Grenzsituationen der Kriminalitätsbekämpfung und ein besonderes Jubiläum

Von LKD a.D. Ralph Berthel, Frankenberg/Sa.

 

Für Kolleginnen und Kollegen im Polizeidienst ergeben sich aus ganz unterschiedlichen Einsatzsituationen, aber auch im Rahmen ihrer Aufgaben im Bereich der Verbrechensbekämpfung besondere physische und psychische Belastungssituationen. Das ist nicht selten dienstlicher Alltag. Für den Einzelnen stellen diese Situationen bisweilen erhebliche Belastungen dar. Damit gehen in nicht wenigen Fällen Auswirkungen auf die Gesundheit, die Berufszufriedenheit und die Leistungsfähigkeit der Betroffenen einher. Diese reichen teils über den dienstlichen Bereich hinaus bis weit in den der privaten Lebensführung hinein. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) widmete sich im November vergangenen Jahres im Rahmen einer Fachtagung in Berlin den damit verbundenen Herausforderungen für den Einzelnen, aber auch für die Polizeiorganisation als Ganzes. Zugleich war diese Veranstaltung Gelegenheit, ein besonderes Jubiläum zu begehen. Die Fachzeitschrift „DIE KRIMINALPOLIZEI“ konnte im vergangenen Jahr auf 40 erfolgreiche Jahre ihres Bestehens zurückblicken. Aus Anlass dieses besonderen Jubiläums führten der Bundesvorstand der GdP gemeinsam mit dem Redaktionsteam der Zeitschrift diese zweitägige Fachveranstaltung durch, in der in Vorträgen und Diskussionen durch Betroffene, Vorgesetzte sowie Vertreter aus Wissenschaft, Politik und Gewerkschaft ausgewählte Belastungssituationen thematisiert wurden. Dieser Beitrag will die wesentlichen Inhalte der Veranstaltung abbilden und gleichzeitig einen Blick zurück in die Geschichte der Zeitschrift werfen.2

 

1 DIE KRIMINALPOLIZEI – Wie alles begann und was die Zeitschrift auszeichnet


Die Zeitschrift DIE KRIMINALPOLIZEI wurde im Jahr 1983 vom Landesbezirk Baden-Württemberg der Gewerkschaft der Polizei ins Leben gerufen. Erster Verantwortlicher Redakteur war Kriminaldirektor a.D. Manfred Teufel. Im Geleitwort zur ersten Ausgabe prognostizierte der damalige Innenminister des Landes Baden-Württemberg und spätere Präsident des Bundesverfassungsgerichts sowie Bundespräsident Roman Herzog, dass die Zeitschrift einen wichtigen Beitrag zur Weiterbildung der Polizeibeamten leisten werde. Er lag, wie so oft in seiner beeindruckenden Karriere, vollkommen richtig.


Die Arbeit von Manfred Teufel wurde von 2005 bis 2016 durch Ltd. Kriminaldirektor a.D. Herbert Klein aus Rheinland-Pfalz fortgesetzt. Seit 2017 fungiert Professor und Ltd. Regierungsdirektor a.D. Hartmut Brenneisen (Schleswig-Holstein) als verantwortlicher Redakteur. Seinem Team gehören weiter Kriminaldirektor Frank Wimmel und Erster Kriminalhauptkommissar Christian Zwick (beide Rheinland-Pfalz) sowie Erster Polizeihauptkommissar Dirk Weingarten (Hessen) an.


1999 haben die Bundesgeschäftsstelle der GdP und der Verlag Deutsche Polizeiliteratur (VDP) die Verantwortung für die Zeitschrift übernommen. Damit einher ging die Förderung der bundesweiten Verbreitung. Heute ist DIE KRIMINALPOLIZEI eine anerkannte Fachpublikation und kann eine Auflage von 20.000 Exemplaren vorweisen.


Mehr noch, neben vielen Praktikern zählen auch anerkannte Wissenschaftler zu den Autoren, die regelmäßig die Zeitschrift mit ihren Beiträgen bereichern. Gerade die damit verbundenen unterschiedlichen Perspektiven auf das Thema Polizei im Allgemeinen und die Kripo im Besonderen machen den besonderen Charakter der Zeitschrift aus. Zudem tragen auch die regelmäßigen Rezensionen aktueller Fachliteratur und die Rubriken „Strafrechtliche Rechtssprechungsübersicht“ und „Aktuelles aus dem Netz“ mit einer Fülle komprimierter und ausgezeichnet aufbereiteter Informationen dazu bei, dass die Zeitschrift einen großen Zuspruch erfährt.

 


Das aktuelle Redaktionsteam der Zeitschrift (v.l.): Christian Zwick, Hartmut Brenneisen, Dirk Weingarten und Frank Wimmel.

 

2 Die Idee zur Jubiläumsveranstaltung


Die Idee für die thematische Ausrichtung der Jubiläumsveranstaltung erwuchs u.a. aus einer Ringveranstaltung im Fachbereich Polizei der Fachhochschule für Verwaltung und Dienstleistung Schleswig-Holstein (FHVD) in den Jahren 2002/2003 zu besonderen Belastungssituationen im Polizeidienst und einer in diesem Zusammenhang entstandenen Buchdokumentation im Verlag Deutsche Polizeiliteratur3. In der Folge sollen exemplarisch einige Inhalte der, soviel sei vorangestellt, außerordentlich informativen Veranstaltung dargestellt werden.

 

3 Dynamische Veränderungen, echte Belastungen und wirksame Empfehlungen für die Kriminalitätsbekämpfung der Zukunft aus Sicht der Polizei Rheinland-Pfalz …


stellten der Inspekteur der Polizei Rheinland-Pfalz Friedel Durben und Ltd. Kriminaldirektor Jörg Wilhelm, Leiter des Referats Kriminalitätsbekämpfung im Ministerium des Innern und für Sport Rheinland-Pfalz im Rahmen des ersten Referates vor. In den Mittelpunkt ihrer Ausführungen stellten die Referenten drei aktuelle Analyseprojekte in der Polizei Rheinland-Pfalz. Im Teilprojekt „Gesünderes Arbeiten in der Kriminalpolizei“ wurden und werden mit wissenschaftlicher Begleitung von 2019 bis heute Fragen der psychischen Widerstandskraft und Belastungen in der rheinland-pfälzischen Kriminalpolizei untersucht. In der AG „Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen“ befasst man sich seit 2022 mit dem Themenbereich „Psychische Resilienz und Belastungssituationen in der Polizei Rheinland-Pfalz“. Auch hier legt man Wert auf wissenschaftliche Begleitung des Vorhabens. Vorschläge für die Fortentwicklung der Organisation der Kriminalitätsbekämpfung und der Stärkung der Kriminalpolizei in Rheinland-Pfalz wurden im dritten Teilprojekt, der „AG Kriminalitätsbekämpfung“, die von 2021 bis 2023 tätig war, untersucht. Zu den Ergebnissen, die bezogen auf die Kripo erzielt wurden und sich gegenwärtig in der Umsetzungsphase befinden, zählen u.a. eine gezielte Nachwuchswerbung für die Kriminalpolizei, kompetenzorientierte Qualifizierungen, Angebote zum Dienstzweigwechsel und die Förderung von Fachkarrieren. Unbedingt hervorhebenswert erscheint auch die Feststellung, dass die Polizei Rheinland-Pfalz künftig mehr den Blick von außen zulassen will und sich daher stärker für wissenschaftliche Erkenntnisse öffnen sowie ein aktives Monitoring im Bereich der Kriminalitätsentwicklung betreiben will, wie die beiden Referenten betonten.

 

 

4 Kindesmissbrauch, Kinderpornografie und Einsatz Künstlicher Intelligenz


Während sich Andrea Schütte, Kriminalhauptkommissarin an der Hessische Hochschule für öffentliches Management und Sicherheit und selbst langjährige Ermittlerin in ihren Ausführungen mit eindringlichen Worten mit den Belastungsfaktoren für Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter in Fällen des Kindesmissbrauchs auseinandersetzte, stellte Kriminaloberrat Lars Oeffner, Leiter des Dezernats 23 (Cybercrime/Digitale Spuren) im Landeskriminalamt Schleswig-Holstein das Projekt KIcK (Künstliche Intelligenz contra Kindesmissbrauch) vor.4 Dabei hob der Redner hervor, dass der Einsatz einer KI hinsichtlich der Bearbeitung des Deliktsfelds Kinder- und Jugendpornografie zunehmend alternativlos sei; gleichwohl kein Allheilmittel darstelle. In beiden Redebeiträgen wurde deutlich, dass dem Dienstherrn und selbstverständlich auch den Vorgesetzten gerade vor dem Hintergrund der spezifischen psychische Belastungen der im Deliktsfeld der Kinder- und Jugendpornografie bzw. des Kindesmissbrauchs eingesetzten Kolleginnen und Kollegen eine große Verantwortung zukommt. Insbesondere mit Blick auf die erheblich gestiegenen Fallzahlen und den nach wie vor ungenügend mitgewachsenen Personaleinsatz in diesen Deliktsbereichen sei hier ein erheblicher Handlungsbedarf zu konstatieren, so die Feststellungen der beiden Redner.

 

5 Medien als Stressfaktor


Polizeiliches Handeln geschah noch nie nur hinter verschlossenen Türen, allein deshalb, weil Strafverfolgung und Gefahrenabwehr als die gesetzlichen Aufträge der Polizeien regelmäßig in der Öffentlichkeit stattfinden. Und so ist polizeiliches Handeln auch i.d.R. ein Kommunikations- bzw. Interaktionsprozess, zumindest meist mit einem solchen verknüpft. „Die Digitalisierung von Kommunikationsmedien hat (aber [d. Verf.]) zu einer Transformation von Öffentlichkeit geführt. Es gibt nicht nur eine, gar eine uniforme, Öffentlichkeit, in der Themen oder Interessen sichtbar sind oder nicht, sondern eine Vielzahl von parallelen, fluiden (veränderlichen) Teilöffentlichkeiten, die Öffentlichkeit konstituieren. … Durch eine neue Vielfalt an Kanälen, über die von einzelnen oder vielen an viele kommuniziert werden kann (»mass self-communication«, Castells 2007), entstehen neue und vielfältige Kommunikationsbeziehungen und Interaktionsmodi.“5 Nicht selten wird im polizeilichen Alltag nicht allgemein dieses neue Kommunikations-, besser eigentlich Interaktionsverhalten als stressauslösend gesehen. Die Kritik von Kolleginnen und Kollegen richtet sich oft recht allgemeint gegen die Medien oder gegen die Journalisten.


Vor diesem Hintergrund ging Polizeioberrätin Jana Reuter, Pressesprecherin im Ministerium für Inneres, Kommunales, Wohnen und Sport des Landes Schleswig-Holstein der Frage nach, wie sich das Spannungsfeld zwischen Polizei und Medien aus polizeilicher Perspektive manifestiert. Eine zentrale Rolle in ihren Ausführungen spielten die Begriffe „Deutungshoheit“ und „Krisenkommunikation“. Sie betonte, dass Polizeien und Medien nicht ohne einander „könnten“. Und daher sei es auch zwingend, dass beide Player auf einander zugingen. Weiter hob die Rednerin die herausragende Rolle der sozialen Medien im Rahmen polizeilicher Interaktionsstrategien hervor und forderte mehr Offenheit für deren Einsatz im polizeilichen Management. Zudem verdeutlichte sie an Beispielen die Bedeutung schneller, abgestimmter, proaktiver und mit klaren Verantwortlichkeitszuweisungen versehener Krisenkommunikation, da diese sowohl für die Reputation als auch für die Vertrauensbildung von herausragender Bedeutung sei. Wenn es um den Begriff „Deutungshoheit“ geht, erlangen die gesetzlichen Aufgaben der Strafverfolgung und Gefahrenabwehr m.E. zunehmend eine Erweiterung in der Form, dass den Polizeien auch die Aufgabe zukommt, ihre Aufträge und deren Umsetzung der Gesellschaft zu erläutern … und dies nicht anderen zu überlassen, die dies (nachvollziehbar) aus ihrer Perspektive und mit ihrem Wissen und ihren Intentionen tun.


Die Sichtweise eines Hauptpersonalratsvorsitzenden auf das Verhältnis Medien-Polizei stellte Erster Polizeihauptkommissar Karsten Bech, Vorsitzender des Hauptpersonalrats der Hessischen Polizei dar. Ausführlich ging er dabei auf das Spannungsfeld zwischen Identifizierbarkeit und Persönlichkeitsrechten ein und verdeutlichte mit Hinweis auf Beispiele von Einflussnahmen durch Tatverdächtige, die bis in den privaten Bereich von Kolleginnen und Kollegen reichten, welche Dimensionen dieses Feld erreicht hätte.


Die journalistische Sichtweise brachte Kathrin Gräbener, Leitende Redakteurin bei RTL-Television in die Diskussion ein und unterstrich dabei die neuen Herausforderungen, die sich auch für Journalisten dadurch ergeben würden, dass über soziale Medien ungeprüfte und nicht nach publizistischen Grundsätzen „produzierte“ Informationen verbreitet würden. Betrachtet man dann noch, dass Studien belegen, dass sich in sozialen Medien Unwahrheiten schneller und in größerer Reichweite verbreiten, als wahre Nachrichten6, wird das Ausmaß der Herausforderungen deutlich. Und das betrifft sowohl die Polizeien als auch Journalisten. Das Erlangen der Deutungshoheit, auf das gerade Frau Reuter in ihren Ausführungen hingewiesen hatte, dürfte vor diesem Hintergrund für die polizeiliche Kommunikation eine der Herausforderungen darstellen.

 


Jana Reuter ging auf das Spannungsfeld zwischen Polizei und Medien ein.

 

6 Begegnungen mit dem Tod


… gehören für viele Polizistinnen und Polizisten zum dienstlichen Alltag. Mit den außerordentlichen Herausforderungen, denen sich die Kolleginnen und Kollegen bei der Durchführung ihrer Dienstaufgaben dabei auseinandersetzen müssen, befassten sich die Redner des ersten Abschnitts am zweiten Veranstaltungstag.


Erster Kriminalhauptkommissar Dirk Brauer stellte dabei aus der Sicht eines Leiters einer Mordkommission am Beispiel einer Fallkonstellation im Bereich der Zentralen Kriminalinspektion Ludwigshafen die bis hin zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen reichenden Belastungen der eingesetzten Kolleginnen und Kollegen dar.


Sintflutartige Regenfälle hatten am 14. und 15. Juli 2021 zu Überflutungen, die ganze Landstriche in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz verwüsteten, geführt. Dabei kamen insgesamt mehr als 180 Menschen um Leben. Allein im Ahrtal verloren 17.000 Menschen ihr Zuhause. 135 Menschen starben. Die tiefsitzenden und nachhaltigen Eindrücke, die ein erfahrener Kriminaltechniker bei dem, wie er es bezeichnete, (Schock-)Einsatz im Ahrtal zu verarbeiten hatte und hat, schilderte Kriminalhauptkommissar Hartmut Weis, dem in diesem Einsatz insbesondere Aufgaben der Leichenbergung oblagen.


Das Spannungsfeld, in dem sich Polizistinnen und Polizisten beim Schusswaffengebrauch gegenübersehen, beleuchtete Kriminalhauptkommissar Ralf Schmidt von der Hessischen Hochschule für öffentliches Management und Sicherheit. Er wies dabei u.a. auf die Diskrepanz zwischen der öffentlichen Wahrnehmung des Schusswaffeneinsatzes einerseits und den tatsächlichen Geschehensabläufen und den Handlungsoptionen der eingesetzten Kolleginnen und Kollegen hin. Wie die Öffentlichkeit polizeilichen Schusswaffeneinsatz wahrnimmt, werde nicht selten auch von einigen wenigen (selbsternannten [d. Verf.]) Experten geprägt, so der Redner. Schmidt verwies dabei auf einen Focus-Beitrag aus 20227, indem öffentliche Verlautbarungen der Professoren Feltes und Singelnstein8 durchaus berechtigt hinterfragt werden. Nicht zuletzt machte der Referent auch auf teils praxisferne Vorstellungen zum Schusswaffengebrauch bei Verfahrensbeteiligten, etwa bei Strafverteidigern und bei Richtern, aufmerksam, die durchaus Einfluss auf den Gang des Verfahrens haben können.

7 Erfolgreiche Bewältigung von Belastungssituationen (Podiumsdiskussion)


Die mannigfaltigen Perspektiven auf Belastungssituationen im polizeilichen Alltag und deren Auswirkungen, wie sie an den beiden Veranstaltungstagen durch die Redner bereits ausgeführt wurden, nahmen die Teilnehmer an der Podiumsdiskussion, die den Abschluss der Tagung bildete, nochmals auf und vertieften diese. Teilnehmer waren: Alexander Poitz, stellvertretender Bundesvorsitzender der GdP; Friedel Durben, Inspekteur der Polizei Rheinland-Pfalz; Ltd. Polizeidirektor Ulrich Rothdauscher, Leiter des Zentralen Psychologischen Dienstes der Bayerischen Polizei; Prof. Dr. Heidi Mescher, Abteilungsleiterin an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW; Sonja Eichwede, Mitglied des Deutschen Bundestages sowie Kathrin Gräbener, Chief of Desk, Senior-Editor bei RTL Television. Moderiert wurde die Diskussion von Christoph Tiegel.


Ulrich Rotdauscher erläuterte zunächst die Arbeitsschwerpunkte seiner Dienststelle. Mit Blick auf die Komplexität der Herausforderungen an die psychologischen Dienste in den deutschen Polizeien bei der psychologischen Einsatz- und Ermittlungsunterstützung kritisierte er, dass bis heute kein bundesweites Netzwerk dieser Dienststellen existiere. Hinsichtlich der sog. Primärprävention, also bei Präventionsmaßnehmen zur Vorbeugung von Belastungen aus Problemsituationen für Beamtinnen und Beamte, stehe man noch am Anfang, merkte er zudem an.


Aspekte der Werbung und des Auswahlverfahrens für den Polizeiberuf, thematisierte Frau Prof. Mescher. Zwar spielten Eigenschaften wie Sportlichkeit und Kameradschaft in diesen eine Rolle – auch aus der Sicht der Bewerber. Auf die Frage des Moderators, ob denn auch Fragen der psychischen Belastbarkeit dabei relevant seien, entgegnete sie, dass dies leider weniger der Fall sei. Sie verwies auch auf die aus ihrer Sicht hohe Dropout-, also Abbruch-Quote, jedenfalls im polizeilichen Bachelor-Studiengang in Nordrhein-Westfalen. In diesem Kontext fügte sie hinzu, dass immer wieder festzustellen sei, dass der Polizeiberuf weniger als noch vor Jahren als Berufung angesehen würde. Hinsichtlich der Nachwuchswerbung und der Vorstellungen, die einige Bewerber vom Polizeiberuf hätten, ergänzte Alexander Poitz an anderer Stelle, dass einige „Luftschlösser“ spätestens im dienstlichen Alltag einstürzen würden.


Die Sicht der politischen Verantwortungsträger brachte Frau Eichwede ein und betonte dabei, dass man durchaus Herausforderungspotenzial sehe, mit dem die Kolleginnen und Kollegen tagtäglich konfrontiert seien.


Friedel Durben griff dies auf und erklärte, dass er sich manchmal mehr Gelassenheit und Vertrauen in die Arbeit der Polizei bei „den Politikern“ wünsche und dass sich diese häufiger von der Polizei beraten lassen sollten. Das dürfte, jedenfalls die Meinung des Verfassers, wohl ein „frommer Wunsch“ bleiben; gerade mit Blick auf die Kurzlebigkeit politischen Handelns und den dauerhaften Rechtfertigungsdruck, dem politische Verantwortungsträger ausgesetzt sind. Bei dem von Durben ebenfalls angesprochenen Ressourcenthema sind die Politiker allerdings durchaus die richtigen Ansprechpartner und hier sollten sowohl polizeiliche Führungskräfte wie auch die Berufsvertretungen wohl noch mehr als bisher auf die Notwendigkeiten und die Folgen von ausbleibenden Maßnahmen bei der Anpassung von Ressourcen an neue sicherheitsrelevante Entwicklungen aufmerksam machen. Und dabei geht es aus Sicht des Verfassers sowohl um die personellen, wie auch die materiellen und organisationsseitigen Ressourcen.


Genau hier war Alexander Poitz sehr deutlich, in dem er unterstrich, dass innere Sicherheit nicht nach Haushaltlage zu managen sei. Bezogen auf die Schwerpunktthematik der Veranstaltung wies er auf die Kampagne „Auch Mensch – Polizei im Spanungsfeld“9, die bereits 2011 durch die JUNGE GRUPPE der GdP (Bund) ins Leben gerufen worden war, hin. Dabei unterstrich er, dass Gewalt gegenüber Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten weder toleriert noch als Normalität betrachtet werden dürfe.


Ergänzend zu ihren Ausführungen am Vortag betonte Kathrin Gräbener, dass Journalisten die Belastungen, denen Polizistinnen und Polizisten aufgesetzt seien, durchaus erkennen und in der Berichterstattung berücksichtigten würden. Mit Blick auf die bereits am Vortag thematisierten Entwicklungen in der Medienlandschaft, die Bedeutung von Fake News und deren Auswirkungen auf soziale Spannungen in der Gesellschaft erschien die vielleicht zunächst recht allgemein klingende Aussage, dass sowohl die Polizei als die Journalisten den demokratischen Grundwerten unserer Gesellschaft verpflichtet seien, mir jedenfalls als bedeutsam und hervorhebenswert. Auch unter Hinweis auf eine Reportage zu Angriffen auf Einsatzbeamte, unterstrich Frau Gräbener, dass sie die Zusammenarbeit mit der Polizei stets als konstruktiv und professionell empfunden habe.

 


Die Teilnehmer an der Podiumsdiskussion (v.l.): Alexander Poitz, Friedel Durben, Ulrich Rothdauscher, Prof. Dr. Heidi Mescher, Sonja Eichwede,  und Christoph Tiegel.

 

8 Handlungssichere Gelassenheit, Sexismus in der Polizei und ein Gesetz gegen digitale Gewalt


Frau Prof. Mescher thematisierte mit einem nochmaligen Blick auf polizeiliche Studiengänge bzw. Ausbildung den Bedarf an, wie sie es nannte, Berufsrollenreflexion und plädierte dafür, in den Mittelpunkt polizeilicher Bildungsarbeit stärker als bisher „handlungssichere Gelassenheit“ zu stellen.


Auf die Frage des Moderators, ob auch Sexismus ein Stressfaktor im Polizeidienst darstelle, versuchte sich Ulrich Rothdauscher mit der Antwort, dass die gesellschaftlichen Diskussionen sich auch in der Polizei widerspiegeln würden.


Mit Blick auf das Spannungsfeld, dass Hass und Hetze nicht selten auch in sozialen Medien besondere Ausprägungen erfahren – übrigens auch gegen Kolleginnen und Kollegen der Polizeien – und andererseits die politische Grundüberzeugung, dass das Netz kein rechtsfreier Raum sein darf, verwies Frau Eichwede auf die Initiative für ein Digitales Gewaltschutzgesetz. Mit diesem Gesetz, so ist den Eckpunkten für ein Gesetz gegen digitale Gewalt des Bundesjustizministeriums zu entnehmen, soll eine deutliche Verbesserung des Rechtsschutzes bei Beleidigungen wie auch bei Bedrohungen oder Verleumdungen im Netz erreicht werden.10

 

9 Organisation und Moderation der Veranstaltung


Die Moderation der Veranstaltung hatte Christoph Tiegel, Moderator, Journalist und Präsenzcoach übernommen. Er führte in professioneller Weise durch das anspruchsvolle Tagungsprogramm. Dabei gelang es ihm ausgezeichnet, einerseits die Bezüge zwischen den einzelnen Veranstaltungsteilen mit Blick auf den inhaltlichen roten Faden herzustellen und andererseits, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einzubeziehen. Dem Berichterstatter fiel die ausgesprochen professionelle Organisation aller Veranstaltungsteile sehr wohltuend auf. Und dabei waren alle, die ich ansprach, sehr freundlich und hilfsbereit. Das tat gut.

 

10 Fazit


Der GdP und dem Redaktionsteam von DIE KRIMINALPOLIZEI ist ausdrücklich zu danken, sowohl für die Inhalte als auch die ausgezeichnete Organisation der Fachtagung. Den Veranstaltern ist es mit einem interdisziplinärer Betrachtungsansatz gelungen, die komplexe Materie polizeilicher Aufgaben und der damit in Verbindung stehenden psychischen und physischen Belastungen sachgerecht, in Deutlichkeit, aber zugleich unaufgeregt zu besprechen. Die thematische Schwerpunktsetzung war hochaktuell und die Auswahl der Referenten bzw. Diskussionsteilnehmer wurde der Komplexität der Materie ausgezeichnet gerecht. Den Glückwünschen zum Jubiläum und zu dieser ausgezeichneten Veranstaltung schließe ich gern meine Wünsche für weitere erfolgreiche Jahre von DIE KRIMINALPOLIZEI an. Ich freue mich auf die nächsten Ausgaben und ich freue mich auch, hin und wieder Autor sein zu dürfen!

 

11 Was mir noch wichtig ist


Sich in unserer schnelllebigen Zeit auf das Wesentliche, auf die Menschen, denen wir begegnen, die wichtig sind … waren, zu besinnen, zeichnet achtsame Menschen aus. So war es für mich sehr berührend, als die Teilnehmer der Veranstaltung des langjährigen und verdienstvollen Autors von DIE KRIMINALPOLIZEI, Professor Michael Knape, Direktor beim Polizeipräsidenten Berlin a.D., der im September vergangenen Jahres im Alter von 71 Jahren verstorben ist, mit einer Schweigeminute gedachten.


Bildrechte: Kay Herschelmann.

 

Anmerkungen

 

  1. Der Autor studierte Rechtswissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin. Berufliche Stationen waren u.a.: Leitung verschiedener Kripo-Dienststellen, Kriminalistik-Dozent an der damaligen Polizei-Führungsakademie in Münster-Hiltrup (2001-2005), Leitung der Hochschule der Sächsischen Polizei (FH) in Rothenburg/O.L. (2005-2013) und die Leitung der Abteilung Auswertung und Ermittlungen im Landeskriminalamt Sachsen (2015-2019) sowie die Vertretung der Polizei Sachsen in den Kommissionen Wirtschaftskriminalität und Organisierte Kriminalität der AG Kripo. Ralph Berthel ist Dozent im Masterstudiengang „Kriminologie, Kriminalistik und Polizeiwissenschaft“ an der Ruhr-Universität Bochum und im Masterstudiengang „Kriminalistik“ an der Hochschule der Polizei des Landes Brandenburg. Er ist Gründungsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Kriminalistik e.V. Erreichbarkeit: [email protected].
  2. Der Verfasser orientiert sich bei der Verwendung des Genus an den Regeln der Dudenredaktion. Sofern im Text das Maskulinum verwendet wird, aus dem Sachzusammenhang allerdings Femininum (weiblich) und Neutrum (sächlich) gemeint sind, steht das Maskulinum für die beiden anderen Genera. Ein sog. Gendern erfolgt nicht. Die verwendeten Internetquellen wurden letztmalig am 5.12.2023 aufgerufen.
  3. Hartmut Brenneisen; Gaby Dubbert; Stephan Schwentuchowski. Ernstfälle – Professionelles Einsatzmanagement der Polizei in Grenzsituationen, Deutsche Polizeiliteratur, 2. Aufl. 2005.
  4. Ausführlich vgl. Lars Oeffner, KIcK – Künstliche Intelligenz contra Kindesmissbrauch, DIE KRIMINALPOLIZEI, 1-2023, S.16.20.
  5. Otfried Jarren /Ulrike Klinger, Öffentlichkeit und Medien im digitalen Zeitalter: zwischen Differenzierung und Neu-Institutionalisierung, In: Harald Gapski, Monika Oberle, Walter Staufer, Medienkompetenz. Herausforderung für Politik, politische Bildung und Medienbildung, Bundeszentrale für politische Bildung, 2017, S. 34 f.
  6. Jan Schwenkenbecher, Social Media, So verbreiten sich falsche Nachrichten im Internet, Süddeutsche Zeitung, 8.3.2018.
  7. Andreas Spilcker, 16-Jähriger in Dortmund erschossen - Wer jetzt die Polizei verurteilt, macht es sich zu einfach, Focus, 18.03.2022, www.focus.de/panorama/welt/16-jaehriger-in-dortmund-erschossen-wer-jetzt-die-polizei-verurteilt-macht-es-sich-zu-einfach_id_134485275.html.
  8. Zur kritischen Auseinandersetzung mit den Ergebnissen der Studie von Singelnstein vgl. Heinrich Bernhardt, »Rechtswidrige Polizeigewalt« – ein reales Problem oder eine überzogene Betrachtung? Eine kritische Beleuchtung des Forschungsberichts »Körperverletzung im Amt durch Polizeibeamte« (KviaPol), DIE POLIZEI, 2023, S. 96 – 101.
  9. www.gdp.de/gdp/gdp.nsf/id/jg_auch-mensch-2-0.
  10. Bundesministerium der Justiz, Eckpunkte für ein Gesetz gegen digitale Gewalt, Pressemitteilung vom 12.4.2023.