Editorial

Liebe Leserinnen, lieber Leser,


in Fällen von Vergewaltigungen und sexueller Nötigung finden sich die Täter zumeist im sozialen Nahbereich des Opfers. Nicht selten sind diese Abhängigkeits- und Machtverhältnissen innerhalb familiärer oder partnerschaftlicher Strukturen ausgeliefert. Die Nötigung zu sexuellen Handlungen ist für die Opfer besonders erniedrigend, gravierende psychische Folgen eine weitere Begleiterscheinung. Die Erfahrungen aus der Praxis vergegenwärtigen immer wieder ein Themengebiet, das innerhalb der kriminologischen Forschungen viele Jahre weitgehend vernachlässigt wurde: Die Vortäuschung von Sexualdelikten. Über diese einleitende Feststellung der Autorinnen Dr. M.A. Bettina Goetze LL.M. Crim. und Dr. Katja Jachau, Fachärztin für Rechtsmedizin aus Magdeburg vertiefen sie die Thematik „Vortäuschung von Sexualdelikten“. Die Spezifik von Sexualdelikten ist, dass sich die überwiegenden Taten ausschließlich zwischen beschuldigter Person und Opfer ereignen. Dann kann grundsätzlich der Rückgriff auf Aussageanalysen und Glaubhaftigkeitsgutachten Licht ins Dunkel bringen, stellen die Autorinnen fest. Die Wahl der richtigen Vernehmungstaktik ist entscheidend für den weiteren Verlauf der Ermittlungen. Daneben sind die (realen) Opfer häufig traumatisiert, so dass die Wahrnehmung und korrekte Wiedergabe der Ereignisse beeinträchtigt sein kann. Insbesondere bei Kindern und Jugendlichen ist möglicherweise der Reifegrad der Persönlichkeit noch nicht im erforderlichen Maße ausgeprägt. Nach Auffassung der Autorinnen ist es zur Minimierung einer möglichen sekundären Viktimisierung notwendig, dass zum Zeitpunkt der fachgynäkologischen Untersuchung möglichst auch der Rechtsmediziner anwesend ist. Eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Männern sitzen aufgrund von Falschaussagen von Frauen im Gefängnis. Die Motivationen hierfür können sehr komplex sein, häufig erfolgen sie im Kontext von Trennungen, Sorgerechtsstreitigkeiten oder Racheakten. Ermittlungsbehörden, Gerichte und GutachterInnen tendieren häufig dazu, den Aussagen der Frau „unter Tränen“ mehr Glauben zu schenken, als den tatsächlich unschuldigen Männern. Dies verdeutlicht die Notwendigkeit einer verstärkten interdisziplinäre Zusammenarbeit in jenen Fallkonstellationen, die den Verdacht auf Vortäuschung eines Sexualdelikts erhärten. Vor diesem Hintergrund können und müssen die Fachrichtungen der Rechtsmedizin, Psychologie, Soziologie und Kriminologie zusammenwirken und anhand wissenschaftlicher Methoden eine Fragestellung hinreichend zu klären versuchen, stellen die Autorinnen abschließend fest.
Seit Jahren berichten die Medien fast täglich von humanitären Katastrophen in der Mittelmeerregion, bei denen hunderte von Flüchtlingen auf dem Weg von Afrika nach Europa ihr Leben lassen. Die Motive der Flüchtlinge sind vielfältig und reichen von der Flucht vor Armut, Perspektivlosigkeit bis zu kriegsbedingter Todesangst. Auch kriminelle Schleuserorganisationen täuschen die Opfer nicht selten über Perspektiven und Gefahren – sie erschleichen die letzte Habe. Die Entwicklung beherrscht zunehmend die politische Diskussion und die öffentliche Meinung, insbesondere verbunden mit der Frage nach raschen und wirksamen Reaktion bzw. Rettungsmaßnahmen. Auch die nationalen und supranationalen Sicherheitsbehörden stehen vor einer zunehmenden Herausforderung. Dabei stehen Organisation, Vorgehensweise und Ausstattung auf dem Prüfstand. Bernd Walter, Präsident a.D. eines Grenzschutzpräsidiums, setzt sich vor diesem aktuellen Hintergrund mit der Thematik „Die Europäische Grenzschutzagentur Frontex – Wallmeister der Festung Europas oder Garant für die Sicherheit der Außengrenzen?“ auseinander. Nach seiner Auffassung wurde offensichtlich lange Zeit die irreguläre Migration und ihre sicherheitspolitischen Implikationen im Gegensatz zu den Warnungen von Fachleuten nicht als Weltordnungsproblem Nummer Eins erkannt oder einfach ignoriert. In seinem Beitrag stellt er fest, dass im Fokus einer aufbrandenden Diskussion um Migrationsdruck, Bekämpfung verbrecherischer Schlepperbanden und Erarbeitung einer neuen Flüchtlingsstrategie die europäische Grenzschutzagentur Frontex steht. Frontex wurde mit der Operation „Triton“ vor den Küsten Italiens eine Funktionen zugeschanzt, die sie nicht leisten kann, findet Walter. Angesichts der aktuellen Tragödien ist eine rasche und ernsthafte Auseinandersetzung mit dem erkannten Handlungsbedarf auf allen Ebenen zwingend.

Herbert Klein