einsatzkonzept in der Ägäis einigen konnten. Ein direktes Eingreifen ist nicht vorgesehen. Man darf gespannt sein, wie lange die Schleuserorganisationen benötigen, um sich auf die verändert Lage einzustellen. Dass es auch anders geht, beweist die Entscheidung der Bundesregierung, zwei Patrouillenboote der Bundespolizei See zur Verstärkung von Frontex in das östliche Mittelmeer zu entsenden. Immerhin ein Versuch, die Schleusungsbekämpfung im Mittelmeer mit einem polizeilichen Feigenblatt zu versehen

Anmerkungen

  1. BT-Drs. 18/6013 .
  2. At der Europäischen Union 11205/14 v. 24. Juni 2014.
  3. BT-Drs. 18/6544, S. 11.
  4. Antwort der Bundesregierung auf BT-Drs. 18/5543, Frage 29.
  5. Vgl. Plenarprotokoll 18/127 S. 12334 ff.