Polizeiausrüstung im Spiegelbild gesellschaftlicher Entwicklungen

Von KHK Ralf Schmidt, Wiesbaden*

 

Die Polizei als eine der wichtigsten Säulen unserer demokratischen Gesellschaft übernimmt Aufgaben der Prävention, der Gefahrenabwehr und ist für die repressive Aufklärung und Verfolgung von Normenverletzungen zuständig. Der ständige Wandel einer modernen Zivilgesellschaft und neue Erscheinungsformen der Kriminalität stellen die Polizei ständig vor neue Herausforderungen. Jede Zeitepoche und Gesellschaftsform in Deutschland hatten „ihre Polizei“. Ein sichtbares Merkmal dieser Veränderungsprozesse war und ist das Erscheinungsbild, die persönliche Ausstattung und Bewaffnung der Einsatzkräfte. Diese Entwicklungen stellen einen wesentlichen Teil Polizeigeschichte selbst dar. Auf der einen Seite der vielzitierte „Freund und Helfer“, auf der anderen Seite der in der Verfassung verankerte Träger des staatlichen Gewaltmonopols, bewegt sich die Polizei heute mehr denn je in diesem kritisch beobachteten Spannungsfeld. Um zu verstehen wie diese gegensätzlichen Situationen in einer pluralistischen Gesellschaft funktionieren, müssen bei Veränderungen innerhalb der Polizei immer auch die gesellschaftlichen Entwicklungen mitgedacht werden.

 

 

1 Die Kaiserzeit 1871 bis 1918


Ansätze einer „vormodernen Polizei“ gab es in Deutschland ab dem Jahr 1800 in Form von militärisch ausgerichteten Gendarmarien (franz. Gens d`armes – Waffenleute, Männer, die beruflich Waffen trugen). 1871 glichen Kaisers Gendarmen nicht nur äußerlich Kaisers Soldaten. Vor 1918 konnte kein Deutscher Polizist werden, der nicht bei der Armee gedient hatte. Das Selbstverständnis der Polizei war auf ein Obrigkeitsdenken ausgerichtet und die Bürger wurden als Untertanen betrachtet. So saßen in Theatervorstellungen Schutzleute, um zu überwachen, ob in den aufgeführten Stücken nicht abfällig über Gott oder gar den Kaiser gesprochen wurde. Der Beginn des Jahrhunderts war zudem geprägt von Massendemonstrationen, Streiks und politischen „Klassenkämpfen“. Im April 1906 kam es in Breslau im Rahmen eines Streiks zu Polizeieinsätzen gegen Arbeiter. „Vor mit gezogenem Säbel heranstürmenden Schutzleuten floh der Arbeiter Franz Bienwald […] ein Polizist folgte ihm und hieb ihm mit einem Säbel eine Hand ab“ (Vossische-Zeitung, „Rache für Bienwald“). Neben der Pickelhaube als Kopfbedeckung, wurde dieser Vorfall in ganz Deutschland zum Sinnbild für das preußische Polizeiregime. Auf Streifengängen standen den Polizisten, abgesehen von Trillerpfeifen (Notsignal: „Kurz, kurz, lang“ – Antwortsignal: „dreimal kurz“), keine Telekommunikationsmittel zur Verfügung, um Verstärkung anzufordern. Der Fluchtgefahr wurde dadurch begegnet, dass nicht nur eine Fessel oder Knebelkette angelegt wurde, sondern auch die Schnürsenkel der Schuhe und die Hosengürtel weggenommen wurden. Zur Not wurden auch Stricke als „Fesselwerkzeug“ benutzt. Die Art der Bewaffnung, vornehmlich Vorderlader, Knüppel und Säbel, hatte dazu geführt, dass viele Polizisten ihr Leben lassen mussten. Ein Angreifer hatte Zeit, mit eigenen Waffen oder bloßen Händen anzugreifen. Den Gendarmen stand ein Revolver zur Verfügung. Dieser Armeerevolver Modell 1883 – umgangssprachlich „Reichsrevolver“ – genannt, wurde ab 1908 durch Pistolen ersetzt. Die erste technische Sensation dieser Zeit war allerdings keine waffentechnische Errungenschaft. Straßenbeleuchtungen aus Öllampen, die täglich befüllt werden mussten, waren zu Beginn des 19. Jahrhundert eine Sensation und erleichterten der Polizei die Arbeit gegen das „lichtscheue Gesindel“.

 

2 Polizei in der Weimarer Republik


Mit der Weimarer Republik sollte der erste demokratische Staat auf deutschem Boden entstehen. Die alten kaiserlichen Polizeistrukturen waren nach dem Horror des Ersten Weltkriegs zusammengebrochen. Viele Polizisten lehnten jedoch die neue Staatsform konsequent ab und rechtsextreme Tendenzen in der Polizei trugen zum Scheitern der Republik bei. Den innenpolitischen Konflikten nach dem Krieg folgte eine konsequente „Modernisierung“ als militärische Eingreiftruppe: Die Polizei der Weimarer Republik wurde für den bürgerkriegerischen Einsatz im Landesinnern mit Maschinengewehren, Handgranaten, Panzerfahrzeugen und Artillerie aus Armeebeständen ausgestattet. Weiterhin geprägt durch obrigkeitsstaatliche Strukturen, setzte die Polizei unter anderem bei den Berliner Maiunruhen 1929 Gewehre und Pistolen gegen demonstrierende Arbeiter ein – 33 Menschen wurden getötet, Unzählige verletzt und mehr als 1.200 Personen verhaftet. Sinnbildlich für die Ära, als Teil der Uniform, war der „Tschako“ als Kopfbedeckung. Während der Nazizeit wurde der ursprüngliche Polizeistern dann durch einen Hoheitsadler mit Hakenkreuz ersetzt.

 

3 Der Streifenwagen


Die Einführung von Funkstreifenwagen – eine „amerikanische Erfindung“ – zunächst Schnellpatrouillenwagen genannt, ermöglichte ab 1920 die Schaffung von Großrevieren, die nun nicht mehr nach dem „Prinzip der Fußstreife“ angelegt werden mussten. Die sog. „Radiostreifenwagen“ folgten dann gegen Ende der 1940er-Jahre. Bereitschaftspolizei und „Überfallkommandos“ nutzten offene Mannschaftswagen vom Typ Opel Blitz, um die Kräfte zum Einsatzort zu transportieren.

 

4 Die Nazizeit 1933 bis 1945


Die dunkelste und unrühmlichste Zeit deutscher Polizeigeschichte begann spätestens im Jahr 1933. Mit ihrer Machtübernahme legten die Nazis großen Wert darauf, so schnell als möglich die gesamte Polizei unter ihre Kontrolle zu bekommen. Dabei gab es kaum Widerstand aus den Reihen der Polizei. Zu dieser Zeit entstand auch die berüchtigte Geheime Staatspolizei (Gestapo). Die Rechtsstaatlichkeit in Deutschland wurde nach und nach abgeschafft. Im Juli 1932 kam es zum „Altonaer Blutsonntag“, dabei kamen 16 unbewaffnete Anwohner des Arbeiterviertels durch Schüsse aus Polizeikarabinern ums Leben. 1935 wurde die Polizei geschlossen in die „Wehrmacht“ eingegliedert. In der Folgezeit machten sich Polizisten bei Deportationen und bei der Unterstützung von Wehrmacht und SS zahlreicher Kriegsverbrechen schuldig. Doch es gab Ausnahmen dieses unterwürfigen „Kadavergehorsams“: So bewahrte der Frankfurter Schutzpolizist Otto Kaspar jüdische Familien vor der Deportation, indem er unter hoher Eigengefahr Meldekarteien veränderte. Da die gesamte Wirtschaft auf „Kriegsindustrie“ umgestellt war, fanden die serienstarken Standardpistolen (sog. „Ordonnanzwaffen“ – offiziell eingeführt und persönlich zugeteilt) der Wehrmacht auch als Dienstpistolen der Polizei Verwendung. Vornehmlich handelte es sich um Fabrikate der Firmen Mauser, Walther und Sauer & Sohn. Weltweite Bekanntheit erlangten die Waffen der Fa. Walther, wie die Polizeiwaffen Walther PP (für „Polizeipistole“) und Walther PPK („Polizeipistole Kriminal“)im Kaliber 7,65 mm. Beide Waffen wurden noch bis in die 1970er-Jahre in modifizierter Form bei der Polizei genutzt. Auch die schon im Ersten Weltkrieg verwendete „Mauser C96“ und die „Pistole 08“ (Kal. 7,65 oder 9 mm), auch als „Luger“ oder „Parabellumpistole“ bezeichnet, prägten das polizeiliche Erscheinungsbild. Ab 1935 kam massenhaft die „P38“ der Firma Walther aus Zella-Mehlis bei Militär und Polizei zum Einsatz. Die Pistole war als Ersatzwaffe für die technisch anspruchsvolle „08“ vorgesehen. Auch nach 1945 gehörte die Waffe noch zur Ausrüstung vieler Länderpolizeien.

 

 

5 Alte Kameraden 1945 bis 1950


Mit der Befreiung im Mai 1945 durch die Alliierten endete die Terrorherrschaft der Nazis. Die deutsche Polizei war während dieser Zeit auf das Engste mit dem Nationalsozialismus verknüpft. Sichtbarster Ausdruck dabei war die Personalie Heinrich Himmler: Der führende Nazi war gleichzeitig „Reichsführer-SS“, „Chef der deutschen Polizei“ und Reichsinnenminister. Bis auf wenige Ausnahmen wurden alle Beamten, die vor dem 8. Mai 1945 bei der Polizei waren, zunächst entlassen und durch Neulinge ohne polizeilichen Hintergrund und Erfahrung ersetzt. Je nach Standpunkt und eigener Polizeitradition, wählten die Alliierten in den Besatzungszonen unterschiedlichste Wege. Die sog. „Entnazifizierung“ fand dann aber nicht in der beabsichtigten rigorosen Form statt. Schnell nach Kriegsende zeichnete sich der Kalte Krieg ab. Die Mitgliedschaft in einer der Naziorganisationen war jetzt grundsätzlich kein Hindernis mehr in den Staatsdienst zurückzukehren. Unzählige Beamte, die bereits während der NS-Zeit im Polizeidienst waren, kehrten in den Dienst zurück. Vieles wurde verschwiegen, vertuscht und verharmlost.

 

6 Vier Besatzungszonen


Vielerorts waren die Polizisten in einer Art „Räuberzivil“ lediglich mit einem Knüppel und einer Armbinde oder Plakette etwa als „German Police“ erkennbar. Nachdem die Besatzungsmächte 1945 die Entwaffnung der gesamten Polizei angeordnet hatten, stellte sich schnell heraus, dass eine unbewaffnete Polizei im Chaos der Nachkriegszeit nicht in der Lage war, die Sicherheit der Bürger zu gewährleisten. Der Alliierte Kontrollrat ordnete so die Wiederbewaffnung der Polizei an. Die Waffenvielfalt und das unterschiedliche Aussehen der Polizisten ergab sich auch aus den gravierenden politischen Unterschieden zwischen der Sowjetunion auf der einen und den drei Westalliierten Frankreich, Großbritannien und USA auf der anderen Seite. Eine der ersten Waffen, die offiziell an die deutsche Polizei ausgegeben wurde, war der italienische Karabiner Carcano Modell 1891/41 mit einem sechs Patronen Magazin. Daneben standen den neuen Polizisten pro Revier häufig nur eine Pistole zur Verfügung. Dort wurden etwa die spanische „Star“ Modell B, der „Colt“ Modell 1911/1911 A1, die „Astra“ Mod. 3000 oder die „FN“ Mod. 1910/22 streng unter Verschluss gehalten. Auch Revolver der Marke „Smith u. Wesson“ Mod. Victory und Karabiner Modell .30 M1, mit 15 Patronen Magazin, wurden genutzt. Zunächst durften die deutschen Ordnungshüter nicht alleine auf Streife gehen, sie wurden von Soldaten oder Militärpolizei begleitet. Die Waffen wurden lediglich nachts ausgegeben.

 

7 Deutsche Demokratische Republik (DDR) 1948 bis 1990


In der „SBZ“, der sowjetisch besetzten Zone, entstanden lokale sowie regionale Polizeieinheiten, die als Volkspolizei bezeichnet wurden. Auch die Volkspolizei hatte durch den personellen Umbruch nach 1945 deutlich an Professionalität eingebüßt. Sie fungierte als tragender Teil des sozialistischen Herrschaftssystems und schützte die SED-Diktatur. Auch hier prägten Waffen das äußere Erscheinungsbild der Polizei. Das Gewehr „Tokarew SWT 40“ und die sowjetische Maschinenpistole „MP41“ mit Trommelmagazin („PPSch-41“) fand in ihren Einheiten bis 1959 Verwendung. Ab 1960 folgte die Ablösung durch die „Maschinenpistole“ (Sturmgewehr war in der DDR nicht gebräuchlich) Kalaschnikow AK-47. Die markante Waffe im Kaliber 7,62 mm x 39 und ihre Nachfolgemodelle gehörten danach zur Standardausrüstung der „bewaffneten Organe“ der DDR. Als Kurzwaffe wurden vornehmlich die Modellvarianten der „Makarov“- Selbstladepistole geführt.

 

8 Die 1950er-Jahre


Die Vorstellungen der Westalliierten über den Aufbau einer zivilen Polizei wandelten sich spätestens mit Ausbruch des Koreakriegs 1950. Der Kalte Krieg war nun in vollem Gange und die Aufstellung von „KVP“-Verbänden (Kasernierte Volkspolizei) in der DDR führten dazu, dass 1951 in Westdeutschland sich erste Einheiten des Bundesgrenzschutzes (BGS) formierten. Der BGS sollte bei inneren Unruhen und im Kriegsfall eingesetzt werden und hatte somit Kombattanten-Status. Die Einheiten erhielten eine militärische Ausbildung und Ausrüstung, bestehend aus gepanzerten Fahrzeugen, Maschinengewehren, Handgranaten, Tarnanzügen und dem Stahlhelm des 2. Weltkrieges. Dazu passte, dass das Führungspersonal schon bei der ehemaligen Wehrmacht gedient hatte – damals ein typischer Karriereverlauf. 1956, im Rahmen der Internationalen Polizeiausstellung in Essen, wurden dann die ersten modernen Wasserwerfer von Mercedes-Benz präsentiert. Die Schutzpolizei war mit Schaftstiefeln, kombiniert mit Reiterhosen und mit Einsatzfahrzeugen der Marke Opel Kapitän auf Streife. Kradfahrer trugen riesige grüne Gummimäntel, die mit dem „Leibriemen“ zusammengehalten wurden und offene weiße Helme mit einer markanten Schutzbrille. 1959 erfolgte in den Bereitschaftspolizeien die Umstellung vom Karabiner „98k“ auf das „FN“ Gewehr 1 (G1) vom belgischen Hersteller „Fabrique Nationale“. Das neue, „moderne“ Polizeigewehr hatte eine Magazinkapazität von 20 Patronen im Kaliber 7,62 mm x 51.

 

9 Röhrenhosen und Lederjacken


Nach einer Phase der demokratischen Neuausrichtung der Polizei in Deutschland, waren die sog. „Halbstarken-Krawalle“ zwischen 1956 und 1959 ein erster „Vorgeschmack“ auf das, was folgen sollte. 1958 randalierten jugendliche „Radauknilche in ledernen Jacken und Röhrenhosen“ (Der Spiegel 45/1958, „Saat der Gewalt“) bei einem Rock`n´Roll Konzert von Bill Haley in Berlin. 1962, bei den „Schwabinger Krawallen“, griff die Polizei unverhältnismäßig hart ein, viele verletzte Jugendliche waren die Folge. Kein Wunder: Die sog. „Unterkünfte“ der Bereitschaftspolizei waren immer noch eine Art Erziehungsanstalt. Strafexerzieren, ein ordensähnlicher Kodex, Ordnung, Sauberkeit und Kameradschaft galten als „Leit-Tugenden“ und stammten eindeutig noch aus der Nazizeit. Kasernenhofton, Drill und Gehorsam waren allgegenwärtig. Die Polizeianwärter mussten sich vielerorts mindestens sieben Jahre verpflichten und durften vor Vollendung des 27. Lebensjahres nicht heiraten. Baden-Württemberg schaffte erst 1967 die „Prüfung von Polizei-Bräuten“(!) ab. In den Jahren zwischen 1967 und 1972 sorgte der gesellschaftliche Druck zu tiefgreifenden Reformen. Modernere Einsatzkonzepte und neue rechtliche Regelungen folgten. Moderner ging es in Frankfurt am Main und anderen Großstädten zu. Hier kamen die neuen Opel-Limousinen wie das Modell „Kapitän“ mit Panoramascheiben und Heckflossen zum Einsatz.

 

10 Die RAF und der Terror


Als der Demonstrant Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967 von dem Zivilpolizisten Karl-Heinz Kurras erschossen wurde, leitete das eine neue Ära der Auseinandersetzungen zwischen Polizei und bewaffneten linken Gruppierungen ein. Das unverhältnismäßige Verhalten der Westberliner Polizei bei der sog. „Schah-Demonstration“ zeigte auch auf, wie es um das Selbstverständnis der deutschen Polizei bestellt war. Ein Auszug aus dem Gesetz über die Ausübung unmittelbaren Zwangs (UZwG) zeigt exemplarisch in welcher Gedankenwelt die Polizei damals verfangen war: „Einsatz von Handgranaten gegen Störer […] Handgranaten dürfen nur gegen solche Personen eingesetzt werden, die selbst von Schusswaffen oder Explosivmitteln Gebrauch gemacht haben“. Vereinzelt (zum Beispiel in Bayern) gelten ähnlich lautende Reglungen noch heute, da hier und dort noch entsprechende Waffen eingelagert werden. In den Waffenkammern dieser Epoche fanden sich die „Astra 600“, eine Selbstladepistole im Kaliber 9 mm Parabellum und „FN- Browning“ Pistolen im Kaliber 7,65 und 9 mm von der belgischen Waffenproduktionsfirma Fabrique Nationale Herstal (FN). Diese Waffen wurden durch die schon im zweiten Weltkrieg verwendeten Pistolen „Walther PP“ und „PPK“ (7,65 mm) sukzessive ersetzt. Das dazu passende Holster nannte man „Witwenmacher“, es war eher ein Verwahrbehältnis mit „Schulranzenverschluss“, als ein an polizeilichen Bedarfen orientiertes Schnellziehholster. Motorradpolizisten trugen jetzt weiße Mäntel und wurden im Volksmund „weiße Mäuse“ genannt. Vielfach kamen VW-Käfer, Modelle von Opel und bei der Autobahnpolizei auch der Porsche 956 zum Einsatz.

 

11 Lange Haare und Reformen


Das „Saarbrücker Gutachten“ von 1972 enthielt die Beschreibung des Polizeibeamten als eine Art „Sozialingenieur“ und entsprach so dem Zeitgeist der Epoche von „Flower-Power“. Die Polizei sollte nun endlich der „zivilen Welt“ zugeordnet werden. Doch auch die Polizisten selbst meldeten sich zu Wort. Die Medien meldeten „Unglaubliches“ – 1971 kamen in Düsseldorf, 8000 Beamte zu einer von der GdP organisierten Demo. Mit Transparenten wie „Stiefkinder des Staates“, schwarzen Fahnen und in voller Uniform, forderten sie gesellschaftliche und finanzielle Aufwertung. Dringend erforderlichen Reformen standen dann aber gesellschaftliche Entwicklungen, ein starker Beharrungswille innerhalb der Polizei und der aufkommende Terrorismus entgegen. Schon im Sommer 1971 kam es zu mehreren spektakulären Banküberfällen mit Geiselnahmen, und im September 1972 endete die Geiselnahme der israelischen Mannschaft durch palästinensische Terroristen während der Olympischen Spiele in München in einem Blutbad. Der Bundesgrenzschutz als auch die Länderpolizeien stellten neue Einheiten auf: Die GSG 9 des Bundesgrenzschutzes und die Spezialeinsatzkommandos (SEK) der Länder. Ab 1976 führten die Polizeien (Ausnahme Berlin) die sog. „Chemische Keule“ – das Chemical Mace (Smith and Wesson Mk V.) ein. Wirkstoff war das umstrittene Chloracetophenon (CN). Taktisch, sollte das Gerät die „Lücke“ zwischen Schusswaffen- und Schlagstockeinsatz schließen. Ein Arbeitskreis der Innenministerkonferenz prüfte auch neue, „humane“ Polizeiwaffen auf ihre Verwendbarkeit. Keines der „Geräte“ wurde für tauglich erachtet. 1974 entwickelten Experten ein sog. Pflichtenheft für eine neue Polizeipistole und forderten als Munition das Kaliber 9mm x 19. Die „kleineren“ Vorgängerpistolen hatte sich in vielen Fällen als nicht ausreichend „mannstoppend“ erwiesen. Die Pistole SIG-Sauer Modell „P6“ (Mod. 225) mit einem 8 Patronen Magazin und 15 Patronen (Mod. 226 für Spezialeinheiten) versprach Abhilfe. Auch die Waffenhersteller Walther sowie Heckler und Koch entwickelten neue Waffen. „H und K“ erfüllte mit der „PSP“, später „P 7“, mit innovativer Griffstücksicherung die neuen Forderungen. 1979 wurden die ersten Pistolen getauscht und 1998 war der vollständige Austausch der alten gegen die neuen Dienstpistolen vollzogen.

 

12 Mord an der Startbahn


In den 1980er-Jahren kam es zu einem Bruch in der traditionellen Polizeikultur, der das Erscheinungsbild der Polizei nachhaltig prägte: Nach und nach wurden Frauen für den uniformierten Polizeivollzugsdienst zugelassen. Zwar gab es bereits seit Beginn des 20. Jahrhunderts Polizistinnen („Weibliche Kriminalpolizei“), aber zunächst waren ihnen Aufgaben der „Fürsorge“ vorbehalten. In den 1990er-Jahren erreichte dann der Frauenanteil in der uniformierten Polizei erstmals zweistellige Prozentzahlen. Allerdings begann ein „Polizistenleben“ immer noch wie beim Militär, mit dem Einrücken in eine Kaserne. Disziplin und freiwillige Unterordnung spielten nach wie vor eine große Rolle in der Polizeiausbildung. Das autoritäre Auftreten der Polizei bei Großdemonstrationen sorgte für ein gespanntes Verhältnis zum Bürger. Schlagstock, Helm und Schild waren ihr Sinnbild in dieser Zeit. Einsätze im Rahmen der Friedens- und Anti-AKW-Bewegung sowie die Auseinandersetzungen um den Bau der „Startbahn West“ in Frankfurt prägten die Sozialisation einer ganzen Polizei Generation. 1987 wurden die Polizisten Thorsten Schwalm und Klaus Eichhöfer bei einem Einsatz zum Schutz der Startbahn West in Frankfurt hinterhältig ermordet. Tatwaffe: Eine bei einem dilettantisch durchgeführten Aufklärungsauftrag geraubte Sig Sauer Polizeipistole. Bei den Demonstrationen gegen das Kernkraftwerk Brokdorf trafen im Einzelfall 100.000 (!) Demonstranten auf ca. 10.000 Polizisten. Dabei kam es zu schwersten Auseinandersetzungen und zahlreichen Verletzten auf beiden Seiten. 1983 wurden die letzten Maschinenpistolen Walther Modell L und K gegen das Modell Heckler und Koch MP5 ausgetauscht. Die „MP“, mit dem bis zu 30 Patronen fassenden Magazin, hatte sich schon im Objekt- und Streifendienst der 1970er-Jahre bewährt. Das Konstruktionsprinzip, die Präzision, Zuverlässigkeit und Sicherheit der Waffe ist bis heute weltweit gefragt. In Hessen wurde die Waffe bedauerlicherweise durch ein unhandliches Sturmgewehr ersetzt. Bekannt wurde die „MP5“ auch als Erkennungszeichen der Terrororganisation RAF. Das beruhte allerdings auf einer peinlichen Verwechslung. Das Logo soll aus dem näheren Umfeld der Terroristin Ulrike Meinhof stammen. Der „Designer“ verwechselte die bei „revolutionären Kämpfern“ verbreitete russische „AK-74“ mit der Polizei-MP – ausgerechnet mit der Waffe des „Klassenfeindes“.

 

13 Streetfighter und Polizisten


Zweifellos lässt sich für das 20. Jahrhundert in Deutschland eine langfristige Zivilisierung der „Institution Polizei“ feststellen. Dazu gehörte auch, dass verstärkt der „Kampfsport“ in die Polizeiausbildung integriert wurde. Neue Einsatzformen und der Verzicht auf die herkömmlichen Polizeiwaffen wie Pistole, Schlagstock, „Chemical Mace“ und Wasserwerfer waren dabei das Ziel. Selbst die Einführung fernöstlicher Waffen, wie dem „Tonfa“, ein Schlagstock mit rechtwinkligem Griff, waren kein Tabu mehr. Den Körper als Kampfmittel, wie in den fernöstlichen Kampfsportarten, einzusetzen, kultivierten „linke Streetfighter“ ebenso wie junge Polizisten. Seit Erich Rahn 1910 die ersten Berliner Kriminalbeamten in „Jiu-Jitsu“ schulte, hatte Kampfsport immer einen gewissen Stellenwert in der Polizeiausbildung. 1939 wurde das „Jiu-Jitsu“ als „geheime Reichssache“ eingestuft und blieb hauptsächlich den Militärs vorbehalten. Nach dem Ende des 2. Weltkriegs wurde der Sport erst per Gesetz 1948 wieder allgemein zugänglich gemacht. Im Kontrast zu den säbelschwingenden Schutzmännern aus Kaisers Zeiten oder den schießwütigen Polizisten des „Berliner Blutmai“ 1929, scheint der direkte Körpereinsatz zunächst einmal weniger gefährlich, kontrollierter und weniger blutig. Körperliches Einsatztraining wird so dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz der Mittel im besonderen Maße gerecht und beeinflusst so das Auftreten der Polizei in der Öffentlichkeit. Trotz Allem bleibt es Gewaltanwendung und die sieht für Außenstehende nicht immer „ästhetisch“ aus. Entscheidend ist aber die Rechtmäßigkeit und nicht die Ästhetik polizeilicher Einsätze.

 


Präventiv-Effekt des „Tasers“: Oftmals reicht die Androhung

 

14 Das neue Jahrtausend

 

Eine moderne und an die Herausforderungen
angepasste Ausrüstung der Polizei.

 

Im Rahmen der allgemeinen Neuausstattung der Länderpolizeien mit Dienstpistolen fand ein „Generationswechsel“ statt. Ab dem Jahr 2010 wurde die in Hessen geführte Pistole SIG-Sauer „P6“ ausgetauscht und durch die „P30“ von Heckler und Koch ersetzt. Als herausragendes Merkmal besitzt die neue Waffe ein teilvorgespanntes Abzugssystem, „Combat Defense Action“ (CDA) genannt. Der Kraftaufwand beim Betätigen des Abzuges ist stets konstant und ein „Entspannen“ der Waffe entfällt. Hinzu kamen zwei je 15 Patronen fassende Magazine. Vorher wurde schon die Munition „modernisiert“ und neue Deformationsgeschosse beschafft. Die neuen Patronen waren speziell auf eine möglichst geringe Umgebungsgefährdung ausgelegt. Im Vorfeld belegten zahlreiche Ereignisse, dass die als Kriegsmunition hergestellten Vollmantelgeschosse eine zu hohe Restenergie aufwiesen und so unbeteiligte Dritte erheblich gefährden konnten. Ab dem Jahr 2000 vollzog sich sukzessive die Neuausstattung mit dem Einsatzmittel Pfefferspray, das CN-Reizstoffsprühgeräte wurde ausgesondert. Teleskopschlagstöcke ergänzten den bei Bereitschaftspolizeien verwendeten Mehrzweckeinsatzstock. Die Bodycam, die offen erkennbar getragene Videokamera, findet seit 2013 mehr und mehr Einzug in den Polizeialltag und dient der Abschreckung sowie der Dokumentation. Im Jahr 2018 hatten 13 der 16 Landespolizeien eine Empfehlung der Innenministerkonferenz aus dem Jahr 2001 umgesetzt und den „Taser“ (heute Distanzelektroimpulsgerät – kurz DEIG) beschafft. Nach den Spezialeinheiten stehen die Geräte mittlerweile auch dem Einzeldienst zur Verfügung.

15 Terror in Europa


Spätestens der Terroranschlag im November 2015 in Paris mit 130 Toten und 683 Verletzten führte zu einem Umdenken in Taktik, Bewaffnung und ballistischem Schutz der Polizei und änderte erneut das Erscheinungsbild. Als Antwort auf die anhaltende, nicht nur islamistische Terrorgefahr und das Agieren von militärisch organisierter Kleingruppen, wurden neben einem ballistischen Schutzhelm, Erste Hilfe Sets und „Plattenträgern“, neue Waffen eingeführt. In Hessen soll das „G38“ aus der Waffenfamilie „HK 416“ von Heckler und Koch, als Mitteldistanzwaffe (MDW) im Kaliber 5,56 mm x 45 Nato, die „MP5“ ersetzen. Einhergehend mit dem Konzept des Notinterventionsteams (NIT) und des größeren Leistungsspektrums der Waffe, soll so eine Antwort auf die Bedrohungslagen gewährleistet sein. Vereinzelt setzen die Länderpolizeien weiter auf die bewährte „MP5“ undBaden-Württemberg hat im Alleingang die „MP7“ im Kaliber 4,6 mm x 30 angeschafft. Hierbei wird die annähernde Durchschlagskraft eines Sturmgewehres mit der Kompaktheit einer MP kombiniert – ein interessanter Ansatz.

 

16 Zum Abschluss


In einer demokratischen Gesellschaft sind die Medien als Kontrollinstanz fest verankert und nötig. Häufig wird jedoch versucht, Polizeieinsätze zu skandalisieren. Trotz vieler unfairer Versuche die Polizei als Gesamtes zu diskreditieren, findet sie sich im jährlichen Ranking „der vertrauenswürdigsten Institutionen in Deutschland“ seit Jahrzehnten im vordersten Bereich wieder. Das ist Ansporn und Verpflichtung zugleich. Polizisten agieren heute sensibel auf Veränderungen in der Gesellschaft und müssen sich ständig den neuen Anforderungen an ihren Beruf anpassen. Dazu gehören eine moderne und lageangepasste Ausrüstung, Bewaffnung, Training und vor allem praxiserfahrene Ausbilder. Immer mehr Hersteller drängen mit neuen Waffen und Ausrüstungsgegenständen auf den Markt. Dabei ist eine Tendenz zur Militarisierung der Polizei nicht zu übersehen. Hier muss mit Bedacht agiert und sensibel abgewogen werden, wie die Polizei von der Bevölkerung in Zukunft wahrgenommen werden soll. Es besteht die Gefahr, wie am Beispiel USA zu beobachten, dass sich ohne Not eine Art „Trutzburg Mentalität“ entwickelt: Hier wir… und dort alle anderen! Für den polizeilichen Alltag gefällt dem Autor das Bild vom „bewaffneten Sozialarbeiter“ dann doch viel besser. Es genügt, wenn Einsatzkräfte – gut trainiert mental bereit – die Ausrüstung etwa für Terrorlagen, griffbereit im Fahrzeug mitführen. Und: Unser aller Wunsch sollte es sein, dass Polizeiwaffen nur im Training zum Einsatz kommen. Wahrscheinlich ist das ein „frommer Wunsch“, aberdie Hoffnung stirbt zuletzt.


Bildrechte: Autor.


Literatur:

Bannenberg/Schmidt, 2020, Zeitschrift Kriminalistik, „Krawalle“.

Schmidt, 2022, „Polizistenmord“, K-ISOM online.

Schmidt, 2017 „Phänomen Zweikampf“.

Lindenberger, 2003 „Vom Säbelhieb zum sanften Weg?“

 

Anmerkungen


*Der Autor ist Einsatztrainer für Operative Einheiten in Hessen an der Hochschule für öffentliches Management und Sicherheit in Wiesbaden.