Editorial September 2008

Liebe Leserin,
lieber Leser,

korrespondierend mit der Globalisierung der Märkte haben sich kontinuierlich auch kriminelle Strukturen weiter entwickelt. Der mit der Erweiterung des Schengen-Raums auf zwischenzeitlich 24 Staaten einhergehende Wegfall der Grenzkontrollen wird konsequent zur Begehung von Straftaten genutzt. Vor diesem Hintergrund stehen Polizei und Justiz vor der ständig wachsenden Herausforderung, zur Gewährleistung einer möglichst effizienten Gefahrenabwehr und Strafverfolgung notwendige (Ausgleichs-) Maßnahmen auf nationaler und internationaler Ebene weiter zu entwickeln.

Herbert Klein Kriminaldirektor, LKA Rheinland-Pfalz, Chefredakteur

Eine dieser Maßnahmen stellt die Bildung grenzübergreifender gemeinsamer Ermittlungsgruppen dar. Regierungsdirektor Dr. Ralf Riegel, Bundesamt für Justiz, leitet seinen Beitrag unter dem Titel „Gemeinsame Ermittlungsgruppen - der neue Königsweg der internationalen Rechtshilfe?„ mit der Feststellung ein, der Titel sei Programm. Nach seiner Auffassung geht es nicht mehr darum, mehr oder minder engagiert für ein ausländisches Ermittlungsverfahren Rechtshilfe zu leisten, sondern gemeinsam anzufassen und eine Straftat aufzuklären. Er befasst sich mit den rechtlichen Grundlagen, mit dem Aspekt einer Errichtungsvereinbarung und stellt erste praktische Erfahrungen mit gemeinsamen Ermittlungsgruppen dar. Er stellt fest, dass gemeinsame Ermittlungsgruppen die Effizienz der Arbeit erhöhen und dabei helfen, Doppelermittlungen zu vermeiden. Der Verfolgungsdruck, den die Täter aus allen beteiligten Staaten spüren, steigt. Über den Einzelfall hinaus wird die internationale strafrechtliche Zusammenarbeit verbessert, Berührungsängste werden abgebaut und Kontakte geknüpft. Die beteiligten Ermittler werden durch die gemeinsame Arbeit weiter qualifiziert. Nachteile erkennt er in den entstehenden Kosten und dem administrativen Zusatzaufwand.

Professor Dr. Jürgen Stock, Vizpräsident des Bundeskriminalamtes, stellt in seinem Beitrag „Internationale Zusammenarbeit zur Bekämpfung von Gefahren für die Wirtschaft„ fest, dass derzeit die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus die größte Herausforderung für alle Sicherheitsbehörden weltweit ist. Die Nationalstaaten werden mit völlig neuartigen Bedrohungen konfrontiert, die ihre Handlungsfähigkeit zunehmend auf den Prüfstand stellen: Immer mehr wirken sich globale Entwicklungen auf lokaler Ebene aus und umgekehrt. Krisen, deren Auswirkungen wir spüren, können ihre Ursachen weitab von Deutschland haben – irgendwo in der Welt, so Professor Stock. Die neuen Verwundbarkeiten moderner Industriegesellschaften haben die Sicherheitsumgebung maßgeblich verändert und zu Bedrohungen für die Wirtschaft geführt. Maßgeblichen Anteil daran hat insbesondere die rasante Verbreitung der Informations- und Kommunikationstechnologien, so sein Befund. Über eine Beschreibung der bislang praktizierten internationalen Zusammenarbeit stellt Professor Stock fest, dass für Deutschland eine Zusammenarbeit innerhalb der Europäischen Union zu priorisieren ist. Neben dem „Schengener Durchführungsübereinkommen„ (SDÜ) beziehungsweise dem gemeinsamen elektronischen „Schengener Informationssystem„ (SIS) erkennt er in dem Vertrag von Prüm aus dem Jahr 2005 eine der wichtigsten zukunftsweisenden europäischen Initiativen der Länder Belgien, Frankreich, Luxemburg, den Niederlanden, Österreich, Spanien und Deutschland. Kernelement dieses Vertrags ist die Vernetzung von nationalen DNA-, Fingerabdruck- undKraftfahrzeugregistern. Daneben behalten Europol und die IKPO-Interpol ihre herausragender Bedeutung für die erfolgreiche Kriminalitätsbekämpfung. In diesem Kontext verfolgt das Bundeskriminalamt das Ziel, stärker pro aktiv im Interesse einer strategischen Früherkennung zu agieren. Zum Ausbau seiner Früherkennungskompetenz bindet das Bundeskriminalamt auch immer stärker private Akteure ein. Neben der Arbeitsgemeinschaft für Sicherheit der Wirtschaft (ASW) sowie der Informationsübermittlung an die SECURICON GmbH, befindet man sich seit 2006 in einem intensiven direkten Dialog mit weltweit tätigen großen deutschen Unternehmen, den so genannten Global Playern.

Weil nicht jeder Straftäter, beispielsweise nach einem Sexualdelikt, ohne weiteres in die Freiheit entlassen werden kann, müssen forensische Gutachter beurteilen, ob von ihm künftig eine Gefahr ausgeht, ob also weitere Taten von ihm zu erwarten sind. Eine wichtige Entscheidung ist dabei die Kriminal-, Sozial- oder Legalprognose, deren Problem darin zu sehen ist, dass lediglich Wahrscheinlichkeitsaussagen möglich sind. Stephan Harbort, Kriminalhauptkommissar beim Polizeipräsidium Düsseldorf, befasst sich unter dem Titel „Vermeidbare Verbrechen? Kriminalprognosen und Rückfalltäter„ mit dieser Problematik. Anhand konkreter Beispiele zeigt er auf, dass abnorme Persönlichkeiten zu spät erkannt werden und es sich in derartigen Zusammenhängen zeigt, dass die forensische Psychiatrie als Stiefkind in der Wissenschaft angesehen werden muss. Die Klientel gilt als schwierig, aber auch unbequem und es fehlen vielerorts ausreichend qualifizierte und behandlungsbereite Fachkräfte, so der Befund von Harbort. Sein Fazit lautet: weder härtere Strafen noch ein facettenreiches Therapieangebot können (Rückfall-) Verbrechen per se verhindern. „Ein Restrisiko bleibt„, beklagen zu Recht unisono all jene, die sich mit Sexualstraftätern befassen.

Herbert Klein