Jugendberatung bei der Polizei (JUBP) in Sachsen-Anhalt

Ein nachahmenswertes Kooperations- und Jugendpräventionsmodell

Von Rainer Bode, Magdeburg

1 Einführung

Seit 25 Jahren arbeiten zwei ganz unterschiedliche Berufsgruppen sozusagen Tür an Tür, sitzen aber nicht in einem Boot, denn da gibt es immer nur einen Kapitän. Beide steuern gemeinsam den Kampf gegen bzw. die Begegnung von Jugenddelinquenz. Wohlwissend, dass die Jugend als Lebensphase potentieller Devianz und Delinquenz ubiquitär und vorübergehend ist. Das gemeinsame Ziel im Verständnis von Jugendkriminalprävention ist die Verhinderung von kriminellen und damit eben auch von Jugendhilfekarrieren, die nebenbei den Steuerzahler immer mehr Geld kosten.

In gemeinsamer Verantwortung bei der Begegnung von Jugenddelinquenz wird an einer bereits sehr nahen Schnittstelle ein dualer Ansatz von Repression und Prävention erfolgreich verfolgt. Das heißt konkret, Polizei lädt vor oder führt zu und JUBP interveniert unmittelbar nach polizeilichem Handlungsvollzug mit pädagogischen Mitteln, z.B. Krisenintervention, Beratung, Begleitung Vermittlung, Elternarbeit, Schadenswiedergutmachungen und jugendpräventiven Aktivitäten. Erfolgreich konnte sowohl durch polizeiliche als auch pädagogische Interventionen der prozentuale Anteil von jungen Menschen an der Gesamtkriminalität sowohl in der Landeshauptstadt Magdeburg als auch in Sachsen-Anhalt insgesamt in 25 Jahren fast halbiert werden (Abb. 1).

2 Polizeiliche und pädagogische Interventionen

Polizeiliche und die sich unmittelbar daran anschließenden pädagogische Interventionen greifen wirkungsvoll nacheinander. Nach einem Vierteljahrhundert sollten Kritiker und Bedenkenträger nicht mehr zu sehr ausschließlich über das Trennende nachdenken und sich ablehnend äußern, sondern vielmehr über das nachweislich Machbare informieren, was sowohl den jungen Menschen als auch der Gesellschaft letztendlich hilft. In 25 Jahren wurden 102.545 Interventionen bei delinquenten jungen Menschen bis zum 21. Lebensjahr realisiert. Mit jedem fünften Klient wird eine Vereinbarung getroffen woraus sich kurz- bzw. mittelfristige Betreuungen ergeben. Kurzzeitbetreuungen, mit einer Vielzahl von sowohl selbst durchgeführten als auch vermittelten lebenslagenspezifischen Hilfeleistungen, die einen hohen Gebrauchswert für die jungen Menschen haben. Dafür standen in den 1990-er Jahren 54 Sozialarbeiter landesweit zur Verfügung. Mit dem einhergehenden starken Personalrückgang bei der Polizei (Vollzug und Verwaltung), wurden auch diese Personalstellen der JUBP reduziert. Derzeit halten 29 Beschäftigte an 14 Revieren und 14 Revierkommissariaten sozusagen die Stellung. Ergebnisse der Interventionen werden jedes Jahr im Jugendkriminalitätsbericht des LKA Sachsen-Anhalt aufgeführt oder können in den Jahresberichten der JUBP noch detaillierten nachgelesen werden.

Dabei gibt es kein Geheimnis für den Erfolg. Sozialwissenschaftler, Kriminologen und auch Psychologen bestätigen und fordern schon seit Jahren die bestehenden großen Chancen der präventiven Wirkung auf die Änderungen des Bewältigungsverhaltens von deviant und delinquent handelnden jungen Menschen, durch (eindeutig geregelte) kooperierende zeitnahe Arbeit von Pädagogik und Polizei.


Abb. 1

2.1

Der Einsatz von Sozialarbeitern bei der Polizei in Sachsen Anhalt kann nachweisen, dass bei gegenseitiger Akzeptanz und eindeutigen Regelungen der unterschiedlichen Handlungsaufträge von Polizei und Sozialarbeit, eine ressortübergreifende Arbeit an Schnittstellen der „Delinquenzbegegnung“ möglich ist (Abb. 2).


Abb. 2

2.2 

JUBP wird seit 1993 durchschnittlich im Jahr von mindestens 90% der bei der Polizei erscheinenden jungen Menschen nach polizeilichem Handlungsvollzug angenommen. Die prozentuale Aufteilung der Altersgruppen kann als durchschnittliche Anteile in 25 Jahren gesehen werden. Es dominieren die Jugendlichen, gefolgt von den Heranwachsenden und den Kindern. Ältere werden sehr selten von der Polizei vermittelt bzw. melden sich weitaus seltener (Abb. 3).


Abb. 3

2.3

Die konzeptionelle Arbeit der JUBP bestätigt, dass Delinquenzbegegnung in der Einzelfallarbeit nur dann wirklich erfolgreich ist, wenn die Sozialarbeiter in ihrer Herangehensweise strikt Person und Tat voneinander trennen. Das heißt

  • den jungen Menschen annehmen mit seinen Problemen, die er hat, diese mit ihm und internen und externen Netzwerkpartnern bearbeiten, um z.B. Verhaltensänderungen zu ermöglichen, die dann wiederum die Probleme, die er macht, z.B. durch delinquentes Verhalten, zukünftig zu verhindern,
  • die konkrete Tat reflektieren,
  • die multikausalen Tatursachen aufbereiten,
  • mögliche zeitnahe Wiedergutmachungsleistungen einleiten,
  • das Arbeiten an den Stärken (Ressourcenorientierung) des jungen Menschen,
  • Empowerment in der Elternarbeit und
  • adressatenorientierte Prävention im internen und externen Netzwerk.

Kinder, Jugendliche und auch Heranwachsende, die bei der Polizei erscheinen und somit frühzeitig über die JUBP ganz lebenspraktische Hilfen mit einem sogenannten Gebrauchswert bekamen und bei Bedarf umgehend an die kommunalen Fachdienste vermittelt wurden, traten bei der Polizei nachweislich deutlich weniger bis nicht mehr in Erscheinung.

2.4

JUBP leistet Krisenintervention in Krisensituationen bei jungen Menschen unmittelbar nach polizeilichem Handlungsvollzug (z.B. Zuführungen/Vorladungen). Das „Erwischt werden“, die „polizeilichen Zuführungen“ und auch die „Anhörungen bzw. Vernehmungen“ sind in den allermeisten Fällen zumindest Belastungssituationen mit einem krisenhaften Charakter. Eine unmittelbar danach ansetzende Intervention bietet eine echte Chance für die Kinder- und Jugendhilfe im Allgemeinen und für die JUBP-Mitarbeiter im Besonderen, um Zugang zu den Betroffenen zu bekommen. Auch und gerade Intensivtäter, um im polizeilichem Sprachgebrauch zu bleiben, gehören zur Zielgruppe. Es bleibt vordergründig wichtig sich auf wiederholt und mehrfach delinquent handelnde junge Menschen zu konzentrieren, will man doch gemeinsam zukünftig den Anteil der jungen Menschen, die intensiv Straftaten begehen (die sog. Intensivtäter werden in Sachsen-Anhalt als Jungtatverdächtige mit neun und mehr Straftaten in einem Kalenderjahr [JTV] bezeichnet), reduzieren. Immerhin sind es doch diejenigen, die für einen sehr großen Anteil der Straftaten verantwortlich sind (bundesdurchschnittlicher Erkenntniswert: knapp 5% der JTV sind für rund 50% der Straftaten verantwortlich).

2.5

JUBP sind Krisenmanager. Sie

  • informieren niederschwellig,
  • beraten, begleiten und vermitteln bei Bedarf professionell,
  • arbeiten mit Erziehungs- und Sorgeberechtigten, mit Institutionen und Behörden, vor allem Schulen, sehr eng zusammen, was nachweislich Wirkungen im Sinne der Akzeptanz zeitnaher Soforthilfen zeigt und entsprechende Verhaltensänderungen bewirkt und
  • vermitteln alternative Kompetenzen zum Bewältigungsverhalten durch gemeinsame Unterstützung von internen und externen Ressourcen (Abb. 4).


Abb. 4

2.6

JUBP erreicht auch junge Menschen, die Hilfe benötigen aber bisher den Weg zu den Angeboten der Kinder- und Jugendhilfe nicht gefunden haben. So kommen immer wieder junge Menschen mit Problemen, darunter auch Opfer und Zeugen von Delinquenz ins Polizeigebäude, um sich mit den JUBP-Mitarbeitern zu beraten, zu informieren bzw. sachkundig zu machen. Sie haben von JUBP in den Peers gehört und nicht selten Flyer bzw. Visitenkarten von JUBP dabei.

2.7

JUBP ist mittlerweile in vielen Präventionsprojekten und Gremien der Kommunen und des Landes aktiv. So z.B.:

  • Seit 21 Jahren auf dem Gebiet der Jugendkriminalprävention. Insbesondere im Kriminalpräventiven Beirat der Landeshauptstadt Magdeburg mit einer eigenständigen Arbeitsgruppe „JKP“ und ihren Projektgruppen, z.B. Prävention an Schulen. Hier konnte konkret das von JUBP eingebrachte Schlusskonzept bearbeitet und weiterentwickelt werden. Mittlerweile bekanntgeworden, auch über Magdeburg hinaus, ist der Leitfaden gegen Schulbummelei und Schulabstinenz.
  • Seit 10 Jahren im „Schülergremium“ im Harz. Das sog. „Jugendgericht“, wo Fälle, die von der Justiz eingestellt werden, auf der Basis der Freiwilligkeit Jugendliche über Jugendliche sozusagen richten besser erzieherisch Einfluss nehmen lassen. Die Mitarbeiter der JUBP Hintze, Schunk und aktuell Sommer halten das Projekt des AGZ im Harz weiterhin hoch.
  • Die „Ausstiegshilfe (Rechts) EXTRA“, bei der ein JUBP-Mitarbeiter seit nun mehr vier Jahren den abschließenden sozialarbeiterischen Part übernommen hat.
  • Projekte wie das „ALSO-Projekt“ vom April 1997 (heute „ALSO-Netzwerk beim Jugendamt“) und das Interventionsprojekt gegen häusliche Gewalt (hervorgegangen aus dem Projekt „G.A.I.L.“.

3 Abschlussbemerkungen

An eine an der Kooperation mit der Sozialarbeit interessierte Polizei:

Polizisten, ganz konkret Jugendsachbearbeiter, müssen eine zweipolige Herangehensweise in ihrer Arbeit mit den JTV realisieren. Sie müssen als Vertreter der Strafverfolgung nicht nur restriktiv und Straftaten aufklärend in den Beschuldigtenvernehmungen auftreten, sondern auch mit einem pädagogischen Grundverständnis agieren, so dass der duale Ansatz der Kooperation von Polizei und Sozialarbeit erfolgreich gestaltet werden kann. Das ist inzwischen seit 25 Jahren in Sachsen-Anhalt Praxis und wäre bundesweit wünschenswert. An dieser Stelle sei auch auf das von JUBP unterstützte und bereits 2012 initiierte und weiterentwickelte Nachfolgeprojekt „Kurve kriegen“ in Nordrhein-Westfalen hingewiesen. Inzwischen ist es ein ressortübergreifendes Landesprogramm und kann auf Erfolge verweisen. Auf eine dort in Auftrag gegebene Evaluierung für eine Kosten-Nutzen-Analyse sei an dieser Stelle hingewiesen. Nicht unerwähnt darf bleiben, dass eine Begegnung und Beendigung der Intensivtäter- und Jugendhilfekarrieren immer unter Beachtung und Einhaltung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (KJHG) und des Jugendgerichtsgesetztes (JGG) erfolgen muss. Polizei hat dabei immer in Vorleistung zu gehen, d.h. sie muss als erstes agieren und die Delinquenten, insbesondere die Wiederholungs- bzw. Mehrfachtäter, nicht nur vorladen, sondern, wenn diese nicht auf dem Revier erscheinen, auch aufsuchen. Nur so ist eine Vermittlung an die Sozialarbeiter erst möglich.

An die Entscheidungsträger in den Kommunen:

Wir brauchen noch mehr bedürfnisorientierte kriminalpräventive Projekte, die dann bei entsprechenden Ergebnissen zu Standards in den Programmen der Jugendkriminalprävention, konkret in der Jugendhilfe, werden. Dazu gehören insbesondere Maßnahmen mit einem Interventionscharakter zur Normverdeutlichung, die sich unmittelbar gegen strafbares Verhalten richten. Wir sind aktuell auch dazu aufgerufen, z.B. den jungen Flüchtlingen und da meine ich nicht nur die „betreuten“ unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge, sondern vor allem den vielen jungen Volljährigen, die nicht in allen Kommunen die gesetzlichen Unterstützungen bekommen, Hilfen nach § 41 KJHG anzubieten. Pädagogen, Psychologen, Soziologen und Kriminologen wissen seit über 100 Jahren, dass Tagesstruktur, Sprache, Bildung, Ausbildung und Einbindung in die Gesellschaft, die besten Mittel gegen prekäre Lebensumstände, gegen anhaltende oder gar forcierte Perspektivlosigkeit, Frustration und aggressives Verhalten sind und somit die beste Alternative zu delinquentem Verhalten. Es klingt abgedroschen, aber die Forderung von Franz von Liszt vor über 100 Jahren, die da lautet „die beste Kriminalpolitik ist eine gute Sozialpolitik“, ist aktueller denn je.

Anmerkungen

Rainer Bode ist Diplomlehrer/Diplompädagoge. Er wurde 1992 als Projektleiter mit dem Aufbau des Projektes „Jugend-Sozial-Interventions-Projekt“ (JSIP) bei der Polizei in Sachsen-Anhalt betraut. Seit 1994 ist er Leiter des JSIP und seit 1996 des JUBP Sachsen-Anhalt.

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