Strafrechtliche Rechtsprechungsübersicht

§§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB – Gefährliche Körperverletzung; hier: Mittäterschaft bei gefährlicher Körperverletzung trotz Abwesenheit. § 249 StGB – Raub; hier: Finale Verknüpfung der Wegnahme mit einer zunächst mit anderer Zielrichtung vorgenommen Gewaltanwendung. § 250 Abs. 1 Nr. 1 (Gedanke aus: § 224 Abs. 1 Nr. 2) StGB – Gefährliches Werkzeug bei räuberischer Erpressung; hier: Industriemüll-Häcksler. (...)

Von Dirk Weingarten, Polizeihauptkommissar & Ass. jur., Polizeiakademie Hessen

Wir bieten Ihnen einen Überblick über strafrechtliche Entscheidungen, welche überwiegend – jedoch nicht ausschließlich – für die kriminalpolizeiliche Arbeit von Bedeutung sind. Im Anschluss an eine Kurzdarstellung ist das Aktenzeichen zitiert, so dass eine Recherche beispielsweise über Juris möglich ist.

I. Materielles Strafrecht

§§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB – Gefährliche Körperverletzung; hier: Mittäterschaft bei gefährlicher Körperverletzung trotz Abwesenheit. Der Angeklagte (A.) verließ mit dem Geschädigten V. dessen Zimmer, um Bewohner des Wohnheimes zu befragen, ob sie V. Geld leihen würden. Der Geschädigte G. blieb mit Mitangeklagten im Zimmer zurück. Diese wollten verhindern, dass G. flüchtete und die Polizei benachrichtigte, gegebenenfalls mit Gewalt und körperlichen Angriffen gegen G. Der A. war damit einverstanden. Nachdem A. und V. das Zimmer verlassen hatten, versuchte G. aus diesem zu fliehen, woraufhin ihn die drei verbliebenen Mitangeklagten zurückhielten und ihm Schläge versetzten. Das LG begründet den Schuldspruch gegen den A. insoweit damit, dass diesem die Körperverletzungshandlungen der Tatgenossen zuzurechnen seien, weil er „das Tun der Übrigen geduldet, gebilligt und so an den Körperverletzungen als Mittäter teilgenommen“ habe. Der BGH hob das Urteil auf.
Der gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB macht sich schuldig, wer die Körperverletzung mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich begeht. Danach haben zwar die Mitangeklagten eine gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung begangen, indem jeder von ihnen dem G. Schläge versetzte, als dieser versuchte, aus dem Zimmer zu fliehen. Hingegen hatte der A. dieses Zimmer schon zuvor mit dem V. verlassen, um diesen beim „Geldsammeln“ zu bewachen. Er war somit zum Zeitpunkt der Gewaltanwendungen nicht am Tatort anwesend und kehrte erst nach deren Abschluss wieder dahin zurück. Ob ein Abwesender Tatbeteiligter der gemeinschaftlichen gefährlichen Körperverletzung anderer ist, richtet sich nach den allgemeinen Regeln der Mittäterschaft, der Anstiftung oder Beihilfe. Seine Mittäterschaft setzt somit zumindest voraus, dass er und seine Tatgenossen die Tat als gemeinschaftliche wollen.
Im Übrigen wurde auch die Verurteilung des A. wegen Raubes vom BGH aufgehoben, da dieser (nur) die Wirkung der von seinen Komplizen ohne Wegnahmeabsicht gegen den Geschädigten ausgeübten Gewalt (hier: um von dem Geschädigten Geld oder illegale Drogen zu erpressen) ausnutzte, um diesem Gegenstände (hier: kleiner DVD-Player und DVBT-Receiver) wegzunehmen. Dieser Umstand genügt (allein) nicht für die Annahme eines Raubes gemäß § 249 Abs. 1 StGB, denn es fehlt an der erforderlichen finalen Verknüpfung zwischen einer Nötigungshandlung und der Wegnahme. (BGH, Beschl. v. 10.05.2012 – 3 StR 68/12)

§ 249 StGB – Raub; hier: Finale Verknüpfung der Wegnahme mit einer zunächst mit anderer Zielrichtung vorgenommen Gewaltanwendung. Am Morgen des 21. Mai 2011 gegen 4.30 Uhr kam dem Angeklagten (A.) auf einem Spaziergang in Richtung des Hauptbahnhofs in Essen auf einer einsamen Fußgängerbrücke die Nebenklägerin (N.) entgegen, die sich nach einem Treffen mit Freundinnen auf dem Nachhauseweg befand. Der A. hatte die Stunden zuvor mit einem Freund verbracht, mit diesem über Beziehungsschwierigkeiten mit seiner langjährigen Freundin gesprochen und sowohl Alkohol als auch Kokain konsumiert, um seine Niedergeschlagenheit zu überwinden. Zum Tatzeitpunkt war er deswegen in seiner Steuerungsfähigkeit nicht ausschließbar erheblich vermindert. Als die N. auf seine Aufforderung stehen zu bleiben nicht reagierte, folgte er ihr, so dass sie Angst bekam. Sie teilte deshalb über ihr Mobiltelefon ihrer Freundin (H.), ihren Standort mit und berichtete ihr, sie fühle sich verfolgt. A. wurde nun aggressiver, verlangte von N. sexuelle Handlungen und drückte sie so heftig gegen das Geländer der Brücke, dass sie befürchtete hinunterzufallen. N. hielt sich ihrerseits an einer Stahlleiter fest, um der Aufforderung des A., mit ihm in ein Gebüsch zu gehen, nicht folgen zu müssen, redete aber zugleich beruhigend auf ihn ein, um ihn dazu zu bringen, von ihr abzulassen. Der A., der das fehlende Einverständnis der sich weiterhin heftig wehrenden N. mit etwaigen sexuellen Handlungen erkannte, würgte sie bis zur Atemnot, versuchte sie zu küssen und schlug ihren Kopf mehrfach gegen die Stahlleiter. Währenddessen versuchte N. ihre Freundin anzurufen. Trotz ihrer Gegenwehr gelang es A., seine Hand in die Hose der N. zu stecken und seinen Finger in ihren Anus einzuführen, wobei er sie aufforderte, ihn oral zu befriedigen, anderenfalls werde er ein – tatsächlich nicht vorhandenes – Messer einsetzen. Nachdem A. kurz darauf bemerkt hatte, dass sich die Zeugin H. mit zwei weiteren Personen dem Tatort näherte und den Namen der N. rief, ließ A. von ihr ab. Dabei nahm er ihr Mobiltelefon an sich, was die N. unter dem Eindruck der vorangegangenen Gewaltanwendung zuließ. Er hatte die Absicht, das Telefon für sich zu behalten. Noch vor dem Eintreffen der Polizei rief eine der beiden Freundinnen der N. den A. auf deren Mobiltelefon an und forderte ihn auf, dieses zurückzugeben. Sie erhielt sinngemäß die Antwort, die N. solle ihn erst einmal befriedigen, woraufhin die Verbindung abbrach. Das LG hat den A. wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Raub und vorsätzlicher Körperverletzung verurteilt.
Der BGH führte unter anderem zum Raub aus: Wird die Nötigung zunächst mit einer anderen Zielrichtung vorgenommen (hier: Vergewaltigung) und nutzt der Täter sie erst im Anschluss zu einer Wegnahme aus, ist der Tatbestand des Raubes erfüllt, wenn die Gewalt zum Zeitpunkt der Wegnahme noch andauert oder als aktuelle Drohung erneuter Gewaltanwendung auf das Opfer einwirkt und der Täter diesen Umstand bewusst dazu ausnutzt, dem Opfer, das sich dagegen nicht mehr zu wehren wagt, die Beute wegzunehmen. (BGH, Urt. v. 25.10.2012 – 4 StR 174/12)

§ 250 Abs. 1 Nr. 1 (Gedanke aus: § 224 Abs. 1 Nr. 2) StGB – Gefährliches Werkzeug bei räuberischer Erpressung; hier: Industriemüll-Häcksler. Der Angeklagte (A.) samt Mittäter sowie der Geschädigte (G.) trafen auf dem Gelände eines Industrieunternehmens in Eisenhüttenstadt zusammen. Sie gingen zu einem „Industriemüll-Häcksler“ („größeres Gerät, zum Schreddern von Industriemüll“). A. forderte vom G. die Herausgabe von 400 €, andernfalls er „in dem Häcksler landen werde“. Das Tatopfer fürchtete um sein Leben und übergab das Geld.
Gefährliche Werkzeuge sind nur solche (bewegliche) Gegenstände, die durch menschliche Einwirkung irgendwie gegen einen menschlichen Körper in Bewegung gesetzt werden können. An diesen Voraussetzungen fehlt es bei einem Gerät zum Schreddern von Industriemüll, das groß genug ist, um einen Menschen aufnehmen zu können, und das seine Gefährlichkeit nicht aus einer Bewegung gegen den Menschen oder eines Menschen gegen das Gerät, sondern aus einem Verarbeitungsvorgang gewinnt. (BGH, Beschl. v. 12.12.2012 – 5 StR 574/12)

II. Prozessuales Strafrecht


Art. 13 Abs. 1 GG, §§ 102, 105 Abs. 1 StPO – Wohnungsdurchsuchung – Verdacht des unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln; hier: Abstand von 18 Monaten zwischen Durchsuchung und Ende des Tatzeitraums nicht hinreichend begründet; mangelnde Erfolgsaussichten; fehlende Darlegungen zur Auffindewahrscheinlichkeit. Mit angegriffenem Beschluss vom September 2012 ordnete das Gericht die Durchsuchung der Beschwerdeführerin (B.), ihrer Wohnung mit Nebenräumen und deren Fahrzeuge wegen des Verdachts des Erwerbs von Betäubungsmitteln im Zeitraum vom 01. Januar 2010 bis zum 28. Februar 2011 an. Zweck sei insbesondere das Auffinden von Betäubungsmitteln, -utensilien, Aufzeichnungen über -geschäfte und von Mobilfunktelefonen mit entsprechenden Daten. Der Beschluss wurde am 23. Oktober 2012 vollstreckt. In der Wohnung der B. wurden Betäubungsmittel sowie -utensilien aufgefunden und sichergestellt.
Notwendiger und grundsätzlich hinreichender Eingriffsanlass für Zwangsmaßnahmen im Strafverfahren ist der Verdacht einer Straftat. Dieser Anfangsverdacht muss eine Tatsachengrundlage haben, aus der sich die Möglichkeit der Tatbegehung durch den Beschuldigten ergibt. Vage Anhaltspunkte oder bloße Vermutungen genügen nicht. Andererseits muss sich aus den Umständen, die den Anfangsverdacht begründen, eine genaue Tatkonkretisierung nicht ergeben. Der Eingriffsschwere entspricht ein besonderes Rechtfertigungsbedürfnis nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Hierbei ist unter anderem auch der Grad des auf die verfahrenserheblichen Informationen bezogenen Auffindeverdachts zu bewerten; die Vagheit des Auffindeverdachts kann im Einzelfall der Durchsuchung entgegenstehen. Dem aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz folgenden verfassungsrechtlichen Gebot hinreichender Erfolgsaussicht einer Durchsuchung ist genügt, wenn aufgrund kriminalistischer Erfahrung eine Vermutung dafür besteht, dass die gesuchten Beweismittel aufgefunden werden können. Die gebotene Erfolgsaussicht der angeordneten Durchsuchung wäre daher nur gegeben, wenn nach kriminalistischer Erfahrung eine Vermutung dafür bestand, dass auch 18 Monate nach dem spätest möglichen Tatzeitpunkt Beweisgegenstände zum Nachweis des unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln durch die B. aufgefunden werden können. Dies ist weder dargetan, noch in sonstiger Weise ersichtlich.
Im Übrigen kann im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität der Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses auch dann noch in Betracht kommen, wenn seit Bekanntwerden der den Anfangsverdacht begründeten Tatsachen ein längerer, wenngleich noch überschaubarer Zeitraum – etwa neun Monate – vergangen ist. (BVerfG, Beschl. v. 29.10.2013 – 2 BvR 389/13)

§§ 102, 105 Abs. 1, 100a StPO – Voraussetzungen einer Durchsuchungsanordnung; hier: Anfangsverdacht aufgrund der Ergebnisse einer Telekommunikationsüberwachung reicht nicht. Durch Beschluss vom 22. Mai 2012 hat das AG Freiburg die Durchsuchung der Betroffenen, deren Wohnung mit Nebenräumen und des Fahrzeugs angeordnet. Begründet wurde dieser Beschluss damit, dass aufgrund der bisherigen Ermittlungen, insbesondere der durchgeführten Kommunikationsüberwachung eines getrennt verfolgten weiteren Täters und weiterer verdeckter Maßnahmen der Verdacht bestehe, die Beschuldigte habe mehrfach Kleidungsstücke an den gesondert verfolgten weiteren Täter verkauft, von denen beide gewusst hätten, dass es sich um Diebesgut handelte. Diese Durchsuchung wurde am 30. Mai 2012 durchgeführt.
Für die Anordnung einer Durchsuchung ist das Vorliegen eines Anfangsverdachtes erforderlich, der die Annahme einer Straftat und damit die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens rechtfertigt. Dabei ist es jedoch nicht ausreichend, wenn dieser Anfangsverdacht allein auf Erkenntnissen beruht, die aus Telefonüberwachungsmaßnahmen resultieren, sofern der Tatverdacht wie im vorliegenden Verfahren sich nicht auf eine Katalogtat richtet. (LG Freiburg, Beschl. v. 31.07.2013 – 3 Qs 67/12)

§§ 102, 105 Abs. 1 StPO – Verfassungsrechtliche Voraussetzungen eines Durchsuchungsbeschlusses; hier: Vorgeworfene Tat muss in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht ausreichend umgrenzt sein; Tatverdacht nicht nur mit formelhaften Wendungen begründen. Die Anordnung muss Rahmen, Grenzen und Ziel der Durchsuchung definieren. Dazu gehören Angaben über den Inhalt des Tatvorwurfs (Wesentliche Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes, die die Strafbarkeit des zu subsumierenden Verhaltens kennzeichnen), die zu suchenden Beweismittel (möglichst genau) und die zu durchsuchenden Räumlichkeiten. Zudem müssen ein Verhalten oder sonstige Umstände geschildert werden, die, wenn sie erwiesen sein sollten, diese zentralen Tatbestandsmerkmale erfüllen. Wird der konkrete Sachverhalt, dem der Tatvorwurf entspringt, zu knapp geschildert, wird dem Betroffenen die Möglichkeit genommen, sich gegen einen in dem Ermittlungsstadium konkreten Tatvorwurf zu verteidigen. Den Durchsuchenden vor Ort ist es ebenfalls nicht zureichend möglich, ihre Grenzen zu erkennen. Pauschale Hinweise auf tatsächliche Umstände, wie „bisherige polizeiliche Ermittlungen, insbesondere den von den Beschuldigten ins Internet eingestellten Bildern…“ genügen grundsätzlich nicht. (LG Kaiserslautern, Beschl. v. 22.10.2013 – 5 Qs 105/13)