Die Klimaschutzbewegung und der Linksextremismus 2.0

Von Dr. Udo Baron, Hannover

 

1 Einleitung

 

Der Klimaschutz ist ein Thema, das die Menschen weltweit bis in die Mitte der Gesellschaft bewegt. Um der globalen Erderwärmung und ihren Folgen entgegenzuwirken, hat sich in den letzten Jahren eine international agierende Klimaschutzbewegung formiert. Sie will den Druck auf die nationalen Regierungen erhöhen damit diese bis 2030 aus der Nutzung fossiler Energieträger aussteigen, um so die globale Erderwärmung noch auf deutlich unter Zwei-Grad zu begrenzen. Mit zahlreichen Protestaktionen versucht in jüngster Zeit vor allem die „Letzte Generation“ (LG) den umgehenden Ausstieg aus der Nutzung fossiler Energien zu erzwingen.


Die Proteste der Klimaschutzbewegung zeigen aber, dass nicht nur Demokraten, sondern auch Linksextremisten versuchen, diese Bewegung für ihre Interessen zu vereinnahmen. So rufen neben demokratischen auch linksextremistische Parteien, Organisationen und Gruppierungen zur Teilnahme an den Klimaprotesten auf. In meinem Artikel „System Change not Climate Change“ in der „Kriminalpolizei“ Nr. 2/2020 bin ich diesen linksextremistischen Einflussversuchen auf die zum damaligen Zeitpunkt noch junge Klimaschutzbewegung nachgegangen.2 Vor dem Hintergrund der zwischen 2020 und 2022 das Weltgeschehen bestimmenden Corona-Pandemie und des seit dem 24. Februar 2022 andauernden russischen Angriffskrieges auf die Ukraine hat das Thema Klimaschutz zeitweise an Aufmerksamkeit verloren. In dieser Phase sind neue Gruppierungen entstanden, manche haben an Bedeutung gewonnen, andere verloren. Doch veränderten sich auch die Einflussversuche von Linksextremisten auf die Klimaschutzbewegung? Wer sind im Jahre 2023 die Akteure, wer sind die Objekte der linksextremistischen Einflussnahme? Welche Auswirkungen haben diese Einflussversuche? Welche Rolle spielen vor allem „Ende Gelände“ (EG) und die LG innerhalb der Klimaschutzbewegung? Ist eine Radikalisierung innerhalb der Klimaschutzbewegung auch ohne linksextremistischen Einfluss möglich? Diesen Fragen möchte ich im folgenden Beitrag nachgehen.

 

2 Veränderungen der linksextremistischen Einflussversuche auf die Klimaschutzbewegung


Konnte die Klimaschutzbewegung bis zur Corona-Pandemie zigtausende Menschen für ihre Aktionen mobilisieren, so verdrängten sie die pandemiebedingten Einschränkungen von Grundrechten wie dem Demonstrationsrecht weitgehend von der Straße. Vor allem „Friday´s for Future“ (FFF) als zentraler Organisator der Klimaproteste verlor seit Ausbruch der Pandemie deutlich an öffentlichem Zulauf und Aufmerksamkeit.3 Aus diesem Grunde hat auch das Interesse von Linksextremisten an der Klimaschutzbewegung im Allgemeinen und an FFF im Besonderen nachgelassen. Für die geschulten Marxisten-Leninisten der „Deutschen Kommunistischen Partei“ (DKP) war der Klima- und Umweltschutz im Gegensatz zum marxistischen Hauptwiderspruch, der Ausbeutung des Arbeiters durch den Kapitalisten, stets nur ein Nebenwiderspruch. Manches DKP-Mitglied betrachtete die Klimaschutzbewegung als „bürgerlich unterwandert“.4 Im Gegensatz zur DKP ist für die „Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands“ (MLPD) die „Umweltfrage […] zur Systemfrage, zu einer zentralen Frage des Klassenkampfs und der Vorbereitung und Durchführung der internationalen sozialistischen Revolution“ geworden.5 Aufgrund ihres Dogmatismus ist sie aber in der Klimaschutzbewegung äußerst unbeliebt und konnte z.T. nur auf dem Klageweg ihre Teilnahme mit ihren Parteisymbolen an den Klimaprotesten erstreiten.6 Auch die ihr nahestehende „Umweltgewerkschaft“ hat bislang keinerlei wahrnehmbaren Einfluss auf die Klimaschutzbewegung entfalten können. Zwar gründeten im März 2019 die der MLPD nahestehende Jugendorganisation „Rebell“ und die der trotzkistischen Gruppe „ArbeiterInnenmacht“ (GAM) nahestehende gewaltorientierte Jugendorganisation „Revolution“ (REVO) innerhalb von FFF eine „antikapitalistische Plattform“ namens „Change for Future“ (CFF), um innerhalb der Klimaschutzbewegung „der Kapitalismuskritik mehr Gehör zu verschaffen“ und die „Antikapitalisten“ innerhalb von FFF zu vernetzen.7 Doch war dieser Plattform von Beginn an wenig Erfolg beschieden. Mittlerweile ist sie nahezu in der Bedeutungslosigkeit versunken und spielt innerhalb von FFF kaum mehr eine Rolle. Auch ihr Twitter-Account8 und ihre Website scheinen inaktiv zu sein.9 War der Einfluss von DKP und MLPD auf die Klimaschutzbewegung von Beginn an eher gering, so übte die Autonome Szene, insbesondere die Postautonomen in Gestalt der „Interventionistischen Linke“ (IL), durchaus spürbaren Einfluss vor allem auf FFF aus. So haben Akteure der IL z.B. in Hannover gemeinsam mit FFF an den Klimastreiktag 2019 mit einem Transparent unter dem Motto „Systemwandel statt Klimawandel!“ teilgenommen und damit deutlich gemacht, dass für sie konsequenter Klimaschutz nur möglich ist, wenn der Kapitalismus und der ihn nach ihrer Auffassung schützende demokratische Rechtsstaat überwunden sind.10 Mittlerweile befindet sich die IL in einer Krise. Ihr sog. Zwischenstandspapier aus dem Jahre 2014 – ihr programmatisches Grundsatzpapier – ist bis heute noch nicht erkennbar weiterentwickelt worden. Stieg bislang die Anzahl ihrer Ortsgruppen über die Jahre kontinuierlich an, so muss die IL mit dem Ausscheiden der Ortsgruppen Freiburg, Heilbronn, Kassel, München und Münster heftige Kritik einstecken und einen nicht unerheblichen personellen Aderlass verkraften.11 In ihrer Austrittserklärung übt z.B. die IL-Ortsgruppe Münster massive Kritik an der IL: „Wir wollten eine Organisierung neuen Typs und haben eine Organisation bekommen, die ihre Politik eher als Verwaltung denn als Suche nach radikalen Antworten versteht.“12 Es bleibt abzuwarten, wie die IL mit dieser Entwicklung umgeht, insbesondere, ob und wie sie politisch auf die an ihr geäußerte Kritik reagiert.

3 „Ende Gelände“


Die Klimaschutzbewegung ist kein monolithischer Block. Sie besteht vielmehr aus zahlreichen Gruppierungen und Organisationen, deren gemeinsames Ziel es ist, aus der Nutzung fossiler Energieträger auszusteigen. Eine ihrer ältesten ist das Klimaschutzbündnis „Ende Gelände“ (EG). Unter dem Motto „System Change not Climate Change“ wendet sich EG gegen die Nutzung der Braun- und Steinkohle und fordert eine „Abkehr vom fossilen Kapitalismus.“ EG will die Infrastruktur der Kohleindustrie möglichst öffentlichkeitswirksam lahmlegen, um so den verantwortlichen Betreiberkonzernen einen möglichst hohen finanziellen Schaden zuzufügen. Seit 2015 führt EG Großaktionen in Form von Blockaden und Besetzungsversuchen in deutschen Braunkohlerevieren durch.


Die linksextremistische IL ist nach eigenen Angaben bereits von Anfang an bei EG engagiert. Formell ist die IL wie das „…ums Ganze!kommunistische Bündnis“ (uG) nur eine Unterstützergruppe von vielen, sie war und ist aber maßgeblich an der Gründung von EG-Ortsgruppen beteiligt und dort ein steuernder Faktor. Auf ihrer Website beansprucht die IL sogar die Gründungsinitiative von EG für sich, wenn sie schreibt: „Mit Ende Gelände haben wir ein unglaublich großes Ding geschaffen.13 Für die IL ist EG aufgrund ihres Bekanntheitsgrades und der vermeintlichen Verortung im zivilgesellschaftlichen Spektrum von großer Bedeutung für ihre Einflussversuche.


EG sucht wie die IL den Kontakt zu den nichtextremistischen Kreisen der Klimaschutzbewegung. Die linksextremistische Einstellung von EG und sein Zusammenwirken mit Linksextremisten treten 2023 deutlicher zutage als zuvor. So hat EG beispielsweise auf seinem Twitter-Account an das uG im Februar 2023 gepostet: „Zwei Dinge sind unverbrüchlich. Unsere Solidarität mit Euch und unsere Liebe für Euch“.14


Neben der organisatorischen ist es mittlerweile auch verstärkt zu einer weiteren inhaltlichen Annäherung von EG an den Linksextremismus gekommen. Diese Entwicklung spiegelt sich vor allem in zwei ihrer Publikationen wider: zum einen in dem 2022 in der Edition Nautilus erschienenen Buch „We shut shit down“15 und zum anderen in ihrem im Internet verfügbaren Traktat „Überall Polizei, nirgendwo Sicherheit.“16 Im ersteren legt EG vor allem in den Kapiteln „Kapitalismus: ‚System change not climate change‘“ und „Staat: Ende Gelände mit dem Staat?“ unmissverständlich seine Einstellung zum Staat, seinen Institutionen und Repräsentanten dar. So heißt es etwa im erstgenannten Kapitel: „Verbunden mit unserer Forderung nach dem Ende der Kohlenutzung war immer auch die Forderung nach der Überwindung eines Systems, das weltweite Ungleichheit und Zerstörung hervorruft und Haupttreiber der Klimakrise ist: des Kapitalismus.“17 Dass es EG mit seinen Forderungen nicht nur um eine Veränderung der bestehenden Wirtschaftsordnung geht, sondern auch um eine Überwindung des demokratischen Rechtsstaats, macht EG im weiteren Verlauf des Beitrages deutlich, wenn es betont: „Für uns ist Kapitalismus nicht nur eine Wirtschaftsordnung, sondern eine Gesellschaftsordnung“18, die es zu zerschlagen gilt. Der „Kampf für eine klimagerechte Gesellschaft“ kann daher nur dann erfolgreich sein, wenn zugleich auch der „Kampf für einen Systemwandel“ geführt wird.19 Die „antikapitalistische Arbeit“ von EG zielt – ganz im marxistischen Duktus – auf „die Auflösung der Klassenverhältnisse sowie die Änderung der Eigentumsverhältnisse.“20 Im Ergebnis sollen die erhobenen Forderungen zu einer „Vergesellschaftung und Demokratisierung des Energiesektors“ führen, d.h. zu einer Enteignung der Energiekonzerne.21 Um diese Vorhaben umsetzen zu können, wartet EG darauf, dass durch „die sich verschärfende Klimakrise […] Risse in der kapitalistischen Gesellschaftsordnung“ entstehen, auf die „wir als Bewegung reagieren können und müssen. Sie bieten Gelegenheiten, um zu einer ökologischen, solidarischen, gerechten Gesellschaft jenseits des Kapitalismus zu kommen.“22


Auch in ihrem im Internet veröffentlichten Traktat „Überall Polizei, nirgendwo Sicherheit“ macht EG deutlich, dass es den demokratischen Rechtsstaat, seine Institutionen und Repräsentanten ablehnt.23 Für EG ist die Polizei eine „herrschaftssichernde Institution“. Sie sei „zum Schutz von Eigentumsverhältnissen und staatlichen Machterhalt“ entstanden und steht „für Recht und Ordnung im Interesse des Kapitals“. Als „Quelle von Repression, Gewalt und Trauma“ gilt die Polizei als der „ausführende Arm von homo-, trans- und queerfeindlicher Gesetzgebung“. Sie schafft keine Sicherheit, sondern „nutzt ihre Machtposition um sich selbst und die ausbeuterischen, rassistischen und diskriminierenden Strukturen zu manifestieren und zu verteidigen.“ Die Polizei steht aus Sicht von EG einer „progressiven Zukunft im Wege […], sie steht der Demokratie im Wege und ist damit eine Gefahr für uns alle.“ Zusammengefasst ist die Polizei für EG ein staatliches „Repressionsorgan“, das „dem Guten Leben für alle aktiv im Weg“ steht. Aus diesen Gründen bedarf es einer „Überwindung der Polizei“, d.h. die „Polizei muss abgeschafft werden“. Als „Alternative zu einer brutalen Gruppe (benannt als Polizei) die mit ‚staatlich legimitierter‘ Gewalt die Aufrechterhaltung eines gewaltvollen Systems ermöglicht, gibt es die Möglichkeit kollektiv Verantwortung zu übernehmen und gewaltausübende Personen so zu verpflichten ihr Verhalten zu reflektieren, zu ändern und ihrerseits Verantwortung zu übernehmen für den Schaden den sie verursacht haben“.


Wie dogmatisch und für alle bei EG Mitwirkenden verbindlich die Einstellung zur Polizei zu verstehen ist, macht EG am Ende des Papiers deutlich, wo es heißt: „verschiedene Akteure bei Ende Gelände können ein unterschiedliches strategisches Verhältnis zur Polizei entwickeln wobei im Gesamten unsere Grundposition unverrückbar bleibt: Die Polizei ist keine Sicherheit und muss abgeschafft werden.“24


Die Kritik von EG zielt über die Polizei hinaus aber auch immer auf den als „kapitalistische Gesellschaftsordnung“ delegitimierten demokratischen Rechtsstaat. Ihn gilt es zu überwinden, denn erst dann werden auch seine Institutionen wie die Polizei als „Beschützer des Kapitalismus“ überwunden. Deshalb betont EG: „Unsere Polizeikritik ist ein Teil unserer Staatskritik“ und stellt klar, dass die „Überwindung dieses ausbeuterischen und diskriminierenden Systems […] genauso wie die Überwindung der Polizei alternativlos für eine befreite Gesellschaft [sind].“25


EG spricht selber von drei Strömungen mit unterschiedlichen Einstellungen zum Staat innerhalb ihres Bündnisses. Die erste Strömung hat eine „positive bis pragmatische Haltung zum Staat.“26 Sie will ihn nicht überwinden, sondern grundlegend reformieren. Die zweite Strömung steht dem Staat ablehnend gegenüber. Sie versteht ihn als eine „mit emanzipatorischen Zwecken und Ideen unvereinbare Herrschaftsstruktur“ zur „Durchsetzung von Kapitalinteressen.“27 Aus diesem Grunde lehnt sie die Zusammenarbeit „mit staatlichen und staatsnahen Akteuer*innen ab, aus Sorge davor, sonst die herrschenden Verhältnisse zu stärken und abzusichern.“28 Die dritte Strömung setzt sich „in ein gleichzeitig pragmatisches und gegnerisches Verhältnis zum Staat, indem sie versucht, staatliche Spielräume Stück für Stück für sich zu nutzen und auszuweiten.“ Ihr geht es dabei „vor allem um den Aufbau von gesellschaftlicher Gegenmacht.“29


In der Praxis bedeutet diese Einstellung zum Staat, seinen Institutionen und Repräsentanten, dass EG sich nicht nur für den Klimaschutz engagiert, sondern auch keine Berührungsängste mit Linksextremisten wie denen aus der autonomen Szene hat. Vielmehr bekennt sich EG in den sozialen Netzwerken zu den klassischen autonomen Themenfeldern, wenn es betont: „Ende Gelände ist feministisch, antifaschistisch, antirassistisch, antiableistisch, antikapitalistisch“.30 Die EG-Ortsgruppe Rheinland betonte z.B.: „Klimagerechtigkeit heißt #Antifa“ und hob die Verbundenheit zwischen EG und der „Antifaschistischen Aktion“ unter dem Motto „Kämpfe verbinden“ hervor.31

4 „Letzte Generation“


Die „Letzte Generation“ (LG) ist die jüngste der maßgeblichen Klimaschutzgruppierungen. Sie ging als neues Bündnis in Deutschland und Österreich im August 2021 aus „Extinction Rebellion“ (XR) hervor. Aufgrund des fortschreitenden Klimawandels befürchten ihre Akteure das Aussterben der Menschheit. Mit ihrer Selbstbezeichnung wollen sie zum Ausdruck bringen, dass sie die letzte Generation vor dem Auslöschen der Menschheit wären, die einen Klimakollaps noch aufhalten könne. Mit mehreren Kampagnen wie der Aktion „Hungerstreik 2021“ versuchte sie die Politik zu Zugeständnissen regelrecht zu erpressen. Ihr zentrales Anliegen ist wie bei FFF, XR und EG der bundesweite Ausstieg aus der Nutzung fossiler Brennstoffe. Auf dem Weg dahin fordert die LG zurzeit die Einführung eines dauerhaften 9-Euro-Monatstickets für die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel, ein Tempolimit von 100 km/h auf deutschen Autobahnen und die Einrichtung von Gesellschaftsräten zur Bekämpfung des Klimawandels. Die Mitglieder dieser Räte sollen per Losverfahren bundesweit ausgewählt werden und dann – frei von Lobbyeinflüssen – konkrete Maßnahmen erarbeiten, wie die Nutzung fossiler Brennstoffe bis 2030 sozial gerecht beendet werden kann. Die Regierung soll wiederum öffentlich zusagen, die „mit den erarbeiteten Maßnahmen verbundenen Gesetzesvorhaben in das Parlament einzubringen.“32

 


Aktion der „Letzten Generation“ in Berlin.


Um Aufmerksamkeit zu generieren und um die eigenen Interessen erfolgreich durchsetzen zu können, betreibt die LG wohl kalkulierten Alarmismus. Sie bedient sich dabei Weltuntergangsszenarien wenn sie beispielsweise behauptet, „gemeinsam sind wir die letzte [Generation], die noch etwas ändern kann“.33 Mit solchen Äußerungen spricht sie die Menschen nicht rational, sondern in erster Linie emotional an. Um deren vermeintliche Verblendung zu durchbrechen bedient sie sich gezielt weitverbreiteter, apokalyptische Züge annehmender Ängste vieler Menschen vor den Folgen des Klimawandels.34 Mit Hilfe verschiedener Aktionsformen des zivilen Ungehorsams versucht sie maximale mediale Aufmerksamkeit zu erzielen, um dadurch den Druck auf die Politik zu erhöhen.35 So blockiert die LG quasi in einer Dauerschleife bundesweit Autobahnen und Verkehrsknotenpunkte in allen größeren Städten ebenso wie Häfen und Flughäfen. Begleitet werden diese Aktionen von Farbanschlägen auf Symbole der Demokratie wie auf das gläserne Grundgesetzdenkmal „Grundgesetz 49“ oder auf wertvolle Gemälde in Museen und Kunstgalerien. Auch zu Manipulationen an der Öl- und Gasinfrastruktur ist es schon mehrfach gekommen.36


Bei ihrer Vorgehensweise überlässt die LG nichts dem Zufall. Alle Aktionen werden minutiös vorbereitet und sind zumeist mit Ultimaten an die Bundesregierung verknüpft. Basis aller Maßnahmen ist ein „Protestkonsens“, der sich im Sinne eines Gewaltverzichts gegenüber Menschen als „absolut gewaltfrei – sowohl in unseren Handlungen als auch in unserer Sprache (auch keine Beleidigungen)“ versteht.37


Strukturell ist die LG straff organisiert. Dutzende Arbeitsgemeinschaften beschäftigen sich mit Fragen des Aufbaus einer funktionsfähigen Infrastruktur, angefangen von der Eröffnung von Bankkonten über die Einrichtung von Abrechnungsstrukturen und Websites bis hin zur Protestplanung.38 Damit die Aktivisten es sich finanziell erlauben können, ihr Studium bzw. ihre Arbeit für die Proteste zu unterbrechen oder gar aufzugeben, können sie monatliche Gehälter bis zu 1.300 Euro erhalten – offiziell nicht für Blockadeaktionen, sondern für Bildungsarbeiten zur Klimakrise. Die Finanzierung erfolgt dabei über verschlungene Wege. Die in den USA ansässige Nichtregierungsorganisation „Climate Emergency Fund“ (CEF) erhält u.a. Gelder von der Enkelin des US-amerikanischen Erdöl-Tycoon Jean Paul Getty, der Tochter des ermordeten US-Präsidentschaftskandidaten Robert Kennedy und von dem Filmregisseur Adam McKay. Gelder aus diesem Fonds gehen dann an das in Berlin ansässige Wandelbündnis und von dort an die LG. 2022 sollen laut dem Finanzbericht der LG so etwa 900.000 Euro geflossen sein – neben Zuwendungen des CEF auch Gelder aus Direktüberweisungen, Sammelspenden und Crowdfunding Webseiten.39


Zwecks weiterer Professionalisierung ihrer Tätigkeit gründete die LG in Hamburg eine gemeinnützige Gesellschaft mit dem Titel „Klima- und Umweltaufklärung für den Erhalt der lebenssichernden Ökosysteme gemeinnützige GmbH“. Zugleich steht sie im engen Kontakt mit einigen Politikern, Journalisten, Kirchenvertretern und Polizisten.40 Ferner versucht sie sich international zu vernetzen. So fand Anfang 2023 ein virtuelles Vernetzungstreffen namens „International Mobilisation – Finance 101“ zwischen der LG und Vertretern von „Just stop oil“ aus Großbritannien, „Ultima Generazione“ aus Italien und „Derniere Renovation“ aus Frankreich statt. In jüngster Zeit gibt es laut Medienberichten offenbar auch Überlegungen, eine eigene Partei ins Leben zu rufen, um so die politische Arbeit besser zu schützen und noch effektiver Spendeneinnahmen generieren zu können.41


Linksextremisten sind immer daran interessiert, Einfluss auf nichtextremistische Organisationen und Gruppierungen zu nehmen. Für eine intensive linksextremistische Beeinflussung der LG gibt es gegenwärtig aber keine Anzeichen. Zwar solidarisieren sich Linksextremisten wie beispielsweise das Bündnis uG mit ihnen.So geschehen beispielsweise nach dem Tod einer Radfahrerin in Berlin am 31. Oktober 2022 für den zeitweise Aktivisten der LG verantwortlich gemacht wurden.42 Deren Straßenblockade habe – so der Vorwurf – dazu geführt, dass notwendige Hilfe möglicherweise nicht mehr rechtzeitig am Unfallort eintreffen konnte. Mittlerweile haben die Ermittlungen ergeben, dass das Leben der Radfahrerin auch ohne die Blockadeaktionen der LG nicht mehr hätte gerettet werden können.43 Die IL hat nicht nur diesen Aufruf unterschrieben, sondern darüber hinaus unter dem Motto „Klima Schützen ist kein Verbrechen“ eine eigenständige Solidaritätsbekundung für sie abgegeben. Darin versichert sie ihr: „Wir stehen an der Seite der Letzten Generation“.44 Für eine daraus zu schließende Zusammenarbeit gibt es jedoch keine ausreichenden Hinweise. Höchstwahrscheinlich ist die LG den weitgehend multithematisch aufgestellten, von ihrem Selbstverständnis her struktur- und hierarchiefeindlichen sowie klandestin agierenden Linksextremisten zu monothematisch aufgestellt, zu straff und hierarchisch organisiert und zugleich zu transparent, als dass die LG für sie politisch von ernsthaftem Interesse wäre. Umgekehrt sind ihr die Autonomen bzw. Postautonomen u.a. zu unorganisiert und zu gewaltorientiert, als dass sie ernsthafte Ambitionen auf ein Zusammenwirken hätten.


Diese Zustandsbeschreibung sagt aber nichts darüber aus, ob die LG nicht extremistische Züge aufweist. So verstoßen ihre Aktivisten z.B. mit ihrer Vorgehensweise gegen das Demokratieprinzip, indem sie Mehrheitsentscheidungen ablehnen, außer sie entsprechen den eigenen Vorstellungen. Auch gegenüber Parlamenten haben sie eine kritische bis ablehnende Haltung. Parlamentarische Meinungsbildungsprozesse sind ihnen zu sehr auf Kompromisse ausgerichtet und daher zu langwierig und nicht radikal genug. Stattdessen fordern sie Gesellschaftsräte, die demokratisch gewählte Parlamente durch nicht legitimierte Räte ersetzen könnten.45 Zudem stellt die LG das Rechtsstaatsprinzip und somit die Bindung an Recht und Gesetz durch ihre Aktionen in Frage.

5 Ausblick


Betrachtet man die Entwicklung der Klimaschutzbewegung, so lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine spürbare Zunahme des linksextremistischen Einflusses konstatieren. Verantwortlich dafür dürfte insbesondere vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie zum einen der Rückgang der Teilnehmerzahlen an den Aktionen der Klimaschutzbewegung sein. Haben beispielsweise noch im September 2019 etwa 1,4 Millionen Menschen an dem Klimastreiktag teilgenommen, so waren es nach dem Ende der Corona-Beschränkungen Anfang März 2023 nur noch rund 220.000.46 Aus diesem Grunde scheint vor allem FFF nicht mehr so attraktiv für Linksextremisten zu sein, wie es vor 2020 noch der Fall war. Zum anderen dürfte, neben dem andauernden Bedeutungsverlust des parteipolitischen Linksextremismus wie ihn die DKP und die MLPD verkörpern, die Krise der Postautonomen, insbesondere der IL, zum Rückgang der Einflussversuche beigetragen haben. Möglicherweise stößt das postautonome Projekt – zumindest was die IL betrifft – mittlerweile an seine Grenzen.


Gehörte EG in meinem Aufsatz zur Klimaschutzbewegung aus dem Jahre 2020 eher zu den Objekten der linksextremistischen Einflussnahme, so hat es sich mittlerweile zu einem Akteur entwickelt. Ließ sich zum damaligen Zeitpunkt der Linksextremismus bei EG in erster Linie über die Verbindungen zur IL herleiten, so scheint EG in der letzten Zeit zunehmend aus sich heraus linksextremistische Termini und linksextremistische Ideologiefragmente zu verwenden. Daraus geht hervor, dass EG mehrheitlich den demokratischen Rechtsstaat, seine Institutionen und Repräsentanten ablehnt. Demokratische Einrichtungen wie Parlamente und Parteien sind, wenn überhaupt, für EG nur Mittel zum Zweck auf dem Weg zur Überwindung der bestehenden Ordnung. Ihr Motto „System change not climate change“ muss daher auch als eine Aufforderung nicht nur zur Überwindung der wirtschaftlichen, sondern auch der politischen Ordnung gelesen werden.


Dagegen liegen bei der LG bislang keine Anhaltspunkte für eine linksextremistische Einflussnahme vor. Ihre Akteure wähnen sich zwar im exklusiven Besitz der Wahrheit, woraus ein Verkündigungsinteresse erwächst, dem die LG mit missionarischem Eifer und unter Verstoß gegen Recht und Ordnung nachgeht.47 Eindeutige linksextremistische Äußerungen oder entsprechende Positionierungen liegen gegenwärtig aber nicht vor.


Dennoch bietet die LG extremistische Anknüpfungspunkte. Um diese in seiner Gänze greifbar zu machen, helfen die bisherigen Kategorisierungen kaum weiter. Möglicherweise entwickelt sich die LG in Richtung eines „Ökoextremismus“, worunter eine neue Form des Extremismus zu verstehen wäre.


Auch wenn man den Aspekt der linksextremistischen Einflussnahme auf die Klimaschutzbewegung und deren Versuche, die Bewegung zu radikalisieren, außer Acht lässt, bleibt abzuwarten, in welche Richtung sich die Klimaschutzbewegung künftig entwickeln wird. Wird sie sich letztlich um konsensuale Lösungen im demokratischen Rahmen bemühen oder werden sich Teile der Bewegung weiter radikalisieren und die Proteste eskalieren lassen? Die Antwort auf diese Fragen wird nicht nur über das künftige Verhältnis der Klimaschutzbewegung zum Linksextremismus entscheiden, sondern über die Zukunft der Klimaschutzbewegung im Allgemeinen.


Bildrechte: LG.

 

Anmerkungen

 

  1. Dr. Udo Baron ist seit 2008 als Referent für den Bereich Linksextremismus und seit 2021 auch für den Bereich Extremismus mit Auslandsbezug im Niedersächsischen Verfassungsschutz zuständig.
  2. Vgl. Udo Baron, „System Change not Climate Change“ – Die Klimaschutzbewegung und der Linksextremismus, in: Die Kriminalpolizei 2/2020, S. 4-7.
  3. Vgl. Jan Heidtmann, Klebst du schon oder protestierst du noch?, in: Süddeutsche Zeitung vom 22.4.2023, S. 2.
  4. Deutsche Kommunistische Partei (DKP), Kommunistische Diskussionsbeiträge zu #Fridays-ForFuture (18.8.2019), in: www.dkp-mv.de (gelesen am 17.4.2022).
  5. Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands, Parteiprogramm der MLPD, 1. Auflage, Dezember 2016, in: www.mlpd.de (gelesen am 18.2.2022).
  6. Vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 29.11.2019 – 11 ME 385/19 -, juris.
  7. Rebell, Change for Future – die antikapitalistische Plattform in FFF (19. Juni 2020), in: www.rebell.info (gelesen am 27.4.2023).
  8. Vgl. Twitter-Account von „Change for Future“ in: twitter.com/CFF Antikap (gelesen am 18.6. 2023).
  9. Unter der Domain www.changeforfuture.de/ erscheint nur noch ein weißer Bildschirm.
  10. Das Motto „Systemwandel statt Klimawandel“ bzw. seine englischsprachige Variante „System Change not Climate Change!“ ist mittlerweile zu einem geflügelten Wort innerhalb der Klimaschutzbewegung geworden und dadurch kein Ausweis mehr für eine explizit extremistische Gesinnung.
  11. Interventionistische Linke, IL vor Ort (ohne Datum), in: www.interventionistische-linke.org/ (gelesen am 11.4.2023).
  12. Interventionistische Linke Münster, Nichts bleibt, wie es war – 10 Jahre sind genug (November 2021), in: www.ms-alternativ.de (gelesen am 31.5.2023).
  13. Interventionistische Linke (IL), Ende Gelände 2016 (16.7.2016), in: www.interventionistische-linke.org (gelesen am 25.4.2023).
  14. Twitter-Account von „Ende Gelände“ (14.2.2023), in: www.twitter.com/Ende__Gelaende/, (gelesen am 28.5.2023).
  15. Vgl. Ende Gelände, „We shut shit down“, Hamburg 2022.
  16. Vgl. Ende Gelände, Überall Polizei, nirgendwo Sicherheit. Kritik der Polizei – Ende Gelände 2022 (ohne Datum), in: www.ende-gelaende.org/polizeikritik/ (gelesen am 28.2.2023).
  17. Ende Gelände (Anm. 14), S. 139.
  18. Ebenda, S. 142.
  19. Ebenda, S. 140.
  20. Ebenda, S. 143.
  21. Ebenda.
  22. Ebenda, S. 149.
  23. Vgl. Ende Gelände (Anm. 15).
  24. Ebenda.
  25. Ebenda.
  26. Ende Gelände (Anm. 14), S. 173.
  27. Ebenda, S. 174.
  28. Ebenda.
  29. Ebenda, S. 175.
  30. Ende Gelände, Selbstverständnis, in: www.instagram.com/p/CRqXMN2McWg/ (gelesen am 23.7.2021).
  31. Twitter Account von Ende Gelände #ZADRheinland (21.1.2022), in: www.twitter.com/Ende__Gelaende/ (gelesen am 12.6.2023).
  32. Vgl. Letzte Generation, Forderungen (ohne Datum), in: www.letztegeneration.de (gelesen am 21.4.2023).
  33. Marcus Wadsak, Paula Dorten, Letzte Generation. Das Klimamanifest, Wien 2022, S. 7.
  34. Vgl. ebenda. Wadsak als Experte und Dorten als Aktivistin versuchen in zehn Thesen – hochemotionalisiert – dem Leser die Gefahren des Klimawandels vor Augen zu führen und ihn zum Handeln zu motivieren.
  35. Vgl. Mischa Kreiskott, Undercover bei der „Letzten Generation“. Interview mit Maria-Christina Nimmerfroh (15.3.2023), in: www.ndr.de (gelesen am 22.6.2023).
  36. Vgl. Tom Burggraf, Letzte Generation packt aus, in: die tageszeitung vom 27.3.2023, S. 9.
  37. Letzte Generation, Unser Protestkonsens (ohne Datum), in: www.letztegeneration.de (gelesen am 25.4.2023).
  38. Vgl. Alexander Dinger/Lennart Pfahler, „Letzte Generation“ plant offenbar Gründung einer Partei (21. März 2023), in: www.welt.de (gelesen am 11.4.2023).
  39. Vgl. Lennart Pfahler, „Letzte Generation“ – Das ist der Verein, der Klimaaktivisten Gehälter überweist“, (18.1.2023), in: www.welt.de (gelesen am 23.6.2023).
  40. Vgl. Alexander Dinger/Lennart Pfahler, Politiker bieten der „Letzten Generation“ ihre Hilfe an, in: Welt am Sonntag vom 9.7.2023, S. 1. Neben Bundestagsabgeordneten der SPD, der Grünen, der FDP und der Die Linke fanden u.a. auch Gespräche mit dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann und der saarländischen Ministerpräsidentin Anke Rehlinger statt. Bundesweit sollen sich zudem acht Polizisten der LG angeschlossen haben.
  41. Vgl. Dinger/Pfahler (Anm. 38).
  42. Aufruf „Klima schützen ist kein Verbrechen – Solidarität mit der Letzten Generation“ (ohne Datum), in: www.letztegeneration.de/ (gelesen am 12.4.2023). Neben der IL und EG gehört auch uG zu den Unterzeichnern des Solidarisierungsaufrufs.
  43. Vgl. Ohne Autor, Aktivisten beschmieren FDP-Zentrale, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 14.4.2023, S. 4.
  44. Vgl. Interventionistische Linke, Klima schützen ist kein Verbrechen. Solidarität mit der Letzten Generation, in: www.interventionistische-linke.org/ (gelesen am 20.4.2023). Ob oder wie der AdLG auf die Solidaritätsbekundungen reagierte, ist nicht bekannt.
  45. Vgl. Letzte Generation (Anm. 37).
  46. Vgl. Valentin Dreher/Johanna Schwanitz, Von Spaltung ist keine Rede mehr, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 19.4.2023, S. 3.
  47. Vgl. Benno Schirrmeister, „Apokalyptische Rede stellt eine Chiffre der Dringlichkeit dar“. Interview mit dem Religionswissenschaftler Alexander-Kenneth Nagel, in: die tageszeitung vom 6.2.2023, S. 23.