Jugendschutz im ­Zeitalter des Social Web

Von Thomas Günter als Justitiar von jugendschutz.net, Mainz 


Die Jugendministerien haben die länderübergreifende Stelle jugendschutz.net 1997 gegründet. Sie ist seit 2003 an die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) angebunden, um eine einheitliche Aufsicht über Rundfunk und Internet zu gewährleisten.
jugendschutz.net kontrolliert das Internet auf jugendgefährdende und beeinträchtigende Inhalte. Die Stelle drängt auf die Einhaltung des Jugendschutzes im Internet und sorgt dafür, dass Anbieter problematische Inhalte rasch ändern, löschen oder für Kinder und Jugendliche unzugänglich machen.
Reichweitenstarke Angebote, jugendaffine Plattformen und Themen aus der Lebenswelt von Heranwachsenden sind dabei besonders im Blick. Die Erkenntnisse bilden auch die Grundlage für die Beratung von Anbietern und die Entwicklung pädagogischer Präventionskonzepte und Handreichungen. 
Der Artikel fasst die zentralen Erkenntnisse von jugendschutz.net zusammen und gibt einen Ausblick, wie Jugendschutz auch im Zeitalter des Social Web effektiv und erfolgreich sein kann. Den aktuellen Jahresbericht von jugendschutz.net finden sie zum Download unter http://www.jugendschutz.net/materialien/bericht2012.html 

Dominanz internationaler Plattformen 


Websites und deutsche Angebote haben 2012 weiter an Bedeutung verloren. Internationale Plattformen des Social Web dominieren die jugendliche Mediennutzung. Auch der Gebrauch von Apps und mobilen Internetzugängen hat stark zugenommen – fast die Hälfte der Kinder und Jugendlichen sind heute auch mobil außerhalb der schützenden Home@Zone online. 
Bei den durch jugendschutz.net festgestellten Verstößen gegen Jugendschutzbestimmungen spiegelt sich der Konzentrationsprozess auf große ausländische Plattformen wie YouTube oder Facebook wider: 52.753 Angebote überprüfte jugendschutz.net 2012 auf Verstöße (plus 6 % im Vergleich zum Vorjahr). Die Sichtung klassischer Webangebote hat um ein Fünftel abgenommen, die Zahl überprüfter Beiträge im Web 2.0 ist dagegen stark gestiegen. Das Gros der 11.000 festgestellten Verstöße gegen die Bestimmungen des JMStV fand sich auf ausländischen Plattformen, nur etwa ein Fünftel (2.043) war deutscher Herkunft. 
jugendschutz.net ist bestrebt, alle Möglichkeiten auszuloten, damit Jugendschutzverstöße schnell aus dem Netz entfernt werden. In Deutschland lag die Erfolgsquote bei 84 %, im Ausland bei 74 %. Im Social Web konnte jugendschutz.net in 86 % der Fälle eine Beseitigung der Verstöße durch Kontakt zu den Plattformbetreibern erreichen.
Geräte für die mobile Internetnutzung sind aus der Lebenswelt von Heranwachsenden nicht mehr wegzudenken. Eine neue Herausforderung für den Jugendschutz stellt insbesondere das wachsende Angebot von Apps für Smartphones und Tablet-PCs sowie deren zunehmende Einbindung in Soziale Netzwerke dar. Viele dieser Anwendungen bergen die gleichen Risiken wie das Surfen am PC, einheitliche Kennzeichnungsstandards (wie zum Beispiel für Spiele auf Trägermedien, die in Deutschland durch die USK geprüft werden) und umfassende Meldemöglichkeiten jedoch fehlen. Die Altersempfehlungen in den Appshops von Google Play und iTunes sind häufig zu niedrig angesetzt und entsprechen nicht deutschen Jugendschutzmaßstäben. Bei Facebook gibt es überhaupt keine Altersempfehlungen für Apps. Hier sind Kennzeichnungsstandards auf internationaler Ebene zu fordern, an denen sich auch Global Player orientieren.

Mangel an effektiven Schutzmechanismen und sicheren Alternativen für Kinder


Vor allem auf den populären Plattformen fehlen effektive Schutzmaßnahmen für Jugendliche. Zudem werden Verstöße gegen den Jugendschutz häufig nicht schnell genug beseitigt. Auch das erneute Einstellen jugendgefährdender Inhalte wird nicht verhindert. 
Kinder benötigen ein Höchstmaß an Fürsorge, weil sie leichter beeinträchtigt, schneller belästigt und einfacher ausgenutzt werden können. Angesichts der Vielfalt der Angebote, Plattformen und Zugänge brauchen Eltern praxistaugliche Unterstützung bei der Medienerziehung. Je mehr sich auch die Medienwelt von Kindern in Richtung Soziale Netzwerke und Videoplattformen entwickelt, umso wichtiger werden Angebote, die Kinder behutsam an kommunikative Dienste heranführen. Während es inzwischen eine wachsende Anzahl an Kinderseiten gibt, die ihnen sicheres Surfen ermöglichen, fehlen Angebote, die ein sicheres Web 2.0 für Kinder bieten. Handlungsbedarf besteht vor allem im Bereich der Communitys, die durchweg keine altersdifferenzierten Zugänge bereitstellen. Immer mehr Kinder nutzen auch Dienste der Branchenführer Facebook und Google, die nicht für sie geeignet sind; Facebook ist inzwischen selbst bei Kindern die beliebteste Plattform. Die Betreiber müssen daher vorausschauend Risiken für die jüngsten User vermeiden und sichere Kommunikationsräume schaffen. 
Sämtliche Anbieter im Social Web sind aufgefordert, ihre soziale Verantwortung wahrzunehmen und sich aktiver als bisher an der Weiterentwicklung des Jugendschutzes zu beteiligen.

Zunehmende Medienkonvergenz


Die Grenzen zwischen den unterschiedlichen Medien, zwischen offline und online, verschwimmen zunehmend. So werden beispielsweise Spiele nicht mehr nur auf Trägermedien wie DVDs angeboten, sie stehen gleichzeitig über die Shops der Anbieter zum Download, als mobile Version für das Smartphone oder den Tablet-PC oder sogar als adaptierte Version für den heimischen Fernseher (sog. Smart TV oder Hybrid-TV) zur Verfügung. Entsprechendes gilt für die Distribution von Filmen. 
Der Umstand, dass die bestehenden rechtlichen Grundlagen jedoch noch auf dem Grundsatz basieren, dass die rechtlichen Vorgaben zumindest zum Teil davon abhängen, über welches Medium Inhalte verbreitet werden, führt in Einzelfällen zu unterschiedlichen Bewertungen. Notwendig erscheint es deshalb die Jugendschutzgesetzgebung an die neuen Gegebenheiten anzupassen: Ein Inhalt sollte rechtlich gleich behandelt werden, unabhängig davon, über welches Medium er verbreitet wird. 

INFO
Im Rahmen ihres 30jährigen Jubiläums veröffentlicht „Die Kriminalpolizei“ Artikel zu Themen, die in den vergangenen Jahren immer wieder diskutiert wurden und deren zukünftige Entwicklung die kriminalpolizeiliche Arbeit beeinflussen wird.

In dieser Ausgabe setzt sich Thomas Günter, bis Juni 2013 Justitiar von Jugendschutz net, mit dem Thema "Jugendschutz im Zeitalter des Social Web" auseinander.

 

Stärkere Zusammenarbeit mit Polizei und Strafverfolgung


Verstöße nach dem für jugendschutz.net maßgeblichen Jugendmedienschutz-Staatsvertrag sind häufig gleichzeitig auch Straftaten. Daher gehört die Kooperation mit Polizei und Strafverfolgung zum Arbeitsalltag von jugendschutz.net. Konzentrierte sich die Zusammenarbeit früher vor allem auf Fälle aus dem Bereich des sexuellen Missbrauchs, hat sie sich mittlerweile auf alle Arbeitsfelder ausgeweitet. Neben der konkreten Unterstützung bei Fallbearbeitungen und Täterermittlungen spielen auch der allgemeine inhaltliche Austausch und die Konzeption von Präventivmaßnahmen eine wichtige Rolle. 
Bei der Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs im Internet arbeitet jugendschutz.net eng mit dem BKA zusammen. Die seit März 2011 geltende Verfahrensweise im Rahmen des neuen Memorandum of Understanding (MOU) mit BKA, FSM, ECO und BPjM zeigen deutliche Wirkung: Inzwischen sind in Deutschland gehostete kinderpornografische Inhalte in der Regel bereits 1,7 Tage nachdem sie jugendschutz.net gemeldet wurden, offline.
Die Veränderungen bei den Sicherheitsapparaten im Zuge der Mordserie des NSU haben auch die Zusammenarbeit von jugendschutz.net mit Polizei, Strafverfolgung und Verfassungsschutz verändert. BKA und Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) arbeiten im Rahmen der Koordinierten Internetauswertung Rechtsextremismus (KIAR) eng zusammen und setzen hierbei auch auf eine bessere Vernetzung mit jugendschutz.net. 

Bedarf an umfassenden Schutzkonzepten und technischen Schutzlösungen


Angesichts der Entwicklungen werden umfassende Schutzkonzepte und technische Sicherungen, die auch die mobile Nutzung mit einbeziehen, immer wichtiger.
Die zeitgemäße Gestaltung des Jugendschutzes stellt eine gemeinsame Aufgabe aller Beteiligter wie Industrie, Politik und Jugendschutzstellen dar. Vor allem die Branchenführer sind aufgefordert, ihre soziale Verantwortung wahrzunehmen und sich an der Entwicklung von vorausschauenden Schutzkonzepten und technischen Lösungen aktiver als bisher zu beteiligen – nicht zuletzt, weil sie an der Nutzung ihrer Dienste durch Kinder und Jugendliche auch Geld verdienen. 
Maßnahmen gegen einzelne Verstöße erzielen eine immer geringere Wirkung. Vor allem reichweitenstarke internationale Plattformen gilt es in die Pflicht zu nehmen. Sie müssen sich an der Schaffung verlässlicher und schneller Notice-and-Takedown-Prozeduren sowie der Entwicklung integrierter Maßnahmen, die Medienkompetenzen stärken, aktiv beteiligen. Viele Mechanismen sind im Bereich des Urheber- und Datenschutzes erprobt und müssen für den Jugendschutz genutzt werden.
Weil Anbieter im Ausland kaum greifbar und Beiträge im Social Web schwer zu ahnden sind, stellt die Entwicklung des Internet nicht nur die klassische Medienregulierung vor Probleme. Zunehmend werden auch medienpädagogische Ansätze obsolet, die Eltern hinsichtlich der Steuerung des häuslichen Medienkonsums ihrer Kinder beraten: Die Zeiten eines Familien-PCs im Wohnzimmer sind längst vorbei – heute sind viele Kinder und Jugendliche immer, überall und mit ihren eigenen Geräten online.
Technische Schutzsysteme können Eltern bei der Medienerziehung unterstützen und eine Konfrontation jüngerer User mit beeinträchtigenden oder gefährdenden Inhalten reduzieren. Ihre Wirksamkeit im Social Web muss jedoch weiter erhöht, Systeme für die mobile Internetnutzung müssen etabliert und Alterskennzeichnungen von Webangeboten flächendeckend umgesetzt werden. Eine einfachere Handhabung, geräteübergreifende Einstellmöglichkeiten und sichere Vorkonfiguration internetfähiger Geräte sind dringend erforderlich.
Der präventive Schutz vor Gefährdungen und Beeinträchtigungen muss auch bei der Stärkung von Minderjährigen in Communitys und anderen interaktiven Plattformen ansetzen. Sie müssen für Gefahren sensibilisiert und zu sicherem Verhalten animiert werden. Parallel dazu brauchen Eltern und Erziehungsverantwortliche angesichts der Vielfalt der Angebote, Plattformen und Zugänge sowie der Kluft zwischen jugendlicher und erwachsender Medienwelt praxistaugliche Unterstützung bei der Medienerziehung.
Isolierte Forderungen einzelner Akteure setzen globale Unternehmen nur wenig unter Druck. Notwendig ist eine organisierte Zusammenarbeit aller Akteure auf nationaler Ebene, um sich mit Erkenntnissen und Best Practices in die internationale Diskussion einzumischen. Ziel müssen europa- oder weltweite Standards sein, die große Plattformbetreiber zu geeigneter Vorsorge für ihre jüngsten User verpflichten.Umfassende Schutzkonzepte, die der heutigen Nutzung des Internets und den damit verbundenen Risiken Rechnung tragen, sind dringend geboten. Jugendschutz kann in diesem Sinne nur zeitgemäß gestaltet werden, wenn er als gemeinsame Aufgabe verstanden wird. Vernetzungsinitiativen wie „sicher online gehen“, die internationale CEO-Coalition „Making the internet a better place for kids“ oder das I-KiZ – Zentrum für Kinderschutz im Internet sind wichtige Schritte, um dauerhafte Gesprächsforen zu etablieren und Perspektiven kooperativ zu entwickeln.