Organisierte Kriminalität – Facetten der OK

Rockerkriminalität

Rauschgiftkriminalität und Gewaltkriminalität sind bis heute die zentralen Betätigungsfelder krimineller Rockergruppierungen.
Die von Mitgliedern sogenannter „Outlaw Motorcycle Gangs“ (OMCGs), umgangssprachlich auch als Rockern bezeichnet, ausgehende Kriminalität ist ein seit Jahren wachsendes Phänomen, das nahezu alle Deliktsbereiche umfasst. Straftaten werden aus dem Schutz der Organisation heraus begangen. Die Clubs sind straff hierarchisch aufgebaut, ihr Handeln folgt strengen Regeln. Gewalt und Bedrohung sind dabei selbstverständliche Mittel zur Durchsetzung von Gebietsansprüchen und wirtschaftlicher Interessen.
Die immer wieder auch öffentlich gezeigte Brutalität dieser Gruppierungen bis hin zu Tötungsdelikten, ihr martialisches Auftreten sowie die Inhaftierungen einiger Anführer rücken das Phänomen immer wieder in den Fokus der Öffentlichkeit. Ihre Machträume suchen die Clubs durch Expansion auszudehnen. Etabliert haben OMCGs sich mittlerweile in Südosteuropa bzw. auf dem Balkan. Einige Rockergruppierungen weiten ihre Einflussgebiete gegenwärtig global aus, nach Afrika, Asien und Südamerika.
Annähernd 10.000 Mitglieder zählen die vier größten Clubs in Deutschland, die Hells Angels, die Bandidos, Gremium und Outlaws. Damit haben Rocker- und rockerähnliche Gruppierungen in Deutschland die höchsten Mitgliederzahlen europaweit. Jedes achte OK-Verfahren in Deutschland wurde im Jahr 2014 gegen eine Rockergruppierung oder eine Gruppierung mit Verbindungen zu Rockergruppierungen geführt.
Der kriminelle Teil der Rockerszene ist unübersichtlicher und komplexer geworden. Innerhalb der Szene ist ein wachsendes Spektrum ethnisch geschlossener Gruppierungen zu beobachten, wobei die Zusammenschlüsse häufig kurzlebig sind. Mitglieder großer, international organisierter Rockergruppen fungieren zwar noch als Vorbild, werden jedoch zunehmend von konkurrierenden Gruppierungen, aber auch aus den eigenen Reihen heraus bedrängt. Die hohe Gewaltbereitschaft in der Szene kann jederzeit Auslöser für polizeiliche Interventionsmaßnahmen sein. Das nach außen propagierte Bild der Gemeinschaft steht im krassen Kontrast zu dem, was Ermittlungen belegen, nämlich handfeste finanzielle Interessen, mit dem Motorrad und der Kutte als einendes Beiwerk.

In Deutschland wurden seit 1983 insgesamt über 30 Vereinsverbote gegen Rockergruppierungen ausgesprochen. Dies fügt sich in die nationale „Null-Toleranz-Strategie“ gegenüber kriminellen Rockergruppierungen ein, die einhergeht mit einem dauerhaft hohen Kontroll- und Verfolgungsdruck. Dass diese Strategie wirkt, zeigen Rückzug und Abwanderung maßgeblicher Akteure. Aufmerksam zu beobachten sind Verbindungen von Rockern zur politisch motivierten Kriminalität, bei denen es sich bislang jedoch eher um Ausnahmen zu handeln scheint.

Russisch-Eurasische OK

Der Öffentlichkeit weniger präsent als „Outlaw Motorcycle Gangs“ ist die Russisch-Eurasische OK. Beide, Rocker und REOK, weisen zahlreiche Parallelen auf: Klare Hierarchien, Abschottung, eigene Gesetze und hohe Gewaltbereitschaft; diese Aufzählung ließe sich noch erweitern.
Die Aktivitäten der Russisch-Eurasischen OK stellen eine der zentralen Herausforderungen für deutsche und europäische Sicherheitsbehörden dar. REOK offenbart sich regelmäßig nicht auf den ersten Blick. Ihre Muster unterscheiden sich von denen anderer OK-Gruppierungen. Wer zur Struktur gehört und wer nicht, lässt sich letztlich nur anhand von Verbindungen zwischen Personen und insbesondere von Zahlungen in gemeinsame Diebeskassen, die sogenannten „Obtschaks“, nachvollziehen.
Laut Interpol gibt es 2014 weltweit ca. 670 sogenannte gekrönte Diebe im Gesetz. Sie bilden die Führungsriege innerhalb der Strukturen der REOK. Nach Erkenntnissen deutscher Sicherheitsbehörden hat eine niedrige zweistellige Zahl von Dieben im Gesetz Einfluss auf REOK-Strukturen in Deutschland. Sie befehligen Brigaden- und Gruppenstrukturen, die europaweit agieren. Diese Brigaden- und Gruppenstrukturen verfügen über mutmaßlich 20.000 bis 25.000 Mitglieder weltweit.Deutschland ist zugleich Aktionsraum, Investitionsraum und Durchgangsstation für inkriminierte Gelder. Dies beweiskräftig nachzuweisen gelingt bislang nur in Einzelfällen. Kriminelle Erträge fließen in gemeinsame Diebeskassen, die auf allen Ebenen existieren. Zwischen den Ebenen fließt das Geld auf verborgenen Wegen von „unten nach oben“.
REOK nutzt das KRYSHA-Modell als effektives Parallel-System zu den herkömmlichen staatlichen Normen in Russland und gleichermaßen in Deutschland.
Gefestigt wird das System durch ein internes Sanktionierungs- und Bestrafungssystem, das rigoros ausgeübt wird, auch mit brutaler Gewalt bis hin zu Tötungsdelikten. Dadurch erklärt sich zugleich die mangelnde Aussagebereitschaft von Mitgliedern der REOK gegenüber Polizei und Justiz.
Dieses „innere System“ bildet auch die Basis des Zusammenhalts verurteilter Straftäter der Russisch-Eurasischen OK, die in deutschen Justizvollzugsanstalten einsitzen. Sie organisieren sich nach dem sogenanntem „Gefängnisgesetz“, das sich an das „Diebesgesetz“ anlehnt und ordnen sich diesem unter.
Gruppierungen der Russisch-Eurasischen OK agieren deliktsübergreifend. Die Palette reicht von Ladendiebstählen und Wohnungseinbrüchen über Rauschgiftdelikte, Gewaltdelikte, Geldwäsche, Wirtschaftsstraftaten bis hin zu Cybercrime.

Italienische OK

Italienische Organisierte Kriminalität auf deutschem Boden zeigte selten ihre ganze Brutalität und Menschenverachtung so deutlich wie im Jahr 2007 in Duisburg, als sechs Menschen auf offener Straße erschossen wurden. Seit mehr als 30 Jahren verfügen deutsche Strafverfolgungsbehörden über Erkenntnisse zu italienischen mafiösen Organisationen in Deutschland.
Nach polizeilichen Erkenntnissen leben aktuell ca. 530 mutmaßliche Mitglieder italienischer Mafia-Organisationen hier. In den zurückliegenden 20 Jahren wurden in Deutschland mehr als 330 Mafia-Angehörige wegen verschiedener, in Italien begangener Straftaten, bis hin zu Morden, festgenommen.
Deutschland dient italienischen Mafia-Gruppierungen seit langem als Flucht- und Rückzugsraum, heute ist es zugleich Aktions- und Investitionsraum. Investiert wird insbesondere in Immobilien und die Gastronomie.
Auch das Betätigungsfeld italienischer Mafia-Gruppierungen ist weit: Es reicht vom Rauschgifthandel, von Eigentums- und Fälschungsdelikten über Umweltdelikte wie illegaler Giftmüllentsorgung bis hin zu Geldwäsche sowie Steuer- und Zollvergehen.
Selbst bei erfolgreich durchgeführten Ermittlungen gelingt es in Deutschland in der Regel nicht, italienischen Mafia-Gruppierungen die Früchte ihrer Tat zu entziehen, weil der für eine Gewinnabschöpfung zwingend erforderliche Nachweis, dass Gelder aus konkreten Straftaten stammen, nur in seltenen Fällen erbracht werden kann.
Italien geht hier den Weg der Beweislastumkehr, d.h. die Tatverdächtigen müssen selbst nachweisen, dass sie ihr Vermögen auf legalem Wege erwirtschaftet haben.


Foto: A. Lemberger
Jenseits dieser bekannten Phänomene sind in der vielschichtiger gewordenen deutschen Gesellschaft vermehrt weitere Gruppierungen und auch Clanstrukturen zu beobachten, die aufgrund ihrer ethnischen Geschlossenheit durch polizeiliche Ermittlungen nur schwer aufzuhellen sind.
Wenngleich es sich dabei zunächst um lokale bzw. regionale Phänomene handelt, bedürfen sie der intensiven polizeilichen Aufmerksamkeit, um einer Verfestigung und Ausweitung von Anfang an konsequent entgegenzuwirken.

Massendelikte und OK

Die OK ist an den Haustüren der Bürgerinnen und Bürger angekommen. Lange sind Massendelikte, insbesondere aus dem Bereich der Eigentumskriminalität, nicht als lokale Ausprägungen des Handelns organisierter krimineller Netzwerke erkannt worden. Mittlerweile ist die grenzüberschreitende Eigentumskriminalität zu einem massiven Problem angewachsen, das erhebliche Auswirkungen auf das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung hat. Bereits die große Anzahl dieser Straftaten macht dies zu einem gravierenden Kriminalitätsphänomen. Dies gilt insbesondere für den Wohnungseinbruchdiebstahl, der mit rund 152.000 polizeilich registrierten Fällen im Jahr 2014 den Höchststand der zurückliegenden 15 Jahre erreicht hat. Auch wenn lediglich ca. 15% der Taten aufgeklärt werden können, sprechen viele Faktoren dafür, beispielsweise auch der Anstieg der OK-Ermittlungsverfahren im Bereich der Eigentumskriminalität, dass OK-Gruppierungen die überwiegend aus Südost- und Osteuropa stammenden sogenannten „reisenden Tätergruppen“ steuern. Die verursachten Schäden sind beträchtlich und summieren sich laut PKS allein für das Jahr 2014 auf 422 Millionen Euro. Getragen werden diese Schäden meist von der Solidargemeinschaft der Versicherten.
Gravierender als die materiellen Schäden wiegen regelmäßig die psychologischen Folgen dieser Delikte, die sich nicht durch die Erstattung des Vermögensschadens beheben lassen. Wer einmal Opfer eines Einbruchs wurde, weiß, dass der vermeintliche persönliche Schutzraum danach in vielen Fällen für immer zerstört wurde.
Auch die Menschen in Frankreich, den Niederlanden, Belgien, Österreich, Luxemburg und der Schweiz sind in erheblichem Maße von diesem Kriminalitätsphänomen betroffen.
Transnational organisierte Täterstrukturen existieren auch im Bereich des Massenphänomens „Call Center Betrug“. Die Opfer, vornehmlich ältere Menschen, werden durch geschickte Gesprächsführung am Telefon um ihr mühsam erspartes Geld betrogen. Wenngleich sich die Schadenssumme im Einzelfall meist im dreistelligen Bereich bewegt, liegt der Gesamtschaden mittlerweile bei mehr als 100 Millionen Euro, mehr als eine Million Menschen wurden geschädigt. Die Täter agieren organisiert, anonym, aus dem Ausland heraus und missbrauchen technische Möglichkeiten, wie z.B. die Rufnummernverschleierung.
Die Frage, ob es sich hierbei tatsächlich um Organisierte Kriminalität handelt, ist berechtigt. Vor einem inflationären Gebrauch des Begriffs Organisierte Kriminalität ist zu warnen, es liegt jedoch in der Natur der Sache, dass die Grenzen zwischen Bandenkriminalität und OK fließend sind. Allein auf Grundlage der Erkenntnisse der ermittlungsführenden Dienststellen lässt sich im Bereich der „Massenkriminalität“ eine eindeutige Zuordnung meist nicht sofort begründen. Diese ist regelmäßig erst möglich durch eine Zusammenführung vorliegender Erkenntnisse, systematisierte Auswertung, täterorientierte Ermittlungen und das Betreiben von Sammelverfahren zur Feststellung organisierter Strukturen und unter Hinzuziehung von Informationen anderer Behörden, auch aus dem Ausland.