Intimizide durch Polizisten

Von Prof. Dr. Herbert Csef, Würzburg

 

1 Partnertötungen durch Polizisten – eine besondere Herausforderung

 

Polizisten2 können wie Angehörige anderer Berufe auch in schwere Ehekrisen oder Partnerkonflikte geraten.3 Falls sich die Beziehungssituation zuspitzt, die Eskalation zunimmt und die Lage unerträglich oder ausweglos erscheint, kann es sein, dass sie ihren Partner töten. Das kommt auch bei Pastoren, Juristen, allen Berufen und bei Arbeitslosen vor.4 Bei Polizisten kommen einige Besonderheiten hinzu, die das Tötungsdelikt und den Tathergang prägen. Sie haben eine Dienstwaffe und können schießen. In ihrem Beruf hatten sie meistens mit häuslicher Gewalt und eskalierenden Partnersituationen zu tun. Da werden sie als „Freund und Helfer“ gerufen und die in Not geratenen Menschen erhoffen sich von ihnen fachlich kompetente Hilfe. Wenn sie jedoch selbst in der Klemme stecken und in Not geraten – wer hilft ihnen dann? Und wenn der Mordimpuls oder die Tötungs-Phantasien von ihnen Besitz ergriffen haben, ist oft der Rubikon überschritten und es scheint kein Zurück mehr zu geben. Dann läuft meistens ein „inneres Drehbuch“, das fast wie zwangsläufig erscheint und sich in vielen Fällen wiederholt: der Polizist erschießt mit seiner Dienstwaffe seine Ehefrau oder Partnerin und dann sich selbst. Der an die Partnertötung sich anschließende Suizid beendet die Beziehungstragödie.5 Zwei Leichen und die Dienstwaffe am Tatort sind geradezu typisch. Forensiker, Gerichtsmediziner und Kriminologen sprechen dann von einem erweiterten Suizid.6 Polizisten richten sich überwiegend selbst. Sie müssen nicht mehr vor einem irdischen Richter erscheinen. Es gibt keine Gerichtsverhandlung, keine Vernehmungen, keine Geständnisse, keine Begutachtungen, keine Plädoyers von Staatsanwalt und Verteidiger. Um die Phänomenologie der Wirklichkeit zu beschreiben, werden die Charakteristika von elf Fällen beschrieben, in denen ein Polizist oder eine Polizistin den Partner oder die Partnerin getötet haben. In einem zweiten Schritt wird diskutiert, worin sich die Polizisten-Intimizide von anderen Intimiziden unterscheiden.

 

 

2 Überblick über die Stichprobe


Die geschilderten Fälle sind alles reale Fälle, über die detaillierte Zeitungsberichte vorliegen. Alle untersuchten Partnertötungen durch Polizisten stammen aus den letzten zwei Jahrzehnten der Länder Deutschland und Österreich. Die erfassten Fälle erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Jedem, der sich mit Intimiziden beschäftigt hat, wird sofort auffallen, dass sich fast alle Polizisten nach ihrer Partnertötung suizidiert haben. Deshalb gab es in all diesen Fällen nur kurze Ermittlungen zum Tathergang und Obduktionen, aber eben keine Gerichtsverhandlungen und keine aussagekräftigen Gutachten. Fast 90% der Polizisten der untersuchten Fälle haben sich zeitnah am Tatort suizidiert. In größeren Studien zu Intimiziden ist die Suizidrate viel geringer. Sie liegen zwischen 15 und 25%. Sehr ausführliche Untersuchungen zu Intimiziden liegen von Forensischen Psychiatern vor, die den Erfahrungsschatz ihrer Fachgutachten auswerten, die sie für die Gerichtsverhandlung erstellt haben.7 Die hervorragende Studie von Andreas Marneros8 ging diesen Weg. Er wertete 80 Intimizid-Fälle aus seiner jahrzehntelangen Gutachtertätigkeit aus und erstellte dadurch eine Typologie von Intimiziden. Marneros hatte die lebenden Täter vor sich, mit denen er teilweise 20 Stunden lang explorative Gespräche führte und gewann Einblicke in den Verlauf der Gerichtsverhandlung. Für den Forensischen Psychiater sind die Tatmotive wichtig. Diese sind bei den meisten Polizisten-Intimiziden ein ungelöstes Rätsel geblieben.


In der Phänomenologie der Intimizide geben zwei Grundfragen eine erste Orientierung: Wie viele Tote gibt es und lebt der Täter noch?


Bei den „einfachen“ Intimiziden lebt der Täter noch und es gibt eine Leiche. Ein Mann tötete seine Frau oder eine Frau tötete ihren Mann. Hinzu kämen die homosexuellen Intimizide. Suizidiert sich der Täter anschließend nach der Partnertötung, so sprechen die Experten von einem erweiterten Suizid. Dieser wird auch Mitnahme-Suizid, Murder Suicide oder Homozid-Suizid genannt. Die Definition hierzu setzt voraus, dass primär eine Suizid-Intention bestand.


Im kürzlich erschienenen Werk „Murder Suicide“ von Milan Zimmermann9 ist diese Form wie folgt formuliert: „Unter erweiterten Suiziden versteht man Taten, bei denen primär eine zum Suizid entschlossene Person vorher meist nahe Familienmitglieder tötet. Die Suizidalität muss dabei die primäre Intention darstellen […] Wie sich jeder sicher vorstellen kann, ist die Ermittlung der primären Intention für die Tat im Nachhinein sehr schwierig.“


Beim erweiterten Suizid lebt der Täter nicht mehr, er kann nicht mehr gefragt werden. Wie soll seine „primäre Intention“ dann ermittelt werden? Es gibt Fälle, in denen jemand Familienangehörige tötet und sich umbringt, um sich der Strafverfolgung zu entziehen. Oder es gibt „unvollendete erweiterte Suizide“, bei denen der Täter den Suizidversuch überlebt und in der Gerichtsverhandlung überprüft wird, ob bei der Tötung Mordmerkmale vorlagen. In einem Mordfall aus Solingen im Herbst 2020 hat eine junge Mutter fünf ihrer sechs Kinder umgebracht und sich dann am Düsseldorfer Hauptbahnhof vor einen Zug geworfen. Sie überlebte schwerverletzt. Bei der Gerichtsverhandlung wurde sie wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Eine Revision beim Bundesgerichtshof wurde abgelehnt.


Bei den erweiterten Suiziden ist auch bedeutsam, ob ausschließlich der Partner oder auch gemeinsame Kinder getötet wurden.


Während in größeren Stichproben von Intimiziden die einfachen Intimizide überwiegen (ein Täter, ein Opfer, eine Leiche), gab es unter den hier erfassten 14 Polizisten-Intimiziden überhaupt keinen einfachen Intimizid.


Unter den 14 Polizisten-Intimiziden waren 11 erweiterte Suizide, weil sich in 10 Fällen der Polizist und in einem Fall die Polizistin anschließend selbst getötet haben. Die Selbsttötung geschah in allen Fällen mit der Dienstwaffe.


In 10 Fällen wurde ausschließlich der Partner getötet und dann erfolgte der Suizid. In einem Fall wurden auch die zwei Söhne getötet. Nur in drei Fällen überlebten der oder die Täter, wurden gefasst und verurteilt. Es gab also nur drei Gerichtsverhandlungen und ausführliche Ermittlungen. In 11 Fällen blieben deshalb viele offene Fragen, weil ja die Täter tot waren und die Ermittlungen deshalb bald eingestellt wurden.

 

3 Erweiterte Suizide (Partnertötung und Suizid des Polizisten)


Diese Konstellation war die häufigste, in 9 von 14 Fällen.

3.1 Juni 2009 – Tatort: Ahlen/Westfalen, Wirtschaftsweg

Ein 49 Jahre alte Kriminalbeamter erschoss mit seiner Dienstwaffe seine 45 Jahre alte Geliebte und dann sich selbst. Beide waren jeweils mit anderen Partnern verheiratet und es gab offensichtlich Probleme wegen der Affäre.

3.2 Juli 2013 – Tatort: Planegg bei München, auf offener Straße vor der Arbeitsstelle der Ex-Geliebten

Ein in München tätiger 38 Jahre alter Streifenpolizist erschoss seine Ex-Freundin und dann sich selbst. Sie hatten ein gemeinsames fünf Jahre altes Kind und es gab Streit wegen der Sorge für dieses Kind. Das Paar lebte mittlerweile getrennt und sie hatte einen neuen Partner. Durch die Trennung geriet der Polizist in eine Krise, von der auch sein Vorgesetzter wusste. Der Polizist befand sich im Studium für den gehobenen Dienst und hat dies in seiner Krise abgebrochen. Beim Tathergang hat er der Ex-Freundin an ihrem Arbeitsplatz aufgelauert und mit seiner Dienstwaffe sechs Schüsse auf sie abgegeben. Anschließend tötete er sich selbst mit einem Kopfschuss aus einer zweiten Waffe.

 

3.3 März 2014 – Tatort: Kehlheim, eigene Wohnung

Der 28 Jahre alte Polizist erschießt seine 18 Jahre alte Freundin mit der Dienstwaffe seiner Polizeikollegin. Der Polizist war bereits mehrere Wochen krankgeschrieben, ging zu seiner Dienststelle, entwendete die Pistole der Kollegin, tötete seine Freundin und dann sich selbst.

3.4 Dezember 2015 - Tatort: Jever, eigene Wohnung

Der 30 Jahre alte Polizist erschießt mit seiner Dienstwaffe seine 29 Jahre alte Ehefrau, eine im Ort beliebte Geschäftsfrau. Das Ehepaar hat zwei Töchter, zwei und acht Jahre alt, die überleben. Nach der Tat erschießt er sich selbst. Im Vorfeld des Tötungsdelikts gab es intensives Stalking des Ehemannes.

3.5 März 2017 – Tatort: Emmendingen, eigene Wohnung

Der verheiratete 58 Jahre alte Polizist erschießt mit seiner Dienstwaffe seine 42 Jahre alte Ehefrau und dann sich selbst. Das Paar war kinderlos.

3.6 Mai 2017 – Tatort: Echzell/Wetterau bei Gießen, eigene Wohnung

Das Ehepaar (Polizist 57 Jahre alt, Ehefrau 46 Jahre alt) hatte wie schon öfter heftigen Streit und vermutlich erhebliche Eheprobleme. Die Nachbarn alarmierten die Polizei. Der Polizist hatte seine Ehefrau mit seiner Dienstwaffe bereits erschossen, als seine Polizeikollegen kamen. Er richtete die Waffe gegen sich selbst, die Kollegen sahen dies und riefen ihm noch zu, er solle es nicht tun, doch er erschoss sich selbst. Das Ehepaar hatte fünf Kinder, die nicht bei der Tat involviert waren.

3.7 November 2018 – Tatort: Merzig (Saarland), eigene Wohnung

Der 49 Jahre alte Polizist erschoss mit seiner Dienstwaffe seine 45 Jahre alte Ehefrau und dann sich selbst. Die Ehefrau hatte Trennungsabsichten.

3.8 Oktober 2021 – Tatort: in Niederösterreich, eigene Wohnung

Ein 44 Jahre alter Drogenfahnder, der beim Landeskriminalamt Wien arbeitete, erwürgte seine 43 Jahre alte Verlobte. Nach der Tat floh der Polizist. Unterwegs rief er seine Eltern an und gestand ihnen die Tat. Nach dem Polizisten wurde tagelang von einem Einsatzkommando gefahndet. Schließlich wurde er tot in seinem Auto gefunden. Er hatte sich mit seiner Dienstwaffe erschossen.

3.9 Februar 2022 – Tatort: Kirchheim/Teck, Parkplatz vor einem Supermarkt

Auf einem Parkplatz vor einem Supermarkt wurde eine 58 Jahre alte Frau erschossen, die gerade das Geschäft verließ, in dem sie arbeitete. Kurze Zeit später wurde in einem Auto ein 59 Jahre alter Polizist entdeckt, der sich dort mit seiner Dienstwaffe erschossen hatte. Er war Beamter des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg. Das Ehepaar lebte getrennt. Der Polizist hatte im Vorfeld mehrmals gedroht, sie umzubringen.

 

4 Erweiterter Suizid (versuchte Partnertötung durch Polizistin, die sich suizidierte)


Ein spektakulärer Fall von Polizisten-Intimizid ereignete sich am 3. Januar 2009 in Lauf an der Pegnitz. Eine 25 Jahre alte Polizistin lebte seit zwei Jahren mit einem 30 Jahre alten Polizisten derselben Dienststelle in einer festen Beziehung. Das Paar hatte Probleme und er trennte sich von ihr. Sie konnte die Trennung nicht akzeptieren und bat den Polizistenkollegen bereits Stunden nach der Trennungsmitteilung um eine klärende Aussprache in der Dienststelle noch am selben Abend. Weiterhin bat sie den Dienststellenleiter um eine Vermittlerrolle. Lange sprach das Paar allein. Als in der Dienststelle bekannt wurde, dass die Polizistin wohl ihre Dienstwaffe bei sich hatte und nach stundenlangen Diskussionen wohl das Gespräch entglitt oder eskalierte, wurden ein Spezialeinsatzkommando (SEK), Polizeipsychologen und Rettungskräfte angefordert. Ein stundenlanger Nervenkrieg zog sich für alle Beteiligten hin. Die Polizistin war nicht zu bewegen, ihre Waffe abzugeben. Lange wurde debattiert, ob ein Zugriff und Entwaffnungsversuch durch das SEK durchgeführt werden sollte. Die Polizistin beteuerte mehrmals „Ich will ja keinem wehtun“. Die ganzen Verhandlungen wurden telefonisch geführt. Plötzlich fielen Schüsse. Die Polizistin hatte zuerst ihrem Partner in den Kopf geschossen, dann sich selbst. Er wurde durch eine sofortige Notoperation im Klinikum Erlangen gerettet, die Polizistin ist verstorben. Die Vorgesetzten, die SEK-Beamten und alle Polizeikollegen waren schockiert. In der Polizeiführung und polizeinahen Gremien wurde dieser Fall lange diskutiert.10

 

5 Erweiterter Suizid (Partnertötung und Tötung zweier Kinder, anschließend Suizid des Polizisten)


In Vöhl (Nordhessen) erschoss am 23. Mai 2003 ein 51 Jahre alter Polizist mit seiner Dienstwaffe seine 48 Jahre alte Ehefrau und seine beiden Söhne. Die Söhne (14 und 19 Jahre alt) wurden tot am Esstisch sitzend vorgefunden. Anschließend beging der Polizist Suizid, indem er sich mit seiner Dienstwaffe selbst erschoss. Der Polizist hinterließ einen Abschiedsbrief, in den er von persönlichen Motiven für seine Tötungshandlung schrieb.

 

6 Dreifacher Mord durch einen Polizisten


In Wien kam es im Oktober 2016 zu einem aufsehenerregenden Dreifachmord eines 23 Jahre alten Polizisten. Er tötete seine schwangere Lebensgefährtin, mit der er einen gemeinsamen Sohn hatte und die von ihm zum zweiten Mal schwanger war, mit seiner Dienstwaffe. Am nächsten Morgen erwürgte er seinen Sohn. Im Juli 2017 wurde er wegen zweifachen Mordes und wegen Schwangerschaftsabbruch ohne Einwilligung zu lebenslanger Haft verurteilt.


Unter den hier geschilderten Intimiziden ist dieser Mordfall am aussagekräftigsten, weil hier ausführliche Berichterstattung und ein längeres Gerichtsverfahren stattfanden. Bei den meisten Fällen gab es ja keine Gerichtsverhandlung, weil sich der Täter nach dem Intimizid selbst tötete. Weiterhin wurden in dem Mordprozess zahlreiche Zeugen gehört, etwa 11.000 WhatsApp-Nachrichten ausgewertet und teilweise vorgelesen. Als Sachverständige kamen ein Rechtsmediziner und ein Forensischer Psychiater zu Wort. Der Täter wurde vom letztgenannten Gutachter als voll schuldfähig eingeschätzt.



Im Januar 2014 lernte der damals 20 Jahre alte Polizist aus der Steiermark seine aus Kärnten stammende und zwei Jahre ältere Lebensgefährtin über ein Dating-Portal kennen. Sie hatte einen starken Kinderwunsch und wurde ein halbes Jahr später schwanger. Der gemeinsame Sohn Noah wurde geboren. Mittlerweile zog das Paar nach Wien, weil der Polizist dort eine Stelle erhielt. Während er zunehmend als noch sehr junger Polizist im Dienst aufging, wurde sie immer „besitzergreifender“. Sie forderte mehr gemeinsame Zeit und Aufmerksamkeit und äußerte verstärkt Unzufriedenheit. Sie war sehr auf ihn fixiert und wollte nicht, dass er Freunde oder seine Herkunftsfamilie trifft. So hatte er in den drei Jahren dieser Beziehung nur noch sehr wenige Kontakte nach außen und fühlte sich eingeengt. Nun machte sie ihm öfter Vorwürfe, er sei ein schlechter Vater und verdiene zu wenig Geld. Gleichzeitig äußerte sie wiederholt Wünsche nach einem zweiten Kind.


Im Sommer 2016 fuhr die Lebensgefährtin gemeinsam mit dem Sohn zu ihren Eltern nach Kärnten, um dort den Führerschein zu machen, weil ihr das dort leichter erschien als in Wien. Sie verbrachte dort mehrere Wochen. Er hatte jetzt „eine sturmfreie Bude“, eine günstige Gelegenheit für lustvollere Ablenkungen. Bereits am ersten Tag ihrer Abreise begab sich der junge Polizist auf die Suche nach einer Affäre im Internet. Auf dem vertrauten Dating-Portal wurde er bald fündig, machte dort falsche Angaben zu seiner Beziehungssituation, hatte mir ihr regen Austausch über WhatsApp-Nachrichten, die teilweise später im Gerichtssaal vorgelesen wurden. Es wurde bald eine sexuelle Beziehung. Als die schwangere Lebensgefährtin aus Kärnten zu ihm zurück nach Wien kam, realisierte sie bald, dass hinter ihrem Rücken eine Affäre lief. Bei ihren Fragen und Nachforschungen beschwichtigte und log er. Das Doppelleben war perfekt. Aber die schwangere Lebensgefährtin wurde immer eifersüchtiger und es gab immer häufiger Streit. Ende September 2016 gab es einen ersten Tötungsversuch. Er versuchte sie von hinten zu erwürgen. Sie konnte sich befreien. Er entschuldigte sich mehrmals, machte große Versprechungen und pflegte nebenher intensiv den Kontakt mit seiner Affäre. Vier Tage später kaufte der schuldbewusste Polizist in einem Baumarkt Blumen für seine Partnerin und nahm dabei gleich große Müllsäcke und eine Axt mit. Diese deponierte er unter dem Ehebett. Nun kamen immer drängendere Tötungs-Phantasien. Eine Tötung mit der Axt war ihm nicht geheuer. Seine Partnerin entdeckte die Axt und die Müllsäcke unter dem Bett. Er beschwichtigte wieder mit Ausreden. Sie brachte beides in den Baumarkt zurück. Vier Tage später deponierte er seine Dienstwaffe im Schlafzimmer. Im Internet recherchierte er über „Hinrichtung durch Kopfschuss“. Als sei es unaufhaltsames Schicksal, nahm das Beziehungsdrama seinen tragischen Verlauf. Es kam wie es kommen musste. Der Rubikon war überschritten. Es kam zu einem Streit im Schlafzimmer. Mit einem Kopfschuss streckte er seine weinende Frau nieder. Sie blutete stark aus der Kopfwunde und war sofort tot. Da sie stark blutete, war das Bett voller Blut. Der 22 Monate alte Sohn Noah schlief während der Tat im Wohnzimmer nebenan. Der Polizist beseitigte die Blutspuren, putzte die ganze Wohnung und legte die Leiche vorerst in die Badewanne. Kurz danach traf er sich in Begleitung seines Sohnes mit der Geliebten. Sie gingen gemeinsam in einen Vergnügungspark, den „Family Fun Park“. Am nächsten Morgen erwürgte er seinen Sohn. Dann recherchierte er im Internet über „Wie kann man eine Leiche entsorgen“. Er wickelte beide Leichen in Plastikfolien, verstaute die Leiche der Lebensgefährtin in einem großen Koffer und die des Sohnes in einer Sporttasche. Dann gab er eine Vermisstenanzeige bei seiner Dienststelle auf und brachte heimlich seine Dienstwaffe zurück. Die Mutter der Lebensgefährtin schöpfte Verdacht und alarmierte die Polizei. Am nächsten Tag fuhr er mit den beiden Leichen in seinen Geburtsort in der Steiermark und versteckte die Leichen auf einem verlassenen Grundstück. Kurz danach wurde er von Polizeikollegen verhaftet.


Die Gerichtsverhandlung zog zahlreiche Zuhörer und Schaulustige an. Der Gerichtssaal war bald überfüllt und es musste zusätzlich Raum geschaffen werden. Das Medieninteresse war riesig, die Resonanz groß. Der Verlauf der Tragödie wurde minutiös aufgerollt. Der Gerichtsmediziner schilderte den Tathergang und berichtete über den Befund des ungeborenen Embryos. Der Forensische Psychiater hielt den Angeklagten für voll schuldfähig und zeigte sich ratlos bei Fragen nach dem Warum oder nach Erklärungen des Verbrechens.


Am Schluss wurde von der Richterin die letzte WhatsApp-Nachricht des Opfers vorgelesen, die sie einen Tag vor dem Mord an den späteren Täter schrieb. Sie lautete: „Mein Schatz, ich liebe dich von ganzem Herzen […] Wir schaffen alle Höhen und Tiefen, du bist mein Traummann.“

 

7 Auftragsmord durch einen Polizisten


Der Polizist Klaus D aus Bottrop war bereits mehr als 20 Jahre im Polizeidienst. Er war etwa 20 Jahre mit seiner Frau Karin D verheiratet, hatte zwei Töchter und ein Pflegekind. Die älteste Tochter war zum Tatzeitpunkt fast volljährig, die jüngere 14 Jahre alt. Das Ehepaar hatte einen aufwändigen Lebensstil, der ein Polizistengehalt überstieg. Deshalb betrieb er mit Genehmigung des Dienstherrn nebenher zu seinem Polizeidienst noch ein Versicherungsbüro. Die Familie hatte ein großes Haus, zwei Autos und Pferde für die Kinder. Im Dienst kam er als Polizeibeamter zu einer neun Jahre jüngeren Frau, die schon mehrmals die Polizei alarmierte, weil sie sich von ihrem gewalttätigen Mann bedroht fühlte. Zwischen beiden verheirateten Personen entwickelte sich eine Affäre. Der Polizist und die Geliebte beschlossen, dass die störende Ehefrau beseitigt werden müsse. Das Versicherungsbüro lief gut, so dass der Polizist sogar einen Mitarbeiter beschäftigen konnte. Dies war ein ehemaliger DDR-Soldat, durchaus gewalterprobt und gewaltbereit. Er ließ sich zu einem Auftragsmord anheuern, erschlug die Ehefrau und vergrub sie. Er war ein gut trainierter NVA-Nahkämpfer, der „mörderische Schlagkombinationen“ beherrschte. Bald flog das Mörder-Trio auf und wurde verhaftet. Das Landgericht Essen verurteilte die drei wegen Mordes zu einer lebenslangen Haftstrafe.


Die Mordtat geschah im Januar 1999. Bereits im Dezember 1999 wurde das kaltblütige Trio verurteilt. In der WAZ-Reihe „Der Gerichtsreporter“ findet sich ein 30 Minuten langer Podcast über diesen Auftragsmord unter dem Titel „Der fast perfekte Mord.“ Dort wird die langfristige und kaltblütige Planung des Mordes ebenso beschrieben wie der Prozess-Verlauf, die Beziehungsverstrickungen und die Tatmotive.

 

8 Versuchter Intimizid in Neubrandenburg


Ein 56 Jahre alter Polizist, der 35 Jahre lang bei der Kriminalpolizei in Rostock tätig war, hatte von Dezember 2019 bis März 2020 eine Beziehung mit einer 23 Jahre jüngeren Frau. Sie wurde schwanger und eine Tochter wurde geboren. Sie forderte Unterhalt und der Polizist erhielt ein Schreiben vom Jugendamt. Es wurde über einen Vaterschaftstest und Geldforderungen gestritten. Im Oktober 2021 drang der Polizist in die Wohnung der Ex-Geliebten ein. In der Wohnung waren noch deren Mutter und das Baby. Der Polizist hat sie nach einem kurzen Streit niedergeschlagen und gewürgt. Die Mutter der Partnerin hat er ebenfalls bewusstlos geschlagen. Dann hat er die Ex-Geliebte mit Spiritus übergossen und angezündet. Nach der Tat ist er geflohen und wurde bald verhaftet. Nachbarinnen retteten das Baby und riefen Notarzt, Feuerwehr und Polizei. Die Ex-Geliebte erlitt erhebliche und lebensgefährliche Verbrennungen, hat den Anschlag aber überlebt. Das Baby musste wegen einer Rauchgasvergiftung im Krankenhaus behandelt werden. Am 17. Mai 2022 verurteilte das Landgericht Neubrandenburg den Polizisten wegen Mordversuches und Körperverletzung zu 11 Jahren Gefängnis.

 

9 Vergleich mit Ergebnissen von größeren Intimizid-Studien


Oben wurde bereits darauf hingewiesen, dass die Suizidrate der geschilderten 14 Polizisten nach dem volllzogenen Intimizid außerordentlich hoch ist. Sie liegt deutlich höher als in neueren Intimizid-Studien. Luise Greuel untersuchte 41 männliche Intimizide. In ihrer Studie nahmen sich 25% der Täter nach der Partnertötung das Leben.11 Justine Glas-Ocik & Jens Hoffmann untersuchten 70 männliche Intimizide. Nur 5,7% starben unmittelbar nachher durch Suizid.12 Die extrem hohe Suizidrate unter den hier vorgestellten 14 Polizisten mit fast 80% ist extrem hoch und erklärungsbedürftig. Offensichtlich sind die Schamgefühle und die unbewusste Angst unerträglich hoch. Die Vorstellung, von Polizeikollegen verhaftet zu werden, dem Richter vorgeführt zu werden oder als Angeklagter im Gerichtssaal zu sitzen – alles erscheint so beschämend, dass es inakzeptabel und nicht zu ertragen ist. Die meisten Polizisten kennen diese Situationen aus ihrer Berufstätigkeit. Jetzt als Angeklagter auf der „anderen Seite“ zu stehen und der Angeklagte oder Verfolgte zu sein, erscheint offensichtlich den betroffenen Polizisten so schlimm zu sein, dass sie einen Suizid vorziehen. Vergleicht man diese Intimizid-Situation mit anderen Berufen – z.B. Ärzten oder Pastoren – so ist deren Suizidrate deutlich geringer.


Bezüglich der Tatmotive gibt es offensichtlich wenig Unterschiede zu männlichen Intimiziden anderer Stichproben. Bei den Intimizid-Auslösesituation stehen auch Trennungen im Vordergrund. Ein häufiges Tatmotiv ist Eifersucht.13 Bei den Gerichtsverhandlungen wird fast immer das Gutachten eines Forensischen Psychiaters angehört, das über die Persönlichkeit, Psychopathologie und psychische Störungen Auskunft gibt. Die meisten Polizisten dieser Untersuchung, die einen Intimizid begangen haben, starben durch Suizid. Also gab es keine Gerichtsverhandlung. Die wenigen überlebenden Täter hatten eine narzisstische Persönlichkeitsstörung oder narzisstische Persönlichkeitsmerkmale.14


Auffällig ist auch die Tötungsart – sowohl beim Intimizid als auch beim folgenden Suizid. Bei den 14 Polizisten wurde fast ausschließlich die Dienstwaffe verwendet und Erschießen oder Kopfschuss war die Tötungsart. Dies ist bei anderen Intimiziden und Suiziden deutlich anders. Da begegnet den Untersuchern eine viel größere Vielfalt. Bei der Tötung des Partners sind Hieb- und Stichwaffen viel häufiger, z.B. lange Küchenmesser, Axt oder Beil. Beim nachfolgenden Suizid sind Erhängen, Intoxikation oder Suizid mit dem Auto (Sturz von der Brücke, Brückenpfeiler, Fahrt gegen eine Mauer, Geisterfahrt) in Intimizid-Studien durchaus häufig vertreten, bei den hier vorgestellten Polizisten überhaupt nicht.


In ihrem Beruf müssen Polizisten oft stark und souverän sein. Für viele Herausforderungen haben sie spezifische Trainings und sind gewappnet. Wenn sie von ihrer Partnerin verlassen werden oder in schwere Beziehungskrisen geraten, sind sie oft besonders vulnerabel. Auf diese Verletzlichkeit sind sie meist nicht vorbereitet. Das kostet nicht selten ihrer Partnerin und anschließend ihnen selbst das Leben. Intimizid und Suizid sind dann zwei Seiten derselben Medaille. Sie markieren menschliche Tragödien, die prinzipiell vermeidbar sind. „Murder Suicide“ ist der Fachbegriff für diesen menschlichen Abgrund. Dass auch Polizisten in diesen Abgrund gerissen werden können, ist mehr als menschlich. Die renommierteste Forensische Psychiaterin Deutschlands, Nahlah Saimeh, schrieb ein Buch mit dem Titel „Jeder Mensch kann zum Mörder werden“.15 Dies gilt auch für Polizisten.

 

Anmerkungen

 

  1. Der Autor war bis zu seiner Pensionierung Schwerpunktleiter Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Zentrum Innere Medizin der Medizinischen Klinik und Poliklinik II in Würzburg. Aktuelle Korrespondenzadresse: [email protected].
  2. Auf eine geschlechterspezifische Differenzierung wurde überwiegend verzichtet und das generische Maskulinum verwendet.
  3. Laura Backes/Margherita Bettoni, Alle drei Tage. Warum Männer Frauen töten und was wir dagegen tun müssen. Deutsche Verlagsanstalt München 2021.
  4. Julia Cruschwitz/Carolin Haentges, Femizide. Frauenmorde in Deutschland. Hirzel Verlag Stuttgart 2021.
  5. Ulrike Borst, Lanfranchi, Andrea (Hrsg.), Liebe und Gewalt in nahen Beziehungen. Carl-Auer-Verlag, Heidelberg 2011.
  6. Bundeskriminalamt (Hrsg.) Partnerschaftsgewalt – Kriminalstatistische Auswertung – Berichtsjahr 2021. Bundeskriminalamt Wiesbaden, 24. November 2022.
  7. Winfried Rasch, Tötung des Intimpartners. Enke, Stuttgart 1964.
  8. Andreas Marneros, Intimizid. Die Tötung des Intimpartners. Ursachen, Tatsituationen und forensische Beurteilung. Schattauer, Stuttgart 2008.
  9. Milan Zimmermann, Murder Suicide. Der inszenierte Tod. Die Wahrheit hinter Familientragödien, Beziehungsdramen und Amokläufen. Droemer, München 2022.
  10. Daniel Fuchs, Eifersuchtsdrama. Polizistin schießt auf Polizisten. 10 nach 8 vom 4.1.2009.
  11. Luise Greuel, Abschlussbericht des Forschungsprojektes „Gewalteskalation in Paarbeziehungen“. Institut für Polizei und Sicherheitsforschung, August 2009.
  12. Justine Glas-Ocik, Hoffmann, Jens, Gewaltdynamiken bei Tötungsdelikten an den Intimpartnern. 2011, S. 263-286.
  13. Herbert Csef, Eifersucht – Klinische Erscheinungsbilder, Psychopathologie, Beziehungsdynamik, therapeutische Möglichkeiten. Der informierte Arzt 7 (1990), Heft 10, S. 969-976.
  14. Herbert Csef, Pathologischer Narzissmus und Destruktivität. Gewaltexzesse in der Gegenwart. Nervenheilkunde 35 (2016) S. 858-863.
  15. Nahlah Saimeh, Jeder kann zum Mörder werden. Wahre Fälle einer forensischen Psychiaterin. Piper, München 2012.