Organisierte Kriminalität – Facetten der OK

Wirtschaftskriminalität

Im Jahr 2014 entfielen in Deutschland insgesamt 73 OK-Verfahren auf das Hauptaktivitätsfeld Wirtschaftskriminalität, 52 Verfahren auf Steuer- und Zolldelikte sowie 20 Verfahren auf den Bereich der Geldwäsche. Eine entscheidende Frage bei der Wirtschaftskriminalität ist: Was ist erlaubte Spekulation – was schon strafbare Manipulation? Welches Steuermodell ist legal, welches versucht tatsächliche oder vermeintliche Lücken auszunutzen, welches ist illegal? All dies sind hoch komplexe Fragen; die Grenzziehung gestaltet sich auch unter rechtlichen Gesichtspunkten z.T. sehr schwierig.
Die durch Organisierte Wirtschaftskriminalität verursachten Schäden sind enorm. Im Jahr 2014 waren es rund 222 Millionen Euro, durch Steuer- und Zolldelikte entstand darüber hinaus ein Schaden in Höhe von ca. 148 Millionen Euro. Komplexe Finanzprodukte und Unternehmensstrukturen sowie die Schnelligkeit von weltweiten Kaskaden von Transaktionen stellen Polizei und Zoll vor erhebliche Beweiserhebungs- und Sicherungsprobleme und lassen die internationale Rechtshilfe oft ins Leere laufen.
Bereits das Feld der Modi Operandi in den Bereichen Kapitalanlagebetrug oder Umsatzsteuerkarussell erscheint grenzenlos. Ein seit einigen Jahren durch das BKA in Zusammenhang mit dem Handel von Emissionzertifikaten geführtes Verfahren gegen mehr als 160 Beschuldigte erreicht derzeit ein Schadensvolumen von 1,4 Milliarden Euro zum Nachteil des Fiskus, d.h. der gesamten Gesellschaft.
Die Beweisführung ist höchst diffizil. Ermittler müssen dazu ein Peta-Byte (1.000 Terra-Byte) gesicherte Daten auswerten, was dem Inhalt von rund 400 Millionen Aktenordner à 500 Blatt entspricht.
Um Herausforderungen wie diese meistern zu können, benötigen die Strafverfolgungsbehörden geeignete Instrumente und aufgabenadäquate personelle und materielle Ressourcen.

Erträge

Das Ziel von OK ist die Gewinnmaximierung. Um illegale Erträge im legalen Wirtschaftskreislauf investieren zu können, sind bei faktisch allen OK-Phänomenen Geldwäschehandlungen erforderlich.
Geldwäscheverdachtsmeldungen sind deshalb ein wesentlicher Ansatzpunkt für eine erfolgreiche OK-Bekämpfung. Geldwäscheverdachtsmeldungen können erste Hinweise auf OK-Strukturen und Geldwäsche liefern. Der tatsächliche Nachweis von Geldwäschehandlungen ist hingegen erheblich schwerer zu erbringen und erfordert umfangreiche Ermittlungen und Beweisführungen. Meist bleibt es beim Verdacht, weil die Herkunft inkriminierter Gelder aus einer konkreten Vortat nicht nachgewiesen werden kann.

Im Jahr 2014 wurden 335 Millionen Euro an kriminellen Erträgen der OK festgestellt, weniger als 30% konnten vorläufig gesichert werden. Dieses sich seit Jahren ähnlich wiederholende Ergebnis ist unbefriedigend. Der OK kann nur dann ihre Basis entzogen und Schaden von Gesellschaft, Wirtschaft und Politik abgewendet werden, wenn es gelingt, effektive Gewinnabschöpfung zu betreiben. Der Weg zu diesem Ziel führt über eine stärkere Ausrichtung der OK-Bekämpfung auf kriminelles Handeln an der Schnittstelle zwischen legaler und illegaler wirtschaftlicher Betätigung.
Hierzu bedarf es allerdings wirkungsvoller rechtlicher Regelungen, die sich als praxisstauglich erweisen. Die derzeitigen Hürden deutscher Gesetze zur Gewinnabschöpfung sind komplex.
Verbesserungsvorschläge von der Gemeinsamen Arbeitsgruppe Justiz/Polizei gibt es schon. Vorschnell sollten keine Denkverbote auferlegt werden, wenn es um Fragen verfassungskonformer Beweiserleichterungen geht.

Technischer Fortschritt aus Perspektive der Kriminalitätsbekämpfung

Der technische Fortschritt zwingt zum radikalen Umdenken bei der Kriminalitätsbekämpfung. Die Arbeit der Sicherheitsbehörden befindet sich bereits heute an einem Wendepunkt. Kriminelle nutzen Anonymisierungsdienste und kommunizieren verschlüsselt. Kriminelle insgesamt, nicht nur Cyberkriminelle, bewegen sich nicht nur im Clearnet, sondern agieren parallel im sogenannten Darknet.Die Underground Economy beflügelt den kriminellen Markt – alles ist verfügbar und käuflich auf kriminellen Onlinemarktplätzen. Cybercrime als „Bausatz“ – Crime as a Service – Spoofing, Hacking, Phishing, ID-Grabbing sind die Betätigungsfelder der neuen OK-Generation. Längst muss die Vorstellung revidiert werden, dass nur Jugendliche aus reiner Neugier Täter im Cyberspace sind. Die im TOR-Netzwerk gehostete Internetplattform Silk Road, ein Online-Schwarzmarkt für Drogen, Waffen und Fälschungen erzielte z. B. einen Jahresumsatz von mehreren Millionen US-Dollar.
Im Mai 2015 wurde in den USA der Betreiber von Silk Road für den Betrieb der Plattform und wegen versuchter Anstiftung zum Mord zu zweimal lebenslänglicher Haftstrafe verurteilt.

Das Center of Strategic and International Studies geht im Juni 2014 von einer jährlichen Gesamtschadenssumme von bis zu 575 Milliarden US-Dollar durch Cybercrime aus. Diese Schadenssumme übersteigt das Bruttosozialprodukt von Staaten wie Schweden, Polen oder der Schweiz.
In nahezu allen Kriminalitätsfeldern ist heute eine Internetdimension festzustellen, als Tat- oder Kommunikationsmittel oder zur Generierung digitaler Währungen, um Zahlungen außerhalb des geregelten Finanz- und Bankensystems tätigen zu können.
Im Bereich der Cybercrime existieren zunehmend Täternetzwerke, deren Angehörige sich nicht persönlich kennen, sich jedoch über anonymisierte Kommunikationswege austauschen. Mehr noch als in anderen OK-Bereichen ist hier die konsequente Nutzung von VoIP-, Instant Messaging-Applikationen und die Anwendung verschlüsselter Netzwerkprotokolle die Regel. Dadurch entziehen sich die Täter dem Zugriff der Ermittlungsbehörden. Strafverfolgung bleibt zurück im Dunklen, sieht weder Inhalt noch Ziel der Verbindungen. Auch wenn die klassische Telekommunikationsüberwachung weiterhin unverzichtbar ist, die Erkenntnisse, die über dieses Mittel gewonnen werden können, sind zunehmend lückenhaft.
In Ermittlungsverfahren führt dies inzwischen regelmäßig zu teils erheblichen Überwachungslücken, deren Konsequenz unvollständige Ermittlungsergebnisse und damit mangelhafte Beweislagen sind.
Zugleich wird es erheblich schwieriger, schwere Straftaten im Vorfeld der Begehung aufzudecken und damit zu verhindern.
„We are going dark!“ lautet die geflügelte Bezeichnung für diese Entwicklung im Kreise US-amerikanischer Ermittler.
Parallel stoßen die Ermittler bei den Verfahren seit Jahren auf sich potenzierende Datenmengen, die es kriminalistisch zu bewältigen gilt. Dabei handelt es sich meist um unstrukturierte Daten, die häufig auf Servern im Ausland gespeichert sind.
Oftmals sind es auch Daten von Opfern, deren Zahl kontinuierlich wächst. Allein 16 Millionen gestohlene Zugangsdaten zu E-Mail-Accounts hat die Polizei in einem Fall im Jahr 2014 festgestellt.
In der globalisierten Welt des 21. Jahrhunderts agiert auch OK – transnational, in Europa, weltweit und im Cyberspace.

Handlungserfordernisse

Es sind die immer wieder beschworenen Entwicklungen, wie Transnationalisierung, Technisierung und Globalisierung, die zu einem Auseinanderdriften der Möglichkeiten von Strafverfolgung einerseits und den Tätern der OK andererseits führen und Handlungsbedarf generieren. In der heftig und zuweilen sehr emotional geführten Debatte um die Enthüllungen des „whistle blowers“ Edward Snowden und mit Blick auf die scheinbar grenzenlosen Datenbestände und Analysemöglichkeiten der privaten Internetgiganten, verhallen Appelle für eine differenzierte Sichtweise und die Notwendigkeit zeitgemäßer Eingriffsbefugnisse.
Eine klarstellende Regelung der Quellen-TKÜ und die Schaffung einer Befugnis zur Online-Durchsuchung in der StPO bleiben Forderungen nach auch für die OK-Bekämpfung notwendigen Instrumenten. Die geplante Einführung einer Höchstspeicherfrist für Telekommunikationsdaten ist daher nachdrücklich zu begrüßen.
Ein weiterer zentraler Aspekt ist die Transnationalisierung der OK. OK-Bekämpfung ist europäisch, international zu denken und international zu organisieren.
Mehr denn je kommt der IKPO Interpol, mit seinem noch jungen Interpol Global Complex for Innovation (IGCI) in Singapur, die wesentliche Rolle zu, die Polizeien der Erde auf dem Gebiet der OK-Bekämpfung, auch im Cyberspace, mit ihrer weltweiten Koordinierungs- und Servicefunktion effektiv miteinander zu vernetzen.
Polizei kann es sich nicht länger leisten, parallel nach technischen und methodischen Lösungen für dieselben Probleme zu suchen – die Bündelung von Know-how und Ressourcen in Kompetenzzentren ist hier der Schlüssel.
Europäisch besteht mit dem EU-Policy Cycle 2014 bis 2017 erstmals eine gemeinsame europäische Bekämpfungsstrategie für wesentliche Kriminalitätsbereiche, die durch konkrete Operationspläne mit Leben erfüllt wird. Das BKA hat hier europaweit die Driver-Funktion für das Thema Cyberattacks übernommen, das LKA Baden-Württemberg vertritt Deutschland beim Thema „Mobile Organised Crime Groups“.
Europol ist zum Keyplayer in Europa geworden. Auch hier entwickeln sich neue Zusammenarbeitsformen, aktuell beispielsweise im J-CAT, einer Kooperation von europäischen und einigen außereuropäischen Partnerdienststellen im Bereich Cybercrime, an der sich das BKA intensiv mit eigenem Personal beteiligt.
Auf dem Gebiet der internationalen Rechtshilfe besteht, wie bereits erwähnt, unvermindert Handlungsbedarf hin zu einer Vereinfachung und Beschleunigung der Zusammenarbeit. Die im Jahr 2014 beschlossene EU-Richtlinie über die Europäische Ermittlungsanordnung ist hier ein wesentlicher Meilenstein. Zukünftig sollen Anordnungen einer zuständigen Behörde eines Landes ohne weitere Formalitäten auch von Vollstreckungsbehörden in einem anderen Land umzusetzen sein.
Die kontinuierliche Arbeit an einem einheitlichen OK-Verständnis und der Implementierung von gemeinsamen Strategien in Europa bleiben Daueraufgaben. Harmonisierungsbedarf besteht darüber hinaus insbesondere mit Blick auf unterschiedliche nationale Besonderheiten, wie z. B. weitreichende justizielle Geheimhaltungsgebote, die den polizeilichen Informationsaustausch für EU-weite Ermittlungen begrenzen.