Hure oder Opfer?

(Mehr als nur) eine Frage der Ehre

Was Rückkehrerinnen erzählen


Es sind inzwischen sehr wahrscheinlich Zigtausende, die von Deutschland enttäuscht, in ihre Heimat zurückgekehrt oder nach Hause geflohen sind. Nach Weißrussland, in die Ukraine, in die Republik Moldowa, nach Albanien, Rumänien, Ungarn, Bulgarien… Die allermeisten von ihnen sprechen über ihre (Horror-)Erlebnisse hierzulande nicht und das aus guten Gründen, zum Beispiel

  • weil die Prostitution in ihrem Heimatland nicht nur verboten ist, sondern auch mit einem Makel verbunden, welches den gesellschaftlichen, oft sogar den familiären Ausschluss zur Folge haben kann,
  • weil auch in ihrem Heimatland oft nicht zwischen freiwilliger Prostitutionsausübung und Sexsklaverei, zwischen Hure und Opfer unterschieden wird,
  • weil diejenigen, die in den Westen gelangten und diese Chance nicht wahrnehmen konnten, grundsätzlich als Versagerinnen angesehen werden,
  • weil sie sich dessen schämen, was sie getan haben bzw. was ihnen angetan wurde.

Dennoch gibt es inzwischen auch zahlreiche, detaillierte und oft gleich oder ähnlich lautende Aussagen von Betroffenen, die Auskunft über die Ausbeutungspraktiken – von den Täuschungshandlungen bei der Anwerbung über die Praktiken während der Schleusung bis hin zur Sexsklaverei hinter den glitzernden Fassaden deutscher Rotlichtmilieus- geben.
Sowohl den in Deutschland wie in den Rekrutierungsländern tätigen Nichtregierungsorganisationen (NGO) liegen zahlreiche und eindeutige Erkenntnisse dieser Art vor, welche die Verbrechen des Frauen- und Kinderhandels und der Sexsklaverei in seiner ganzen Brutalität, leider aber immer nur im jeweiligen Einzelfall und nicht in seinem gesamten Ausmaß, bestätigen und belegen. Dennoch lassen auch diese Einblicke keinen Zweifel daran: Es ist eher selten freiwilliges Tun sondern in hohem Maße Ausbeutung und Sexsklaverei, was auf den Plattformen stattfindet, die Deutschland für das „Prostitutionsgewerbe“ zur Verfügung stellt.

Über Polizeiliche und politische Anforderungen und (ausbleibende) Antworten


Eine Klärung der Frage freiwillig oder dazu gezwungen, Prostituierte oder Sexsklavin, Vergnügungsmeilen oder Tatorte zahlreicher, sich fortsetzender Verbrechen – es ist im Einzelfall wie im Gesamten ein rechtsstaatlich zwingendes Gebot, das zu klären. Mit polizeilichen Kontrollen im Rahmen der Alltagsgeschäfte geht das aufgrund der milieu-typischen Verschleierungstaktiken und Praktiken nicht (mehr). Auch die herkömmlichen und üblichen polizeilichen Mittel und Methoden sind zumeist untaugliche Instrumente und stumpfe Waffen im Kampf gegen den Frauenhandel, die Sexsklaverei und andere (Rotlicht-)Kriminalität.
Die Bosse der Milieus im Rotlicht haben längst Strategien entwickelt, um eine erfolgreiche Ermittlungsarbeit ebenso zu erschweren oder gar zu verhindern, wie eine effiziente Strafverfolgung und schmerzhafte Eingriffe durch die Justiz.
Sie verstehen es, herkömmliche polizeiliche Mittel und Methoden in untaugliche und unwirksame Waffen zu wandeln. So nützt das klassische, polizeiliche Instrument der Vernehmung nichts oder nur wenig, wenn das Gegenüber schweigt? Eine Telefonüberwachung wird kaum erfolgreich verlaufen, wenn die Polizei beim zweiten gesprochenen Satz freundlich als Mithörer begrüßt wird? Und eine Razzia oder Durchsuchung, bei der einer grinsend hinter dem Tresen sitzt, die Pässe aller im Hause Bediensteten vor sich aufgereiht hat und die Einsatzkräfte beim Betreten des Objekts freundlich begrüßt, verspricht ebenfalls keinen Erfolg…!
Es gibt zumeist nur eine Möglichkeit, die geheimnisvollen und in weiten Teilen kriminellen Strukturen und Machenschaften im Rotlicht zu entflechten und den Tätergruppierungen ihr kriminelles Tun – zum Beispiel den Menschenhandel und die Sexsklaverei – nachzuweisen: Langfristige, zumeist sehr aufwändige, personal- und kostenintensive und dazu mit keiner Erfolgsgarantie ausgestattete Strukturermittlungen.
Bedauerlicherweise kann sich die Polizei den „Luxus“ solcher, unverzichtbarer und alternativloser Ermittlungen aber immer weniger leisten. Die ständige Überlagerung ihrer Arbeit durch andere Ereignisse und Erfordernisse (Islamistische Szene, Terroristische Anschläge, Großveranstaltungen , Wohnungseinbrüche…) tragen ebenso dazu bei wie die Erwartungshaltung der Öffentlichkeit, der Medien, der Politik und des dadurch entstehenden polizeiinternen Drucks, verbunden mit statistischen Zwängen, die nach schnellen und immer schnelleren Erfolgen schreien. Das alles macht es schwer oder gar unmöglich, nicht unbedingt erforderliche (es sind Kontrolldelikte), aufwändige und langfristig angelegte Ermittlungen im Rotlicht einzuleiten oder durchzustehen.

Die Gefahr ist groß, dass – trotz aller Bedenken oder gar besseren Wissens- auch polizeilicherseits davon ausgegangen wird, dass in den Milieus alles legal und kriminalitätsfrei abläuft, dass die dort Tätigen Freiwillige und keine Sexsklavinnen sind.Die Gefahr ist groß, dass sich die Polizei anderen, dankbareren Aufgaben zuwendet und ganz den Erwartungen entsprechend nach schnellen – wenn oft auch nur scheinbaren – Erfolgen jagt.
Ein oder zwei Kilogramm des Stoffes, aus dem die (Alb-)Träume sind zu beschlagnahmen – das ist für ortskundige Fahnder in einem bestimmten Milieu oft in wenigen Tagen wenn nicht gar in wenigen Stunden möglich. Nicht selten ist daraufhin von einem „Schlag gegen das Organisierte Verbrechen“ zu hören oder zu lesen (dabei kommt der Stoff täglich containerweise ins Land…) Auch wenn es in Wahrheit kein Schlag sondern allenfalls eine sanfte Berührung war: Man hört und liest sie allseits gern, solche (Erfolgs-)Meldungen.
Solche Versuchungen werden noch größer, weil in diesem Land aus verschiedenen Gründen (unter anderem, weil es die OK und Milieupersonen ein- ums andere Mal verstehen, die Gerichte zu einem Deal zu ihren Gunsten zu zwingen) nur noch selten ein Urteil und schon gar kein angemessenes Urteil mehr wegen Zuhälterei oder Menschenhandels ergeht. So dass sich – nach gerichtlichen Auseinandersetzungen und Entscheidungen – immer wieder schnell die Frage nach der Verhältnismäßigkeit stellt. Und der mit den für Ermittlungserfolge unverzichtbaren Strukturermittlungen zwangsläufig verbundene Aufwand steht in der Tat oft nicht mehr in einem akzeptablen Verhältnis zu den – wenn überhaupt – verhängten Strafen für den oder die Täter.
Auf eine solche aufwändige Ermittlungsarbeit aus genannten Gründen zu verzichten, das hieße freilich, den (Schweren) Menschenhandel, die Zuhälterei und die Sexsklaverei hinzunehmen und zu dulden. Es wäre (oder ist?) die Resignation vor dem Organisierten Verbrechen!

  • Die zentrale Lage Deutschlands,
  • die hohe Nachfrage nach illegalen Gütern (auch die nach Sexsklavinnen),
  • die geradezu idealen Rahmenbedingungen,
  • die eingeräumten Freiheiten
  • die Risikoarmut…

Das alles wird die Organisierte Kriminalität weiterhin in hohem Maße anziehen. Frauenhandel und Sexsklaverei wird ein wichtiges und lukratives Geschäftsfeld und Standbein dieser krimineller Clans und Gangs bleiben und die verschiedensten Tätergruppierungen werden sich weiterhin dazu aufgefordert fühlen, im bundesdeutschen Rotlicht zu investieren.

Politische Initiativen und Entscheidungen, die dieser unheilvollen Entwicklung entgegen wirken, erscheinen überfällig. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt diesbezüglich jedoch eklatante, politische Versäumnisse. Erinnert sei nur an die EU-Richtlinien 2011/36 MH, an Vorgaben der Europäischen Kommission aus dem Jahre 2011, mit denen die Mitgliedsstaaten aufgefordert wurden, wirksamer gegen den Menschenhandel vorzugehen. Den einzelnen Nationalstaaten wurde damals eine Frist bis April 2013 eingeräumt. Deutschland hat die Vorgaben – nach Androhung von Strafgeldern – erst im Jahre 2016 in Angriff genommen und umgesetzt. Und diese Umsetzung ist alles andere als geeignet, die erforderlichen Veränderungen herbeizuführen.
Auch die Tatsache, dass man im Prostitutionsgesetz von 2001 von falschen Voraussetzungen ausging und dass dieses wenig tauglich war und ist, um das Vordringen von (Organisierter) Kriminalität in den einschlägigen Milieus zu verhindern und den Schutz der Prostituierten und (potenziellen) Opfer zu gewährleisten, wurde von Seiten der Polizei früh erkannt. Selbst die Bundesregierung hat bereits im Jahre 2007 eingeräumt, dass dieses Gesetz die in es gesetzten Erwartungen nicht erfüllt (in Wahrheit trug es nicht unwesentlich dazu bei, dass Deutschland zum „Puff Europas“ und zum Zentrum der sexuellen Ausbeutung von Frauen und Kindern verkommen konnte). Aber erst 2017 tritt eine Novellierung des Prostitutionsgesetzes in Kraft. Und auch diese enthält keine Vorgaben, die auch nur im Entferntesten geeignet sein könnten, den anstehenden Herausforderungen und Notwendigkeiten gerecht zu werden, den Frauen- und Kinderhandel sowie die Sexsklaverei einzudämmen und ein Fortschreiten der Organisierten Kriminalität im bundesdeutschen Rotlicht – und darüber hinaus – zu erschweren oder gar zu verhindern.


Beispiele für milieufreundliche Entscheidungen:

  • Ein Prostitutionsverbot unter 21 Jahren wurde gefordert aber (unter anderem wegen verfassungsrechtlicher Bedenken) nicht ins Gesetz aufgenommen. Die allermeisten Opfer des Menschenhandels und der Sexsklaverei sind aber (oft erheblich) unter 21 Jahre alt und das nicht zufällig: Sie sind am leichtesten zu verführen, einzuschüchtern und auszubeuten. Dass dies in hohem Maße geschieht, erscheint verfassungsrechtlich unbedenklich zu sein.
  • Eine geforderte, konsequente polizeiliche An- und Abmeldung der Prostituierten am Ort ihres Tätigwerdens – nicht zuletzt zu deren Sicherheit und Schutz- wurde wegen einer damit verbundener „Diskriminierung“ ebenso nicht ins Gesetz aufgenommen. So kann der innerdeutsche Frauenhandel von Milieu zu Milieu (und immer nach Unbekannt) weitergehen. Die Vorteile: Ständig „Frischfleisch“ oder „neue Ware“ in den Milieus und bevor ein lästiges Ermittlungs- und Strafverfahren wegen Menschenhandels und Sexsklaverei auch nur anlaufen kann, ist – alten Gewohnheiten zufolge – jede Betroffene oder Zeugin nach Unbekannt verschoben. Übrigens: Wer fühlt sich schon diskriminiert, weil er im Hotel einen Meldezettel mit Personalien sowie An- und Abreise auszufüllen hat?
  • Als Fortschritt wurde und wird die Kondompflicht gefeiert. Freilich werden davon unabhängig auch in Zukunft allein Zuhälter und Bordellbetreiber darüber entscheiden, ob Kondome benutzt werden oder nicht. Und Menschenhandel, Sexsklaverei und Organisierte Kriminalität lassen sich mit der Kondompflicht bedauerlicherweise auch nicht bekämpfen….

Die Frage drängt sich nach solchen Entscheidungen auf, wie weit politische Entscheidungsträger und Gesetzesmacher gelegentlich von den Gegebenheiten und Realitäten entfernt sind oder aber inwieweit sie sich von den Mächtigen im Rotlicht und deren Interessenvertretungen und- verbänden beeinflussen lassen?Verkannt werden sollte in diesem Zusammenhang nicht, dass die Milieus im Rotlicht neben ihrem geschickten Taktieren und Agieren, neben gekonntem Aushebeln polizeilicher, justizieller und politischer Vorhaben und Vorgaben und allerlei Vernebelungs- und Vertuschungsstrategien grundsätzlich Gewichtiges zu bieten haben: Sex, Geld, Skrupellosigkeit.