Hure oder Opfer?

(Mehr als nur) eine Frage der Ehre

Hinweise auf die Frage „freiwillig oder nicht?“ in der Schleusungsphase


Im Osten und Südosten Europas entstanden und entstehen immer mehr als „Model-Agenturen“ oder ähnlich getarnte Sammelstellen, von denen aus ganze Kontingente junger Frauen westwärts geschleust und deutschen Rotlichtmilieus zugeführt werden.
Die Transporte erfolgen auf dem Luftweg (z.B. über Moskau), über See (z.B. Albanien oder Montenegro – Italien) oder auf dem Landweg (vorwiegend auf den Balkanrouten), wobei bevorzugt (Klein-)Busse eingesetzt werden, weil dabei in der Regel keine Ausweispapiere vorzuzeigen sind. In dieser Schleusungsphase werden in steter Regelmäßigkeit und sehr bewusst Hilflosigkeit und Abhängigkeit erzeugt, indem zum Beispiel die Pässe der Auserwählten unter einem Vorwand in die Hände der Täter oder Schlepper gelangen, indem das Notizbuch, das Handy oder das Smartphone verschwindet (womit Brücken in die Heimat und möglicher Hilfe abgebaut werden). Das Ausgeliefertsein wird demonstriert oder verdeutlicht. Dann wird sehr häufig und sehr bewusst kriminalisiert. So werden Drogen eingesetzt (um Schuld und Abhängigkeit zu erzeugen) und es wird die „Schuldenfalle“ erstellt. Dabei werden oft utopische Summen genannt, die das Verbringen von Ost nach West verschlingen würde. Summen, die mit dem zuvor versprochenen Job und Verdienst niemals abgetragen werden können. Zum Glück aber hat man eine Alternative….
Den Betroffenen wird in der Schleusungsphase auch unmissverständlich klar gemacht, wohin die Reise geht – nicht in die Gastronomie oder auf eine westliche Bühne zum Tanz sondern in einen Puff oder auf den Straßenstrich. Kommt es zum Widerstand, wird dieser gebrochen. Notfalls mit Gewalt, nicht selten in Form von Vergewaltigungen. „Zureiten“ nennen Zuhälter das – sicher auch kein Indiz für die Absicht freiwilligen Anschaffens am Ziel einer solchen Reise. So wie die gesamten, üblichen und hinlänglich bekannten Machenschaften während der Schleusungsphase auch.

Hinweise, die sich aus den Machtverhältnissen und -strukturen in den deutschen Milieus ergeben


Hier gilt es zunächst zu erkennen, dass die nach Deutschland gehandelten Frauen (und Kinder) nicht in dem Deutschland ankommen, das sie zu kennen glaubten und von dem sie träumten. Sie kommen auch nicht in dem Deutschland an, das wir Deutschen kennen, das wir schätzen und vielleicht sogar lieben. Diese Opfer des Frauenhandels von Ost nach West sind vielmehr von Beginn an gefangen in einer Subkultur (Rotlichtmilieu) mit ganz eigenen Wertvorstellungen, Gesetzen, Richtern und wenn erforderlich, auch eigenen Henkern. Im (Rotlicht-)Milieu gelten die Spielregeln und Gesetze der Allgemeinheit nicht. Hier gelten andere: Die Milieugesetze. Und nur die. Nach diesen Milieugesetzen ist Verrat (ähnlich wie bei kriminellen Rockergruppierungen oder anderen, der Mafia oder OK zuzuordnenden Tätergruppierungen und -organisationen) die schlimmste Verfehlung. Und Verrat ist alles, was dem Milieu und seinen Herrschern Schaden zufügen könnte (zum Beispiel die Aussage, nicht freiwillig der Prostitution nachzugehen).Diese und alle anderen Spielregeln und ungeschriebenen aber bedingungslos einzuhaltenden Gesetze der Milieus im Rotlicht lernen die Opfer des Frauenhandels und der Sexsklaverei in ihrer ersten Lektion – und die wird ihnen zumeist längst vor Betreten deutschen Bodens und deutscher Bordelle erteilt.
Trotz der in weiten Teilen kriminellen Anwerbungs- und Schleusungsmethoden und trotz (oder gerade wegen) der Abgeschlossenheit der Milieus und der Milieupersonen im Rotlicht ercheinen die Arbeitsbedingungen in deutschen Bordellbetrieben und auf den deutschen Straßenstrichen heute – oberflächlich betrachtet – unauffälliger als jemals zuvor und scheinbar kriminalitätsfrei. Das aber kann und darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch „bestens geführte Häuser“ und Nobelbordelle in Edelstahl und Marmor nichts anderes als Stätten brutaler, sexueller Ausbeutung sein können.
Die in einem süddeutschen Nobelbordell tätigen jungen (ausländischen) Frauen schwärmten geradezu von besten Arbeitsbedingungen und von der Großzügigkeit ihrer Herren und Gebieter. Nur: Die Ermittler glaubten ihnen nicht und leiteten lang andauernde, aufwändige und gründliche Strukturermittlungen ein. Das Ergebnis: Ein vorgeschriebener, durchgehender 16-Stunden Arbeitstag, Nacktgebot, Handyverbot, Ausgehverbot, finanzielle Ausbeutung – Sexsklaverei.
Es sind heute oft verschiedene Ebenen, auf welchen im Rotlicht agiert und Macht ausgeübt wird. Hinter unbescholtenem Vorzeigepersonal eines scheinbar gut geführten und kriminalitätsfreien Objekts können sich zum Beispiel eine undurchsichtige „Wohnheim GmbH und Co KG“, mehr oder weniger windige Geschäftsleute, örtlich bekannte Zuhälter, Klein- oder auch größere Kriminelle, Rocker oder Rocker-ähnliche Gruppierungen… verbergen. Diese wiederum können im Auftrag einer der OK zuzuordnenden Gruppierung handeln oder von einer solchen beherrscht und abhängig sein – den eigentlichen, vollkommen im Dunkel agierenden und eigentlichen Machthabern eines scheinbar doch so gut geführten und kriminalitätsfreien Objekts.
Clans, Organisationen und Tätergruppierungen ausländischer Herkunft, bilateral oder international zusammengesetzte oder kooperierende Gangs beherrschen – erkennbar oder unerkannt- heute weite Teile der bundesdeutschen Rotlichtmilieus. Auch die im Rotlicht agierende Rockergruppierungen oder Rocker-ähnliche Gangs sind ihnen, zumindest teilweise erkennbar, zuzuordnen oder sie handeln im Auftrag solcher Gruppierungen (um mit ihrer Präsenz das für eine Vormachtstellung im Rotlicht unverzichtbare Einschüchterungspotenzial und die ebenso erforderliche Gewaltbereitschaft zu demonstrieren). Unter den Motorradhelmen von Rockern und Rocker-ähnlichen Gruppierungen verbergen sich jedenfalls auch die Köpfe türkisch- oder kurdisch-stämmige Harleyreiter, bosnische, albanische, kosovarische und andere Nationalitäten. Und sie bekämpfen und sie bekriegen sich. Es geht dabei um Macht, um Machtzugewinn oder um Machterhalt im Rotlicht und damit um viel Geld.
Fazit: Bei den gegenwärtigen Machtverhältnissen auf den Kiezes (die eigentliche Herrschaft liegt in weiten Teilen in den Händen von nicht selten der OK zuzuordnender Tätergruppierungen) und den gängigen Tarn- und Vernebelungspraktiken mutet es geradezu abenteuerlich an, wenn Politik, Gesetzgebung und Gesellschaft von Freiwilligkeit ausgehen, was die jungen, in Ost- und Südost-Europa rekrutierten und diesen Gangs ausgelieferten jungen Frauen (und Kinder) betrifft.